Flagrano gegen jede Regeln
Von der Schule des Ortes Goose Green konnte man weithin blicken. Der aus Darwin kommende Weg, die Hauptstraße nach Port Stanley und den Norden- selbst große Teile der Ebene am Flugfeld, von hier beherrschte man das Umfeld bis zu den Darwin Hills. Wer auch immer hier den Zugang zur südlichen Halbinsel Lafonia und nach Goose Green erzwingen wollte- die Stellung an der Schule war im Wege.
Und Hauptmann Flagrano war hier an diesem 29. Mai 1982 derjenige, der die Kommando's gab. Wie sich alsbald herausstellen sollte, war dies für beide Seiten der Konfliktparteien- Argentinier wie Briten- etwas, was zu einem fanatischen und fatalen Ende führen musste.
Die Briten hatten das Zweite Bataillon des Parachute Regiment in der Nacht durch eine Kompanie verstärkt. da nun auch das Flugfeld in britischer Hand war, sollte das Schulgebäude unter allen Umständen von den Argentiniern gesäubert werden.
Und die waren nun gut verschanzt.
Der 29. Mai ist der argentinische Tag der Armee- sonst ein Festtag für die Truppen mit Parade und Auszeichnungsrunden. Hier - auf Ostfalkland, bei der kleinen Siedlung Goose Green ein Ort des Kampfes.
Die Reste von 11 Zug- Kampfeinheiten standen auf britischer Seite zum Kampf bereit. Unterstützt wurden sie durch schwere Artillerie.
Eingeläutet wurde der morgendliche britische Angriff nach der Waffenruhe durch drei Harrier- Flugzeuge, die einige verstreute argentinische maschinengewehr- Nester nahe dem Flugfeld aus Bordwaffen beschossen. Auch Cluster- Bomben wurden abgeworfen und Raketen eingesetzt, um diese Nester auszuräuchern.
Auch Argentinien brachte mit Hubschraubern Verstärkung heran und setzte die Truppen südlich des Flugfeldes ab. Allerdings kamen sie nicht an die britischen Stellungen- Geschützfeuer begrüßte sie dort heftig.
Ähnlich bei der Schule. Heftiges Feuer schlug auf das Gebäude aus allen Richtungen- doch Flagrano peitschte im haus die Leute zum Durchhalten und zur Gegenwehr an.
Nach fast Neunzig Minuten jedoch trat unerwartet eine Feuerpause ein.
Kurz darauf näherte sich ein Parlamentär- ausgewiesen durch eine weiße Fahne- aus einer von der Schule einsehbaren Stellung.
Flagrano kniff die Augen eng zusammen. Was wollte dieser britische Hund?
Auch die anderen Argentinier im und am Schulhaus sahen das Treiben. Hoffnung keimte bei den Soldaten hier und dort auf- Hoffnung auf eine Feuerpause, oder besser noch ein Ende des verlustreichen Kampfes. Viele waren schon verwundet- manche sogar schon mehrfach.
Blicke der Hoffnungen richteten sich auf den Briten und auch auf Hauptmann Flagrano, den man im Erdgeschoss des Schulgebäudes wusste.
Der näher kommende Parlamentär war ein junger britischer Offizier, großgewachsen und wohl auch nicht mehr unerfahren. Der Leutnant der Briten musterte mit Unbehagen die ausgebaute Stellung der Argentinier an der Schule. Fleißig schwenkte er - für jeden deutlich sichtbar- die weiße Fahne, die ihm sicheres Geleit hierher und zurück nach den Regeln der Kriegsführung versprach. Lauthals fragte er einen Soldaten am Vorposten, wo der kommandierende Offizier dieser Verteidigungsstellung zu finden sei- der Soldat zeigte zum Schulgebäude.
Mit vorsichtigem Abstand, jedoch in Rufweite und Hörweite der Schule baute sich der junge britische Leutnant mit der Fahne auf.
"An den kommandierenden Offizier dieser Einheiten- hier an der Schule. Ich bin angewiesen, Ihnen die Möglichkeit ihrer ehrenhaften Kapitulation hiermit zu geben. Ihren Soldaten und Ihnen selbst wird nach Entwaffnung Geleit in den Gefangenensammelpunkt gegeben, wo sie auch nach unseren Möglichkeiten versorgt werden. Haben sie mich verstanden?"
Flagrano fuhr sich über seinen Kinnbart und grübelte offenbar, welche Antwort oder Reaktion er geben könnte. "Ja. Ich habe sie gehört!", rief er zurück.
Dann wog er die Für und Wider ab, ohne an die vielen argentinischen Soldaten an der Schule zu denken.
Es ging nur um ihn selbst- wie immer stand nur sein Vorteil im Fokus seiner Überlegungen, was nützt Dir selbst, Flagrano. In den Händen der Briten würde man sicher schnell erfahren von den Internierten oder Dr. Miller, wie er mit Gefangenen umgesprungen war. Er, Hauptmann Flagrano, hatte das Recht mehrfach nicht nur gebeugt, er hatte es gebrochen- aus Eigennutz und Gier nach Geld und Macht. Was würde ihn erwarten? Kriegsgericht? Gerichtsbarkeit? Lange Haftstrafe und eine Anklage wegen Anstiftung und Mittäterschaft zum Mordes aus niederem Beweggrund? Egal- ob Briten oder Argentinier, er konnte nirgendwo auf gute Konditionen hoffen, war eigentlich schon für die Öffentlichkeit gestorben.
In Hauptmann Flagrano jedoch wuchs in diesem Moment ein anderer Gedanke mehr und mehr: Wenn ich schon zum Abtreten verdammt bin, dann mit Pauken und Trompeten!
Davon jedoch ahnte der unschuldige und unter dem Schutz der Parlamentärs- Fahne stehende junge britische Leutnant nichts, als er- auch ein wenig ungeduldig- nach wenigen Minuten eine Entscheidung erbat.
"Darf ich fragen, ob Sie beabsichtigen, das von mir vorgetragene Angebot der britischen Armee anzunehmen? Wie lautet ihre Antwort?", fragte der Offizier herüber zum Schulhaus.
Kurz darauf fiel ein gut platzierter Schuss aus dem Scharfschützengewehr von Hauptmann Flagrano. Ein Kopfschuss- kalt und ohne dass der britische Leutnant auch nur die Gefahr für sein Leben erahnen konnte- streckte den Briten sofort nieder. Die kleine weiße Fahne fiel auf den Boden- der junge Leutnant war sofort tot.
"Da hast Du meine Antwort!", rief Hauptmann Flagrano kurz darauf lauthals heraus.
Kurz nachdem der eine tödliche Schuss gesetzt war, waren die argentinischen Soldaten im Schulgebäude nur noch von nacktem Entsetzen erfüllt.
"Sind sie wahnsinnig geworden? Der Mann stand unter dem Schutz der weißen Parlamentärs- Flagge.", schrie ein argentinischer Soldat.
Ein anderer Mann- der ältere Soldat, der gestern noch dem Hauptmann ein Stück Brot am Abend abgegeben hatte- zuckte mit bleichem Gesicht des erstarrten Grauens, um nach seinem Maschinengewehr zu greifen. Er wollte gegen den Hauptmann die Waffe richten.
Flagrano jedoch war schneller, lud seinen Scharfschützen- Karabiner schnell nach und bedrohte die Soldaten in seinem Raum.
"Unterstehen sie sich! Sie wissen wohl nicht, wen sie vor sich haben. Ich bin Hauptmann der Argentinischen Armee. Und ich verhandle nicht über eine Aufgabe im Krieg mit dem Feind!"
Zwei weitere Soldaten kamen aus dem Obergeschoss die Treppe herunter gelaufen. Einer der Soldaten rief schon auf der Treppe: "Welcher von Euch Idioten hat den Briten erschossen? Wisst ihr nicht, dass ihr damit unser Todesurteil unterschrieben habt?" - erst jetzt bemerkten die zwei, dass offenbar der Hauptmann der Todesschütze war.
"Fabelhaft, Herr Hauptmann!", fuhr es aus dem zweiten Soldaten von der Treppe.
Ein weiterer Soldat - von außerhalb, hinter der Schule, blickte zur Tür herein, als wolle er die gleiche vorwurfsvolle Frage stellen, wie der Mann von der Treppe.
Korporal Spiros kam ebenfalls die Treppe herunter.
"Spiros? Kommen sie an meine Seite! Diese Männer haben wohl vor im Angesicht des Feindes zu meutern und überzulaufen."
Spiros tat, wie ihm befohlen, nahm dem älteren Soldaten das Maschinengewehr aus der Hand und gesellte sich neben Hauptmann Flagrano- die anderen böse musternd.
In diesem Moment begann der Feuersturm der Briten. Aus allen Richtungen, wie es schien, wurde mit allen erdenklichen Waffen, die die britische Armee hier um die Schule aufgefahren hatte, auf das Schulgebäude gefeuert.
Die Briten hatte mit ansehen müssen, wie kaltblütig der arme Leutnant hingerichtet worden war- ein Verstoß gegen jedes Recht. Eiskalt ermordet- vor den Augen vieler durch Ferngläser zuschauender Briten. Nun kannten sie kein Erbarmen mit den Argentiniern in der Schule- egal, wer den Schuss abgegeben hatte.
Maschinengewehr- Salven peitschten als erste auf das Gebäude und auch durch die großen Fenster ein.
Alle gingen in Deckung, suchten Schutz. Böse Blicke traten Flagrano und Spiros. Die Blicke sagten: Da seht ihr, was ihr angerichtet habt. Wir werden hier und jetzt alle sterben.
Neuerliche Salven. Auch Mörserbeschuss setzte nun ein und näherte sich mit den Einschlägen dem Schulhaus von Goose Green. Schwere Maschinengewehr- Garben rissen kleine Löcher in Vielzahl in die dünne Wand.
Die ersten stürzten blutüberströmt zu Boden. Auch von den äußeren Stellungen hörte man Geschrei des Entsetzens. Der Mann, der eben kurz durch die Tür geblickt hatte, fiel tödlich getroffen dort am Ausgang zu Boden.
Beschuss mit Panzerabwehrwaffen.
Schwere Einschläge folgten, ein Brand brach im Dachgeschoss aus- auch im Erdgeschoss war alles voller Qualm.
Nur sporadisch wurden hier und dort Schüsse von den Argentiniern abgegeben.
Neuerliche Salven, die durch die zerborstene Wand gingen. Neue Panzerabwehr- Geschosse pfiffen auf das Schulhaus zu.
Ein neuerlicher lauter Knall- ein Einschlag direkt dort, wo eben noch Hauptmann Flagrano geschossen hatte. Flagrano und Spiros wurden von einer gewaltigen Feuerwalze getroffen und wie Spielzeuge durch den Raum geschleudert.
Spiros war sofort tot.
Flagrano war entstellt durch die Brandverletzung. Zudem hatte die Explosion neben ihm die Rippen wie Streichhölzer brechen lassen. Er blickte auf ein Stück Holz- in Magenhöhe aus dem leib ragend. Schmerzverzerrt- ängstlich vor dem nahen erwartbaren Tot.
Neue Salven peitschten durch den Raum. Wieder und wieder.
Unerbittlich reagierten die Briten auf die Ungeheuerlichkeit. Zehn Minuten später stieg nur noch Qualm in einer Rauchsäule zum Himmel aus dem brennenden und völlig zerstörten Haus.
Das war das Ende der Kämpfe um die Schule von Goose Green.
Kein Argentinier überlebte hier.
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