Bewertung und Internierung
Erst Ende des dritten April huschte ein flinker Trupp argentinischer Soldaten durch das Werkgelände und dann an den kleinen Hütten dahinter entlang. Doch die Soldaten schienen entspannt- nicht so, als müsste man jeden Moment mit einem hinterhältig ausgeführten Streich rechnen oder eine subversive SAS- Kampfeinheit nieder ringen.
Kurz dahinter folgte ein weiterer Trupp. Diese Soldaten schienen andere Aufgaben zu haben- Kampf mit Papier und Stift.
Zu Dritt klopfte man auch an der Hütte der Millers.
"Entschuldigung! Wir sind von der argentinischen Armee. Unsere Aufgabe ist es, Ihre Personalien zu erfragen und zu bewerten, ob sie geeignet erscheinen, argentinischer Staatsbürger zu werden.", sprach der junge Soldat mit der Schreibklatte und dem Füller, ein Formular vorzeigend, in guter englischer Sprache.
Fragend blickte George Miller den Mann und dessen Geleit an.
"Sie wollen doch ein Bürger von Puerto Rivero werden, hier in der vierundzwanzigsten Provinz der argentinischen Republik?", fragte der Soldat nunmehr nach, da Dr. Miller nun noch weniger zu verstehen schien.
Daher begann er seine Vorstellung auch in spanischen Worten zu wiederholen.
George Bartholomeo Miller unterbrach den Soldaten. "Ich hatte sie schon verstanden, nur nicht, was sie hier von mir wollen. Meine Tochter und ich sind Briten und wir werden es auch bleiben. Und nun erlauben Sie mir bitte einige Fragen. Was ist Puerto Rivero? Kann ich mit meiner Tochter wieder sicher in den Ort? Kann ich zurück zur Falkland- Insel- Gesellschaft? Und falls dies nicht möglich sein sollte, wie können mein Kind und ich zurück nach Großbritannien gelangen?"
Die drei Soldaten sahen einander an. Dann betrachteten sie die beiden Millers.
"Stanley heißt jetzt Puerto Rivero und die Amtssprache ist nunmehr spanisch, guter Mann. Ihr Gouverneur Hunt und die englischen Marines wurden noch gestern abend nach Uruguay ausgeflogen. Ihre Gesellschaft ist konfisziert, soweit ich weiß. Sie können dort nicht hin.", sagte der bürokratische Soldat mit der Nickelbrille.
"Si!", ergänzte ein zweiter Soldat. "Die diplomatischen Beziehungen zu ihrem Land sind abgebrochen. Und wir haben die Anwohner zu erfassen. Mehr nicht."
Dieser Soldat wollte nur noch Nachdruck geben. Es dauerte ihm wohl zu lang.
George Miller sah kurz zu seiner Tochter, zog die Augenbrauen hoch. Dann zeigte er an, die Personalien geben zu wollen, wenn man seine Tochter und ihn selbst nicht zu argentinischen Bürgern machte.
Genau beäugte Dr. Miller, was in das spanische Formular eingetragen wurde.
"Senor, ich stelle Ihnen und Ihrer Tochter Passierscheine aus. Diese gelten vorläufig und sind jederzeit mitzuführen. Von 10:00 Uhr bis 14:00 Uhr ist es vorläufig gestattet, in der Stadt sich zu bewegen. Täglich haben sie sich am Gouverneurs House zu melden mit Vorlage der Passierscheine. Verstanden?"
"Ja."
"Gut. Dann wünsche ich einen schönen Tag in ihrer befreiten Stadt."
George Miller nahm die Passierscheine an sich.
"Man wird zeitlich nahe entscheiden, was geschehen soll. Das bewertet man am Gouverneurssitz.", ergänzte der Soldat mit der Nickelbrille noch. Dann zeigte er einen kurzen militärischen Gruß und zog die Tür zu.
"Samantha, dann ist der Gouverneur und die englische Armee schon weg? Fraglich, ob überhaupt noch Briten hier sind. Dann sind wir wohl auf uns gestellt, mein Schatz."
- Die Dame machte eine höfliche gedankliche Pause, um ihren Kaffee trinken zu können. Auch blickte sie aufmerksam, was ihr Enkelkind in der Spielecke so trieb.
Meine Frau Kathleen bemerkte nun auch, dass durch die interessanten Schilderungen der Frau die Zeit dahin geflogen war. Gleichwohl schien sie noch nicht so sehr besorgt oder verängstigt, dass sie unsere beiden Kinder suchen wollte. Die Dame hatte uns mit der abwegig anmutenden Geschichte gefesselt. Auch wir tranken unseren Kaffee.
Dann erzählte die Frau weiter. - sie sagte zuerst, dass es ihr leider nicht möglich ist, über die Geschehnisse im Gouverneurs House zu berichten. Ihr Vater habe dort die tägliche Meldung gegeben. Sie selbst, Samantha Miller, sei seinerzeit froh über den Ausfall der Schule gewesen, habe sich aber auch viel gelangweilt und geängstigt- vor allem, wenn die argentinischen Soldaten durch das Viertel patrouillierten. Man habe sich als junges Mädchen schon in dieser Einöde verloren, vergessen und begraben gefühlt. Nun kam noch dazu, dass man sich als Britin auch stetig beobachtet vorkam und man Angst hatte- ohne konkret sagen zu können, wovor.
Nirgendwo bekam man Informationen, konnte Radio hören. Neuigkeiten bekam ihr Vater, Dr. George Bartholomeo Miller nur in den Gesprächen mit anderen Briten am Gouverneurssitz.
Der CB Sender der Falkland- Insel- Gesellschaft hätte getaugt, Informationen zu bekommen und auch mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Doch die argentinischen Soldaten hätten dies nicht als gutes Zeichen gesehen, eher vielleicht noch als Spionage. Doch der Sender war unerreichbar.
Die Gespräche allerdings machten unbestätigt bekannt, dass am 05. April 1982, also drei Tage nach der Invasion erste britische Kriegsschiffe im Flottenverband von England in See stachen. Großbritannien habe sofort den Verkauf des Flugzeugträger "Invincible" an Australien rückgängig gemacht und den Träger ausgerüstet. Zudem ist der Flugzeugträger "Hermes " dem Verband zugewiesen worden. Die Tory 's und Frau Thatcher gaben nur eine Devise aus: Kampf um die Falklandinseln und die komplette Rückeroberung der besetzten Gebiete. Auch Handelsschiffe wurden beschlagnahmt oder gechartert. Sogar das Luxus- Passagierschiff "Queen Elisabeth II" sei jetzt ein Truppen Transporter. Senkrechtstarter vom Typ "Sea Harrier" und "Sea King"- Hubschrauber würden uns Briten schon die Luftherrschaft bringen. In fünfzehn, höchstens zwanzig Tagen werde der Verband im Raum Falklandinseln erwartet.
George Bartholomeo Miller hatte keine Ahnung, was davon wahr sein konnte oder vielleicht euphorische Überschätzung war. Eines jedoch ist sicher: würde es zum Kampf um Port Stanley und die Falklandinseln kommen, so waren sie hier in höchster Gefahr.
Am 10. April, bei der täglichen Meldung, war Vater von einem argentinischen Offizier im Gouverneurs House in ein Zimmer gebeten worden. Der Offizier schien gut informiert über Vater und dessen Arbeit für den britischen Chemieriesen CAOLITE. Mit einigen gut gewählten, klugen Fragen suchte der argentinische Offizier Vater zuerst über dessen Forschungen auszufragen, dann durch Schilderung von Privilegien eine andere Lösung vorzuschlagen: Arbeit nicht mehr für Caolite, sondern auch in der Station für die Republik Argentinien. In Buenos Aires würde man Vater und Tochter ein Haus geben und Vater eine gute Anstellung an der Universität dort.
Vater lehnte stolz ab. Er sei denn selbst ja ein Weltenbummler und sicherlich viel zu oft von der Familie weg, doch dies sei Verrat an seinem Land.
Zum Abschied habe der Offizier noch einmal offen gedroht, indem er für Vater und mich Repressalien und Unbillen in Aussicht stellte. Dennoch blieb Dr. George Miller unbeirrt, erzählte jedoch auch Samantha davon, damit auch sie Kenntnis davon hat. Der Offizier und die Drohung müssen ernst genommen werden.
Am 11. April 1982 erhielt er, George Miller und seine Tochter Samantha die Order, sich bis 15:00 Uhr gleichen Tages am Hafen einzufinden, mit nötigsten Gepäckstücken.
Zur Sicherheit der zivilen Bevölkerung in Puerto Rivero, also Port Stanley, werden Gruppen über die Hauptinsel Soledad, also Ost- Falkland verteilt. Millers hatten sich zur Internierung nach Goose Green anzuschließen. Zum eigenen Schutz!
Sowohl Samantha, als auch ihr Vater George Miller hatten jeweils einen Koffer gepackt bereits stehen. Falls man schnell ausgeflogen werden sollte, wollte George Miller bereit sein. Zwischen den Wäschestücken hatte er Millimeterpapier versteckt mit den letzten Messergebnissen. Zudem einen Umschlag mit Blaupausen aus dem Office. Wichtiges, dass die Arbeit an anderem Ort leichter machte. So konnte man gut drei Jahre Forschung sparen.
Die Hütte zu verlassen fiel dennoch sehr schwer. Es war diesmal ein anderes Abschied nehmen, als wenn man auf Expeditionen geht.
Diesmal war es fraglich, ob überhaupt noch eine Hütte nach einem Häuserkampf stehen würde.
Die Hütte war einfach und nicht sehr komfortabel, aber doch auch ein bisschen eigenes Umfeld und Sicherheit.
Was nun kommt? Keiner wusste es.
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