Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

16 | Das Leben ist mehr - Part I

Es ist der letzte Sommer vor dem Krieg. Die letzte Chance, jung und unvernünftig zu sein. Es sei denn, man heißt Neville Longbottom und hat Omi geschworen, ein braver Junge zu sein. Nicht, dass er überhaupt ein Abenteuer suchen würde, schließlich ist er am liebsten daheim bei seinen Pflanzen. Daran ändert auch der Hinweis seines Lieblingsporträts, dass man das Leben genießen muss, bevor es zu spät ist, nichts. Keinesfalls wird er aus dem Haus fliehen, sich in einen Blumenkübel übergeben und dann von Hannah Abbott gerettet werden. Zumindest nicht absichtlich.

Eine romantische Kurzgeschichte in fünf Teilen.

[Sommer 1997]

»Neville, Liebling, sei so gut und mach nicht noch mehr Dreck mit deinen Pflanzen, ja? Das tritt sich nur im Teppich fest.«
»Natürlich nicht, Omi.«
»Gut, gut. Ach ja, meine Freundinnen kommen nachher noch und wir wollen Karten spielen, also brauchen wir den Tisch im Wintergarten frei von Erde und Unkraut. Willst du mir nicht deine neuen Zauberkünste zeigen? Ihr solltet ja mittlerweile ein paar anständige Haushaltszauber bei Filius durchgenommen haben und nicht nur so einen nutzlosen Firlefanz wie diese Aufmunterungszauber.«
»Schon –«
»Na wunderbar, dann kannst du mir jetzt beweisen, dass dieses Fach wirklich nützlich ist.«

»Natürlich, Omi.«
»Aber nicht, dass es aussieht, als hätte jemand schlampig mit dem Tuch drüber gewischt! Wenn Streifen zurückbleiben, bekomme ich das auch selber hin.«
»Ich werde mein Bestes versuchen.«
»Versuchen, versuchen! Das ist schon die falsche Einstellung. Wenn du nur ein bisschen mehr davon überzeugt wärst, dass du Dinge kannst, dann hätte Minerva dich auch in ihrem Verwandlungskurs belassen, anstatt mir diesen hässlichen Brief zu schreiben.«
»Tut mir leid, Omi. Ich habe Professor McGonagall wirklich gebeten –«
»Ja, weiß ich doch. Also Liebling, der Tisch?«
»Sofort.«

Mit angehaltenem Atem verlässt er den Salon. Weder in der staubigen Ahnengalerie aus dem vorigen Jahrhundert noch im Speisezimmer wagt er es, Luft zu holen. Erst als Neville auf der Treppe das Porträt von Maybell Longbottom passiert, die ihm hinter ihrem Strickzeug hervor zuzwinkert, japst er wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Hat sie wieder schlechte Laune?«, fragt seine Ahnin, die schon in den frühen 60ern (dieses Jahrhunderts) das Zeitliche gesegnet hat, und die er somit nie kennengelernt hat. Es müsste verrückt sein, dass ausgerechnet sie in diesem Haushalt seine Verbündete ist, aber er kennt es nicht anders. Da seine Großmutter üblicherweise wenig nette Worte für die Cousine ihres Mannes übrig hat, ist es womöglich kein Wunder, dass die junge Frau mit dem braunen Haar und dem Gesicht, das ihn entfernt an sein eigenes erinnert, zu ihm hält.

»Es sind meine Pflanzen«, murmelt er beschämt und schaut auf den Topf in seiner Armbeuge, der eine schlappe Plangentinie beinhaltet. Zu wenig Sonnenlicht und zu viel Wasser. Für ihn ist das offensichtlich, für Augusta Longbottom offenbar ein Mysterium. »Omi mag es nicht, wenn ich Erde verteile, aber das ist ja nichts Neues. Ich hätte dran denken müssen, bevor ich sie direkt im Salon untersucht habe.«
Maybell Longbottom verzieht einen gemalten Mundwinkel. »Sie sollte sich lieber freuen, einen aufmerksamen Jungen wie dich als Enkel zu haben. Bei Zeiten wird sie diese Pflege selber in Anspruch nehmen mögen.«
Vor Schreck lässt er fast die Plangentinie fallen.
»Oh, das war nicht sehr nett für dich, was?« Die Porträtierte seufzt. »Verzeih. Es war ein langes Jahr alleine mit Augusta und diesen alten Sabberhexen, die sich ihre Freundinnen schimpfen. Ich bin froh, dass du für die Ferien zurück bist.«

Er ringt sich ein Lächeln ab, wie schon für seine Großmutter und doch ganz anders. Ein bisschen so, als habe er Zahnschmerzen – wie damals, nachdem er mit sechs Jahren eine Packung Gleitschereisbonbons geleert hat, die ihm sein Großonkel zugesteckt hat.
»Und schon wieder sage ich das Falsche, was?« Seine Ahnin versteckt das zarte Gesicht, das nie so recht zu ihren Worten passen will, hinter dem unidentifizierbaren Etwas, das sie gerade (eigentlich immer) strickt.
»Ach ...«
»Sag nicht ach. Du wärst lieber woanders.«
»Das hier ist mein Zuhause ...«
Maybell grinst. »Und das kann man sowas von satthaben, glaub mir. Ich war verflucht froh, als ich geheiratet habe und endlich ausziehen durfte.«
Einen Todesser der ersten Generation, wie seine Großmutter nicht müde wird zu betonen, aber an die Verfehlungen seiner einzigen Verbündeten mag Neville jetzt nicht auch noch denken. Er wird schließlich nicht gehen. Nicht in diesem Sommer, nicht im nächsten und bestimmt nicht im übernächsten. Und Heiraten wird er genauso wenig.

»Ach je«, murmelt Maybell. »Heute hab ich aber einen Lauf.«
»Ist schon in Ordnung.«
»Nein, nein, das ist es nicht! Ich bin nur ein bisschen Farbe an der Wand, aber du hast noch eine realistische Chance, so richtig was aus deinem Leben zu machen. Und die Zeiten sind ja zum Glück nicht mehr so, dass man heiraten muss, um sich von den El- ... der Familie zu entfernen. Du könntest einfach so dein eigenes Leben in die Hand nehmen, sobald du erstmal 17 bist ...«
»Omi braucht mich doch.«
»Das bezweifle ich, wenn ich an die letzten Monate zurückdenke. Die Gäste gingen hier ja nur so ein und aus.« Gefolgt von einem Seufzen löst Maybell eine Schlaufe aus ihrer gemalten Wolle und setzt von Neuem an. »Und heute bekommen wir wieder Besuch, was?«
Er streichelt die Blätter der Plangentinie. »Ja. Omis Freundinnen kommen zum Kartenspielen.« Ihm ist bewusst, dass seine Schultern höher wandern, je weiter er spricht, doch er kann nichts gegen diese ‚schlechte Haltung' machen, die seine Großmutter stets wortreich zu kritisieren weiß. Er mag es nicht, wenn das Haus voller schriller Stimmen ist. Und er hasst es richtiggehend, von den alten Hexen in die Wange gekniffen zu werden oder sich dazu gezwungen zu sehen, ihnen Küsschen auf die pudrige, runzelige Haut zu drücken. Aber das wird er natürlich niemals nie sagen.

Maybell lehnt sich in ihrem Rahmen vor, sodass es aussieht, als wolle sie von der Leinwand ausbrechen. Was er nicht mal für unwahrscheinlich halten mag, denn soweit er weiß, ist das Porträt erst nach ihrem Tod und gegen ihren Willen entstanden. Sie streckt eine Hand in seine Richtung aus, doch ein unsichtbares Glas scheint sie zurückzuhalten und so seufzt sie neuerlich. »Warum suchst du nicht das Weite, bevor die Sabberhexen auftauchen? Es ist schließlich Sommer!« Sehnsüchtig gleitet ihr Blick zu dem nächsten Fenster, von dem sie wahrscheinlich nur eine Ecke erkennt. »Was würde ich dafür geben, noch mal ein Eis zu essen ... es gibt Fortescues doch noch?«
Er presst den Pflanzentopf fester an sich, als wäre dieser ein weiches Kissen und nicht aus Terrakotta. »Ja. Aber Großonkel Florean gibt mir immer nur Pfefferminzeis, weil das die Lieblingssorte von Mama war und ich ...« Er beißt sich auf die Innenseite der Wange, die brennenden Augen fest auf die gelblich verfärbten Blätter seines Schützlings gerichtet. »Ich mag lieber Schoko«, setzt er schließlich leise hinzu. »Viel lieber.«

Sein Blick verharrt auf der Plangentinie, aber er hört genau, wie Maybell schnieft. »Ach scheiße, ich hab ganz vergessen, dass deine Mutter ja eine Fortescue war! Oh, es tut mir so leid, mein Junge ...«
Ihre Stimme ist belegt, so wie die Leute immer klingen, wenn sie in seiner Gegenwart über seine Eltern reden. Nevilles Schultern wandern ein Stück höher und er ist sicher, dass er gleich nichts mehr hört. Was eigentlich ganz schön ist.
Maybell schnieft erneut. »Sorry, das war ein dummer Vorschlag.« Sie lacht leise auf, nur dass es gar nicht fröhlich klingt, sondern eher nach den verschnupften Mondkälbern, die sie mal in Pflege magischer Geschöpfe behandelt haben. Als Neville aus dem Augenwinkel zu ihr linst, trocknet sie ihre Wangen mit der Strickwolle. »Warum gehst du nicht irgendwo anders hin? Unternimmst was Schönes? Du bist doch alt genug.«

»Also eigentlich ... bin ich noch gar nicht volljährig.«
»Na, aber da kann ja nun wirklich nicht mehr viel fehlen, oder?«
Er zuckt mit den Schultern und nickt zeitgleich. »Noch ein paar Wochen. Aber das wird keine große Sache.«
»Darum geht's mir ja auch gar nicht. Aber du bist fast siebzehn, da kannst du ja wohl mal das Haus ohne deine Großmutter verlassen. Und wenn du nur in einen Park gehst. Oder sowas wie ein Pflanzengeschäft? Das gibt es doch bestimmt auch in der Winkelgasse?«
»Es gibt den Herbologiehimmel«, nuschelt er. »Die haben sich auf Eigenzüchtungen von magischen Topfpflanzen spezialisiert. Und dort gibt es vierzig verschiedene Sorten Erde.«
»Na, das klingt doch ... spannend.« Jetzt ist Maybells Lächeln langsam wieder ehrlich begeistert. »Und zu Ehren deines Geburtstags könntest du doch mit Freunden etwas trinken gehen? Oder vielleicht sogar mit jemandem, den du gern hast? Dann könnt ihr auch gleich eure letzten Ferien feiern. Immerhin wartet danach der Ernst des Lebens auf euch. Diese letzte große Freiheit kann man gar nicht früh genug feiern, wenn du mich fragst.«

Er holt tief Luft und sagt dann doch nichts.
»Keine gute Idee?«
»Ich ... mag Butterbier nicht so. Oder Alkoholisches.« Und Freunde hat er auch nicht so richtig. Nicht so wie Ron, der Harry hat, oder Dean, dem Seamus nicht von der Seite weicht. Ginny ist nett, aber außerhalb der Schule getroffen haben sie sich trotzdem nie. Er weiß ohnehin nicht, ob er den Fuchsbau besuchen mag, immerhin ist es laut ihren Erzählungen dort so chaotisch, dass es nie still wird. Ähnliches gilt für Luna Lovegood und ihr Heim.
Und dann ist da noch Hannah aus Hufflepuff. Sie hat ihn im dritten Schuljahr öfters in ihren Gemeinschaftsraum mitgenommen, als er wegen der Sache mit seiner Passwortliste im Gang ausharren musste. Laut ihr war es ein Unding, dass Professor McGonagall ihn draußen auf dem kalten Stein schlafen ließ, während Sirius Black sein Unwesen trieb. Fürchterlich aufgeregt hat sie sich, egal wie oft er betont hat, dass er einen Fehler gemacht habe. Das war schon ziemlich nett und die senfgelben Sofas waren viel bequemer als der Flur.
In Kräuterkunde haben sie sich in der vierten Klasse dann einen Arbeitstisch geteilt. Seither setzt sie sich hin und wieder auch in der Bibliothek zu ihm, wenn alle Einzelplätze belegt sind. Einmal hat sie ihm sogar ihren halben Schokofrosch angeboten. Er hat keine Ahnung, ob das überhaupt als richtige Freundschaft zählt, aber wenn er wählen müsste, würde er wohl sie treffen wollen. Einfach nur, weil dann niemand zu viel von ihm erwartet.

Angesichts seiner mangelnden Begeisterung über ihren Vorschlag zuckt Maybell mit den Schultern. »Na, du musst dich ja auch nicht betrinken, darum geht's schließlich nicht, wenn man was unternimmt, egal mit wem. Limonade tut es auch. Mein Mann hat auch keinen einzigen Schluck Alkohol getrunken und trotzdem schöne Erinnerungen gesammelt.«
Ein böser Gedanke zu den möglichen Vergnügen eines Todessers schießt durch Nevilles Kopf und vor lauter Schreck hustet er auf.
Maybell verschränkt langsam die Arme. »Ich meine sowas wie einen Tanzkurs. Tony hat gerne getanzt. Und er hat das magische Theater geliebt. Manchmal ist er auch mit Freunden auf die Besenrennstrecke gegangen.«
»Ach ... ich weiß nicht.« Er kaut weiter auf der Innenseite seiner Wange, obwohl er ahnt, dass er dies bald bereuen wird. »Mir ist es meist auch zu laut draußen. Zu voll. Ich ... ich bin schon gerne zuhause.« Bei seinen Pflanzen und Büchern. In Sicherheit. »Außerdem hab ich Omi versprochen, dass ich mich nicht rumtreibe in diesen Zeiten.«

»Diese Zeiten ...?«
Er vergisst immer wieder, dass Maybell – ihren eigenen Worten nach – nur Farbe an der Wand ist. Dass sie nicht den Tagespropheten liest und außer ihm mit niemandem spricht. »Du-weißt-schon-wer ist zurück«, murmelt er, so leise er kann.
»Oh.« Maybell krallt die Hände in ihr Wollknäuel. »Das ... Ich wusste nichts davon.«
»Viele Todesser sind aus Askaban ausgebrochen. Ich will nicht, dass Omi sich Sorgen um mich macht.« Und wenn er ganz ehrlich ist, dann hat er Angst davor, die Veränderungen draußen zu sehen. Solange er in diesem Haus ist, das sich in den letzten 100 Jahren nicht signifikant verändert hat, steht die Zeit still. Er ist längst nicht bereit, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, egal was er in der Mysteriumsabteilung ‚geleistet' hat. »Na ja, also ... ich sollte die Plangentinie behandlen gehen.«
»Ja ...« Der Blick seiner porträtierten Verwandten gilt nicht ihm, sondern dem Fenster – jenem im Hintergrund ihres Bildes.

Die Plangentinie berappelt sich wieder und belohnt ihn mit einem neuen Blatt für seine Mühen. Auch seine Zauberkünste ringen Augusta Longbottom immerhin ein Nicken ab. »Das wird wohl gehen«, sagt sie zu dem saubergehexten Tisch im Wintergarten, was sich fast so stark anfühlt wie ein Lob von Professor McGonagall.
In den nächsten Tagen wechselt der Sommer konstant zwischen Regen und Sonnenschein, doch im Haus merkt man davon nicht viel. Der Staub tanzt so oder so in der Luft, nur sieht man ihm mal besser, dann wieder schlechter. Wenn Neville kann, versteckt er sich in seinem Zimmer. Genug Hausaufgaben hat er ja. Je eher er die abschließt, desto leichter.
Die Gäste seiner Großmutter kommen und gehen und wenn er die Muße hätte, darüber nachzudenken, käme er wohl zu dem Schluss, dass sie beide den Zustand der Welt verdrängen wollen. Er tut es nicht, genauso wenig wie er auf den Rat eines Porträts hört und das Haus verlässt. Die Eulenpost macht es möglich, dass er trotzdem ein Tonikum zur Behandlung von Wurzelfäule bekommt. Was könnte er sonst noch wollen?

Die einzige Erinnerung an die unbequeme Wahrheit ist der Tagesprophet, der jeden Morgen pünktlich zum Frühstück um sieben Uhr auf dem Tisch liegt. Augusta Longbottom stellt zuverlässig den Brotkorb auf die finsteren Schlagzeilen und Neville linst durch das Korbgeflecht auf Bilder von vermissten Hexen und Zauberern, bis ihm der Appetit vergeht.
Offenbar sieht man ihm diese Radikaldiät an, denn nach ein paar Tagen passiv-aggressiven Strickens räuspert sich Maybell auf ihrem Porträt plötzlich wieder. Verlegen blickt er seine Ahnin an, die er seinerseits sträflich ignoriert hat.
»Nenn es albern«, sagt sie ungewöhnlich leise, »aber ich mache mir Sorgen um dich. Du wirst so dünn ...«
Automatisch schlingt er die Arme um seinen Oberkörper. Natürlich ist es lächerlich, sich so verstecken zu wollen, doch er kann nicht anders. »Omi sagt, es tut mir gut, endlich den Babyspeck zu verlieren.«
Maybell schnaubt. »Du warst nie dick! Und jetzt sind deine Wangen ganz blass ...«

Er verwendet sämtliche Konzentration darauf, die Erdränder unter seinen Fingernägeln zu studieren. Noch so etwas, was er loswerden sollte. Es ist bestimmt kein Zufall, dass seine Großmutter ihm als Belohnung für das Zeugnis Gartenhandschuhe aus feinstem Drachenleder geschenkt hat. Wenn es nur nicht viel angenehmer wäre, Wurzeln und Erde auf der Haut zu spüren ...
»Ist es wegen der Sache mit ... mit Du-weißt-schon-wem?«, fragt Maybell nach einer Weile des Schweigens. »Sag schon, wie schlimm ist es?«
Bevor er nachgedacht hat, schüttelt er den Kopf. Er will nicht darüber sprechen. Doch Maybell verschränkt unbeeindruckt die Arme.
»Ich mag Farbe an der Wand sein, aber ich bin nicht doof. Dafür hat mein Mann schon gesorgt, als er den Maler gegen den Plan meiner Eltern bestochen hat, mir echte Erinnerungen und Persönlichkeit zu geben. Also lüg mich wenigstens nicht an.«

Von einem Porträt die Leviten gelesen zu bekommen, fühlt sich anders an als die scharfen Kommentare seiner Großmutter. Weniger bedrohlich und trotzdem trifft ihn der enttäuschte Blick Maybells tief in der Brust. »Ich glaube nicht, dass nächstes Schuljahr noch normal wird«, murmelt er. »Oder überhaupt etwas nach diesem Sommer.« Er vergräbt seine dreckigen Fingernägel in der Handfläche. »Ich bin ein Feigling, weil ich immer noch Angst habe. Ich werde nie mutig genug sein.«
»Das glaube ich nicht, immerhin kenne ich dich schon dein ganzes Leben. Wer es mit Augusta aushält und trotzdem noch so ein netter Junge ist, der hat einen Tapferkeitsorden verdient.«
Sie meint es lustig. Das weiß er, doch das Lächeln gelingt ihm nicht. Stattdessen fröstelt ihm schon wieder. »Ich will aber nicht ...« ... sterben. Er traut sich nicht mal, dieses Wort auszusprechen. Manchmal – und dafür hasst er sich – würde er am liebsten sein wie seine Mutter. Fern von dieser Welt und ihren Problemen, in einem Reich, in dem ein Bonbonpapier unbezahlbar ist.

»Dann musst du eben leben«, sagt Maybell salopp. »Ich wiederhole mich, aber ... nutz den Sommer. Lass dir das von jemandem sagen, der nicht mal 30 geworden ist. Warte nicht darauf, dass die Chancen zu dir kommen.«
Neville sehnt sich danach, sich hinter einem Pflanzentopf verstecken zu können. In Sachen Kräuterkunde weiß er wenigstens immer, was zu tun ist. Keine unklaren Variablen, keine gestammelten Worte. Doch um sein Unbehagen zu überspielen, kann er jetzt bloß die Ärmel seines Pullovers malträtieren. Das wird seiner Omi gar nicht gefallen. Sie mahnt ihn immer, den Stoff nicht auszuleiern. »Manchmal wäre ich lieber auch nur Farbe an der Wand«, murmelt er.
Maybell starrt ihn mit offenem Mund an. »Das meinst du nicht wirklich.«
Hilflos zuckt er mit den Schultern. »Dann wäre ich alleine mit meinen liebsten Pflanzen. Ich mag die Ruhe –«

»Lass mich dir sagen, dass du keine Ahnung von der Wirklichkeit hast.« Zum ersten Mal wird er Zeuge, wie sich eine steile Falte auf Maybells gemalter Stirn abzeichnet. »Du hast keine Ahnung, welches Glück es ist, noch eine Chance zu haben. Ein Leben zu haben!«
Er stolpert einen Schritt von dem Gemälde zurück. Obwohl er weiß, dass Maybell auf der Leinwand gefangen ist, erscheint es ihm für einen Augenblick anders. »I-ich – ich wollte n-nicht –«
»Natürlich nicht.« Maybells Gesicht kommt ihm so nah wie nie zuvor, ihre Finger krallen sich an den Rand ihres Rahmens. »Lass mich dir etwas demonstrieren. Du musst nur eine Frage beantworten: Mein Sohn Aiden ... ist er zufällig auch aus Askaban ausgebrochen? Na?«

Neville wünscht, er könnte sagen, dass dem nicht so ist. Er wünscht, er wüsste die Namen sämtlicher Todesser nicht auswendig, Buchstabe für Buchstabe. Trotzdem nickt er.
Maybell schweigt einen Moment lang. Dieses Mal ist es nicht die Sorte angenehmen Schweigens, das man mit jemandem wie Luna oder Hannah genießen kann. Es ist so zäh, dass er beinahe hofft, von einem Ruf seiner Großmutter erlöst zu werden.
Schließlich stößt Maybell in einem lauten »Uff« die Luft aus. »Es ist komisch«, sagt sie tonlos. »Weißt du, obwohl ich Angst hatte, die Frage zu stellen, fühle ich nichts. Egal wie viele Erinnerungen an mein Leben Tony den Maler in die Farben hat mischen lassen, da ist nichts in meiner Brust.« Sie betastet sich selber. »Nichts«, wiederholt sie leiser. »Ich bin wirklich nur Farbe an der Wand. Ich kann nicht mal das Schicksal meines Sohnes begreifen. Ich weiß nur, dass ich ihn geliebt habe. Aber ich verstehe nicht, wie. Wie hat es sich angefühlt? Wie sehr würden seine Entscheidungen mir schmerzen, würde ich noch leben?« Ihre Hand ballt sich zur Faust und sie senkt den Kopf. »Ist es das, was du willst? Nicht länger zu verstehen, was es heißt, lebendig zu sein, und dich doch mit jedem nichtexistenten Atemzug danach zu sehnen?«

In diesem Moment möchte Neville vor allem eines: Sich die Hände auf die Ohren drücken. Maybells Worte fühlen sich wie Starkregen an, eisige kleine Nadeln auf der Haut. Dafür ist sein Gesicht ganz heiß, so sehr schämt er sich, seine Gedanken laut ausgesprochen zu haben.
»Ich weiß, das Leben kann einem Angst machen«, fährt sie nun leiser fort, »aber es ist eine Chance. Auf Schönheit, Lachen und Freude. Natürlich ist es manchmal chaotisch, unberechenbar, laut oder auch schrecklich. Und doch würde ich es jederzeit zurückhaben wollen. Jeden Fehler noch einmal machen. Also sag mir nie wieder, dass du sein willst wie ich.«

Seine Unterlippe zittert. Er kann nichts dagegen machen. Konnte er noch nie. Wie gerne würde er jetzt das Richtige sagen. Nichts Rechthaberisches oder Aufsässiges zu seiner Verteidigung. Nicht mal besonders clever müssen die Worte sein, sie sollen einfach nur das Gefühlsknäuel in seiner Brust entwirren. Das ausdrücken, was er wirklich fühlt und warum und nicht die falschen Dinge, die ihm manchmal über die Lippen stolpern so wie seine Füße über Teppichkanten oder Trickstufen.
»Oh Neville«, seufzt Maybell, sodass ihre Stimme ganz weich wird. »Geh raus. Erleb etwas. Und wenn es nur ein klitzekleiner Ausflug in die Winkelgasse ist. Hauptsache, ich muss nicht zusehen, wie dein Leben hier drinnen verwelkt.«

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro