Jetzt erst recht!
Die Ladekante des LKW fiel herab und von beiden Seiten der Ladefläche blickten die beiden argentinischen Soldaten erwartungsvoll auf die Millers.
Beide, Vater und Tochter, waren vom letzten Stück des Weges noch benommen, denn die Passagiere waren wirklich durchgeschüttelt worden. Seit der Laster die Lochblech- Strecke verlassen hatte, war es noch weniger angenehm, hinten auf den hölzernen Pritschenreihen zu sitzen. Jedes Loch in dem kaum noch vorhandenen Weg wurde durch auf- und abschaukeln, sowie ruppiges hin und her bestätigt. Hinzu kam noch ein Ohren betäubender Lärm durch die Schnallen, Ketten und die Planken am Boden. Selbst die gezerrte Plane ächzte unter dem hin und her.
Doktor George Bartholomeo Miller war der erste, der von dem Laster sprang- vorsichtig und bedacht. Auch wenn die Fahrt nur kurz war, mit einigen Minuten Fahrzeit, er musste sich räuspern und ausstrecken.
Samantha Miller folgte. George Miller hatte sich vorgenommen, seiner Tochter beim absteigen zu helfen, doch der freie Blick auf das neue Domizil lähmte ihn - gerade in dem Moment, da Samantha abstieg.
Das war es also?
Boca House?
Das soll die neue Unterkunft sein?
Die Unterkunft für Vater und Tochter Miller?
Dieses Schwein von Flagrano. Mistkerl. Dreckiger Mistkerl.
Die arme Samantha.
Auch Samantha's Gedanken kamen still hinzu, im Anblick der desolaten Hütte.
Boca House? Das ist doch kein Haus und war es vermutlich auch niemals.
Bruchbude!
Kein Wasser, keine Klo? Nicht einmal ein komplettes Dach? Keine Tür?
Welcher satistische Mensch steckt hier zwei Personen hinein?
Kaum das die Briten von der Ladefläche gestiegen waren, stieg einer der Soldaten hinauf und schob auch schon erste Sachen und Gegenstände zur Ladekante. Feldbetten, Matratzen, ein Feldklo, Spiritus- Kocher, mehrere Thermophoren- Behälter, mehrere Wasser- Kanister, zwei Schlafsäcke, Feldtisch, vier Hocker , Armee- Zeltplanen, ein weiterer Feldtisch. Mehrere Kartons und Holzkisten und die Koffer der Millers waren zuletzt noch auf der Ladefläche verblieben.
Inmitten dieser Zeitspanne des Abladens hatten die Millers die Hütte in Augenschein genommen. Ihr Entsetzen hatte sich noch nicht gelegt. Die Hütte hatte nur zwei Drittel seines Daches. Nässe, Wind und selbst der herumliegende Vogelkot hatten die Hütte unbewohnbar erscheinen lassen. Einzig und allein stand ein einzelner Schaukelstuhl in der hintersten Ecke bei einem dreckbefüllten Kaminzug. Ein altes, helles Buffet oder eine Anrichte waren links des Kaminzuges, die Türchen offen. Hier lagen Fetzen von Schafwolle zwischen einem alten, rostigen Handcutter. Mehrere Lederriemen waren dort willkürlich hingeworfen.
George Miller stolperte über einen Fressnapf für Hunde. Mehrere leere Dosen lagen auch noch umher am Boden.
Der Boden war schlichte, kalte Erde. Jemand hatte wohl nur die Fundamente für die Wände gemacht und dann- mehr schlecht als recht- einen Kaminzug geschaffen und die Mauern hochgezogen, ein Dach darauf gebracht, fertig war die Behausung der Schafzüchter damals.
Die Hütte war vermutlich seit einem Jahrzehnt nicht mehr genutzt worden.
Finster, unwirklich und unbewohnbar zeigte sich Boca House für seine neuen Bewohner.
Samantha Miller sah ihren Vater besorgt an. Doch der runzelte nur die Stirn, presste seine Lippen zusammen und machte große Augen im Angesicht von so viel Schmutz und Schutt.
„Das kann doch nur ein Scherz sein, Vater?"
„Nun mein Kind, ich denke, Flagrano hat ganz bewusst dieses Fleckchen Erde für uns Zwei ausgewählt. Er will unseren Willen brechen, uns- besser gesagt mich- gefügig machen. Dann kann er sich gut darstellen in Buenos Aires, denn ich denke, von dort bekommt er seine Weisungen."
„Aber es gibt doch internationales Recht, Vater. Das kann dieser Hauptmann doch nicht einfach so ignorieren?"
„Ich fürchte, Herr Flagrano kümmert sich einen Dreck um internationales Recht. Im Moment hat er auf den Falklands Oberwasser. Dies nutzt er schamlos und kompromisslos für seine Zwecke. Bis irgendwann einmal Leute von internationalen Organisationen hierher gelassen werden oder wir unsere Sachlage vorbringen können, kann es ewig dauern. Die einzige Hoffnung ist die, dass unser Britannien uns nicht vergisst und sich zurückholt, was Britannien noch rechtmäßig zusteht. Bis dahin? Wir werden wohl oder übel hier bleiben müssen- es sei denn, du ziehst vor Argentinierin zu werden. Ich- für meinen Teil- habe dazu nicht die Absicht. Eher werde ich...."
George Miller hört es auch- und es unterbricht seine Rede an die Tochter. Ein Jeep der argentinischen Armee bahnte sich den Weg und sein Motor röhrt vor Boca House noch einmal laut auf.
Millers treten vor die baufällige Hütte.
Leutnant Del Vella Vazalla kam schon mit gesenktem Haupt und sehr besorgtem Blick zur Hütte herüber, gefolgt von einem argentinischen Soldaten- dem Soldaten, der Montoya genannt wurde. Der Leutnant inspizierte kurz die abgeladenen Sachen, kam dann zu den Millers am Haus und warf einen Blick in die Hütte hinein.
„Ich muss nochmals für diese Unbillen um Entschuldigung nachsuchen. Ich habe meinen Befehl, den ich nicht ignorieren kann. aber ich weiß um Ihre Umstände hier, bin jedoch selbst auch zum ersten Mal an diesem unsäglichen Ort. Was ich aber tun kann, es Ihnen so erträglich wie möglich machen."
Leutnant Del Vella Vazalla und George Miller blickten sich in die Augen. Im Gegensatz zu Hauptmann Flagrano schien der Leutnant ein Mann von ehrhaften Prinzipien zu sein. Sicher- er hatte seine Befehle. Doch er war gewillt- und dies schien nicht nur eine Floskel zu sein- die Umsetzung des Befehles durch eigene, nötige und mögliche 'Hilfsmaßnahmen' gestalten zu wollen.
„Und wie, wenn die Frage erlaubt ist, wollen die dies hier"- George Miller zeigte auf die Ruine der Hütte- „erträglich machen?"
Leutnant Del Vella Vazalla trat vor seine Leute.
„Korporal Montoya? Sie und die Männer vom LKW fahren zum Lager. Bringen sie uns mehrere Holzpaletten, eine Leiter, weitere Zeltbahnen und weitere Decken hierher. Zudem Holz- und beschaffen sie auch Papier, Kohle und was man sonst noch benötigt. auch mehr Spiritus- Tabletten, um anzuheizen, und reichlich Streichhölzer oder ein paar Armee- Feuerzeuge. Die Millers benötigen auch etwas an Geschirr- besorgen sie was. Und bis heute Abend haben Millers eine funktionierende Möglichkeit zum Feuern. Prüfen sie, wenn das Dach geschlossen ist, ob der Kamin noch funktionsfähig ist."
„Ja, Herr Leutnant."
„Montoya? Ich werde sie für heute freistellen. Varga übernimmt ihren Dienst. Sagen sie ihm das!"
„Jawohl."
Mit einem Nicken des Leutnants ging Soldat Montoya zu den Soldaten am LKW und wies sie ein. Die Ladefläche wurde hochgeklappt und der LKW fuhr über einen kleinen Erdwall über das Feld hinweg los.
„Montoya ist ein verlässlicher Mann. Er wird Ihnen hier helfen- seien sie dessen gewiss. Ich muss zum Flugplatz. Aber sie sind nicht vergessen, mein Wort darauf, Herr Doktor."
„Ich danke Ihnen." – mehr brachte George Miller nicht heraus. Er hatte seine Tochter im Arm. Beide sahen aus, als hatte man ihnen alles genommen- Mitleid erregend. Doch die Worte des Leutnants gaben auch Hoffnung.
Der Leutnant nickte, ging dann zu seinem Jeep und fuhr.
„Nun Samantha. Mit so viel Hilfe hoffe ich, dass wir – genügsam, wie wir Zwei sind- vielleicht ja doch unseren Stolz und unsere Würde behalten können. Was denkst du?"
Samantha Miller drückte sich an ihren Vater und sah den Fahrzeugen hinterher.
„Wenn es nur halbwegs erträglich ist für uns, Vater, so schrei diesem ekelhaften Schuft Flagrano ein: Jetzt erst recht! ins Gesicht."
George Miller nickte.
„Das ist meine Tochter!"
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