Der Tot und der Teufel
Ein junger argentinischer Unterleutnant war durch die Schüsse an der linken Seite - dort wo Boca House vorher stand- irritiert. Die Angreifer waren doch nicht etwa schon an der Flanke - nahe dem Sund- Ufer durch die argentinische Reihen gedrungen? Man hätte die Briten doch sehen müssen?
Schnell hatte er aus dem Maschinengewehr- Nest die drei Mann mit sich genommen, um die Lage bei Boca House selbst in Augenschein zu nehmen.
Geduckt und nahe am Boden gingen sie hinter der Buschreihe näher- Gewehr im Anschlag, um dem Feind notfalls die Stirn zu bieten.
Verwundert stellte der Unterleutnant jedoch fest, dass dort ein kräftiger Korporal mit einem Karabiner im Anschlag stand und in Richtung des Flugfeldes auf die Ebene zielte. Bei dem Soldaten stand ein weiterer Mann- ein Offizier! Hauptmann sogar! Auch dieser Hauptmann mit dem Ziegenbärtchen blickte nicht hinüber nach Nord- Osten, wo die Briten angriffen. Er blickte ebenfalls nach Süden- Richtung Flugfeld und Goose Green. Hatten diese Zwei etwa geschossen?
Weiter ab- links aus Sicht der näher kommenden Argentinier sah man einen Körper im Gras liegen- gut 400 oder 500 Meter entfernt. Es schien jemand in Uniform zu sein.
"Verflucht, was ist hier los. Korporal? Der Brite kommt aus der anderen Richtung! Von Norden, falls sie das noch nicht begriffen haben!", plauzte es aus dem Mund des Unterleutnants hervor.
Es wirkte alles sehr seltsam, fragend sahen sich die herbeikommenden Argentinier an.
Hauptmann Flagrano hätte zu gern einen Schlussstrich unter die Angelegenheit der Samantha Miller und dieses aufmüpfigen Unterfeldwebels gezogen- jetzt jedoch fühlte er sich ein wenig ertappt. Wo dieses Fräulein Miller war, war auch zudem nicht zu sehen. Er musste umdisponieren! Das kam ihm leider nicht zu passe.
"Dieser feige Hund! Türmen wollte er! Ich habe Korporal Spiros angewiesen, diesen Feigling ins Bein zu schießen. Wir können uns nachher- nach dem Sieg über diese britischen Aggressoren um diesen Feigling kümmern, damit er vor ein ordentliches Gericht kommt. Der Feigling war mein Fahrer, hat den Schlüssel vom Jeep weggeworfen und sich davon machen wollen- weg von der Front!"
Ob man dies glauben konnte? Der Unterleutnant war sich darüber nicht sicher. Aber ein Hauptmann? Stabsdienst? Hier soweit vorn an der Kampflinie?
"Wollten Sie hier Aufklärung des Feindes durchführen, Herr Hauptmann?"
"Ja. genau! Hat man sie darüber informiert? Gut so."
"Wie dem auch sei, wir haben Boca House aufgegeben. Mein Gefechtsstand ist dort- weiter östlich, 300 Meter von hier. Hier sitzen wir alle, wie auf dem Präsentier- Teller. Begleiten sie uns doch, Herr Hauptmann. Die Scharfschützen suchen sich gern einmal einen Offizier als Ziel. Und wir brauchen jeden Mann. Die Attacke hat gerade erst begonnen."
Flagrano's Traum, doch noch an die Unterlagen zu kommen, war vorerst vorbei. Nur wenn sie die Briten erst einmal hier zurück drängen konnten, dann hatte man Zeit, nochmals in den Ruinen zu suchen. "Also gut. Bringen sie mich zu ihrem Gefechtsstand, damit ich mich über die Lage hier informieren kann. Spiros? Folgen sie mir."
"Jawohl.", brummte Spiros und warf sich den Karabiner über die Schulter. Durch den Augenwinkel jedoch suchte er nach Bewegungen- drüben in der Ebene, wo eben noch der Feldwebel lag.
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Es hatte Samantha Miller viel Kraft gekostet, den steifen Körper des Argentiniers mit in den schützenden Graben zu ziehen.
Auch Samantha schwitzte. Laufen- noch dazu Sprint um das nackte Leben- das stand nicht so oft auf dem Lehrplan. Und dann war da noch die eigene Wunde am Bein- sie blutete, jedoch nun nicht mehr so heftig. Aber dieser Schmerz! Als würde dort noch ein Fremdkörper in der Wunde stecken- tief im Fleisch des Schenkels.
"Antonio? Nun sag doch etwas." - Doch sagen kostete dem Verwundeten offenbar extrem viel Kraft. Samantha sah auch die riesenhafte Blutlache , die nun schon fast den ganzen Rücken bedeckte. Die gesamte Uniform von Antonio Montoya war durchtränkt mit seinem Blut.
"Ich glaub, ich schaff es nicht, Samantha!"
"Oh doch. Wissen sie nicht? Sie sind der Held von Goose Green! Und mein Held- das sind sie auch gerade geworden. Das werde ich Ihnen nie vergessen."
"Häh. Ich glaube Ihnen, Fräulein Miller."
"Sam- für Dich. Oh Antonio- du bist vollkommen zerschunden. Das sieht böse aus!"
"Sam? Hör zu- und dann mach, was ich dir sage! Krauch hier im Graben - hin zur Straße. Halt dabei den Kopf unten- unbedingt! Dann suchst du im Gemeinschaftshaus diesen Sergeanten Varillo und erzählst ihm, wie es sich zugetragen hat. Lass Dich zu den Internierten bringen und dort- nur dort versorgen! Dort hast du den meisten Schutz, falls dieser Hauptmann nach Dir suchen sollte. Dein Vater ist auch dort. Sagt allen, was geschehen ist! Beeil Dich, los. Nimm alle Kraft zusammen. Los!"
Weinend verabschiedete sich Samantha Miller von dem Verwundeten. "Ich werde es tun! Ich schicke dir Hilfe, ja?"
"Und Sam?"
"Ja?"
"Nur falls wir uns nicht wiedersehen- ich glaube, ich bin ein wenig in dich verliebt. Und denke daran, Sam: Englisch- und Geschichte !", dann blieb Antonio Montoya reglos liegen- mit weit geöffnetem Mund, aus dem auch etwas Blut zu kommen schien.
Weinend- auch wegen dieser Offenbarung des jungen argentinischen Soldaten- noch einmal einen letzten Blick zurück gebend, drückte sich Samantha Miller auf dem Boden vorwärts. Kriechend, auch wo es der kleine Graben zuließ, gebückt oder auf allen Vieren.
Die Kämpfe an den Darwin Hills waren nun am späten Vormittag im vollen Gang. Salven, Schüsse- hier und dort auch Granateneinschläge auf den Hügeln hinter sich- Samantha hatte nur noch ein Ziel: Hilfe für sich, und wenn dies noch nötig war auch für Antonio Montoya. Und den Vater dann schnell wiedersehen.
Kurz Pausierte sie - nahe der Straße, die den kleinen Anstieg hinauf zum Dorfgemeinschaftshaus führte. Vielleicht noch 500 Meter! Sie riss sich zusammen- blickte sich kurz in alle Richtungen um, dann entschied sie sich so schnell sie konnte diese Distanz im humpelnden Laufen hinter sich zu bringen.
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Etwa zu der gleichen Zeit schloss Antonio Montoya seinen Frieden mit Gott und all den Menschen, die ihm wichtig waren. Er starb allein in einem Erdgraben auf den Falklands, egal ob sie nun östliche Malvinas zu nennen waren.
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"Dort Drüben! Spiros sehen sie die Briten dort? Die versuchen es am Sund entlang!" Flagrano hatte das Gespenst des Kampfes nun umfasst. Trotz innerer Angst vor dem direkten Kampf mit dem Feind- jetzt musste er um sein Leben selbst kämpfen.
Korporal Spiros bewies einmal mehr, dass er ein guter Schütze war. Ein Brite wurde verwundet- die anderen Briten wurden sofort zur Deckung gezwungen.
Doch waren andere Briten nun schon nahe Boca House. Auch drängten die britischen Soldaten massiv auf die östlichen Darwin Hills. Ein Funkspruch kam an, den der Unterleutnant quittierte.
"Herr Hauptmann? Die Briten haben die Darwin Bay umfasst und sind bei Boca House- wo sie vorhin noch waren. Wir müssen uns hier zurück ziehen! Geht nur zu Fuß! Richtung Goose Green wäre es am besten. Mein gesamter dritter Zug- oder was davon noch am Leben ist und die Reste der C- Kompanie setzen sich dorthin ab. Die Briten wollen bestimmt das Flugfeld! Damit haben wir jetzt- und nur jetzt- gute Chancen halbwegs geordnet zurück zu weichen. Ich befehle gleich einige Leute an die zwei östlichen MG's- zum Feuerschutz! Die Briten gehen am Sund schlau vor, setzen auch Panzerabwehrwaffen ein.", mehr brauchte der Unterleutnant nicht zu sagen.
'Verloren!', dachte sich Flagrano.
"Herr Unterleutnant? Dann kommen wir mit Ihren Männern!"
Der Unterleutnant, vor dem gerade ein Querschläger in den Dreck des schützenden Walles einschlug und Erde aufwarf, nickte kurz mit zugekniffenen Augen, dann gab er über Funk mehrere Anweisungen, die nur eines aussagten- Rückzug!
Dreizehn Uhr räumten die Argentinier die Darwin Hill- Stellung. Eine halbe Stunde danach hatten die Briten die Gegend um Boca House endgültig in ihrer Hand.
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