2047 | Fuchs und Falke
Tresore haben die gute Eigenschaft, Wertgegenstände vor unberechtigten Zugriff zu schützen. Gleichermaßen haben sie die schlechte Eigenschaft, dass sie auf den Fundort ebenjener Gegenstände deutlicher hinweisen, als ein in roter Farbe gepinseltes Hinweisschild mit der Aufschrift: »LIEBER EINBRECHER, WAS DU SUCHST BEFINDET SICH GENAU HIER!«
Normalerweise gleicht die eingangs erwähnte gute Eigenschaft des Tresors diesen Nachteil aus.
Normalerweise ...
Der Hersteller dieses Modells hatte nicht mit Moonfox und Shadowhawk gerechnet.
»Speise nun das Entschlüsselungsprogramm ein«, erklang die Stimme ihres Partners aus dem Kopfhörer in Moonfox‹ Ohr. »Dieser Auftrag ist das reinste Kinderspiel. Wenn das so weitergeht, können wir hinterher noch schick essen gehen. Worauf hättest du Lust, Foxy? Vietnamesisch?«
Die Diebin antwortete nicht. Auch wenn der Inhaber der Villa laut Hawks Informationen heute aushäusig und das Gebäude somit leer stehend war, wollte sie nicht auf sich aufmerksam machen. Zu viele Beutezeuge weniger talentierter Verbrecherbanden waren gescheitert, weil sich ihr Intel mitten in einer Operation als unwahr herausgestellt hatte.
»Wieder, die kalte Schulter, was?« Hawks seufzte übertrieben. »Entspann dich. In zwei Minuten ist der Tresor auf und in fünfen bist du über alle Berge.«
Moonfox rollte mit den Augen. Hawks hatte gut Reden. Er saß ja auch mehrere Kilometer entfernt in seinem kleinen Hackerparadies, futterte seelenruhig Nachos und beobachtete alles über die Kameras seiner ferngesteuerten Drohnen.
Angespannt ließ sie den Blick durch den Raum wandern. Es war stockfinster. Ihr Nachtsichtgerät störte sich nicht daran. Im besten Schwarz-weiß gab der Infrarotsensor die Konturen ihrer Umgebung zum Besten. Also, wenn es denn so viele gegeben hätte.
Das Arbeitszimmer war unnötig groß. Nur ein einzelner Schreibtisch stand verloren wie das beim Schulausflug absichtlich zurückgelassene Problemkind in der Mitte. Hohe Regale schmückten die Wände des Raumes anstelle von Tapeten, überfüllt mit allerlei wertlosen Schnickschnack. Der Innenarchitekt schien ein Faible für Kontraste zu haben.
»Entschlüsselung abgeschlossen. Hab ich schon mal erwähnt, dass ich Smarthomes liebe? Besonders, wenn die Leute ihre Tresore da mit dran hängen?«
Ein Klicken lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Tresor. Moonfox grinste. Das war immer das Beste an ihrem Job: die Beute in Empfang nehmen. Worum es sich wohl diesmal handeln würde? Ihr Kunde hatte in diese Richtung keine genauen Angaben gemacht, nur, dass es nicht schwer zu tragen sein würde. Vermutlich wieder so ein langweiliger Mikrochip. Oder doch ein juwelenbesetztes Familienerbstück?
So schwungvoll wie bei einer dicken Stahltür nur möglich, riss Moonfox den Tresor auf. Ihre Vorfreude erlosch augenblicklich.
»Hawks ... siehst du das?«
»In deinem Nachtsichtgerät befindet sich eine MINI-Pixel 4200NT mit 4K2K-Auflösung. Natürlich sehe ich das!« Seine Stimme troff vor Sarkasmus.
»So was haben selbst meine Großeltern nicht mehr benutzen müssen ...« Vorsichtig nahm sie den vergilbten Klumpen eines Buches in die behandschuhten Hände. Die Seiten lösten sich bereits vom Einband und wurden behelfsmäßig mit zwei Schnüren in einer annähernd rechteckigen Form gehalten.
»Deine verdrehte Vorstellung von Geschichte bringt mich jedes Mal an den Rand der Tränen.«
Moonfox schnaubte empört. »Und du wunderst dich, wieso ich dir die kalte Schulter zeige.«
Ein gequetschtes Geräusch erklang, ganz als versuche Shadowhawk, eine bissige Antwort hinunterzuschlucken. »Wie auch immer, steck's ein und dann Abflug. Der Kunde bezahlt schließlich dafür.«
»Sofern er sich keinen Scherz mit uns erlaubt hat.« Eilig nahm sie ihren Rucksack vom Rücken, wickelte das Buch in die darin befindliche Decke und steckte es ein.
»Unterschätze niemals den Wert von Informationen, Foxy. Wer weiß, was in diesen Seiten für Geheimnisse schlummern.«
Abermals verdrehte Moonfox die Augen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass in diesem alten Schmöker noch etwas drinstehen sollte, was irgendeinen Wert haben könnte. Besonders, da man wichtige Informationen nicht auf Papier festhielt. Das hatte doch keinerlei Back-up!
»Dieser Einbruch ist ein Witz.«
»Das ist kein Einbruch, sondern Beschaffung schwer zugänglicher Besitztümer unter Einsatz eigenmächtiger Zugangsberechtigungen. Bitte halte dich an Melodys Angaben. Ich würde mich niemals mit gemeinen Dieben zusammentun.«
»Wie auch immer.« In einer flinken Bewegung schulterte Moonfox den Rucksack und zog die Riemen fest, damit sie im Zweifelsfall nirgends hängen blieb.
Der Rückweg war noch einfacher als der Einstieg. Moonfox öffnete das Fenster und seilte sich wie eine Spinne mit dem, in ihren Gürtel integrierten, Enterhaken ab. Das Sicherheitssystem ließ sie gewähren. Schließlich hatte Hawks es schlafengelegt. Leichtfüßig landete sie im Gras und ließ das Seil in ihren Gürtel zurückschnellen. Mit schnellen Schritten hielt sie auf ihr E-Motorrad zu und verstaute den Rucksack in der Transportbox. Beinahe lautlos startete sie die Maschine und fuhr unbehelligt die Einfahrt hinunter, durch das schmiedeeiserne Tor, welches sich auf einen Befehl von Hawks liebevoll hinter ihr schloss.
Ernsthaft, diesen Auftrag hätte jeder 08/15-Gauner erledigen können: Keine Wachen, halb gare und teils veraltete Systeme mit bekannten Sicherheitslücken ... Melody hatte zwar gesagt, dass es keine Herausforderung werden würde, aber der Kunde hatte günstigere Teams abgelehnt. Er wollte die besten Leute, die Melody vermitteln konnte. Ganz egal, ob das den Preis verfünf- oder sogar verzehnfachen würde.
Na ja, ihr sollte es recht sein.
»Ich benachrichtige jetzt den Kunden und vereinbare die Übergabe.« Shadowhawk kicherte. »Meinst du, ich sollte es ihm vielleicht per Fax schicken?«
Moonfox runzelte unter ihrem Helm die Stirn. »Was ist ein Fax?«
»Hättest du dich bei der Stadt für den Job eines Sesselfurzers beworben, wüsstest du das.«
Moonfox seufzte innerlich. Sie erinnerte sich wieder, warum sie fordernde Aufträge bevorzugte. Je einfacher der Job, desto breiter wurde der Wasserfall an Sarkasmus, der aus Hawks‹ Mund plätscherte.
»Hast du überhaupt die Kontaktdaten des Kunden?«, fragte Moonfox, während sie mit mehr als 150 Sachen die Landstraße runterpreschte. »Das geht doch alles über Melody.«
»Natürlich geht das alles über Melody«, frotzelte Hawks zurück. »Ehrlich, Foxy, wenn du nur so klug wärst, wie du heiß bist ...«
»... dann wärst du leider immer noch so fett, wie du klug bist.«
»Das weißt du nicht.«
»Wie kann jemand, der den ganzen Tag vor einem PC hockt und Nachos futtert, nicht fett sein?«
»Ich würde dir dazu ja gerne die ärztlichen Befunde dazu vorlegen, aber belassen wir es lieber bei: Du würdest dich wundern.«
Darauf schwieg Moonfox. Sie wusste nicht viel über Shadowhawk, denn er gab beinahe nichts über sich preis. Noch nicht einmal sein Aussehen kannte sie. Meetings wohnte er immer nur über Bildschirme bei und dafür benutze er einen virtuellen Avatar: passend zum Namen einen düsteren Hoodie mit schwarzen Haaren im Animestyle. Dass er Nachos mochte, wusste Moonfox auch nur, weil sie ihn gefragt hatte, was da im Hintergrund immer so knusperte.
Die anderen hatten daraus geschlossen, dass Hawks sie wohl mochte. Selbst Melody konnte ihre Freude nicht darüber verstecken, wie glücklich sie war, endlich eine Partnerin für Hawks gefunden zu haben, mit der sich der IT-Experte verstand. Sie waren nicht umsonst die Besten der Besten.
»Der Kunde hat schneller geantwortet, als erwartet«, unterbrach Shadowhawk sie in ihren Gedanken. »Die Übergabe findet in vierzig Minuten am Punkt Epsilon statt.«
Das Display ihres E-Motorrads aktivierte sich und zeigte eine Karte, durch die sich eine auffällig rote Linie schlängelte. »Ich habe mir erlaubt, dir die Route direkt zuzuschicken. Natürlich mit allen Geschwindigkeitskontrollen und Polizeipatrouillen, damit du dich austoben kannst.«
Moonfox grinste und beschleunigte. »Besten Dank.«
So sausten die Kilometer und die Minuten dahin. Moonfox genoss diesen kurzen Moment der Ruhe, in ihrem sonst nervenkitzelnden Job, genoss den kalten Fahrtwind der Nacht, der wie ein energiegeladenes Haustier um sie herumtobte. Während der ganzen Fahrt schwieg Shadowhawk. Kein Alarm, der in der Villa geschlagen worden war, keine Polizeipatrouillen, die ihr entgegenkamen und denen sie ausweichen musste. Sie hatten den Einbruch perfekt durchgeführt.
Vor ihr tauchte die Stadt auf, so plötzlich, als hätte ein berühmter Fernsehmagier sie dorthin gezaubert, obwohl sie schon die ganze Zeit über da gewesen war.
Moonfox drosselte die Geschwindigkeit und passte sich den langweiligen Verkehrsregeln an, um nicht aufzufallen. »Nähere mich Punkt Epsilon.«
Ein lang gezogener Seufzer in ihrem Ohr zeigte, dass Shadowhawk sein Mikro reaktiviert hatte. »Du hast einen GPS-Tracker und befindest dich in Sichtweite von drei meiner Drohnen, Foxy. Ich bin wie dein Schatten. Es hat einen Grund, wieso das Wort Teil meines Codenamens ist. Ich weiß immer genau, wo du bist.«
»Was dir nichts nützt, wenn du mit dem Kopf woanders bist«, gab Moonfox flapsig zurück. »Nicht, dass du wieder abgelenkt bist, weil du dir während der Arbeit einen Stream reinziehst.«
»Das!«, erwiderte Shadowhawk so schnell, dass Moonfox sich seinen erhobenen Zeigefinger bildlich vorstellen konnte, »ist eine bodenlose Unterstellung.«
Sie verdrehte die Augen. »Du hast gekichert wie ein Mädchen.«
»Das passiert, wenn die Leute ihre Wertsachen mit Witzen anstelle von Sicherheitssystemen zu schützen versuchen. Jetzt stell das Gequatsche ein, du bist fast da. Konzentriere dich auf die Übergabe.«
Moonfox schwieg. Sie hatte die Retourkutsche erkannt, denn normalerweise war sie es, die Hawks auf diese Weise zurechtwies. Sie war hier wirklich unterfordert. Sie atmete tief durch. Konzentration. Schließlich war sie ein Profi. Zeit, dass sie sich wieder wie einer verhielt.
Langsam surrte das E-Motrorrad durch den Verkehr, bis sie in eine unbelebtere Gegend einbog. Hohe, mit Graffiti besprenkelte Häuser rotteten sich am Straßenrand wie die Banden zusammen, die zwischen ihnen hindurchschlichen und der Asphalt unter den Rädern fühlte sich an wie aus dem letzten Jahrhundert.
Der Anblick versetzte ihr einen Stich im Herzen. Hier wohnte fast niemand mehr. Seit der Zerfall um sich griff und die Menschen die Behandlungskosten nicht mehr stemmen konnten, starben die Armen wie die Fliegen. Punkt Epsilon war nur eines, vieler solcher Beispiele.
Moonfox biss die Zähne zusammen und sperrte die aufwallenden Gefühle zurück in den Käfig der Profession. Sie konnte später wütend sein und auf Sandsäcke einschlagen.
Zielsicher folgte sie einem Labyrinth aus Seitenstraßen, bis sie ihr Gefährt schlussendlich vor einer zufällig scheinenden Hauswand parkte. Die letzte Minute des Weges überbrückte sie zu Fuß. Dann erreichte sie ihr Ziel: Eine schmale, rechtwinklig geknickte Seitengasse, in der einen Großteils des Mülls auf den Boden, anstatt in den rostigen Blechtonnen am Rand lag.
Der Kunde war noch nicht da und Moonfox widerstand dem Impuls, Hawks darüber zu informieren. Er wusste es sicher eh schon. Sie hatte eine seiner Drohnen bemerkt. Das Licht einer flackernden Neonreklame hatte sich für einen kurzen Moment auf dem metallenen Körper widergespiegelt, bevor das Flugobjekt aus ihrer Wahrnehmung verschwunden war.
Hawks machte seinem Namen wirklich alle Ehre. Schon so manches Mal hatte Moonfox sich gefragt, ob Hawks nicht eine AI und war und die Drohnen somit sein wirklicher Körper. Die Schnelligkeit, mit der er Informationen hin und her spielte, rechtfertigten diesen Verdacht. Es gab inzwischen Programme, die einen Menschen so perfekt imitieren konnten, dass man den Unterschied nur merkte, wenn man genau drauf achtete.
Moonfox schüttelte den Kopf. Unsinn! Dann hätte Melody ihm Manieren einprogrammiert.
»Der Kunde ist auf dem Weg und näherte sich aus vorgesehener Richtung«, teilte Shadowhawk mit.
Das war schon mal gut. Es kam immer wieder vor, dass Kunden bei der Übergabe ihren eigenen Stunt versuchten. Hielten sie sich schon bei der Ankunft nicht an die Vorgaben, war der Deal geplatzt. Trotzdem gab es Sicherheitsmaßnahmen. Punkt Epsilon mochte nicht so wirken, aber Moonfox kannte mehr als zehn mögliche Fluchtrouten, durch die sie bei einem Überfall sofort entkommen konnte. Nichts wurde dem Zufall überlassen.
Sie ließ den Rucksack von ihren Schultern rutschen und nahm ihn in die Hand. Dieser alte Schmöker hatte ein ganz schön ordentliches Gewicht. Von wegen, leicht zu tragen. Zeit, diesen Ballast loszuwerden.
»Der Kunde betritt die Gasse. Und wartet. Dein Auftritt, Foxy.«
Das ließ sich Moonfox nicht zweimal sagen. Lautlos bog sie um die Ecke. In der Mitte des Gassenabschnitts stand der Kunde: eine gedrungene Gestalt, die sich gänzlich in einen hellbraunen Mantel verhüllte; nur die verfranzten Enden eines buschigen Schnauzbarts lugten unter der Kapuze hervor. Der Körperbau des Kunden war für seine geringe Größe zu breit – vielleicht sah es auch nur so aus, weil er gebeugt lief. In der Hand hielt er einen schwarzen Aktenkoffer.
»Haben Sie die Ware?« Seine Stimme kratzte stärker in ihren Ohren als manch einer von Hawks Kommentaren an ihrem Stolz.
»Alles, was im Tresor zu finden war.« Wie zum Beweis klopfte Moonfox auf ihren Rucksack.
»Kann ich mich davon überzeugen?«
Moonfox nickte. »Bleiben Sie da stehen.« Vorsichtig ging sie einige Schritte in die Gasse, legte den Rucksack auf den Boden und entfernte sich wieder. Total unnötig, maulte ihre innere Stimme. Der Kunde hat die gesamte Summe im Voraus bezahlt. Was hätte er davon, dich anzugreifen?
Skeptisch beobachtete Moonfox, wie sich der Kunde dem Rucksack näherte. Irgendetwas stimmte an der Situation nicht. Sie konnte es fühlen, dieses unangenehme Kribbeln wie zu viel Prosecco in ihrem Magen. Moonfox wollte abhauen, aber Melodys Regeln verlangten, dass sie anwesend blieb, bis der Kunde die Ware geprüft hatte.
Indes hatte der Alte den Rucksack erreicht und ging umständlich vor ihm in die Hocke. Er legte den Aktenkoffer beiseite, entriegelte ein Zahlenschloss und öffnete ihn. Er war leer. Erst dann sah er in den Rucksack und holte das in die Decke gewickelte Büchlein hervor. Vorsichtig, als könnte es bei seiner Berührung zu Staub zerfallen, entpackte er das Buch und hielt es wie einen Schatz in seinen Händen.
»Endlich«, hauchte er und seine Stimme schwankte wie ein betrunkener Seemann. »Nach all den Jahren.« Wie ein Stofftier drückte er das Buch an seine Brust.
Das Kribbeln in ihrem Bauch verstärkte sich und Moonfox tastete nach der Pistole an ihrem Gürtel. »Sie bestätigen den Erhalt der Ware?«
Der Mann nickte und ließ das Buch sinken. Vorsichtig legte er es in den Aktenkoffer und schloss ihn. »Ja, es ist das Richtige. Sie haben ausgezeichnete Ar...«
Ein leises Piff unterbrach ihn in seiner Freude. Leblos kippte der Körper des Alten zur Seite.
Scharfschütze! Hinter mir!
Reflexartig machte Moonfox eine Hechtrolle nach vorne und griff noch in der Bewegung nach dem Koffer. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Oberarm, als sie das nächste Geschoss streifte.
Moonfox biss die Zähne zusammen und entschied sich für Fluchtoption drei. Sie rollte über die Kante der Treppe, die zu einem Souterraineingang führte und damit heraus aus der Sicht des Schützen. Eine weitere Patrone schlug beinahe lautlos über ihr in die Wand.
»Halt! Stehenbleiben!« Die laute Stimme donnerte förmlich durch die Gasse.
Das hättest du wohl gerne. Eilig entriegelte sie das elektronische Türschloss mit der bekannten Kombination, öffnete die Tür und flüchtete ins rettende Innere. Auf der anderen Seite empfing sie ein zwielichtiger Lagerraum, in dem sich allerlei Kisten mit Vorräten türmten. Doch statt die angrenzende Küche der mit Melody kooperierenden Karaokebar zu betreten, legte Moonfox den Aktenkoffer auf den Boden, schob eine der Kisten beiseite und förderte so eine versteckte Luke zutage. Sie griff nach dem Koffer und stieg die Trittleiter in das Loch hinein, schloss die Klappe über sich und brachte mit einem Hebel die Kiste über ihr wieder in Position. Dann stieg sie hinab.
»Verdammt noch mal, Hawks!«, zischte sie erbost und versuchte, den Schmerz in ihrem Arm zu ignorieren. »Ein Scharfschütze! Wie konntest du den mit deinen Drohnen übersehen!? An so vielen Orten kann der sich nicht versteckt haben. Dein Fail des Jahres hat mich fast das Leben gekostet!«
Hawks antwortete nicht.
Und jetzt wusste Moonfox auch, was ihr so verdächtig vorgekommen war: Er hatte bereits während der Übergabe geschwiegen. Und normalerweise schlug er ihr gerade dort wichtige Infos, durchsetzt mit seinen üblich dummen Bemerkungen um die Ohren.
»Melody, bitte melden. Kannst du mich hören?«
Nichts. Jemand musste ihre Verbindung unterbrochen haben. Wer immer ihnen auf den Fersen war, wusste also, wie sie arbeiteten. Das war nicht gut. Absolut gar nicht gut.
Vorsichtig ließ sie sich die letzten Stufen hinunter auf den Boden fallen und setzte ihre Stirnlampe auf. Sie stand in einem abzweigenden Kellergang. Die Luft roch feucht und modrig. Wirklich nicht ihre liebste Fluchtroute, aber gegen einen Schützen die effektivste. Ratlos sah sie sich auf der Kreuzung um. Wohin? Links, rechts, geradeaus? Normalerweise gab Hawks ihr diese Infos durch.
Moonfox traf eine Entscheidung und rannte nach links. An der nächsten Kreuzung rannte sie geradeaus, dann rechts und wieder nach links, folgte den Pfad, den sie im Training geprobt hatte. Dieses Labyrinth würde ihre Verfolger beschäftigen.
Das war kein Attentat gewesen. Irgendjemand hatte sie überwacht und darauf gewartet, dass ihr Kunde die Ware überprüfte. Das bedeutete, dass diese Leute an das Buch wollten. Dieses zerfledderte Bündel Papier, welches sie nun bei sich trug.
Ich hätte den Müll, einfach liegen lassen sollen!
Trotzdem hielt sie den Griff des Koffers weiter fest. Wenn Menschen für dieses Buch mordeten, dann musste es sich um etwas handeln, dass Melody zu einem Haufen Geld machen konnte. Das heißt, zusätzlich zur Gage des Alten gäbe es einen ordentlichen Bonus!
Sie erreichte eine Stelle, an der weitere Metallstufen an der Wand senkrecht nach oben führten. Mit dem Koffer in der Hand kletterte sie nach oben und öffnete die morsche Holzluke über sich. Sie zog sich hoch in einen staubigen Keller. Eine Treppe führte in eine leer stehende Wohnung. Die Zimmer waren längst ausgeräumt und die Fenster mit Brettern vernagelt. Trotzdem prüfte Moonfox jeden Raum, bevor sie sich ins Obergeschoss begab. Sie wollte nicht von ein paar zugedröhnten Junkies oder neugierigen Obdachlosen überrascht werden, auch wenn Melodys Leute diesen Ort regelmäßig »säuberten«.
Sie betrat das Zimmer. Im Gegensatz zu den übrigen fand die hier eine Luftmatratze zusammen mit einem ordentlich aufgeräumten Schlafsack auf dem Boden liegen. Daneben stand Wasser, ein paar Dosen Energydrinks sowie Schokoriegel.
Schweratmend ließ Moonfox den Koffer auf das Schlaflager fallen und griff nach einem Energydrink. Während sie noch wartete, dass sich ihr Atem beruhigte, trat sie an das Fenster. Sie presste sich an die Wand und hob mit einem Finger das Rollo an, um auf die Straße zu spähen.
Wie vorgesehen befand sich unter ihr, gut versteckt zwischen zwei Müllcontainern, ein alter Roller, den sie zur Flucht weiterverwenden konnte. Wenn sie denn alleine wäre. Zwei komplett in Schwarz gekleidete Gestalten liefen die Straße entlang und kontrollierten die Seitengassen. Sie trugen Sturmgewehre im Anschlag. An der Kreuzung trafen sie mit zwei weiteren zusammen. Einer von ihnen hielt etwas in der Hand.
Moonfox verengte die Augen zu Schlitzen, wodurch ihr Nachtsichtgerät den Zoom aktivierte. Sie knirschte mit den Zähnen. Es war eine von Hawks Drohnen.
Die Männer tauschten ein paar Worte, bevor sie wieder in Zweigruppen ausschwärmten.
Moonfox ließ das Rollo zurückfallen und nahm einen Schluck von ihrem Energydrink. Die Flucht konnte sie vergessen. Die Angreifer besaßen augenscheinlich genügend Männer für eine großflächige Suche. Hawks war blind und nicht zu erreichen. Jeder Schritt nach draußen glich einem Himmelfahrtskommando. Allerdings ... in diesem schmutzigen Zimmer wie eine Ratte im Käfig zu hocken und auf Rettung zu warten, ging ihr mehr als nur gegen den Strich.
Sie schob sich das Nachtsichtgesicht auf die Stirn und setzte sich auf den Schlafplatz. Sie griff nach dem Koffer. Er hatte ein mechanisches Zahlenschloss mit drei Ziffern.
»Kinderkacke«, brummte Moonfox und begann mit dem Ausprobieren der Kombinationen. Es gab nur tausend. Damit war sie schneller fertig als Hawks mit dem Tresor in der Villa. Wenn sie hier lebend raus wollte, brauchte sie Informationen. Sie musste wissen, wieso ihre Angreifer dieses Buch wollten.
Es dauerte nicht lange, dann lag der Koffer offen vor ihr. Vorsichtig nahm sie das Buch in die Hand und löste den Bindfaden, der es zusammenhielt.
Schon nach den ersten Seiten wusste sie: Dieses Büchlein war völlig nutzlos. Nichts als eine wertlose Zettelsammlung. Alte Tagebucheinträge, Notizen, sogar Gedichte. Meist völlig unleserlich. Nach einigen Seiten fielen ihr zerknitterte Briefe entgegen. Schnulzige Liebeserklärungen eines gewissen Henry Berrycloths, der wohl nicht wusste, was Smartphones sind.
Ungeduldig blätterte sie weiter und riss dabei aus Versehen einige Seiten raus, die tatsächlich noch am Rücken des Buches geklebt hatten. Darunter grinste ihr eine besonders hässliche Karikatur entgegen die mit »Mr. Morris« betitelt war. Wenn sie sich die äußerst respektvollen Details in Form von Pickeln und gelben Zähnen so ansah, war er wohl nicht sehr beliebt gewesen.
Ärgerlich griff Moonfox nach ihrem Energydrink und stieß die Dose dabei um. Eilig bekam sie sie zu fassen, aber das Unglück war bereits geschehen. Ein größerer Teil war auf die Seiten geraten, die sich gierig vollsogen.
Moonfox zuckte mit den Schultern und nahm einen weiteren Schluck aus der Dose. So energetisch ist dieses Werk sicher noch nie gewesen.
Sie blätterte weiter durch die Seiten. Und hielt inne. Dieser Text war anders als die anderen, das merkte sie sofort. Die Schrift, mit Füller gesetzt, wirkte eloquent und doch waren die Buchstaben zittrig, als hätte der Schreiber sie in großer Nervosität geschrieben. Neugierig geworden, begann sie zu lesen:
»Dies sind die Aufzeichnungen von Dr. Emelie Kronhardt, die das Geheimnis eines krankheitsbefreiten Lebens lüftete. Ihre Methode zur Zellerneuerung hat das Potenzial, das Leben eines Menschen maßgeblich zu verlängern und darüber hinaus frei von Beschwerden zu halten. In mehreren Fällen konnte sie bei ihren Patienten Arteriosklerose sowie viele verschiedene Formen von Krebs erfolgreich und nachhaltig behandelt werden. Erste Erfolge von Kronhardts Therapie konnten bereits 2015 nachgewiesen werden. Aktuelle Versuchsreihen zeigen sogar Erfolg bei Zerfall. Wenn Sie nun in den Besitz dieser Aufzeichnungen gelangt sind und sich fragen, wieso sie bisher nichts von der Kronhardt-Therapie gehört haben, dann liegt das daran, dass es nicht gewollt ist. Die Kronhardt-Therapie ist einfach, preiswert und nachhaltig erfolgreich. Faktoren, die unser Gesundheitssystem nicht wünscht.«
Moonfox machte eine Pause. Auf dem ersten Blick schien ihr das unlogisch. Gerade, weil in den letzten Jahren immer schlimmere Krankheiten auftauchten, verursacht von den biologischen Waffen, die verschiedene Terrorgruppen unbedacht im Krieg verwendeten. Allen voran der Zerfall, bei dem die Zellen im Körper nach und nach abstarben.
Auch Moonfox Eltern waren an Zerfall gestorben. Sie erinnerte sich an die Besuche im Krankenhaus als kleines Mädchen. An die Medikamente, an die Operationen, mit denen man den Zerfall zu verlangsamen versucht hat. Sie hatten die Therapie eingestellt, als auch Moonfox‹ kleine Schwester am Zerfall erkrankt war. Nicht viel später waren sie gestorben.
Ein weiteres Mal überflog Moonfox die gerade gelesenen Zeilen.
»2015 bereits ... Man hätte sie retten können.« Moonfox wusste, dass sie gerade den Heiligen Gral der Medizin in den Händen hielt. Kein Wunder, dass Menschen dafür töteten. Mit diesem Wissen ließen sich Millionen machen. Oder ... Moonfox schluckte. Man konnte Millionen verlieren. Die Hersteller der Anti-Zerfall-Medikamente, AsclepiusCorp, sahen es sicher gar nicht gerne, wenn sie plötzlich überflüssig wären.
»Was für eine kranke Scheiße!« Wenn diese Leute dort draußen von der AsclepiusCorp angeheuert worden waren, konnte Moonfox einpacken. Melody mochte Einfluss und Kontakte in der Unterwelt haben, aber hier hatten sie es mit einem Milliardenunternehmen zu tun. Mit denen brauchte sie nicht verhandeln, denen konnte sie nicht einmal drohen, das Buch zu vernichten. Das war womöglich selber deren Ziel.
Moonfox sah wieder auf den Text.
»Ich schreibe diese Zeilen, während ich versuche, Dr. Kronhardts Aufzeichnungen in Sicherheit zu bringen. Wer immer Sie sind, verwahren Sie sie gut. Bis zu dem Tag, an dem sie gebraucht werden. F. Tyson.«
Zitternd hob Moonfox die nächste Seite an.
Fette, rote Buchstaben füllten die komplette Seite: »Wer das liest, ist doof!«
Wütend schleuderte Moonfox das Buch in die Ecke, wodurch Mr. Berrycloths Liebesbriefe wie Herbstlaub durch den Raum segelten. Die wohl einzig nützliche Information in diesem Buch und irgendein kleines Bratzenkind hatte seinen infantilen Joke darüber geschmiert! So ein Dreck!
Schweratmend stand Moonfox im Zimmer und funkelte den Haufen Papier an. Hätte sie den Koffer doch bloß in den toten Händen ihres Kunden gelassen!
Das Krachen von Holz im unteren Stockwerk ließ sie aufhorchen. Ihre Verfolger. Was nun?
Sie warf einen Seitenblick zum Fenster. Draußen stand immer noch der Roller. Allerdings befand sich dort auch nach wie vor mindestens ein Scharfschütze.
Hastig presste sie sich neben der Tür an die Wand. Kein Laut war vom Flur zu hören, kein Licht verriet die Position ihres Gegners. Sie waren Profis. Moonfox jedoch auch.
Kaum lugte das gefährliche Ende des Sturmgewehrs um die Ecke, hatte Moonfox den Lauf der Waffe bereits beiseitegestoßen. Schüsse durchlöcherte den Boden. Moonfox gab ihrem Gegner keine weitere Gelegenheit; ihr rechter Ellenbogen fand zielsicher sein Gesicht. Geschickt fing sie den Körper auf, während sie bereits eilige Schritte auf der Treppe vernahm. Mit dem Körper als Schutzschild trat sie auf den Gang. Sofort schlugen die Kugeln ein wie in einen Sandsack. Moonfox rannte los. Und erst jetzt bemerkte der zweite Angreifer seinen Fehler. »Du Sohn einer ...« Weiter kam er nicht, da Moonfox ihn den durchlöcherten Körper seines Kameraden entgegen stieß, worauf beide zusammen die Treppe hinunter polterten.
Wie eine Katze sprang Moonfox hinterher, bereit, ein weiteres Mal zuzustoßen. Ihre Eile war unnötig. Der zweite Angreifer war entweder tot oder bewusstlos. Regungslos lag er unter dem Körper seines Kameraden.
Erleichtert ließ Moonfox ihren Atem entweichen. Das würde ihr eine kurze Pause einbringen. Sobald die beiden Männer vermisst wurden, würden sich die verbleibenden Kräfte ihrer Feinde auf dieses Gebäude konzentrieren. Sie musste hier weg, bevor ...
Ein Vibrieren unterbrach ihren Gedankengang. Es kam aus der Tasche des Mannes, den sie als Schutzschild missbraucht hatte. Moonfox bückte sich und zog ein Handy hervor. Es zeigte den Anruf einer unterdrückten Nummer. Sie zögerte. Der Mann hatte mit Sicherheit ein COM-Gerät an seinem Ohr. Der einzige Grund, wieso man ihn anrufen würde, war, dass man bereits von seinem Tod wusste. Vermutlich wurden die Lebenszeichen ihrer Verfolger überwacht.
Langsam hob sie das Handy ans Ohr und bestätigte den Anruf. Zeit, zu verhandeln. »Ja?«
»Yo, Foxy! Hast du mich vermisst?«
Moonfox hätte beinahe das Handy fallen lassen. »Hawks!«, rief sie aus. »Was? Wie?«
»Du errätst nie, wo ich mich gerade erfolgreich eingehackt habe.«
Moonfox zog die Brauen zusammen. »AsclepiusCorp.«
Ein anerkennender Pfiff ertönte. »Out of the Box, Miss Fox.«
»Lass die Sprüche und hol mich hier raus. Da draußen patrouilliert gefühlt eine ganze Armee! Wie konntest du das übersehen!?« Sie versuchte einem der Männer sein Sturmgewehr zu entreißen, gab ihre Bemühung aber schnell auf. Mit einer Hand konnte sie die Waffe sowieso nicht zielsicher tragen.
»An dem Wie arbeite ich noch. Viel wichtiger: hast du die Ware?«
Moonfox schlich in Richtung der aufgebrochenen Haustür und spähte auf die Straße. »Vergiss die Ware. In dem Buch steht nichts. Sag mir lieber, wie ich ...«
»Hast du die Ware?«
Irritiert zögerte Moonfox. »Nein, sie liegt im Zimmer über mir und ...«
»Hol sie. Sofort!«
»Hawks, das Buch ist unnütz ...«
»Sofort! Vorher helfe ich dir nicht.«
Moonfox knirschte mit den Zähnen. Wenn dieser Depp von einem Partner sie doch nur ausreden lassen würde. »Na schön.« Eilig rannte sie die Treppe zurück nach oben. Sie klemmte sich das Handy unters Ohr und verschnürte das Buch mit dem Bindfaden, der es zuvor schon beisammengehalten hatte. Die verteilten Seiten ignorierte sie. »Ist sichergestellt«, knurrte sie. »Was nun?«
»Nimm den Hinterausgang.«
Erneut hastete Moonfox die Treppe hinunter. Schüsse erklangen auf der Straße, gefolgt von Schreien und wütenden Rufen. Die Diebin zögerte nicht, sondern zog sich in den hinteren Teil der Wohnung zurück. »Sicher, dass raus auf die Straße eine gute Idee ist?«
»Du kannst auch den Geheimweg im Keller nehmen. Sofern du dir zutraust, es mit sechs Leuten von Asclepius gleichzeitig aufzunehmen, versteht sich.«
»Ts.« Leise öffnete Moonfox die Tür zum Hinterhof und trat nach draußen. »Ich hoffe, du hast den Scharfschützen diesmal im Blick.«
»Keine Sorge, Foxy, ich sehe jetzt alle!«
Shadowhawk übertrieb nicht. Moonfox wusste zwar nicht, wie viele dieser Asclepius-Leute da draußen lungerten, aber Hawks führte sie sicher an ihnen vorbei. Ab und zu ertönten Schüsse und die Diebin kam nicht umhin sich zu fragen, ob ihre Verfolger sich mit anderen Banden anlegten.
Nach einigen Minuten hielt Hawks sie an. »Siehst du die Mülltonne da drüben? Schmeiß die Ware da rein.«
Froh, den Papierhaufen endlich loszuwerden, hob Moonfox den Deckel der Tonne an. Sie zögerte.
»Was ist?«, hörte sie Hawks fragen. Er klang ungeduldig.
»Das ist keine Mülltonne, sondern ein geheimes Postfach. Melodys Leute werden hier später vorbeikommen und die Ware bergen.«
»Ganz genau«, bestätigte Hawks. »Also wirf die Ware rein, damit ich dich hier rauslotsen kann.«
Moonfox rührte sich nicht. »Lüg nicht. Es gibt keinen Ausweg.«
»Was? Natürlich gibt es den. Das ist nur eine Sicherheitsvorkehrung. Hörst du die Schüsse nicht? Hier ist gerade echt ...«
»Ach ja? Sicherheitsvorkehrung? In anderen Worten, du weißt nicht, ob du mich hier lebend herausbekommst.«
»Ich bekomme dich hundertpro lebend hier raus. Versprochen. Jetzt pack die Ware in die Tonne, du darfst keine Zeit verlieren!«
Sachte legte Moonfox den Deckel zurück. »Du wirst uns dann beide hier rausbringen müssen.«
Hawks knirschte mit den Zähnen. »Melody wird toben.«
»Dann mach deinen Job und gib ihr keinen Grund dafür.«
Ihr Partner antwortete nicht sofort. Von seiner lockeren Sorglosigkeit war nichts geblieben. In all der Zeit, die sie nun zusammen arbeiteten, hatte Moonfox das nicht erlebt.
»Schön«, sagte er. »Folg der Gasse und an der nächsten Biegung rechts.«
Eine Weile folgte sie seinen Anweisungen. Bei der dritten Biegung jedoch, konnte sie sich gerade noch unbemerkt hinter der Mauer halten. Auf der Straße dahinter standen zwei Streifenwagen und blockierten den Fluchtweg. Hastig wich sie wieder zurück in den Schatten der schmalen Seitengasse. »Scheiße, Hawks. Da sind die Cops! Sag nicht, dass du die nicht gesehen hast!«
Hawks antwortete nicht sofort. »Das ist dein sicherer Ausweg, Foxy.«
»Wie bitte?« Moonfox hätte beinahe das Buch fallen lassen. »Ich soll mich der Polizei stellen!?«
»Ganz genau«, bestätigte Hawks ernst. »Asclepius ist überall und liefert sich Scharmützel mit den Cops und diversen Banden. Das ganze Viertel hat sich in ein Schlachtfeld verwandelt. Ich weiß, dir gefällt das nicht, aber es ist der beste Weg, dich lebend hier rauszubringen.«
»Wehrlos und in Handschellen, meinst du?«
»Foxy, bitte! Das ist eine Nummer zu groß für uns.«
»Zu groß für uns ... Und das von dir!«
»Ich will nicht noch einen Partner verlieren!«
Überrascht hielt sie inne. Davon hörte sie zum ersten Mal. Andererseits erklärte das einiges für sie.
Zwiegespalten trat sie von einem Bein aufs andere. Selbst wenn sie den Cops ihre bisherigen Verbrechen gestand und man ihr mildernde Umstände zusprechen würde, müsste sie mit mindestens fünf Jahren Haft rechnen.
»Es geht nicht, Hawks«, flüsterte sie. »Ich kann Lily nicht allein lassen.«
»Wer ist Lily?«
»Tu nicht so scheinheilig!«, zischte sie erbost. »Der Meisterhacker will mir weismachen, dass er keinen Backgroundcheck bei mir gemacht hat? Du weiß genau, dass ich die Anti-Zerfallstherapie meiner kleinen Schwester bezahle.«
»Wenn du hier stirbst«, erwiderte Hawks ernst, »rettest du deine Schwester nicht. So kannst wenigstens du leben. Gib's auf, Zerfall ist unheilbar.«
Schwer fühlte sie das Buch in ihrer rechten Hand. »Ich geb nicht auf. Es gibt Hoffnung.«
»Wenn du auf Kronhardts Zellregenerationstherapie anspielst«, Hawks machte eine dramatische Pause, »ihre Therapie wirkt nicht. Hat sie noch nie. Die Untersuchungen sind gefälscht. Das ist durch mehrere Quellen belegt.«
Seine Worte schmerzten mehr, als der Streifschuss an ihrem Oberarm. »Mehrere Quellen ... ist Asclepius auch eine davon?«
»Foxy, bitte!«
»Halt! Keine Bewegung!«
Moonfox wirbelte herum und sah sich mit dem Lauf einer Knarre konfrontiert, an dessen Ende ein Cop hing.
»Waffe fallen lassen und die Hände dahin, wo ich sie sehen kann!« Und leiser fügte er hinzu. »Ich hab sie gefunden. Danke für den Tipp, Control.«
»Tipp ...?« Moonfox Hand schloss sich um das Handy. »Hawks, du Verräter.«
»Besser ein Verräter, als die Vergangenheit noch mal zu erleben.«
»Du sollst das Zeug fallen lassen!«, schrie der Cop und kam näher.
Das Handy fiel zu Boden.
»Das Buch auch!«
Moonfox‹ Finger krallten sich in die Seiten. »Wie du willst!« Und mit aller Macht warf sie dem Cop das Buch entgegen. Überrumpelt wollte dieser es auffangen, doch seine Bewegung war unkoordiniert, weshalb ihm die Blättersammlung mit dem Buchrücken direkt ins Gesicht schlug.
Moonfox ergriff die Chance und entschied sich für die Flucht. Hinter ihr ertönten die wütenden Rufe des Cops, doch sie hatte bereits genügend Abstand gewinnen können. Immerhin, ganz am Ende hatte dieses Buch doch einen Nutzen gehabt ...
Alo
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