Der unglückliche Held
Jedes Land braucht seine Helden- Sinnbilder für Mut, Tapferkeit und heroische Taten im Angesicht des Feindes.
Helden, die geschmiedet werden durch Propaganda.
Antonio Montoya wurde für die argentinische Nation ein solcher Held.
Und in Zeiten glücklosen Geschickes für Argentinien in diesem Konflikt schien es so, als würde der Held Montoya genau derjenige sein, den die Maschinerie der Meinungsbildung für das argentinische Volk gesucht hatte.
Ein einfacher Soldat, ein Mann aus dem Volk. Ein Soldat, der in Ausübung seiner Pflichten einen wesentlichen Beitrag leistete, indem er der erste Argentinier war, der in dieser regionalen Kraftprobe der Armeen ein Flugzeug der Briten vom Himmel geholt hatte.
Der Kommandant, Leutnant Del Valle Vazalla, bekam ungezählte Anrufe von regionalen Zeitungen zu dem Ereignis. Eigens für ein Interview und Filmaufnahmen war eine eskortierte Transportmaschine der Armee für ein Kamerateam des argentinischen Fernsehens gestellt worden. Man machte Aufnahmen von den Reparaturen am – nach Meinung des argentinischen Senders- unbeschädigten Flugfeld Goose Green, filmte das Frack der abgeschossenen Harrier- Kampfmaschine, zeigte lächelnde und zuversichtliche Soldaten- siegessicher und voller Optimismus. Ja- und zur Krönung des Beitrages wurde der Korporal Antonio Montoya interviewt, sollte schildern, wie der 'erfolglose' britische Angriff ablief und er die Maschine traf. Höhepunkt war eine kurze Einblendung von Montoya's Gruppe von sieben Mann an der Oerlikon und eine Aufnahme, wie Antonio Montoya am Zielerfassungsgerät Super- Fledermaus sitzt und die Szene nachspielt.
Bis auf diese letzte Sequenz am Feuerleitstand wurden alle Filmsequenzen in den Abendnachrichten des 05.Mai ausgestrahlt.
Sogar seine Familie hatte man kurz gezeigt.
Doch all diese Beiträge sah in Goose Green niemand. Einen Fernseher gab es hier nicht. Der Pilot eines Puma- Transporthubschraubers brachte nur die Kunde davon. Der Unterleutnant wollte dem „Helden von Goose Green" auch unbedingt die Hand schütteln und ein Foto mit Montoya und dem Kommandanten.
Auch einige höhere Offiziere, aus dem Stab in Port Stanley und auch vom Festland hatten sich zum Kommandanten durchvermitteln lassen. Aus Buenos Aires kam sogar ein Telegramm an- ebenfalls über Umwege.
Antonio Montoya wurde eine kleine Berühmtheit.
Doch wichtig war ihm dies nicht, wie es den Anschein hatte.
Im Gegenteil.
Während ihn seine Kameraden und seine Vorgesetzten in den Himmel erhoben, so schien Samantha Miller seinen Blicken nun mit ausweichenden und enttäuschten Blick zu antworten, was Antonio Montoya resignieren ließ.
Montoya hatte schon die schroffe Ablehnung von Doktor George Miller gespürt- nicht zu ihm als Menschen, nur zu seinem Dienst am Luftabwehr- Waffensystem. Und nun, da eben das eingetreten war, was George Miller prophezeit hatte, schien sich auch die junge, sympathische Samantha abzuwenden. Dies traf Montoya innerlich sehr- nicht am Stolz, eher im Herzen.
„Fräulein Samantha? Auf ein Wort? Ist das möglich?"
Samantha stellte die beiden Wassereimer im Flur ab. Als würde sie es nicht mögen, zuhören zu müssen, nahm sie eine ablehnende Körperhaltung ein.
„Fräulein Samantha, ich möchte nicht, dass sie mir grollen. Sie haben ja selbst alles erlebt- den Abschuss der Maschine. Ich möchte nur, dass sie von mir selbst hören, dass es mir leid tut- und wäre ihr britischer Pilot hier, ich würde mich auch bei ihm entschuldigen."
„Antonio, meinen sie, dass damit die Sache vergeben und vergessen ist?"
„Wir haben uns unter unsäglichen Umständen kennen gelernt. Darüber sind sie mit mir sicherlich einer Meinung. Es ist nun einmal meine jetzige Arbeit- von Pflicht gegenüber meinem Land möchte ich nicht sprechen. Dem britischen Piloten wird es sicherlich auch so gehen, dass er sich wenig Gedanken darüber gemacht hat, dass durch den Angriff vom gestrigen Tag am Flugfeld vier argentinische Soldaten verletzt worden sind. Einer von unseren Männern dort hat böse Brandverletzungen und Splitterwunden."
„Und dies soll ihre Schuld in meinen Augen mindern?"
„Ich bitte sie nur, die gestrigen Ereignisse- und die vielleicht noch kommenden- zu einseitig zu sehen. Jede Münze hat zwei Seiten."
„Aber was ich gesehen habe war schrecklich. Ein britischer Jet. Abgeschossen! Und wie sich herausstellt von Ihnen, Antonio Montoya, einem Mann, dem ich vertraut habe."
„Und dies können sie auch immer noch, Fräulein Samantha. Auch ihr Vater und die anderen Menschen hier. An meinem Wesen- ja auch an dem, was ich für Sie, Samantha, empfinde. Nichts hat sich für mich daran geändert. Ich wünschte nur, sie könnten mir verzeihen und verurteilen mich nicht."
„Ich weiß nicht ...", Samantha wirkte unentschlossen, wusste innerlich nicht, ob sie dem jungen Argentinier noch vertrauen konnte. Auch wenn er mit treuem Blick gerade eingestand, sie über die Maßen sympathisch zu finden- konnte man ihm trauen? Ihm, einem Feind ihres Heimatlandes? Einem Feind, der Mensch war, jedoch auch jetzt schon zu Beginn der Kampfhandlungen als Held der Gegner bejubelt wird? Wie soll dies gehen?
„Fräulein Samantha, wie kann ich mich Ihnen beweisen? Bedarf es eines Beweises für meine Zuneigung?"
Samantha wusste um die schwärmerischen Gefühle des Argentiniers. Doch unter den gegebenen Umständen? Ein Beweis der Zuneigung, wie es Antonio Montoya nannte? Wie sollte dies aussehen? Sollte sie ihn auffordern, seine Waffen zu sabotieren? Sie würden ihn unter dem Kriegsrecht gefangen nehmen- und schlimmeres. Unmöglich konnte sie ihm dies antun. Reicht ein kleinerer Beweis? Was kann er denn tun, er hatte hier in Goose Green nicht viel zu entscheiden.
„Können Sie für die Menschen im Obergeschoss mehr tun? Spielsachen für die Kinder vielleicht?"
„Ich könnte es versuchen. Versprechen kann ich nichts, aber vielleicht kann man über Hilfsgüter vorsprechen. Mit den Schultafeln hat es ja auch geklappt, nicht?"
„Das waren auch Sie?"
„Nun ja, ich hatte ja gesehen, wie sehr sie sich für die Kinder engagierten. Ich hielt es für einen guten Einfall. So konnten die Kinder wenigstens Malen- vielleicht sogar etwas Unterricht bekommen hier. Gerade für die Kinder ist es doch recht eintönig Tag für Tag in der Unterkunft. Und nun noch die Gefahren hier...."
Samantha Miller war überrascht. Bislang hatte sie angenommen, dass der Vorschlag von den Internierten selbst kam, oder von dem Kommandanten. Dass nun aber Montoya der Ideengeber war, hatte sie nicht gewusst.
„Entschuldigung Antonio. Ich wusste dies nicht. Und ich denke, niemand von den Leuten aus Stanley wusste dies."
„Naja, wie sie wissen, möchte ich nach meinem Armeedienst Lehrer werden. daher hat mich das große Schulhaus hier nördlich schon interessiert. Und als Ich die leeren Tafeln und die Kreise sah, da kam mir die Idee."
„Danke. Auch im Namen der Kinder. Die Idee war gut, ja unbezahlbar."
Die Tür des Gebäudes klappte, drei argentinische Soldaten kamen herein. Sie zog es wohl in die Ruheräume.
Sofort nahm Samantha ihre zwei Wassereimer auf.
Antonio's Blick schien immer noch um Samantha's Nachsicht und Gnade zu bitten. Nachdrücklich- bevor seine Kameraden da waren.
„Entschuldigung angenommen!", sagte Samantha noch leise, bevor sie so tat, als habe sie nur kurz die schweren Eimer abgestellt und sei nun in der Lage, weiter zu gehen.
Ein kurzes Lächeln des Argentiniers Montoya sagte genug- es sagte 'Danke!'.
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