05 | Zuckerzauber
Nicht jeden erfüllt die Aussicht auf eine Rückkehr nach Hogwarts mit Glücksgefühlen. Scorpius hat sich sein Schicksal ausgesucht und doch hadert er am ersten September mit sich. Zum Glück können Süßigkeiten alles ein bisschen besser machen.
- 1. September 2031 -
Erste September hatte Scorpius Hyperion Malfoy in seinen 25 Lebensjahren natürlich einige erlebt – und doch besaß das Datum eine besondere Macht über ihn. Immer noch. Zeitweise war dieser rot eingekreiste Tag im malfoy'schen Familienkalender ganz sicher die Gestalt seines Irrwichts gewesen; das Datum, von dem er hoffte, dass es nie kommen möge. In seiner kindlichen Naivität hatte er gar gehofft, den Tag verhindern zu können, wenn er am 31. August einfach nicht einschlief.
Der erste September, das bedeutete den Start des Schuljahres in Hogwarts. In seinem Fall den Auftakt für sieben Jahre Qual, da war er mit Elf sicher gewesen. Lange im Vorfeld hatte er davon geträumt, einen Weg zu finden, die Zeit bis zu dem ersten ersten September in die Unendlichkeit zu dehnen; weiter als jedes extrareißfeste Kaugummi aus dem Sortiment von Weasleys zauberhafte Zauberscherze. Dann würde er nie in das Schloss müssen, hatte er sich eingeredet, wo er sicher keine Freunde finden würde. Wo sich hinter vorgehaltener Hand jeder über seine Familie den Mund fusselig schwätzen würde. Wo der Name Malfoy ein Schimpfwort wäre und er der Sohn eines Monsters.
Zu Scorpius' Glück hatte das Schicksal ihn eines besseren belehrt und ihm an jenem Tag nicht nur irgendeinen Freund beschert – sondern den allerbesten. Den einen, mit dem er den Rest seines Lebens teilen wollte, auch wenn er das damals nicht ahnte, als er in sein Abteil trat. Nur manche Befürchtungen wurden wahr, aber bei allen Beleidigungen und gezischten Gehässigkeiten war Scorpius nie alleine. Das nahm ihm die Furcht vor diesem Datum in den kommenden Jahren zusehends ein wenig mehr. Solange er Albus Severus Potter an seiner Seite hatte, war sogar Geschichte der Zauberei irgendwie in Ordnung.
Nicht jeder erste September nach dem allerersten war so aufregend wie jener Tag, an dem eine Zuckermaus und ein paar freundliche Worte die Weichen für den Rest von Scorpius' Leben stellten. Manche davon waren besser, andere schlechter. Einige verbrachte er damit, sich den Magen mit Schokofröschen und Pfefferminzkröten vollzuschlagen, und an einem ganz besonders denkwürdigen Tag entdeckte er eine lebenslange Abneigung gegen Kesselkuchen. Nur eines hatten sie alle gemeinsam: Er freute sich darauf, seinen besten Freund wiederzusehen. Selbst in dem Jahr, da seine Mutter gestorben war, bot Albus ihm Halt.
Hogwarts war nicht von Anfang an Scorpius' neues Zuhause geworden, es hatte langsam in diese Aufgabe hineinwachsen müssen; genauso wie er dort gelernt hatte, wer Scorpius Hyperion Malfoy überhaupt war – und welches Leben der haben wollte. Zumindest zum Teil. Das mit der Selbstfindung verging nicht, so viel hatte ihn das Erwachsensein außerhalb des Internats gelehrt. Aber ihm war erst in Hogwarts bewusst geworden, dass er Zauberkunst genauso wie Tränkebrauen liebte (und das nicht bloß, weil sein Vater gut in Zaubertränke gewesen war); dass er nicht genug für Quidditch übrig hatte, gerne von Muggeln geschriebene Comics oder Mangas las und nicht nur auf Frauen, sondern eben auch Männer stand – und Al etwas mehr als ‚nur' sein bester Freund war.
An dem letzten ersten September von sieben Schuljahren konnte man die Anfänge des schüchternen Scorpius, der am liebsten alles getan hätte, um den Hogwartsexpress nie zu betreten, nur noch erahnen. Jene finale Zugfahrt war nicht weniger besonders als die Erste und doch hatte Scorpius sich in Gedanken längst auf das gefreut, was danach wartete. Er hatte sich bereit gefühlt, diese Welt zu verlassen und seinen Weg zu finden – was ihm auch gelungen war.
Scorpius hatte seine Schulzeit erfolgreich hinter sich gelassen, einige hervorragende UTZs in der Tasche. Nur die ersten September hörten freilich nicht auf, verloren aber signifikant an Bedeutung. Im ersten Jahr, das der Hogwartsexpress ohne ihn abfuhr, verschlief er. Als er um Viertel nach zwölf in seinem zerwühlten Bett aufwachte und sich in Albus' Armen herumdrehte, war es ihm herzlich egal gewesen, dass der Zug irgendwo durchs Land fuhr. Dafür hatten sie beide die letzten Tage ihrer kurzen Freiheit vor dem Beginn vom Rest ihres Lebens – oder zumindest ihrer jeweiligen Ausbildung – zu sehr genossen.
Doch der aktuelle erste September sollte einmal mehr ein besonderer Tag sein, ein weiterer Anfang und ebenso eine Rückkehr. Wie es sich für einen solchen Tag gehörte, war Scorpius lange vor seinem Wecker wach. Draußen dämmerte es gerade erst und obwohl er versuchte, seine Augen weiterhin geschlossen zu halten, hinderte das leise Schnarchen von Al ihn daran, noch ein bisschen im Land der Träume zu versinken.
Mit den Sonnenstrahlen schlichen sich die ersten Überlegungen – und Befürchtungen – ein, wie der Tag werden würde. An seinem ersten Schultag hätte Scorpius sich nicht vorstellen können, einst in das Schloss Hogwarts zurückzukehren. Freiwillig. Auch jetzt erfüllte der Gedanke seinen Bauch mit nervösem Schnatzflattern.
Auf der anderen Hälfte des Bettes wälzte Al sich im Schlaf und schnarchte noch etwas lauter. So sehr Scorpius ihn liebte, wenn er wach war zehrte das Geräusch direkt an seinen Nerven. Heute ganz besonders. Also schlich er sich aus dem Schlafzimmer und tappte für den ersten Kaffee des Tages in die kleine Küche seiner gemeinsamen Wohnung mit Al.
Ein Blick zur Uhr zeigte ihm, dass entsetzlich viele Stunden darauf warteten, mit Warten auf das Unvermeidliche gefüllt zu werden. Wenn es wenigstens am Vormittag schon so weit wäre – doch nein, da würde nur der Hogwartsexpress abfahren. Ohne ihn. Erst am frühen Abend würde er nach Hogsmeade apparieren, um seine Stelle als Assistenzheiler anzutreten.
Seufzend lehnte Scorpius sich zurück und betrachtete das London der Muggel vor seinem Küchenfenster, das ihm inzwischen so wohlbekannt war. Den Blick auf die Straße mit den bunten Autos, E-Rollern und Essenslieferanten mit ihren grellen Rucksäcken würde er vermissen. So fern er auch von diesem Leben aufgewachsen war, so sehr gefiel es ihm, diese Welt gemeinsam mit Al zu entdecken, der sie zwar besser und trotzdem nicht genug kannte. Die Muggelwelt war ein Abenteuer, das direkt vor ihrer Haustür begann und viel mehr Aufregung bot als ein Wochenendausflug in Hogwarts. Hogsmeade war zwar ein nettes Dorf, aber Zauberscherzartikel und Bonbons erschienen nur halb so reizvoll, wenn man sie jederzeit nach einem Kaminsprung in die Winkelgasse erwerben konnte.
Scorpius ertappte sich, wie er auf der Innenseite seiner Wange kaute. Eine schlechte Angewohnheit, die er unter Kontrolle geglaubt hatte. Zuletzt war er am Tag seiner Zwischenprüfung vor einem Jahr so nervös gewesen. Bis heute wusste er nicht, wie er den Aufenthalt im Obduktionssaal des St. Mungo Hospitals derart souverän überstanden hatte, dass er der Jahrgangsbeste der Heilerakademie geworden war. Zwischendrin hatte er gedacht, sich vor Aufregung auf den mintgrünen Kachelboden übergeben zu müssen.
Wenigstens würde er sich dieses Mal keiner toten Hexe jenseits der 100 gegenübersehen, die ihren Körper für einige Galleonen zu Lebzeiten der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hatte. Das wäre nicht einmal schlimm gewesen, wenn sie nicht zusätzlich zu ihren Krankheiten ein paar seltene Tentakelwarzen gepflegt hätte, damit es sich lohnte, sobald ein grundnervöser Scorpius unter dem strengen Blick einer Prüferin sein Können in operativen Zaubern demonstrieren sollte. Bei dem Gedanken verging ihm langsam die Lust auf seinen morgendlichen Kaffee. Er war kein zimperlicher Mensch – damit durfte man als Heilerstudent gar nicht erst anfangen –, aber trotzdem kannte er Ekel.
Auf der Suche nach einer Beschäftigung, die dafür sorgen würde, dass sich die Uhrzeiger nicht länger im Schneckentempo fortbewegten, schweifte Scorpius' Blick durch die Küche. Er könnte einen neuen Manga lesen ... aber er sah es schon vor sich, wie seine Gedanken nach den ersten Seiten abschweiften. Er könnte zum hundertsten Mal sein Gepäck prüfen ... doch das hatte er bereits vor einer Woche perfektioniert, die Stimme seiner überaus pedantischen Großmutter im Kopf stets dabei. Sein Blick fiel auf eine angebrochene Packung Zuckermäuse neben der Obstschale, in der eine einsame Banane sich im gänzlich unmagischen Verwandlungsprozess in ein ausgewachsenes Schimmelexperiment befand.
Mit einem Mal war Scorpius wieder Elf, stand am Bahnhof Kings Cross, drehte nervös den frischgekauften Zauberstab durch die Finger und hatte das Herz voll Angst. Seine Mutter beugte sich zu ihm herab, strich über sein Haar – obwohl er es hasste, wenn sie das in aller Öffentlichkeit tat (aber heimlich liebte) – und drückte ihm eine verzauberte, bodenlose Tüte voller Leckereien in den Arm. »Ein bisschen Zucker hat noch immer geholfen, neue Bekanntschaften zu schließen.« Ihr Lächeln war derart aufmunternd gewesen, dass er sie keinesfalls enttäuschen wollte. Mit einem tapferen Nicken war in den Zug eingestiegen und hatte dem ersten Menschen, der ihm begegnet war, eine Zuckermaus angeboten. Und es hatte funktioniert. Ziemlich gut sogar, immerhin wohnte er mit Al zusammen. Leider hatte seine Mutter diesen Erfolg nicht mehr erlebt.
Es brannte in Scorpius' Augenwinkeln. Obwohl seine Mutter schon so lange tot war, vermisste er sie in diesem Augenblick entsetzlich. Sie hatte immer einen Spruch voller Lebensweisheit für ihn parat gehabt (und er konnte nicht begreifen, woher sie die genommen hatte, schließlich war sie in seiner Kindheit kaum älter gewesen als er jetzt). Und wenn ihr einmal doch keine rechten Worte eingefallen waren, dann hatte sie zumindest etwas Zuckriges in der Hinterhand gehalten. Astoria Malfoy hatte die unerschütterliche Meinung vertreten, dass Süßigkeiten die Welt zu einem besseren Ort machten. Und da wusste Scorpius endlich, was er mit diesem viel zu frühen Morgen anfangen konnte.
Leise, um Al nicht zu wecken, schlich er in den Flur, schlüpfte in seine Schuhe und trabte die vier Stockwerke hinab ins London der Muggel, das nach fünf Jahren eigentlich gar nicht mehr so aufregend war. Zumindest an die Nachbarschaft hatte Scorpius sich inzwischen prächtig gewöhnt, genauso wie an sein Smartphone, das er wohlweislich eingesteckt hatte, für den unwahrscheinlichen Fall, dass Al tatsächlich vor zehn Uhr aufwachen würde und sich fragte, wo er abgeblieben war.
Es gab schnelle Wege, mit Magie und einem Kaminsprung an Backzutaten zu gelangen, doch Scorpius wählte extra den langen Muggelweg – und das nicht bloß, weil er damit deutlich mehr Zeit zubringen konnte. Die nächsten Wochen würde er in Hogwarts verbringen, da nutzte er diese Gelegenheit lieber, um noch einmal die dreckige Londoner Stadtluft in sich aufzusaugen, bevor die endlose schottische Weite ihn wieder hatte. Von der Wohnung aus ging er die Straße hinunter, an der Kreuzung mit einer prähistorischen roten Telefonzelle (inzwischen ein öffentlicher Bücherschrank) rechts und einige Meter weiter, wo der Tesco-Markt mit seinen Regalreihen voller abgepackter Lebensmittel aufwartete.
Seine Eltern waren mit ihm als Kind nie einkaufen gegangen und wenn, dann hätten sie keinen Muggelladen betreten. Dafür war die Familie Malfoy schlicht zu reich, zu reinblütig. Inzwischen besaß Scorpius' Vater zwar einen Festnetzanschluss – und bewies damit, dass er selbst in der Muggelwelt von gestern war –, doch die Einkäufe wurden wie seit Jahr und Tag vom magischen Kurier direkt zu den (angestellten) Hauselfen in der Küche geschickt. Ein Komfort, den Scorpius gerne vermisste. Andernfalls könnte er nie vor den Regalen stehen und sich an der Qual der Wahl erfreuen.
Scorpius' Herz schlug höher, als die Schiebetüren vor ihm auseinander glitten und die angenehme Kühle der Frischeregale ihn umfing. Wo die Backwaren standen, hätte er auch mit geschlossenen Augen gewusst. Bevor seine Füße ihn allerdings dorthin trugen, ließ er sich treiben und untersuchte die Süßwarenabteilung nach Neuerscheinungen. Tatsächlich fand er Kekse gefüllt mit Haselnusscreme, die er nicht kannte und rasch füllte sein Einkaufskorb sich mit diesem und jenem, das er doch noch nach Hogwarts mitnehmen wollte. Immerhin nannte er einen von Al verzauberten Einkaufsbeutel sein Eigen, dessen Geräumigkeit der Tardis alle Ehre machte und von innen größer war als von außen.
Schlussendlich landete Scorpius vor dem Regal voller Backwaren und sah sich mit der Frage konfrontiert, was er überhaupt backen wollte. Spontan stand ihm der Sinn nach Keksen. Da hatte er ein paar todsichere Rezepte parat und sie überlebten das Apparieren über längere Strecken ohne Probleme, anders als aufwändige Torte, deren Lagen gerne verrutschten, wenn man mit etwas zu viel Ziel, Wille und Bedacht irgendwo aufschlug. Von Reisen mittels Flohpulver ganz zu schweigen, das verdarb jeden Geschmack, solange man die Lebensmittel nicht luftdicht verpackte. Und bei schlichten Keksen konnte man mit wohlbedachten Zaubersprüchen zudem einiges bewirken.
Scorpius' Mutter hatte gerne gebacken, am liebsten Dinge in lustigen Tierformen, um seinem Vater eine Freude zu bereiten. Die meisten Menschen ahnten nichts davon, doch Draco Malfoy konnte herzhaft lachen. Sein Favorit waren die Kekse in Form knallrümpfiger Kröter gewesen – weil er sich so endlich an Hagrids Monstrositäten rächen konnte, indem er ihnen den Kopf abbiss. Scorpius kannte die Züchtungen zwar nur aus den dramatischen Geschichten seines Vaters, konnte sich die explodierenden Viecher aber lebhaft vorstellen, da seine Mutter es geschafft hatte, ihre gemeingefährliche Fortbewegungsart mit dem Ausstoß kleinerer Zimt- und Chilipulverwölkchen von den Keksen nachzustellen. In Sachen magischer Backkunst war Astoria Malfoy zu wahrer Größe aufgelaufen. Zum Glück hatte sie einige ihrer bestgehüteten Geheimnisse Scorpius vermacht.
In Gedanken an mögliche – gutschmeckende – Kekseffekte versunken, wanderte er von Regalreihe zu Regalreihe und besah sich die Auslage. Hin und wieder inspirierten die Lebensmittelfarben und Zuckerförmchen ihn zu neuen Kunstwerken. Doch heute war ihm nicht nach allzu gewagten Experimenten. Schließlich backte er nicht alleine für Al, der alles mit stoischer Gelassenheit zu sich nahm, was er ihm anbot – nein, er würde die Gelegenheit beim Schopfe packen und die Kekse der versammelten Lehrendenschaft von Hogwarts anbieten. Vielleicht würde seine Mutter in dieser Hinsicht wieder recht behalten und der Zucker ihm den zweiten ersten September erleichtern.
Mit einer leichten und doch brechend vollen Einkaufstasche kehrte Scorpius in die Wohnung zurück. Al schlief immer noch, aber das war okay. So konnte er in der Küche schalten und walten, wie er wollte, ohne, dass jemand die empfindliche Symphonie von tanzenden Küchengeräten und schwebenden Zutaten störte. Summend breitete Scorpius seine Einkäufe vor sich aus und besann sich darauf, Löffel, Schneebesen und Mixer so zu verhexen, dass sie ihm bereitwillig zur Seite sprangen, wann immer er sie brauchte. Solange er seine Hände im Teig versenken konnte und gedanklich die Mengenangaben überschlug, war sein Kopf zu beschäftigt, um an Hogwarts und andere Schrecken des ersten Septembers zu denken. Er begann gar, das neuste Lied der Schicksalsschwestern, die vor wenigen Wochen ihr unerwartetes, drittes Comeback gefeiert hatten, zu summen.
Scorpius schreckte erst von seiner Tätigkeit auf, als plötzlich eine Schüssel Schokoladenteig unter seinen wachsamen Augen fort hüpfte und sich ein Finger darin versenkte.
»Al!«
Der verhexte Holzlöffel sprang im Alleingang auf Scorpius' Freund zu und gab ihm einen Klaps auf den Handrücken. Albus grinste schuldbewusst, zuckte allerdings mit den Schultern und genehmigte sich noch einen Zeigefinger voll.
»Selbst Schuld, wenn du mich am frühen Morgen mit so einem verlockenden Duft weckst, Scorp. Wie soll man da widerstehen können?« Er leckte den Teig vom Finger. »Außerdem komme ich ja bald für sehr lange Zeit nicht mehr in den Genuss deiner Backkünste ...«
Angesichts der treuen Hundeaugen Als seufzte Scorpius. »Du bist unnötig theatralisch. Ich bin ja nicht aus der Welt, nur in Hogwarts. Vorübergehend.«
Al gluckste leise und die stibitzte Schüssel hüpfte zurück zu Scorpius. »Als wenn das kein Anlass für dezente Dramatik wäre. Immerhin kriege ich dich die nächsten Monate nur noch an ausgewählten Wochenenden zu Gesicht. Ich weiß gar nicht mehr, ob ich meine eigene Gesellschaft ertrage, schließlich bin ich dich seit ...« Er hob die Finger und zählte sehr offensichtlich ab. »Seit 14 Jahren nicht mehr losgeworden.«
»Wir wohnen erst seit fünf Jahren zusammen. Du hast zwei Jahre lang alleine in deiner ‚tollen' Dachgeschosswohnung in Peckham gewohnt.«
»Auf dem Papier vielleicht.« Al trat hinter Scorpius und schlang seine Arme um dessen Taille – und warf einen hungrigen Blick auf den weiteren Keksteig. »Wir wissen beide, dass die Wohnung grauenhaft und ich seit jeher Dauergast in deinem Palast war.«
»Vorgestern erst hast du dich beschwert, dass das Internet hier schlecht ist. Du hast behauptet, in der Fassade wären bestimmt Bleiplatten eingearbeitet.«
Darauf ging Al nicht weiter ein. Er legte sein Kinn auf Scorpius' Schulter und drückte ihm einen kleinen Kuss unters Ohr. »Mach dir nicht so viele Sorgen, Scorp. Das wird schon alles glattgehen, da bin ich mir sicher. Madam Pomfrey wird dich nicht fressen – im Gegenteil, ich bin sicher, dass sie dich mag.«
»Wer sagt, dass ich mir Sorgen mache?« Scorpius schwang den Zauberstab, vielleicht etwas zu hastig, und ein Ball aus Zitronenteig hüpfte über die Anrichte direkt ins Mehl, das ihn und Al prompt einhüllte.
Bedeutungsvoll hüstelte sein Freund. »Ich kenne dich. Ich kenne deine Zauber. Für gewöhnlich hast du beides bedeutend besser unter Kontrolle. Und Backen ist seit jeher die Antwort auf jede Krise, egal wie groß oder klein. Schließlich sind Süßigkeiten ein bewährtes, malfoy'sches Allheilmittel.«
Mit einem Seufzen legte Scorpius seinen Zauberstab beiseite, ehe er eine Katastrophe heraufbeschwor, und drehte sich in Albus' Armen herum. Mehl zierte das unordentliche Haar seines Freundes. Verlegen wischte er eine weiße Spur von seiner Stirn und drückte ihm einen Kuss darauf.
»Es ist lächerlich, aber ich habe ehrlich ein wenig Angst. Ich hab's für eine gute Idee gehalten, meine Pflichtpraxis ausgerechnet in Hogwarts zu absolvieren, aber so langsam ... ja, ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll.« Scorpius sah auf seine Hände hinab, an denen Teigreste klebten. Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit darauf, die winzigen Spuren seiner morgendlichen Backwut abzuknibbeln. »Ich meine – Hogwarts ist jetzt nicht der beste Ort auf Erden oder so und vielleicht hätte ich einfach zu einem der fliegenden Landärzte gehen sollen –«
Al umfasste Scorpius' Wangen mit beiden Händen und hob seinen Kopf an, bis sie einander in die Augen sahen. »Scorpius Hyperion Malfoy«, intonierte er voller Dramatik, »du wirst jetzt keinen Rückzieher machen!«
»Ach, jetzt tu bitte nicht so, als wäre die Zeit in Hogwarts das Beste, was dir je in deinem Leben passiert ist! Du weißt genau, dass es nicht immer so –«
»So schön war. Ich weiß. Hab's nicht vergessen. Aber du vergisst – du bist kein Schüler mehr. Kein aufmüpfiger Gryffindor-Erstklässler wird auf die Idee kommen, Assistenzheiler Malfoy zu ärgern. Vor allem nicht, wenn sie von deinen Keksen erfahren. Und mittlerweile schreibt Rita Kimmkorn ja auch gar keine Artikel mehr für die Hexenwoche, in denen sie deine Verwandtschaftsverhältnisse anzweifeln könnte. Also nichts, was irgendwelchen Gerüchten Aufschwung verleihen dürfte.«
»Du klingst so ... sicher.« Das klang ziemlich vorwurfsvoll, so viel war Scorpius klar, doch er verstand nicht, woher ausgerechnet Albus diese Überzeugung nahm. Immerhin hatte er sich ebenso wenig auf Hogwarts gefreut. »Vielleicht wird es ja auch ganz furchtbar – und was, wenn mich die ganzen Professoren nicht leiden können? Ich meine ... ich war bestimmt oft ein furchtbarer Schüler und die erinnern sich doch noch alle!« Ohne, dass er es wollte, wurden seine Wangen heiß und seine Stimme schraubte sich in die Höhe wie ein schriller Filibuster-Heuler.
Albus nahm Scorpius' verklebte Finger in seine Hände und drückte sie fest, die Stirn gegen ihn gelehnt. Aus tiefem Grün, das Scorpius an das Licht im Slytherin-Gemeinschaftsraum erinnerte, sah Albus ihm geradewegs in die Augen. »Du denkst viel zu gerne an alles, was schlecht war. Denk doch einmal an das letzte Schuljahr. An all deine herausragenden UTZ-Prüfungen. An das Lob der Professoren für deine Leistungen. Verflucht, Professor McGonagall hat dich angelächelt, als sie dir dein Abschlusszeugnis überreicht hat! Die werden dich schon mögen, da würde ich mein ganzes Gringotts-Verlies drauf verwetten. Und ich wiederhole mich ungerne, aber – Kekse, Scorp. Denen werden sie nicht widerstehen können. Hat bei mir schließlich auch geklappt.«
Wie auf's Stichwort stupste Scorpius der Holzlöffel, der eben noch Albus getadelt hatte, ins Kreuz. Seufzend küsste Scorpius seinen Freund, doch das verhexte Backzubehör ließ sich nicht beirren, sondern gewann Unterstützung durch den Quirl, der sich ebenso vernachlässigt fühlte. Bevor sämtliches Küchengerät auf ihn eindrängte, löste Scorpius sich von Al und wandte sich seinem Backprojekt zu.
»Was denkst du, soll ich einen kleinen Bewegungszauber auflegen? Oder doch lieber einen anderen Effekt? Ein Zungenfärbezauber wäre doof, oder?«
»Wenn du das den Professoren anbietest, würde ich mich mehr auf Optik und Geschmack konzentrieren, anstatt auf lustige Knalleffekte oder irgendwelche Nebenwirkungen. Das kannst du dann zu Halloween auspacken.« Albus lächelte mit einem Blick auf die Parade aus Adlern, Schlangen, Löwen und Dachsen, die Scorpius auf dem ersten Backblech ausgebreitet hatte. »Und hier sind ja zum Glück keine Frösche dabei, die weghüpfen können. Solange einen die Löwen nicht in die Zunge beißen, sehe ich da keine Probleme.«
Das Backen beschäftigte Scorpius über die Mittagszeit hinweg und schließlich versank er derart in der Dekoration der Kekstiere, dass es Zeit wurde, aufzubrechen, als er die letzten sorgfältig verzierten und verzauberten Kekse in einer runden Blechdose verstaute. Das schottenkarierte Ding hatte Albus ihm vor ein paar Jahren mitgebracht, weil es ihn an die berühmt-berüchtigte Keksdose der Schulleiterin erinnert hatte und er Scorpius wohl mit der geteilten Leidenschaft für Ingwerkekse ärgern wollte. Doch Scorpius gefiel die große und überaus praktische Dose schlichtweg.
Gemeinsam mit Albus apparierte er pünktlich um 17 Uhr nach Hogsmeade. Hand in Hand liefen sie den altbekannten Weg zum Schloss hoch, den sie in ihrer Schulzeit sicher unzählige Male zurückgelegt hatten. Mit jedem Schritt schien die Luft dünner zu werden und Scorpius seinem alten Ich – dem Elfjährigen – näher zu kommen. Hogwarts lag in den letzten Sonnenstrahlen vor ihnen in den schottischen Highlands und verströmte einen unerschütterlichen Charme, der bei Scorpius Bauchschmerzen auslöste. Er presste mit dem freien Arm die Keksdose an seinen Oberkörper – eine Geste, die bloß dafür sorgte, dass er sich noch jünger vorkam.
Sobald sich das von Ebern flankierte Schultor vor ihnen erhob, kaute Scorpius wieder auf der Innenseite seiner Wange und als Albus seine Hand drückte, erwartete er fast, seine Mutter zu sehen, die ihm gleich Zuckermäuse reichen würde.
»Du schaffst das«, murmelte Albus, der ihn in eine letzte Umarmung zog. »Du bist schließlich der Skorpionkönig, dir kann niemand etwas anhaben.«
Ein trockenes Lachen entrang sich Scorpius und er bohrte einen Finger zwischen Als Rippen. »Lass das mit diesem furchtbaren Spitznamen bloß!«
»Ich wusste, dass dich das aufheitert!« Albus lachte leise und zog Scorpius in einen Kuss, der oberflächlich begann, bevor sie sich mit der Aussicht auf eine zeitweise Fernbeziehung doch darin verloren. Eine leichte Röte breitete sich auf Albus' Wangen aus, nachdem er sich löste. »Ich werd' dich vermissen. Das ist wahrscheinlich furchtbar kitschig und so, aber – ich liebe dich. Sehr. Und ich denke an dich, ja? Schreib eine Eule. Oder noch besser, eine Chatnachricht. Es gibt ja jetzt diese Forschungsgruppe der Muggelkundler für technische Zauberei, vielleicht haben die ja endlich mal was entwickelt, das einen auch in Hogwarts Technik benutzen lässt. Mit dem Smartphone könntest du mich jederzeit erreichen und mir haargenau schreiben, wie furchtbar es wirklich wird. Zur Not komme ich und hol' dich raus.«
Scorpius antwortete nicht, sondern küsste Al erneut, denn er sah bereits, wie sich eine Gestalt dem Schultor näherte. »Danke, Al. Ich liebe dich auch.«
Zu seiner Erleichterung war es Madam Pomfrey höchstpersönlich, vor der sich das Tor öffnete. Scorpius war sicher, dass er beim Anblick des Hausmeisters doch noch disappariert wäre. Ein letztes Mal drückte er Als Hand und gab ihm einen verschämten Kuss. Albus bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln.
»Hoch lebe der Skorpionkönig«, rief er ihm nach, als Scorpius über die Schwelle der Schlossgründe und auf Madam Pomfrey zutrat. Dann verschwand er mit einem Winken und einem Knall.
Die Keksdose gegen den Bauch gedrückt, ging Scorpius auf die Schulheilerin zu. Entgegen aller Grundnervosität zwang er sich zu einem Lächeln und ehe er es sich anders überlegen konnte, streckte er die Dose wie ein Schutzschild vor sich aus. Die Begrüßung ging direkt in ein – überhastetes – Angebot der Kekse über. Irgendwo in der Ferne meinte er, seinen Vater mitsamt Großeltern angesichts dieser wenig malfoy'schen Manieren seufzen zu hören.
Madam Pomfrey hörte keine dieser Bedenken und nahm sich mit einem überraschten und doch wohlwollenden Lächeln einen Keks in Adlerform, der ein einziges Mal formvollendet mit den Flügeln schlug, ehe der Zauber verflog.
»Sehr beeindruckend, Mr. Malfoy. Und hübsch.«
Er lachte nervös auf und versuchte, nicht zu offensichtlich zu starren, während sie einen Bissen nahm. Die Heilerin schien seinen Blick dennoch zu bemerken, denn sie schenkte ihm ihrerseits ein Nicken. »Sie haben in jedem Fall ein Händchen für Gebäck. Damit werden Sie sich im Krankenflügel bestimmt Freunde machen. Neben den Heiltränken sind Süßigkeiten wohl die am zweithäufigsten konsumierten Mittel bei uns. Und in meinem Fall esse ich wahrscheinlich genauso viele Zuckermäuse, wie ich Wachmachtränke einnehme. Aber jetzt hab ich ja Sie, da gewinnen die Zuckermäuse vielleicht bald.«
Jetzt war Scorpius sicher, dass seine Wangen glühten wie ein Feuersalamander nach einem Nickerchen in der Glut. Er stammelte ein Dankeschön hervor und in einträchtigem Schweigen legten sie den restlichen Weg bis zum Krankenflügel zurück. Das Schloss so ausgestorben zu sehen, fühlte sich falsch an. Niemand war auf den langen Fluren unterwegs und erst im Büro von Madam Pomfrey begegneten sie der Schulleiterin, die es sich nicht nehmen ließ, Scorpius persönlich willkommen zu heißen und ihm einige letzte Unterlagen zu überreichen. Auch sie nahm sich einen Keks – einen Dachs, mit Ingwergeschmack –, den sie wohlwollend lobte. Ob er sich damit Freunde gemacht hatte, wusste Scorpius nicht, aber wenigstens schwitzten seine Handflächen nicht mehr ganz so arg.
Hinter den Fenstern des Krankenflügels verschwand die Sonne über den Wipfeln des Verbotenen Waldes und kurz darauf tauchten in der Ferne die ersten Lichter auf dem Schwarzen See auf.
»Da kommen sie«, seufzte Madam Pomfrey in die andächtige Stille des leeren Raumes hinein. »Ich hoffe, Sie sind bereit für den alltäglichen Wahnsinn.«
Scorpius konnte sich nicht zwischen Lachen und Seufzen entscheiden, sodass er sich wie ein verschnupfter Thestral anhörte. Erneut fragte er sich, warum er sich ausgerechnet in Hogwarts beworben hatte. Wollte er sich wirklich so gerne herausfordern? Wenn ja, dann war das eine absolute Überschätzung seiner sozialen Fähigkeiten gewesen. Den Zauberstab zwischen seinen Fingern drehend folgte er Madam Pomfrey in die Große Halle, wo sie neben der versammelten Lehrendenschaft die Schüler begrüßen würden.
Er wurde das Gefühl nicht los, dass die Blicke sämtlicher Anwesender ihn durchlöcherten, als Professor McGonagall ihn knapp vorstellte. Natürlich hatte er die Kekse im Krankenflügel vergessen – aber es war ja an der Zeit für das Festmahl, also wären sie sowieso fehl am Platz gewesen. Scorpius trat von einem Fuß auf den anderen. Vor den Türen wurde Stimmgewirr laut. Dahin war die kurzzeitige Beruhigung. Der Zauberstab in seinen Fingern klebte vor Schweiß und er vermisste die Keksdose als persönliches Schutzschild.
Alles war wieder wie an seinem ersten Schultag. Jeder starrte ihn an, während er versuchte, das nervöse Zittern zu unterdrücken, und wünschte, er könnte sich mit seinen Leckereien daheim im Bett verstecken. Nur anstelle seiner Mutter sehnte er sich inzwischen Albus an seine Seite zurück.
Unter lautem Getrappel strömten die ersten Kinder in die Halle. Scorpius fühlte sich so schwitzig, dass es nicht mal mehr einen leuchtenden Pfeil gebraucht hätte, um alle auf ihn aufmerksam zu machen. Sein Gesicht musste glühen wie die Leuchtreklamen am Piccadilly Circus. Er rechnete schon fest mit den ersten tuschelnden Schülern, die in seine Richtung sahen –
»Mr. Malfoy?«
Scorpius blinzelte, als wäre er gerade aus den Tiefen des Schwarzen Sees aufgetaucht. Vor ihm stand der stellvertretende Schulleiter Professor Flitwick, einen kleinen Jungen an der Seite – den farblosen Roben nach ein Erstklässler.
Bevor Scorpius sich eine Frage zurecht stammeln konnte, sprach der Zauberkunstprofessor weiter. »Mein Junge, ich weiß, es ist gleich Zeit für das Festmahl und es tut mir auch furchtbar Leid, Sie bereits jetzt zu behelligen, aber sehen Sie, der junge Mr. Robards hier fühlt sich nicht wohl – der Magen – und bevor wir ihm die komplette Sortierungszeremonie zumuten, können Sie ihm wohl helfen?«
Hastig nickte Scorpius. »Selbstverständlich, Professor Flitwick!« Er sah auf den Jungen hinab, der jetzt schon größer als Flitwick war und mit bleichem Gesicht an den Säumen seiner Ärmel zupfte. Sich um Kranke kümmern, das konnte er! Dafür hatte er all die Jahre studiert! Von alleine lächelte er den Erstklässler an. »Dann komm mal mit, im Krankenflügel finden wir schon das Richtige für dich und im Zauberstabumdrehen bist du wieder fit.«
Den stummen Jungen im Schlepptau kehrte Scorpius in den Krankenflügel zurück, der inzwischen nur noch von einigen Zaubersphären unter der Decke erhellt wurde. Das gelbliche Licht verstrahlte eine warme Atmosphäre und erinnerte Scorpius daran, wie oft er selber wegen Prüfungsangst und anderen Zipperlein hier zu Besuch gewesen war. Fern vom Trubel hatte er sich oft direkt besser gefühlt. Er entsann sich an einige Zauberschachpartien mit Albus im Krankenbett zurück, Tüten voller Zuckermäuse und daran, wie oft er alleine mit Madam Pomfrey geblieben war, die Heiltränke gebraut hatte, während er ihr zusah. Die Nervosität fiel in großen Brocken von Scorpius ab. Hier kannte er sich aus. Er wusste, worauf es ankam. Hier war er in seinem Element.
Er befragte den Erstklässler nach seinen Beschwerden – die er nur zu gut von sich selber kannte. Aufregung, die einem Knoten in den Magen schlang, konnte mit einer lindernden Baldriantinktur beschwichtigt werden. Oder – Scorpius griff schon nach den nötigen Kräutern in Madam Pomfreys Medizinschränkchen, da fiel sein Blick auf Albus' Keksdose.
Nur ein paar Minuten später hielt Scorpius seinem kleinen Patienten sowohl den Baldriantrank als auch die Dose hin. »Das Zeug schmeckt nicht so gut, aber mit einem Keks geht es gleich leichter hinunter«, erklärte er zwinkernd.
Der junge Mr. Robards nahm die Phiole in seine zittrigen Hände, den Blick allerdings fest auf die Kekse in Form der Wappentiere gerichtet. Schließlich sah er zögerlich zu Scorpius, wieder in die Dose und zurück.
»Nur zu, sie beißen nicht«, schmunzelte Scorpius. »Davon hat mein Freund mir abgeraten.« Er schob die Kekse auf das Nachtschränkchen des Bettes, auf dem der Erstklässler sich niedergelassen hatte.
»Ich weiß nicht, welches Haus ich bin.«
Scorpius hob fragend eine Augenbraue.
»Die Kekse.« Beschämt sah der Junge in die Phiole hinab. »Ich habe noch kein Haus, also weiß ich nicht ...«
Nur mit Mühe konnte Scorpius ein Glucksen unterdrücken. »Deswegen bist du ja hier, nicht wahr? Um gleich vom Sprechenden Hut eingeteilt zu werden. Aber das Wundervolle an Keksen ist ohnehin – jeder kann sie essen. Nimm dir einfach den, auf den du am meisten Lust hast. Das eigene Haus ist da vollkommen egal. Das wird sowieso überbewertet.«
Einen Moment zögerte der Junge, dann stürzte er den Trank hinab und schnappte sich einen Schlangenkeks, dem er sogleich den Kopf abbiss und damit jegliches Geschlängel unterband. »Meinen Sie wirklich, dass das Haus nicht so wichtig ist?«, nuschelte er zwischen zwei Bissen.
»Oh, ja!« Scorpius lächelte seinen Patienten breiter an. »Ich kann dir ein Geheimnis verraten – wenn man erst mal ein paar Jahre mit der Schule fertig ist, fragt einen sowieso niemand mehr danach.«
»Meine Mum findet das schon wichtig«, hielt der Junge dagegen. »Sie sagt zwar, dass es ihr egal ist, ob es Gryffindor, Ravenclaw oder Hufflepuff wird, aber sie will nicht, dass ich nach Slytherin komme.«
»Aber du schon?«
Trotzig biss der Erstklässler dem schlangenförmigen Keks den Schwanz ab. »Meine beste Freundin – Aliya – ist letztes Jahr schon nach Hogwarts gekommen. Sie ist nur ein paar Monate älter, deshalb. Und sie ist in Slytherin. Mir gefällt das, was sie in den Sommerferien erzählt hat. Ich will auch dahin!«
»Verstehe.« Scorpius angelte sich einen Ingwerdachs und knabberte gedankenverloren dessen Pfoten ab. »Aber du hast auch Angst, was deine Mutter sagen könnte?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Ich will auch nicht alleine in einem Haus sein. Da kenne ich niemanden und dann kann ich Aliya gar nicht mehr sehen. Das wäre doof, schließlich haben wir sonst immer alles zusammengemacht.«
»Hm ...« Die aufmunternden Worte seiner Mutter zum Schulstart geisterten Scorpius durch den Kopf. »Weißt du, die Sorge hatte ich auch. Aber ich kenne da einen praktischen Zaubertrick.« Der kleine Patient musterte Scorpius mit großen Augen, als dieser ein paar Kekse in ein eilig heraufbeschworenes Tütchen füllte. »Neue Freunde lassen sich viel einfacher finden, wenn man ihnen Süßigkeiten anbietet. Egal in welchem Haus.« Eine bunte Schleife verschnürte das kleine Päckchen, das Scorpius dem Jungen in die Hände legte. »Also, sind die Bauchschmerzen besser?«
Mit roten Wangen nickte der Erstklässler. Er rutschte von dem Bett und lief schon zur Tür hinüber, bevor er sich noch einmal umdrehte. »Danke, Sir!«
Angesichts dieser förmlichen Anrede musste Scorpius nun doch grinsen. Bis eben hatte er sich gefürchtet wie an seinem ersten Schultag, aber so war es an der Zeit, sich einzugestehen, dass die Dinge sich geändert hatten, wenn er jetzt alt genug für das ‚Sir' erschien. Er konnte Albus in seiner Vorstellung hören, der ihm ein liebevolles »Ich hab's dir doch gesagt« an den Kopf warf.
Schon wieder das neuste Lied der Schicksalsschwestern summend, dirigierte Scorpius die übrigen Kräuter mit dem Zauberstab zurück in die jeweiligen Fächer des Medizinschranks, bevor er sich einen zweiten Keks genehmigte. Er musste Albus recht geben – seine Sorgen erwiesen sich überflüssig. Er war nicht mehr der Schüler Scorpius Hyperion Malfoy, dessen familiärer Ruf wie ein übergroßer Umhang auf seinen Schultern lastete und ihn ins Stolpern brachte. Sondern Scorpius Hyperion Malfoy, der aus eigener Leistung Jahrgangsbester in der Heilerakademie war; der seine Comics nicht mehr bei muggelstämmigen Klassenkameraden schnorrte, weil er ein stolzes Regal voll zuhause hatte und der längst über den Schatten seiner Schulzeit hinausgewachsen war.
Scorpius konnte es nicht anders sagen – so wie er hier stand, im gedämpften Licht des Krankenflügels, war er zufrieden mit seinem Leben und den Entscheidungen, die er getroffen hatte. Die kommenden Monate würden ihn sicherlich verändern – weil er es wollte. Weil es sein Weg war. Nicht des Schlosses wegen. So viel Macht besaß nicht einmal Hogwarts. Höchstens Süßigkeiten konnten die Welt bewegen, da hatte er so einen Verdacht, den er hier gründlich studieren würde.
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