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1966 | Der wahre Schatz

Deutschland.

Für die Fußballweltmeisterschaft reiste das deutsche Team nach England, obwohl die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die sogenannten Bombennächte, noch in aller Köpfe waren. England schaffte es, Deutschland in der Verlängerung zu besiegen und wurde zum ersten Mal Weltmeister.

Aber all das interessierte Hannes nicht. Er war ein acht Jahre alter Junge, der mit seinen beiden älteren Brüdern und den Eltern in einem idyllischen Dorf in Süddeutschland wohnte. Hannes ging lieber an die frische Luft, anstatt sich vor den Fernseher zu hocken. Er verstand nicht, wieso man stundenlang zweiundzwanzig Männern zuschauen sollte, die sich um einen Ball stritten.

Bereits den vierten Tag in Folge war er mit seinen beiden Brüdern, Michel und Jörg unterwegs zu der Ruine des alten Wachturms. Dieser thronte außerhalb ihres Heimatdorfes auf einem kleinen Hügel. Fast erschien er Hannes wie ein stummer Wächter über die Zeit. Es waren die ersten offiziellen Sommerferien des Jungen und es fühlte sich für ihn etwas anders an, als die Sommer davor. Irgendwie aufregender. Der kernige Duft von Sonnenblumen und lauwarmem Sommerregen lag in der flirrenden Luft. Und es schien, etwas Sentimentales lauerte in Hannes' Herz, vergraben zwischen der Freude und kindlichen Leichtigkeit, die er in sich trug.

Hannes' Mutter war Hausfrau. Der Vater Mathematiker.

Michel war der erste der drei Brüder, der im September nach den großen Ferien aufs Gymnasium wechselte. Er war es auch, der in die Fußstapfen des Vaters treten sollte.

Ein wenig Angst hatte Hannes schon davor. Bestimmt änderte sich dann alles zwischen ihm und seinen Brüdern. Neben dem neuen Lernpensum, das Michel erwartete, blieb wahrscheinlich kaum noch Zeit, um miteinander zu spielen und zu toben. Er war zwar der Jüngste und trotzdem nicht auf den Kopf gefallen.

Achtlos ließ Hannes sein Fahrrad auf die Wiese fallen, die rings um den Wachturm wuchs. Seine Füße sprangen mit einer Leichtigkeit über die Grashalme, die sich jeder seiner Bewegungen anpassten. Sie streiften die Gänseblümchen, die in voller Pracht blühten und ihre weißgelben Köpfe sehnsüchtig zur Sonne reckten. Fröhliches Kinderlachen verlieh der tristen Kulisse, die Hannes vor sich sah, etwas Magisches. Seine sturmgrauen Augen huschten über die Steine der Ruine, wanderten das Efeu empor, das sich zwischen den Mauern einen Weg erklettert hatte und dem alten Gemäuer etwas Märchenhaftes verlieh. Schließlich hafteten sich Hannes' Augen auf die Überreste der alten Steintreppe, die in den oberen Teil der Ruine führte. An vielen Stellen war der Stein abgeschlagen und die oberste Stufe war komplett zerstört. Das Unkraut wuchs an jeder freien Stelle, und dort oben, in stetiger Einsamkeit gedieh ein kleiner Baum, dessen Samen wohl der Wind dort hingetragen hatte. Er würde wohl nie so kräftig sein, wie seine Brüder im Wald. Hannes kletterte die Überreste der Treppe nach oben. Beinahe rutschte er auf dem glatten Stein der einzelnen Stufen aus. Die betroffene Stelle an seinem rechten Knie begann aber nicht zu bluten. Es zeigte sich lediglich eine kleine Schürfung. Der Junge konnte trotzdem nicht leugnen, dass sein Herz in seiner Brust wild trommelte. Oben angekommen, machte Hannes eine kurze Verschnaufpause, ehe er sich neugierig umschaute. Vor seinem inneren Auge sah er unzählige Wachmänner, die ihre langen Speere in die Öffnungen drückten. Überall um ihn herum hektisches Durcheinander und laute Schreie, die die Nacht, die nur von dem Schein der Fackeln erleuchtet wurde, durchbrachen.

Hannes streckte sich etwas und schaute durch eine der schmalen Öffnungen. Dabei strichen seine kleinen Finger über die Steine neben ihm. Es war angenehm, da die Wand relativ kühl war, ein schöner Kontrast zu der schwülen Mittagshitze die draußen brütete. Plötzlich hielt er inne. Einer der Steine fehlte und da war ein kleiner ... Hohlraum. Mit bloßem Auge hätte Hannes das nie erkannt. Zittrig schnappte er tief nach Luft. Obwohl ihm ganz und gar nicht kalt war, fröstelte er nun etwas. Eine Gänsehaut zierte seine Arme, die Härchen reckten sich gleichmäßig in die Höhe. Der modrige Geruch in der Luft drang plötzlich in all seine Poren. Leichte Übelkeit überkam ihn.

Sollte er seine Brüder rufen?

Nein!

Immerhin war er der Jüngste von den dreien und das hier war sein Moment. Hannes Finger tasteten sich jetzt mutig in die Lücke und tatsächlich konnte er etwas ... erfühlen. Ein raues Material, wohl aus Leder. Im Kontrast zu seiner zierlichen Hand erschien es ihm groß und sperrig. Mutig steckte er diese noch etwas tiefer in den Hohlraum. Sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Die Angst war für den Moment übermächtig. Aber es tat sich nichts. Von innen lauerte keine Gefahr, die seine Hand schnappen wollte. Michel erzählte eindeutig zu viele Gruselgeschichten. Neugieriger als zuvor versuchte Hannes ein Ende des Gegenstandes herauszuziehen. Aber er bekam es nicht in seine Hände. Glitschig waren sie. Und das änderte sich auch nicht, als er sie an seinen Shorts abrieb. Der Junge linste in das Loch hinein, aber viel zu sehen gab es nicht. Lediglich eine kleine Spinne, die sich mit ihren langen Beinen einen Weg über die Steine suchte. Womöglich hatte Hannes sie aus ihrem Zuhause verjagt. Auch sie stellte keine Gefahr da. Sie waren kostenlose Haustiere, wie der Vater sich immer ausdrückte. Ein wenig mulmig wurde dem Jungen trotzdem, als er darüber nachdachte, dass die Spinne womöglich Familie hatte. Für einen Moment blieb Hannes ganz still, dann probierte er es erneut. Alles Nachdenken und Hoffen brachte doch sowieso nichts. Mit einem leisen Ächzen schaffte er es, den Gegenstand ans Tageslicht zu befördern.

Er entpuppte sich als ein altes ... Notizbuch. Ein seitenreiches Exemplar, mit einem braunen, ledernen Einband, das durch einen dünnen Faden verschlossen war. Schwer lag es in Hannes' Händen, aber zu leicht für das, was er sich vorgestellt hatte. Enttäuschung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Tränen sammelten sich in den grauen Augen und erinnerten an eine dicke Wolkendecke, aus der sich ein Unwetter entwickelte. Der Junge hatte mit einem alten, ledernen Stoff gerechnet, in den ein Klumpen Gold oder etwas anderes Wertvolles gewickelt war. Oder zumindest mit einem großen Lederbeutel voller Münzen. Aber doch nicht mit einem abgenutzten, staubigen Notizbuch, das dazu auch noch modrig stank. Mit der freien linken Hand versuchte Hannes es erneut und schob diese zurück in den Hohlraum. Seine Finger suchten weiter, vielleicht verbarg sich noch etwas vor ihm, aber außer kaltem Stein war da nichts mehr. Hannes' graue Pupillen, legten sich mit einem Schimmer der Hoffnung zurück auf das Büchlein. Der Sturm wich wieder. Was, wenn das hier doch so viel mehr war, als es auf den ersten Blick hermachte? Bestimmt schlummerte unter dem sichtbar abgewetzten Einband etwas, das nur darauf wartete, von ihm entdeckt zu werden. Womöglich der Hinweis zu einem Schatz, der hier auf diesem alten, verkommenen Wachturm vergraben lag. Voller zurückgewonnener Euphorie und mit der kindlichen Neugier in seinem Herzen öffnete Hannes das Büchlein. Vorher pustete er natürlich noch den Staub und Dreck, der auf dem Einband haftete, weg. Daraufhin hustete er zwei Mal gequält auf. Hannes' Herz schlug ihm voller Vorfreude und Aufregung gegen den Brustkorb, als die leicht vergilbten Seiten des Büchleins zum Vorschein kamen. Jemand vor ihm hatte genau diese Seite, die Hannes gerade zufällig aufgeschlagen hatte, mit einem Eselsohr versehen. Deutlich zeigte sich der Knick in der rechten, oberen Ecke der Seite. Hannes begeisterte sich noch nicht sehr für Bücher, aber selbst ihm blutete etwas das Herz, als er den Knick im Papier, länger betrachtete.

Der Junge hatte gerade sein erstes Schuljahr beendet. In seiner Klasse war er einer der Ältesten. Das lag daran, dass er Mitte Juli seinen Geburtstag feierte. So war es nicht verwunderlich, dass ihm das Lesen und Schreiben noch einige Probleme bereitete. Er war sehr enttäuscht, als seine Augen über das Gekritzel glitten, welches sich über die Seite ausbreitete. Kein einziges Wort ließ sich von ihm entziffern. Hier und da entdeckte er einzelne Buchstaben, die er in der Schule gelernt hatte und schon beherrschte, aber sie allein ergaben keinerlei Sinn. Ein einziger Buchstabensalat. Am liebsten hätte Hannes das Buch wütend in die Ecke gepfeffert.

Aber der Junge hegte noch immer etwas Hoffnung und blätterte ein paar Seiten weiter. Jetzt lösten sich dicke Tränen aus seinen Augen und in Zeitlupe fielen sie auf das leere Blatt, das Hannes vor sich sah. Sachte zog sich die salzige Flüssigkeit in das Papier und jetzt wirkte dieses nicht mehr so glatt. Es begann sich urplötzlich zu wellen. Erschrocken schlug Hannes das Büchlein zu. Tiefe Enttäuschung machte sich in ihm breit.

Was hatte er da nur gefunden? Er wünschte sich, einen Schatz zu bergen, so wie es Michel und Jörg schon beide getan hatten. Der Älteste, Michel, hatte vor drei Jahren eine Silbermünze gefunden, fast an derselben Stelle, wo der Junge sich jetzt befand. Damals war Hannes noch zu jung gewesen, hatte sich nicht getraut, die kaputte Treppe des Wachturms nach oben zu gehen. Es war eine Kunst diese Treppe zu benutzen und wie die Erwachsenen es immer zu sagen pflegten, auch ziemlich gefährlich. Es war laut ihnen nicht unbedingt der geeignete Spielplatz für Kinder. Und jetzt, wo Hannes endlich den Mut gefunden hatte, war er bitter enttäuscht worden. Nur ein Jahr nach Michel hatte Jörg eine exakt gleich aussehende Silbermünze geborgen. Diese hatte er während des Pinkelns im hohen Gras gefunden, ein Stücken von der Ruine entfernt. Natürlich hatte Hannes mit seinen Brüdern nach weiteren Münzen Ausschau gehalten. Sie hatten so viele Stellen durchsucht, die Köpfe tief in das hohe Gras gesteckt, aber keine weitere Münze tauchte auf. Vielleicht war es alles nur Zufall gewesen... Aber vielleicht, vielleicht verbarg sich doch irgendwo hier ein Schatz und dieses Gekritzel führte Hannes direkt dorthin. Vielleicht hatte es mit diesem Büchlein doch mehr auf sich, als er glaubte. Der Junge gab einfach nicht auf.

Hannes' Brüder spielten auf der Wiese, die an die Ruine angrenzte. Der Junge hörte sie lauthals brüllen. Sie riefen sich gegenseitig Befehle zu. Wie so oft spielten sie Räuber und Gendarm, das Spiel in dem Hannes unschlagbar war. Nur kurze Zeit später taten die Brüder so, als wären sie adlig und warteten auf ihre Dienerschaft.

Hannes wollte die Brüder einweihen. Das hier erschien ihm zu wichtig. Außerdem teilte Hannes alles mit Jörg und Michel. Oft stritten die Geschwister und ärgerten sich dann stundenlang. Manchmal sprachen dabei auch die Fäuste. Nur wenige Augenblicke später spielten sie dann wieder in aller Seelenruhe miteinander.

Der Junge begann die Treppe nach unten zu klettern. Mit dem Buch in der Hand war das eine andere Herausforderung. Mit dem linken Bein rutschte Hannes ungeschickt ab. Schnell stützte er sich an der Grundmauer, was dazu führte, dass ihm das Buch aus der Hand glitt. Es segelte los und knallte auf dem Boden auf. Die Beine wie aus Gummi, drehte Hannes sich vorsichtig um. Die Brüder wollte er nicht rufen. Sie würden sich nur wieder lustig machen. So setzte er sich auf den Popo und schlitterte die restlichen Stufen hinunter. Er verzog schmerzhaft das Gesicht, als er am Boden angekommen war. Kurz fuhr er sich über den Hintern, dann wandte er seinen Blick. Das Büchlein lag, mit dem Einband nach unten, aufgeschlagen im Dreck. Sachte hob er es hoch und blickte auf eine andere Seite, die er zuvor nicht entdeckt hatte. Eine Aneinanderreihung von Zahlen und Symbolen stach ihm ins Auge. Ähnlich wie die Notizen, die der Vater sich immer machte. Die Brüder brüllten noch immer. Hannes drückte das Buch gegen seine Brust und gesellte sich zu den beiden. »Was hast du da?«, fragte Jörg neugierig. Er versuchte, sich das Buch zu schnappen. Auch Michels Aufmerksamkeit erwachte. Die Großen umzingelten Hannes.

»Versprecht ihr mir, dass wir das hier gemeinsam machen?«, fragte Hannes mit einem schüchternen Unterton in seiner Stimme. »Als Brüder?«

Michel sicherte es ihm zu. Zu groß war die Neugier in seinen Augen. Also überreichte Hannes das Büchlein an seinen großen Bruder.

»Da ist die Seite mit dem Eselsohr...«, Hannes war aufgeregt. Sein kleines Herz schlug schnell und er fühlte sich, als würde er gleich abheben und einfach davonschweben. Dieses immense Glücksgefühl durchströmte ihn. Federleicht und zart fühlte es sich an. »Die musst du aufschlagen... Hörst du Michel?« Aufgeregt zupfte Hannes an der kurzen Hose, die sein Bruder trug. Sie stach sich farblich mit den Strümpfen, die bei Michel nicht mehr ganz bis zu den Knien reichten.

»Lang und dürr, dieser Bub«, pflegte die Mutter immer zu sagen.

»Das wird wohl ein Rätsel sein. Vielleicht ein Hinweis auf einen Schatz?«, meinte Michel. Seine blaugrauen Augen huschten über das Papier. Ein Lächeln formte sich auf den vollen Lippen. Hannes dachte manchmal, dass sie dauerhaft geschwollen waren. Ein komischer Gedanke!

»Ich will auch mal sehen«, mischte sich Jörg ein. Der Mittlere war ungeduldig. Zumindest in manchen Situationen. Mit seinen Fingern versuchte er das Buch zu berühren und es Michel aus der Hand zu nehmen. So sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht. Da half es nicht einmal, als er sich auf die Zehenspitzen stellte. Jörg war einfach zu klein, das Gegenteil seines großen Bruders. Dürr war er trotzdem. Das waren sie alle drei. Im Allgemeinen sahen sie sich ziemlich ähnlich. Könnten glatt als Drillinge durchgehen. Das war es zumindest, was die Mutter immer sagte.

Die Sonne schien gnadenlos auf die hellblonden Haare von Hannes und seinen beiden Brüdern. Michel trug die Haare etwas länger als Hannes und Jörg. So wirkten ein paar seiner schimmernden Strähnen wie goldenes Stroh.

»Ich habe das Büchlein gefunden.« Stolz durchflutete Hannes. Die Betrübnis hatte er längst vergessen. Das hier musste etwas sein. Dieses lederne Teil, in das ein schlichtes Muster aus kleinen Rauten eingearbeitet war, der Schlüssel zu etwas. Vielleicht zu den restlichen Silbermünzen oder doch gar einer ganzen Truhe voller Edelsteinen.

Doch Michel grinste nur breit und klappte das Büchlein wieder zu.

»Wir sollten bis zum nächsten Sommer warten. Dann kannst du selbst lesen, was da geschrieben steht«, neckte er Hannes. Dazu streckte er ihm die Zunge raus.

»Das ist gemein«, mischte sich Jörg ein. »Der Kleine macht sich doch sicher gleich vor Aufregung in die Hose«.

»Ich bin nicht klein.« Hannes stemmte die Hände in die Seiten. Das hatte er vom Vater abgeschaut. Sein Blick war trotzig, fast wie von einem vierjährigen Kind.

»Wenn du es haben willst, dann hole es dir doch«, kicherte Michel.

Er rannte jauchzend davon. Das Büchlein fest in seiner Hand. Hannes rannte ihm hinterher, aber der Abstand zu seinem Bruder war einfach zu groß.

»Lass das endlich«, schrie Hannes ihm hinterher. Er hatte keine Chance. Der Älteste war wieder so gemein.

»Es klingt tatsächlich nach einem Rätsel«, offenbarte Michel ergeben und gesellte sich wieder zu Hannes und Jörg. Bedächtig blätterte er die Seite mit dem Eselsohr auf. Jetzt drückten sich Hannes und Jörg von beiden Seiten gegen den Ältesten, als dieser mit dem Vorlesen begann. So schnell war der Zank untereinander wieder vergessen.

»Im Schein der Fackel wirst du es erkennen. Nur, wer suchtet, der wird entdecken.

Ein Ort so geheim und doch nicht vor der Welt versteckt.

Gib acht auf die grünen Gefahren. Ihnen musst du strotzen.

Dann wirst du finden, was du zu suchen vermagst.

Der erste Stein wird dir den Weg zeigen. Und dich zu ungeheuren Schätzen tragen.

Im Schein der Fackel wirst du es erkennen.«

Noch immer hallten die Worte, die Michel gerade vorgelesen hatte, in Hannes Kopf wider. Er suchte die Blicke seiner Brüder. In den vier Augen lag so viel Neugier.

Michel legte das Büchlein wieder zurück in Hannes Arme. Sachte fuhr der Junge über den Einband und das Muster der Rauten nach. Langsam gewöhnte er sich an das raue Material. Genauso an den Geruch. Alter Schinken war wohl passend! Jetzt verstand er auch, warum die Mutter manche Bücher grummelnd aussortiere und dabei diese beiden Wörter murmelte. Obwohl er nicht einmal annähernd wusste, wie dieser roch.

»Wie sieht's aus. Habt ihr Lust auf ein Abenteuer?«, fragte Michel verschmitzt.

↼⇁

Nach Hause wollte Hannes nicht, aber der Hunger trieb ihn dorthin. Außerdem musste er mit seinen Brüdern darauf warten, dass es endlich Nacht und somit dunkel wurde. Nur so hatten sie eine Chance. Eine Gelegenheit, den Schatz zu bergen, der sich irgendwo bei der Ruine verbarg. Ein paar Stunden nach dem Abendessen schlich sich Hannes mit seinen Brüdern aus dem Haus. Die Mutter schlief schon längst, der Vater war wie üblich in seinem Arbeitszimmer und in seinen Zahlen vertieft.

Hannes umklammerte die Taschenlampe, die er letztes Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Jörg und Michel hielten ihre eigenen in den Händen. Mutig sprang er von seinem Fahrrad. In der Dunkelheit der Nacht sah die Ruine des alten Wachturms düster und unheimlich aus. Mehrere Schatten zogen sich von ihm aus und über den Rasen hinweg. Hannes schluckte schwer. Sein kleines Herz raste unheilvoll in seiner Brust. Auch die Brüder sahen ziemlich verängstigt aus. Die blonden Haare färbten sich in der Dunkelheit eher schwärzlich. Ihre Schatten bauten sich vor ihnen als meterlange, dünne Kreaturen auf. »Die Fackeln haben wir schon... Nur etwas moderner...«, meinte Michel tapfer und streckte seine Taschenlampe in die Höhe. »Der erste Stein wird wohl der große Felsen sein, der am Eingang, zwischen den beiden Sträuchern liegt. Ich denke, all das hat einmal zu dem alten Wachturm gehört. Die alte Frau Meyer aus der Apotheke erzählt ja auch immer, dass neben dem Wachturm einmal ein Schloss gestanden haben soll. Allerdings wurde dieses im Bauernkrieg so zerstört, dass nur noch einzelne Steine zurückblieben.«

»Was wohl die grünen Gefahren sein sollen?«, mischte sich Jörg ein.

»Das Gras«, schlug Hannes vor.

»Aber Gras stellt doch keine Gefahr dar«, meinte Michel. »Wie oft bist du über die Halme gesprungen. Haben sie dir jemals wehgetan oder geschadet?«

Hannes überlegte. Michel hatte recht. Das Gras war harmlos. Er liebte es sogar. Wie oft hatten sie darauf gesessen und nie war ihnen etwas zu gestoßen. Mal abgesehen von den Insekten, die sich darin tummelten.

»Vielleicht das Efeu?«, rätselte Jörg. »Es könnte doch sein, dass wir dessen Weg die Mauern hinauf, verfolgen müssen.«

»Aber wie kommen wir ganz nach oben?«, fragte Hannes. »Da gibt es keinen Weg und nur der Wind könnte uns dort hintragen«.

»Vielleicht sind auch Aliens gemeint«.

Hannes und Jörg schauten Michel an und grinsten los. Der Älteste war manchmal total durchgeknallt.

»Und bestimmt hat eines dieser Männchen den Schatz versteckt«, machte sich Jörg lustig.

»Ich dachte ja nur...«, brummte Michel. »Immerhin sind die ja auch grün. Das denke ich zumindest.«

»Vielleicht ist das Unkraut gemeint...«, grübelte Hannes laut.

»Das hatten wir doch schon«, seufzten Jörg und Michel im Einklang und verdrehten dabei die Augen.

»Nein...«, sagte Hannes aufgeregt. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. »Ich meine nicht das Efeu, was zwischen den Gemäuern wuchert. Ich dachte eher an die Brennnesseln, die hinter dem alten Wachturm wachsen. Dort sind früher bestimmt nur die tapfersten Ritter entlanggegangen. Sicher ein gutes Versteck für einen Schatz. Aber ich verstehe die Gefahr nicht ganz. Mama hat mir mal erzählt, dass es sehr juckt, wenn man eine solche Nessel streift. Stimmt das?«

»Oh ja. Das juckt echt wie bescheuert«, bestätigte Michel die Frage des Jungen.

Kurzentschlossen nahm Hannes beide Brüder an der Hand. Da er in der Mitte lief, waren es nur noch die Taschenlampen der Großen, die ihnen den Weg leuchteten. Seine steckte schwer in der Hosentasche. Aufregung war ein treuer Begleiter. Aber sie waren zusammen. So schlimm würde es schon nicht werden. Die Tatsache, einen Schatz zu entdecken, trieb Hannes voran.

Hinter dem alten Wachturm wucherte der Brennnessel überall. Er bereute es, dass er noch immer seine Shorts trug. Aber der Wind in der Nacht war still und eine angenehme Wärme lag in der Luft. Mit etwas Abstand folgte der Junge seinen Brüdern, die schon tapfer durch das Unkraut wateten. Immer wenn eine der Brennnesseln seine Beine oder Arme streifte, kam ein leises, schmerzerfülltes Keuchen von Hannes' Lippen. Viel schlimmer war das Jucken. Es kam ohne Ankündigung und trieb dem Jungen die Tränen in die Augen.

»Ich schaff es nicht weiter«, hörte er sich rufen. Die Tränen rannen in seinen geöffneten Mund. Schnell schluckte er die salzige Flüssigkeit hinunter. Es war schon unangenehm genug.

»Du hast es gleich geschafft«, vernahm er Jörgs Stimme. Sie war nah und im Lichtkegel der Taschenlampe erkannte er, dass sein Bruder nur ungefähr zwei große Schritte von ihm entfernt wartete.

»Das gibt es nicht«, hörte er plötzlich Michel rufen. Da war so viel Euphorie in der Stimmlage seines Bruders. Die letzte Brennnessel spürte Hannes gar nicht mehr, weil er so aufgeregt und voller Vorfreude, war. Auf Jörgs Wangen sah er Spuren, die seine Tränen dort hinterlassen hatten.

»Meine Beine und Arme brennen auch wie verrückt...«, tröstete Jörg ihn. »Wir sollten uns anschauen, was Michel entdeckt hat. Nicht, dass er mit all den Silbermünzen davonläuft.« Hannes und Jörg liefen auf den Bruder zu, der auf einem Flecken Gras vor einer Truhe kniete. Jetzt standen sie wieder auf einer Wiese. Die grüne Gefahr war gebannt. Im Lichtkegel der Taschenlampe erkannte er einzelne Steinbrocken einer Grundmauer. Der Zahn der Zeit nagte an ihnen. Dunkelgrünes Gestrüpp schlang sich einnehmend um die Brocken.

»Hat hier das Schloss gestanden?«, fragte Hannes aufgeregt.

»Die alte Frau Meyer erzählt immer die Wahrheit«.

»Michel hat sich verliebt«, neckte Jörg den Großen.

»Was ist verliebt?«, fragte Hannes sofort.

»Das ist nicht wichtig«, versuchte Michel sich rauszureden.

»Das ist, wenn man ein Mädchen gerne hat und mit ihr befreundet ist«.

»So wie ich Andrea...«

»Wir haben ein Problem...«, unterbrach der Älteste das Gespräch. »Die Schatztruhe ist verschlossen und der Schlüssel ist nirgends zu entdecken«.

Hannes und die Brüder rätselten. Hatten sie etwas übersehen? Nirgends in der Schatzkarte zeigte sich der Hinweis, wo der Schlüssel zu der Truhe steckte. Sie konnten doch nicht planlos Löcher in die Wiese buddeln. Die Aussicht auf Erfolg war hier sehr gering.

So las Michel den Text ein zweites Mal, dann ein drittes Mal.

»Das ist es...«, kreischte Jörg aufgeregt. »Der erste Stein. Da wird der Schlüssel versteckt sein«.

Hannes blickte zu den Brüdern. Es war so viel Zuversicht in deren Gesichtern abzulesen. Schlagartig kippte die Stimmung, als Michel das aussprach, was Hannes und Jörg längst vergessen hatten.

»Wenn wir den Schlüssel haben wollen, dann müssen wir ein zweites Mal durch die Brennnesseln.«

»Da muss es doch noch einen anderen Weg geben«, meinte Jörg hoffnungsvoll.

Aber es war dunkel und bis zur Morgendämmerung wollten sie nicht warten.

»Ich gehe alleine«, bot sich Michel an. »Ich bin der Älteste«.

Schließlich kämpfte sich der Große erneut durch die Brennnesseln. Als er wieder bei Hannes und Jörg ankam, zeigten sich deutlich die roten Schlieren auf seinen Armen und Beinen. Die Heilpflanze war tückisch. Aber es schien, dass dem Ältesten die Schmerzen nichts anhaben konnten. Triumphierend hielt er den vergoldeten Schlüssel in das Taschenlampenlicht.

Knarzend öffnete sich die Holztruhe. Jetzt war der Moment gekommen. Gleich würde Hannes eine ganze Truhe gefüllt mit Silbermünzen bestaunen können. Selten war er so aufgeregt gewesen.

Als er endlich nah genug an der Kiste stand, klappte ihn der Mund auf. Seine Augen weiteten sich und der Atem ging stoßweise.

Es offenbarten sich ihm... Kostüme?! Moment, was hatten Verkleidungen in dieser Schatzkiste zu suchen. Das musste ein Irrtum sein. Betrübnis spiegelte sich auf Hannes' Gesicht wider.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte er Michel und Jörg, während er einen der Umhänge aus der Truhe zog. Unverkennbar das Gewand eines Ritters.

Der schwere, eiserne Mantel, der silbern und etwas bläulich im Licht der Taschenlampe glitzerte.

»Das hier wird es dir erklären«, meinte Michel und hielt ein Blatt Pergament in seiner Hand. »Es ist eine der Seiten aus dem Notizbuch... Am besten lese ich es vor.«

Kurz entstand eine Pause, in der nur das gleichmäßige Zirpen der Grillen, die in der Wiese lebten, zu hören war. Es war ein schönes, ja beruhigendes Geräusch der Natur und Hannes fielen beinahe die Augen zu.

»Meine Jungs, Ihr werdet für immer Brüder sein, egal was auch noch kommen mag. Nach diesem Sommer wird sich einiges ändern. Seit ihr geboren wurdet, hat sich jedes Jahr etwas verändert. Ihr alle drei seid größer geworden. Jedes Jahr habt ihr enorme Fortschritte gemacht. Eure Herzen sind noch so rein und vielleicht werden sie das auch immer sein. Aber das Alter entfernt die Menschen sehr oft voneinander. Unterschiedliche Interessen tun das genauso. Dieser Sommer soll euch für immer in Erinnerung bleiben. Daran erinnern, wie sehr ihr euch alle drei liebt. Und für diesen Sommer wollte ich nur, dass ihr gemeinsam ein Abenteuer erlebt, tobt und Spaß habt. So wünsche ich euch einige schöne Momente mit den Kostümen und denkt immer daran: Der wahre Schatz ist, dass ihr einander habt!

Eure Mutter«

Und so kam es, dass Hannes den restlichen Sommer mit seinen Brüdern bei der Ruine des alten Wachturms und ja auch des alten Schlosses spielte. Sie verkleideten sich täglich und stellten sich vor, sie wären Ritter, die den Gefahren der großen Dornenhecke strotzten, die das Schloss in seinen Fängen hielt. Natürlich galt es auch immer, die Prinzessin aus ihrem tiefen Schlaf zu wecken.

Die Brüder hatten ein Abenteuer zusammen erlebt. Es hatte ihre Beziehung zueinander vertieft. Alle drei hatten sich bewiesen. Michel prahlte nicht mehr so oft, dass er der Älteste und somit auch Erfahrenste war. Das Alter war nicht mehr wichtig. Jeder hatte seine Stärken, aber auch die Schwächen. Und sie ergänzten sich, wie es gerade sein musste.

Das Notizbüchlein wurde zu Hannes' ganzem Stolz. Es war der Schatz, den er endlich gefunden hatte. Vielleicht verstand er noch nicht jedes Wort, das die Mutter in ihrem Brief an ihn und die Brüder gerichtet hatte. Aber die Zeit mit seinen Brüdern war tatsächlich, wertvoller als ein paar Silbermünzen. Manchmal fragte der Junge sich, woher seine Mutter das Büchlein hatte, aber er fragte nie nach. Er behielt es fortan einfach für sich und hütete es wie seinen Augapfel. Am vorletzten Tag der Sommerferien entschied Hannes, dass seine Brüder und er etwas wie eine Blutsbrüderschaft durchführen sollten. So steckte er sich das Taschenmesser seines Vaters in die Hosentasche. Als er mit Michel und Jörg auf der Wiese saß und das Brot aß, das die Mutter morgens gerichtet hatte, schlug er den Brüdern seinen Plan vor. »Wir sollten uns ewige Bruderschaft schwören...«, ging Michel sofort auf die Idee ein. »Am besten machen wir Daumenabdrücke in das Notizbüchlein, das Hannes so liebt«.

»Eine super Idee«, stimmte Jörg zu.

Und so verewigten sich Hannes und seine Brüder in dem alten Notizbüchlein.

Die leicht gewellte Seite darin, die Hannes Tränen aufgenommen hatte, wurde noch etwas mehr... ausgeschmückt. Hannes schrieb seinen, Michels und Jörgs Namen darunter. Das hatte er an den Abenden, in denen es zu finster und unheimlich zum Spielen auf der Ruine gewesen war, gelernt.

Außerdem steckte er die lose Seite, die seine Mutter aus dem Büchlein gerissen hatte, wieder dort hinein. Diese Worte darauf waren einfach zu bedeutsam und durften nicht vergessen werden. Sie waren eine schöne Erinnerung, wohl noch viel wertvoller, wenn er sie in ein paar Jahren lesen würde.

Am letzten Tag der Sommerferien verabschiedete sich Hannes von dem alten Wachturm. Er war sich durchaus bewusst, dass dieser weiter dort stehen blieb. Seine Aufgabe war es eben, Wächter über die Zeit zu sein. Aber Hannes empfand es so als richtig. Und bestimmt war es kein Abschied für immer. Natürlich waren Michel und Jörg an seiner Seite. Gemeinsam mit ihnen blickte der Junge auf seine ersten Sommerferien zurück. Es war eine schöne Zeit gewesen und niemand konnte ihm das Erlebte wegnehmen. Dabei fiel dem Jungen gar nicht auf, dass sich das Notizbüchlein während der Fahrt nach Hause, von seinem Gepäckträger löste. Dies geschah, als er auf dem Feldweg über ein paar grobe Steine fuhr und kurz ins Straucheln kam.

Erst zu Hause bemerkte Hannes den Verlust. Natürlich wollte er gleich zurückfahren und das Buch suchen. Seine Mutter allerdings vertröstete ihn auf den nächsten Tag, da es schon ziemlich dunkel war. Am nächsten Mittag suchte er stundenlang nach seinem Schatz, aber er war nicht mehr aufzufinden und Hannes darüber tieftraurig. Seine Mutter jedoch konnte ihn trösten. Nach und nach lernte der Junge von ihr, dass es nicht immer Zeugnisse brauchte, um zu wissen, wie nahe man sich einander wirklich stand. Es genügte, wenn man die verbrachte Zeit und die Erlebnisse in seinem Herzen aufbewahrte und dort immer wieder Revue geschehen lassen konnte.

Hannes, Jörg und Michel waren Brüder.

Eine Familie.

Und genau das war der wahre Schatz!

Es war der Sommer 1966, in dem sie das erkannten.

ParlueneRose

Parluene23

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