Donnergrollen über den Falklands
Es klang wie ein dumpfes Grollen, dass über die Ebene an diesem 1. Mai 1982 klopfte.
Sowohl George Miller als auch seine Tochter suchten, sich schnell aus ihren Schlafsäcken zu entwirren und den Schichten der Wolldecken zu entfliehen, um vor die Hütte zu kommen.
Auch wenn Port Stanley gut achtzig Kilometer von hier entfernt war, so konnte man einschätzen, dass dieses Donnergrollen über Ostfalkland wohl von dort kam.
Mehrfach und kurz aufeinander folgend- Hwup! Wup! Hwup!- verschluckte sich die Luft trotz des rauen, leichten Windes, der über die Ebene strich.
Samantha fasste ihren reglos auf den Horizont blickenden Vater bei der Hand. Mit der anderen Hand versuchte Samantha Miller die Wolldecke wieder über die Schultern zu ziehen, um sich so vor dem Wind und seiner nächtlichen Kühle besser zu schützen.
Und wieder donnerte es von dort- aus Richtung Port Stanley- dumpf durch die Nacht, welche sich anschickte zum Tag zu werden.
Hwup! Wup! Wup! Hwup!- folgten grollende, dumpfe Töne.
Beide Millers blickten zum Horizont, als könnte man dort etwas wahrnehmen. Ein Lichtschein vielleicht? Lichtschein von den Explosionen? Vielleicht Flugzeuge? Begann vielleicht dort um Post Stanley bereits eine Anlandung der britischen Truppen heute? So schnell schon?
Auf der Graspiste von Goose Green Airfield- so nannten die Briten die argentinische Behelfsbasis hier, die mehr improvisiert als organisiert schien- herrschte Betriebsamkeit.
George Miller hatte die von dort kommenden Motorengeräusche der Flugzeug- Triebwerke gehört und blickte nun auch dorthin.
„Sie sind hektisch, Samantha. Sieht so aus, als wenn sie zwei Maschinen zum Abheben bekommen wollen- die andere Maschine dort wird erst noch betankt, wenn ich das richtig sehe."
„Werden sie angegriffen?"
„Keine Ahnung. Vielleicht? Ich denke jedoch, sie sind einfach nur überrascht. Versuchen noch, Flugzeuge für Abwehrmaßnahmen in die Luft zu schaffen."
Hwup! Wup! Wup! – erneut übertönte eine Folge grollender Geräusche die Geräusche der Triebwerke vom Flugfeld. Und erneut aus Richtung Port Stanley. Dann herrschte dort Ruhe.
Andauernde Ruhe.
Immer noch herrschte Hektik- die zwei Maschinen starteten mit Getöse in die Luft und gewannen schnell an Höhe. Hinter Goose Green zog die erste Maschine eine weite Schleife , die zweite Maschine war später gestartet und versuchte, den Anschluss zu finden. Deutlich konnte man die Triebwerke in der Dunkelheit zueinander finden sehen. Sie jagden in Richtung Port Stanley davon.
Dort jedoch- grollte nun nichts mehr.
„Hmm. Ruhe im Raum Stanley!", erklärte George Miller seiner Tochter. „Komisch."
„Wieso?"
„Ein Bisschen wenig Geballer für die Eröffnung einer britischen Landung. Ich schätze mal, die Briten haben das Flugfeld angegriffen. Der Flugplatz ist für die Argentinier lebensnotwendig. Nachschub, Truppen, Versorgung vom Kontinent- das läuft doch alles über Stanley, oder?"
Samantha zuckte mit den Schultern. Vielleicht hatte ihr Vater Recht? Bestimmt sogar.
„Sollten wir vielleicht nach Goose Green gehen? Vater? Wäre es dort vielleicht sicherer für uns?"
George Miller schaute sich um- auch in Richtung der Sundenge, der flachen Erhöhung der Darwin Hills, die etwas nordöstlich von hier waren- jedoch nicht als klassische Hills anzusehen waren. Was erhoffte Vater dort in der Ferne zu erspähen?
„Vater?"
„Ja, Kind. Ich weiß nicht, was hier richtig wäre. Wir sollten aber erstmal hier bleiben. Finde ich jedenfalls. Und wir sollten Augen und Ohren offen halten."
George Miller blickte seine Tochter an.
Mit ernsten Gesicht fügte er hinzu: „Ich denke, die argentinische Zeit auf den Falklands neigt sich absehbar ihrem Ende zu."
Wie Recht er damit hatte spürten am gleichen Tag gegen Mittag auch die Argentinier auf dem Flugfeld von Goose Green.
Einige britische Sea- Harrier- Maschinen der Royal Navy fegten über den Platz. So schnell, wie sie nahe Goose Green aus dem Nichts über dem östlichen Sund auftauchten, so schnell waren sie auch wieder verschwunden.
Auch jetzt war George Miller aus der Hütte Boca House heraus getreten- angelockt von dem Lärm. Allerdings wies er mit einer Handbewegung zu Samantha an, dass Sie im Schutz der inneren Hütte zu bleiben habe. Ein fester, fast böser Blick des Vaters gab dem Nachdruck.
Doch die Luftabwehr am Flugfeld erhob ihre überlaute Stimme sofort als der erste Überflug erfolgte. Zwischen das 'Brrrt, Brrrt, Brrrrrt' der Zwillingsflak- Geschütze, für welche ja Antonio Montoya mit eingeteilt war, kamen auch mehrere 'Zisch. Zisch'- Geräusche mehrerer argentinischer Tiger- Cat- Raketen, die zusätzlich die Luftabwehr unterstützten und mehrere 'Kawoom, Kawoom!'der schweren Luftabwehr- Geschütze, die sich behäbig in die Geräuschkulisse mit einordneten.
George Miller ging am Hauseingang ein wenig selbst in Deckung- er blickte nur vorsichtig nach oben.
Dumpfes knallen war dann gleich mehrfach vom Flugfeld her zu hören. Der Boden der Hütte erbebte förmlich darunter. "Buusch, Wuuusch, Wooomm"- erhalten die Explosionen die ganze Umgegend, die bislang seit dem ersten Mai kaum gestört schien und ein Hort der Ruhe war.
Mit einem "Wou, Wou, Wou!", zog nun auch George Miller den Kopf ein und bewegte sich im Entengang geduckt nahe dem Boden der Hütte, als könne er hier im Gebäude noch gesehen werden.
Nach diesen größeren Explosionen und einer weiteren, verspäteten großen Explosion folgten mehrere kleinere Explosionen, die dem Anschein nach als Zwillinge erfolgten. Zwei- drei- vier- Zwillingsexplosionen am Flugfeld. Dann mehrere unorganisiert wirkende kleinere Explosionen oder Verpuffungen, wie es den Anschein hatte.
Die argentinische Luftabwehr bellte hastig weiter ihre Melodie, um die dahinjagenden Briten abzudrängen.
Doch deren Flugzeuglärm und das Dröhnen der Triebwerke der britischen Sea Harrier - Flugzeuge wurde jetzt wieder leiser. Aber gleichbleibend leiser. Die Luftabwehr wurde am Flugfeld nun leiser- monotoner. Nur die Zwillings- Flak- Geschütze der "Batterie Montoya", wie Vater sie einmal nannte, rasselte den davonjagenden Kampfjets ihre Munition hinterher, bis auch sie verstummte.
Zwei Knallgeräusche- ähnlich einzelner Schüsse- waren vom Flugfeld zu hören.
Zudem schien sich auch das Gewieher eines fliehenden, verstörten Pferdes in den Lärm außerhalb der Hütte hinein zu mischen.
Und wieder war jetzt gegen Mittag nun auch ein dumpfes Grollen aus Richtung Stanley zu hören- leiser als am Morgen.
Als sich die vermeintliche und trügerische Ruhe abzeichnete stellte sich George Miller wieder halb aufrecht in der Boca House- Hütte auf, wachsam zeitgleich mit aufgerissenen Augen zur Decke der Hütte blickend, als könne er Geräusche auch sehend wahrnehmen.
Samantha ließ sich nicht täuschen von seiner gespielten Sicherheit- Ihr Vater hatte- wie sie auch- absolute, tiefe Angst. Angst, von der Welle der Gefahren des Kampfes getroffen zu werden.
Niemals vorher hatte Samantha solch tiefe und schockierende Angst besessen und gespürt- ihr Leib zitterte, die Knie waren wie Pudding und ließen sich nicht bewegen, die Beine und Arme- alles schien wie gelähmt.
Eine kurze Verpuffung außerhalb der Hütte kam vom Flugfeld und - obwohl vergleichsweise harmlos gegen den vorherigen kampflärm- ließ die Millers erneut zusammenzucken.
Doch George Miller ließ die Neugier einen Blick hinaus wagen.
Der Angriff der britischen Jets war vorbei, wie es schien. George Miller stand nun aufrecht, blickte von der Tür aus zum Flugfeld. Sein Körper entspannte sich Zusehens langsam.
"Sam? Komm. Das musst du gesehen haben! Komm doch bitte!"
Samantha Miller war immer noch voller körperlicher Steifheit und Starre. Doch der Vater winkte ihr vorsichtig in dem raum zur Tür, ohne den Blick von dem Flugfeld abzuwenden. Konnte sie sich bewegen? Ja, dem Anschein nach? Es ging irgendwie.
Als Samantha auch vorsichtig vor dem Vater aus der Tür blickte, da traute sie ihren Augen kaum. Flugfeld Goose Green war mehrfach getroffen, wie Rauchsäulen belegten. Die Grasnabe brannte an manchen Stellen und der nasse Bündnis von Gras und niederen Flechten rauchte heftig. Doch nicht so sehr, wie die 4 argentinischen Kampfmaschinen, die dort am Boden zerstört waren und oelige Rauchsäulen zum Himmel schickten. Zwei Pucara's waren komplett getroffen und kaum noch als Flugzeuge erkennbar. Zudem auch eine Aermacci. Eine Zweite war am Flügel stark beschädigt- eine Explosion hatte sie auf den Rücken geworfen, das Seitenruder steckte im Erdreich. Rauch und Flammen- überall. Soldaten flitzten hektisch, ein Spritzenwagen kam schnell näher.
Der Ort Goose Green war verschont- nur hier qualmte es und nur hier schien auch die Zerstörung zu sein.
Britische Präzisionsarbeit.
Am Nachmittag anderes Grollen- wieder aus Richtung Port Stanley. Doch anders diesmal: Schneller, flacher.
Erst viel später erfuhr Samantha Miller, dass die Briten am frühen Morgen des 1. Mai einundzwanzig 450 kg- Bomben auf den Flughafen Stanley geworfen hatten, mittags 12 Sea- Harrier des Flugzeugträger Hermes Angriffe gegen Port Stanley und Goose Green geflogen hatten. Am Nachmittag hatte es zudem ein Schiff- Land- Angriff der Hafenanlagen von Port Stanley gegeben.
Ein britischer Paukenschlag!
Ein Paukenschlag, der Argentinien ernüchterte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro