Ernste Nachrichten
George und Samantha Miller waren sich also einig- sie wollten in Boca House ausharren.
Damit wollten Beide auch ein Zeichen setzen. Leute, wie Hauptmann Flagrano, sollten merken, dass Sie als Briten nicht einfach aufgeben. Und die anderen Internierten sollten dies auch sehen, dass egal, wie man mit Ihnen umsprang, dies nur noch mehr zusammen schweißte.
Die folgende Woche im April verlief ruhig.
Nur am Flugfeld herrschte reges Treiben. Man rüstete auf. Mehrere Pucara- Erdkampfflugzeuge wurden gewartet. Die Luftabwehr war rund um die Uhr in Gefechtsbereitschaft. Immer mehr Soldaten belebten das Bild dort. Einige versuchten zu zählen, wie viele Argentinier am Standort waren. Man schätzte, dass in Goose Green gut 450 argentinische Soldaten eingesetzt waren, zumeist Personal am Flugplatz. Hinzu kamen weitere 50 Soldaten, welche sich in Darwin untergebracht waren und dort mit dem Aufbau einer Stellung befasst waren und dabei wenig motiviert schienen.
Kompressoren surrten am Flugfeld von Goose Green, Schweißarbeiten fanden statt, Stellungen wurden am Nord- West- Rand der Graspisten- Startbahn ausgehoben- kleine Schützenlöcher und ein kleiner Graben.
Im Gemeinschaftshaus von Goose Green gingen die Tagesabläufe ihren normalen Gang. Dort hatten sich auch George Miller und seine Tochter über den Tag aufzuhalten. Man versuchte, sich die Zeit mit Kartenspiel oder Lesen zu vertreiben. Für die jüngeren Zivilpersonen hatte der Kommandant angeregt, eine Betreuung zu schaffen, welche in Eigenverantwortung der Internierten organisiert werden sollte. Hier brachten sich auch Charlotta Obirham und Samantha Miller mit ein, wenn die beiden jungen Frauen nicht Wasser holen mussten.
George Miller hatte- einer Ahnung folgend- seine wichtigen Forschungsunterlagen und auch die Blaupausen im Boca House versteckt. Auf die Idee dazu war er gekommen, nachdem er ein ledernes Etuitäschchen beim Aufräumen des Dorfgemeinschaftshauses gefunden hatte. So fand dieses Etui seinen Platz in dem zugestopften Mauerloch der Nordseite- zusätzlich eingeschlagen in eine graue Wollweste. Da dort am Mauerloch auch Holzpaletten vorgelegt waren, war dieses Loch kaum noch als solches zu erkennen und nur Samantha und er selbst wussten davon.
Das dies eine gute Eingebung war, wurde Doktor Miller nach einer Woche im Boca House bewusst. An diesem Tage waren die Millers, wie üblich, früh die zwei Kilometer nach Goose Green gelaufen, um dort zu arbeiten. Als Sie am Nachmittag Hauptmann Flagrano erneut Rede und Antwort zu geben hatten und erneut sein Angebot zurück wiesen, waren sie nach Boca House zurückgekehrt und hatten ihre Koffer und Utensilien durchwühlt vorgefunden.
Sowohl für George, als auch für die junge Samantha war klar, dass dies nur durch Hauptmann Flagrano und seinen Handlanger geschehen sein konnte. Flagrano schien sich über die Maßen für die Forschungsunterlagen zu interessieren. Und sollte er George Miller schon nicht auf die argentinische Seite ziehen können, so wollte er zumindest die Forschungsergebnisse für sich haben, um daraus Nutzen zu ziehen.
Leutnant Del Vella Vazalla wurde als Kommandant von Goose Green davon in Kenntnis gesetzt, schien jedoch andere Sorgen zu haben. So hatte Hauptmann Flagrano den Kommandanten gerügt, da man den Millers unübersehbare Unterstützung hatte zuteilwerden lassen. Dies untergrabe- nach dem Bekunden des Hauptmanns Flagrano dessen Bemühungen, Doktor Miller in den argentinischen Dienst zu bekommen- ja er habe verlauten lassen, dass dies an höherer Stelle vorgebracht werden würde, sodass der junge Leutnant sich sicherlich noch erklären müsse.
Die Millers harrten in Boca House aus und ertrugen ihr Schicksal. Auch dass George Miller etwas kränkelte, veranlasste ihn nicht, wegen der Erkältung um Milde nachzufragen. Die Erkältung war vermutlich das Ergebnis der körperlichen Anstrengungen. Am Tage schwitzen durch die Arbeit und Nachts in der kühlen, offenen Hütte schlafen- mit wenig Möglichkeiten die Lage zu bessern, dies musste einen Preis haben. Doch solang die Erkältung nicht zu einem Fieber wurde, wollte George Miller kein großes Aufheben darüber machen.
Es waren fast zwei Wochen, welche man nun im Boca House zubrachte. An diesem 25. April 1982 herrschte unerklärliche Aufregungen unter den Militärs. Ständig klingelte das Telefon der Kommandantur, ohne dass einer der Internierten sich einen Reim darauf machen konnte.
Charlotta Obirham und Samantha Miller hatten an diesem Nachmittag ein überraschendes „Geschenk"- anders konnte man es nicht werten- erhalten.
Korporal Antonio Montoya, der Zusehens von Tag zu Tag mehr die Nähe zu Samantha Miller suchte und beflissentlich war, auch nach seinem Einsatzdienst an seiner Technik noch nach ihr und Herrn Doktor Miller zu schauen, hatte nicht nur neue Holzscheide schon am Morgen nach Boca House gebracht- nein, mehr noch. Als er die Mädchen an der Gemeinschaftsunterkunft der Internierten traf, forderte er regelrecht mit einem Augenzwinkern auf, doch den Aufenthaltsraum der Garnison einmal durchzufegen. Hierbei könnten die zwei Mädchen sich auch der dort ausliegenden Schokoladen und Zigaretten bedienen, wenn sie möchten. So war es vermutlich auch Montoya, der die 3 Tafeln Schokolade und die zwei, fast vollständigen Stangen Zigaretten dort hatte platziert.
Die Internierten freuten sich über diese Gaben, auch wenn sie nicht wussten, woher die Dinge stammten. Nur der ältere Mann, Carlos Del Piero, nickte wissend den Mädchen zu, als auch er zwei Päckchen der Zigaretten für sich erhielt.
Als Samantha sich mit ihrem Vater George Miller anschickte, wie jeden Abend vor dem Abendessen der Unterkunft zurück nach Boca House zu gehen, um dort zu essen und den Abend zu verbringen, da wurden Beide durch eben diesen Carlos Del Piero kurz zurück gehalten.
Während Doktor Miller einige Brotscheiben in die Jacke gestopft bekam, tuschelte der Alte, dass es nun sicherlich nicht mehr allzu lange auszuharren gibt. Die Briten sind auf der Insel Südgeorgien eingetroffen und werden dir Insel wohl alsbald zurück erobert haben. Dies habe er über einen Mittelwelle- Radiosender eines kleinen Transistor- Radios der Argentinier heute am Flugfeld mitgehört.
Man überlege zudem in der Kommandantur, die Internierten nun nicht mehr zu Arbeiten heran zu ziehen, da man mit Diversionshandlungen, Sabotagen an Flugzeugen und Geräten, ja alsbald sogar mit offenen kriegerischen Handlungen auch hier auf den Falklands zu rechnen habe. So zumindest habe es der Kommandant in einem Telefonat mit dem Stab von General Costa Menendez heute dargelegt. Hierzu stehe noch eine Entscheidung aus.
Die Gedanken der Millers kreisten nun um das, was da erwartbar kommen könnte. So blieben die Millers lange wach, redeten viel.
Auch über Boca House.
Es war gefährlich hier draußen- so weit ab von der Interniertenunterkunft. Musste man sich scheuen, noch Feuer anzumachen?
Zwei Tage darauf war es wieder Antonio Montoya, der mit einem Jeep des Flugplatzes herangebraust kam. In Ruhe blickte er sich in diesen Morgenstunden an Boca House um, bevor er sich anschickte, die Holzscheide vor die Tür der Hütte wieder zu stapeln- ohne die Bewohner der Hütte, die Millers, stören zu wollen.
Samantha hatte jedoch die deutlichen Motorengeräusche gehört. Auch ihr Vater war in seinem Schlafsack schon wach, jedoch wollte er noch nicht in die Kälte hinaus und aufstehen wegen seiner Erkältung.
Da Samantha mit Sachen im Schlafsack gelegen hatte, war sie nun schnell am Eingang, nachdem sie aufgestanden war.
„Antonio? Sind Sie es?"
„Ja Fräulein Samantha. Ich wünsche Ihnen einen Guten Morgen. Auch ihrem Vater."
„Danke. Auch für das Holz."
Montoya stapelte die Holzstücken weiter. „Fräulein Samantha? Benötigen Sie noch etwas? Kann ich es Ihnen hier noch in irgendeiner Form angenehmer machen?"
„Danke Antonio. Wir sind noch gut versorgt. Doch erlauben Sie mir eine Frage? Sie müssen nicht antworten, es könnten ja Geheimnisse sein?"
Antonio Montoya hielt inne. „Fragen Sie, Fräulein Samantha. Sie wissen doch, Ihnen kann ich nichts abschlagen."
Samantha Miller nahm all ihren Mut zusammen. „Stimmt es, dass die Briten schon in der Nähe sind? Südgeorgien? Wird dort noch gekämpft?"
Der Argentinier blickte sich forschend um, doch hier an Boca House bestand keine Gefahr belauscht zu werden.
„ Die Kämpfe auf Südgeorgien sind beendet. Die Briten haben es zurück erobert- es ist von ihren Soldaten eingenommen worden." Als Montoya dies eingestand lag eine gewisse, erkennbare Schwere in seiner Stimme.
Auch George Miller zeigte sich nun interessiert und erschien an der offenen Tür von Boca House. Die dort festgenagelte Wolldecke gegen den Wind schob er mit dem linken Arm bei Seite, um auch den Korporal der Argentinier sehen zu können.
„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen dies sagen darf, Herr Doktor, aber wir sind in höchster Alarmbereitschaft. Da der britische Flottenverband schon sehr nahe ist, wird meine Regierung wohl auch schon bald eine militärische Blockade um die Malvinas- Inseln bekannt machen. Es wird sicherlich bald in erste Kämpfe zur See gehen."
„Dann wird es wohl auch hier zu Kämpfen kommen?", fragte George Miller nach.
„Vermutlich. Irgendwann.", bestätigte Antonio Montoya kleinlaut.
„Und Sie, Antonio? Wir könnten ein gutes Wort für Sie einlegen.", Samantha Miller wollte Antonio Montoya zeigen, dass sie dessen Hilfsbereitschaft gegenüber ihnen selbst und zudem auch gegenüber den Internierten in irgend einer Weise honorieren würde- sollte Montoya in einem erwartbaren Kampf gefangen genommen werden.
Montoya wollte nichts hierzu sagen. Dennoch floh ein „Danke." aus seinem Mund. Hatte Montoya sich damit abgefunden, dass Argentinien mehr als sein Ansehen verlieren konnte bei einem offenen Kampf hier auf der Insel?
„Montoya?" George Miller wollte eine Option aufzeigen. „Sie müssen hier nicht den starken Mann spielen. Wenn unsere Briten kommen, so spielen sie bitte nicht den Helden."
Antonio Montoya nickte verstohlen. Er hatte verstanden, was George Miller da forderte: Gib auf, wenn die britischen Soldaten kommen und bekämpfe sie nicht noch!- dies sagte Doktor Miller da grade zwischen den Zeilen.
„Wir werden sehen, Herr Doktor. Doch muss ich auch meine Pflicht gegenüber meinem Land erfüllen. Ich habe dazu einen Eid geleistet!"
„Hmm. Ich meine ja nur. Versuchen sie zu überleben. Werden sie Lehrer! Englisch und Geschichte- sie wissen, was ich damit sagen will?"
„Ja, Herr Doktor."
Montoya hatte seine Güter abgeladen. Er klopfte sich einige Holzspäne von der Uniform. „Ach ja, bevor ich es vergesse Ihnen zu sagen. Der Kommandant bittet Sie, dass sie vorerst hier in Boca House ausharren. Es könnte gefährlich sein, herüber zu gehen nach Goose Green. Er möchte klären, ob sie hier zwingend bleiben müssen oder zurück in die sichere Unterkunft dürfen- sie Beide."
„Wir danken Herrn Del Valle Vazalla, richten Sie ihm dies bitte aus."
„Antonio?", fragte Samantha nach. „Welche Gefahren sehen sie denn?"
„Vielleicht Ihre eigenen Leute. Das Flugfeld ist ein wichtiges Ziel sicherlich. Sollten ihre britischen Piloten dort Bomben auf das Flugfeld abwerfen, so sollte dort eine charmante, junge Frau nicht auf dem Weg sein."
Samantha Miller verstand- auch, dass Antonio Montoya immer noch – sogar unter den Augen und Ohren ihres Vaters- ganz offensichtlich charmant zu ihr sein wollte. Und wie es schien, tolerierte es ihr Vater sogar mittlerweile. Hatte George Miller damit eingestanden, dass Antonio Montoya doch ein anständiger junger Mann war? Vielleicht.
Einen Tag später erklärte Argentinien ebenfalls eine 200 Seemeilen Blockadezone um die Malvinas öffentlich.
Am Tag darauf, den 30. April, stellte sich die Großmacht USA offiziell hinter Großbritannien. Großbritannien seinerseits machte das ausgewiesene Sperrgebiet nunmehr zu einer totalen Blockadezone, damit zum Kriegsgebiet.
Doch davon erfuhr die Familie Miller in Boca House vorerst nichts.
Das einzige Feuer in der ausgekühlten Hütte kam nur von den kleinen Flammen der Spiritus- Tabletten, die den kleinen Kocher die Dosensuppen aufwärmen lies.
Aus Vorsicht unterblieb ein Kamin- Feuer.
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