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Kapitel 3


Nach langer Wartezeit das neue Kapitel. Hier wird das erste Mal einer der wichtigsten Charaktere (und wesentlicher Teil der Vergangenheit ;)) vorkommen... aber ich verrate mal lieber nicht zu viel :D 

Und um hier auch noch etwas Werbung zu machen (für alle, die es noch nicht bei Schwarz-Weiß-Rot gelesen haben): Ich schreibe parallel an einem Buch (Blut und Tinte), das zur selben Zeit spielt und dessen Charaktere auch mit denen dieser Geschichte zusammenhängen. Also schaut da mal vorbei, wenn ihr Lesestsoff braucht :)  

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Kurz darauf gingen wir schweigend nebeneinander die Klippen entlang. Noah schien wie ausgewechselt. Ich fragte mich, in welcher Beziehung er wohl zu diesem Mädchen stand. Allem Anschein nach wohnten sie schließlich zusammen. War sie seine Freundin? Seine Tochter? Es gab unglaublich viele Möglichkeiten, doch ich konnte ihn nicht danach fragen. Es ging mich ja eigentlich nichts an. "Ich wusste nicht, dass Sie in Wiloughby Hall wohnen", sagte ich stattdessen.

War das etwa der Grund gewesen, warum er so schlecht über das Haus geredet hatte? Gab es etwas, von dem ich nicht einmal etwas ahnen konnte? Oder verband er negative Erinnerungen damit? 

"Es ist seit Jahren im Besitz meiner Familie", antwortete er überraschend nüchtern. "Aber das wird sich wohl bald ändern."
Seit Jahren... Ich stellte mir den Jungen Noah vor, wie er durchs Haus lief, während ich damals draußen an den Klippen gestanden und zum Anwesen hochgesehen hatte. War es möglich, dass wir uns Jahre lang so nahe gewesen waren, ohne uns auch nur ein einziges Mal zu sehen? Vielleicht war er aber auch gar nicht hier aufgewachsen. "Wieso? Haben Sie etwa vor es zu verkaufen?"

"Mir bleibt keine andere Wahl. Seit einiger Zeit lebt bereits ein Untermieter in Wiloughby Hall... bald wird es darauf hinauslaufen, dass er es endgültig kauft. Mittlerweile bin ich mehr der Untermieter als er geworden", entgegnete Noah schulterzuckend.

Zu gerne hätte ich gewusst, was in diesem Moment in seinem Kopf vorging. "Wieso bleibt Ihnen keine andere Wahl?" 

Nur kurz sah er mich an. "Sehen Sie, es ist ein großes Anwesen... und es alleine instand zu halten ist so gut wie unmöglich. Und zudem nicht gerade billig."

"Aber Sie sind doch nicht alleine-" Ich hätte mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Warum hatte ich das gesagt? Das war etwas, das mich doch absolut gar nichts anging und zudem war es etwas, das ich nicht beurteilen konnte, wovon ich nicht die geringste Ahnung hatte. 

Nun blinzelte Noah überrascht. "Sie meinen doch nicht etwa Juliette? Nein, glauben Sie mir, sie ist nicht gerade eine große Hilfe. An manchen Tagen macht sie mir das alles nur noch schwerer...wie heute." 

"Warum wohnen Sie dann mit ihr zusammen?" Noch so eine Frage für die ich mich gerne selbst geohrfeigt hätte. 

Er sah mich mit einem seltsamen Blick an, beinahe etwas verwirrt. "Wo sollte sie denn sonst wohnen? Immerhin hat sie niemanden außer mich und bei ihrer Mutter kann sie nicht leben."

Also war Juliette tatsächlich seine Tochter? Selbst, wenn ich das bereits in Betracht gezogen hatte, überraschte es mich. Wie alt war Noah denn? Schätzungsweise hätte ich auf Anfang dreißig getippt. Und Juliette... Vielleicht irgendetwas zwischen dreizehn und Mitte zwanzig. Ihr Alter ließ sich unglaublich schwer feststellen. Aber konnte das denn sein...? "Sie ist also Ihre Tochter?", meine Worte klangen weitaus überraschter als mir lieb war. 

Nun veränderte sich Noahs Blick vollends, fixierte mich mit einem beinahe fassungslosen Ausdruck, ehe er zu lachen begann. "Meinen Sie nicht, dass ich für eine sechzehnjährige Tochter noch etwas zu jung bin?" 

"Oh... tut mir leid. Ich dachte nur... na ja... Sie erwähnten ihre Mutter...also..." Ich musste sofort damit aufhören. Dieses Gestotter machte die Situation nur noch peinlicher für mich, wenn ich weiter so einen Unsinn von mir gab. Vielleicht war es auch nur fair - er musste sich am vorigen Tag genauso gefühlt haben.

Ein beruhigendes Lächeln legte sich auf seine Lippen. "Verzeihung, aber die Vorstellung Juliette könnte meine Tochter sein, ist einfach so abwegig. Ich glaube, sie würde genauso darüber lachen, wenn ich ihr das einmal erzähle." 

Ich seufzte leise. "Ich hätte wohl gar nicht erst fragen sollen."
"Wieso denn nicht? Es ist schließlich kein Geheimnis", entgegnete Noah kopfschüttelnd. In einer etwas unsicheren Geste fuhr er sich durchs Haar. "Das was mich und Juliette verbindet ist nur ein wenig...kompliziert. Wir leben jetzt schon seit längerem zusammen - seit ihre Mutter das Land verlassen hat. Sie hatte sonst niemanden, also blieb sie bei mir. Natürlich habe ich nie etwas dafür erwartet, aber manchmal wünschte ich mir, sie würde etwas mehr Willen zeigen, wenigstens etwas Hingabe. Aber stattdessen macht sie mir manchmal das Leben schwer." 

Zwar hörte ich ihm ruhig zu, doch bei jedem seiner Worte beschlich mich das Gefühl definitiv im falschen Film gelandet zu sein. Innerlich sträubte ich mich noch dagegen das zu glauben, denn es erschien mir noch abwegiger und merkwürdiger als dass sie seine Tochter wäre. Doch je länger ich ihm zuhörte, desto mehr festigte sich der Verdacht, der mich langsam beschlich.

Sie hatte niemanden außer ihn... Er erwartete nichts von ihr für seinen Gefallen, doch er wünschte sich mehr... Hingabe von ihr... Konnte es tatsächlich das sein, was ich vermutete? Er und Juliette...? Das konnte doch nicht sein, oder? 

Seine intensiven blau-grünen Augen musterten mich eingehend. "Sie verurteilen mich doch nicht dafür?"
O Gott, es ist also wirklich so! Langsam spürte ich Schwindel in mir aufsteigen, der sich schnell in einen starken Kopfschmerz verwandelte. Hatte er mich gerade tatsächlich gefragt ob ich ihn dafür verurteilte, dass er ein Verhältnis mit einer Sechzehnjährigen hatte? "Verurteilen?", stieß ich etwas fassungslos hervor. "Tut mir leid, aber ehrlich gesagt ja!" 

Wie schon am Tag zuvor war seine Betroffenheit beinahe spürbar, zeichnete sich deutlich in seinem Gesicht ab. Doch diesmal konnte er damit wirklich kein Mitleid bei mir erregen. Eher im Gegenteil. "Ich weiß, es ist nicht ganz richtig von mir... Vielleicht habe ich einfach zu viel falsch gemacht und ihr dafür die Schuld gegeben. Ich hab als Bruder anscheinend ziemlich versagt." 

"Bruder?", brachte ich leise hervor.
"Ja, Juliette ist meine Schwester. Was hatten Sie denn gedacht?" Noah blickte mich fragend an. Schon wieder einmal hatte er geschafft, dass ich mich wie eine Idiotin benommen hatte und mich dementsprechend schlecht fühlte. Wie hatte ich denn so falsch liegen können? Wie hatte ich so dumm sein können? 

Zu meinem Glück sprach Noah einfach weiter, schien seine Frage bereits vergessen zu haben. "Wir sind gemeinsam in Wiloughby Hall aufgewachsen. Aber vor ein paar Jahren zog unsere Mutter nach Deutschland, das hat so einiges durcheinander gebracht und ich fürchte es hat Juliette schwer getroffen. Damals habe ich noch geglaubt, wir könnten das Haus behalten. Aber Juliette hat es mir nicht gerade leicht gemacht."

"Wie meinen Sie das?"
"Sie hätte damals ein Internat besuchen sollen. Dort blieb sie gerade einmal drei Tage. Sie weigerte sich dann auch, auf die nächstgelegene Schule zu gehen... und damit musste sie zuhause unterrichtet werden. Juliette hatte immer schon ihre ganz eigenen Vorstellungen und Wünsche, sie lebt in ihrer eigenen Welt und ich fürchte, dass sich das nicht mehr ändern lässt. Manchmal frage ich mich, ob ich daran Schuld bin. Vielleicht hätte ich einfach besser auf sie achtgeben sollen. Und jetzt werde ich auch noch das Haus verkaufen müssen." Im entwich ein leises Seufzen. "Anscheinend hab ich's vermasselt." 

Langsam bekam ich ein Bild von dieser Familie. Von der Mutter, die ihr eigenes Leben in Deutschland führen wollte. Von Noah, der verzweifelt versuchte, für seine kleine Schwester da zu sein und zu verhindern, dass die Familie vollends zerbrach. Und von Juliette, dem verträumten Mädchen, das wohl nie darüber hinwegkommen würde, dass ihre Mutter nicht mehr hier war. Das Bild einer zerstörten, unglücklichen Familie.

Wieder hatten sich Noahs Gesichtszüge verhärtet, all die Gelassenheit war daraus verschwunden, wie zuvor, als er Juliette nachgesehen hatte. Doch nun glaubte ich zu wissen, was es war, das sich da in seinen Augen widerspiegelte. Sorge und Schmerz. Ohne darüber nachzudenken, legte ich ihm eine Hand auf die Schulter. "Es ist nicht Ihre Schuld." 

Ein wenig verwundert blickte er mich an, hatte damit wohl am wenigsten gerechnet. Ich stand bereits kurz davor es wieder zu bereuen, doch dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln. "Ich fürchte doch, aber danke." 

"Sie dürfen sich deshalb keine Vorwürfe machen, Noah." Ich wusste selbst nicht woher ich die Zuversicht nahm, die in meiner Stimme mitschwang, wenn ich doch nicht einmal genug besaß um mir selbst meine Fehler zu verzeihen. 

Ich spürte sein schwaches Schulterzucken mehr als ich es sah. "Wer sollte sonst dafür verantwortlich sein? Wissen Sie, Juliette war immer schon ein besonderes Mädchen, das einen anderen Umgang erfordert als die meisten Menschen. Sie ist sehr sensibel, in vielerlei Hinsicht talentiert... aber auch sehr in sich gekehrt, ernst und zurückgezogen. Darauf hätte ich wohl mehr Rücksicht nehmen sollen, aber ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt." Kurz wandte er den Blick ab, als wolle er nicht, dass ich ihm in die Augen sehen konnte.

"Ich kann das verstehen. Vor einiger Zeit...war ich auch zu sehr auf mich selbst fixiert, um zu sehen, was um mich herum passiert", begann ich vorsichtig. "Aber wir können unser Leben nicht durch unsere Fehler bestimmen lassen." Woher nahm ich bloß diese Zuversicht? In meinen eigenen Ohren hörten sich diese Worte so schrecklich heuchlerisch an, nicht besser als eine Lüge. Wie konnte ich so etwas sagen? Die Person, die ihrem eigenen Leben davonlaufen wollte, nur wegen der Fehler, die sie gemacht hatte. Und ausgerechnet ich sprach davon, dass unsere Fehler nicht unser Leben bestimmen sollten. Natürlich! 

Ich wusste nicht, ob er mein Unbehagen bemerkte oder ob es einen anderen Grund für seine plötzliche Eile gab, denn er wandte sich nun wieder dem Haus zu und straffte die Schultern. "Ich sollte wohl besser nach Juliette sehen. Sie sollte nicht so lange alleine in Haus sein... Vor allem, wenn unser Untermieter nicht hier ist, stellte sie viel zu oft irgendwelchen Unsinn an."

"Natürlich", ich nickte verstehend, auch wenn ich mir jetzt nicht ganz sicher war, wie ich mich von ihm verabschieden sollte. "Auf Wiedersehen", meinte ich schließlich und reichte ihm kurz die Hand, auch wenn mir das zu förmlich und irgendwie merkwürdig erschien. Ihm schien es nicht anders zu ergehen. 

Während ich mich bereits abgewandt hatte, hörte ich noch seine Stimme hinter mir. "Wie wäre es mit 'Bis dann'? Das klingt doch viel besser."
Ich sah über die Schulter zu ihm zurück und lächelte ein wenig. "Nun... also, bis dann."


Die Tür schlug leise hinter mir zu, als ich das Haus betrat und ich genoss einen Moment lang die Wärme, die mir hier sofort entgegen schlug. So verharrte ich, bis es mir in meiner Jacke langsam unangenehm heiß zu werden begann. 
Ich zog sie aus und durchquerte dann den Flur, mit jedem Schritt merkte ich etwas mehr Nervosität in mir aufsteigen. Irgendetwas stimmte nicht, das spürte ich sofort. Schon wenig später erfuhr ich, was es war. 

Meine Mutter stand noch am Fenster, von mir beinahe demonstrativ abgewandt. "Wo warst du?" 
"Dort wo ich immer bin, Mum, bei den Klippen", antwortete ich seufzend. Wollte sie etwa damit wieder anfangen. 
"Ach, und du trifft dich dann auch immer mit jemandem?" Ihre Stimme war ein paar Nuancen kälter geworden, doch sie blickte mich immer noch nicht an. 
"Ich bin ihm heute zufällig begegnet. Warum machst du daraus so eine große Sache daraus? Das war doch nur..." 

Doch weiter kam ich gar nicht erst. Wütend wandte sich Carolyn zu mir um, fixierte mich mit einem eiskalten Blick. "Ich weiß genau wer das war! Was denkst du dir eigentlich dabei?"
Überrascht wich ich einen Schritt zurück, unfähig zu antworten.
"Ich hab dir damals schon gesagt, du sollst dich von diesem verdammten Haus fern halten - und von allen seinen Bewohnern. Kannst du denn kein einziges Mal auf mich hören?"
Immer verständnisloser sah ich sie an, wurde zunehmend verwirrter. Warum war sie so wütend? Was war denn so schlimm daran? So langsam verstand ich die Welt um mich nicht mehr."Dann habe ich eben mit Noah gesprochen, na und?" 

Wütend schüttelte Carolyn den Kopf, in ihren Augen lag so viel Zorn wie ich ihn dort noch nie zu sehen geglaubt hatte. "Du machst es schon wieder! Immer glaubst du, dass es der klügste Weg ist, dich gegen alles zu stellen, was vernünftig ist. Du kannst kein einziges Mal auf mich hören!" Sie fuhr sich durchs Haar, lief unruhig im Raum auf und ab. Man hätte fast meinen können, sie mache sich schreckliche Sorgen und ich wäre auch beinahe bereit gewesen, sie zu beruhigen, einen Schritt auf sie zu, zu machen. Jedenfalls wäre ich das gewesen, bis die nächsten Worte fielen.

"Wenn du es wenigstens einmal getan hättest, hättest du dir das alles ersparen können, dann wärst du nicht wieder hierhergekommen mit einer gescheiterten Karriere und einem toten Verlobten." 

Danach nahm ich nur noch verschwommen wahr, wie ich mich wie in Trance abwandte und aus dem Haus und geradewegs auf mein Auto zulief. Hinter mir hörte ich die Stimme meiner Mutter, doch ich reagierte nicht, blieb nicht stehen. Wieder und wieder kreisten ihre Worte durch meinen Kopf, drängten alles andere in den Hintergrund.

Erst als mein Wagen unerwartet plötzlich zum Stehen kam, erwachte ich aus meinem innerlichen Schockzustand wieder. Ich war ziellos in irgendeine Richtung gefahren und nun musste ich feststellen, dass ich mich irgendwo im nirgendwo befand und sich mein Auto keinen Millimeter mehr voran bewegte.
Na ganz toll...

Warum passierte das ausgerechnet jetzt? Seufzend stieg ich aus, um der Sache auf den Grund zu gehen. Nur konnte ich nicht die geringste Erklärung dafür finden, warum sich der Wagen strikt weigerte wieder anzuspringen. Vielleicht hätte ich das viele Geld, das ich mit meiner Musik verdient hatte, einmal in etwas nützliches investieren sollen, anstatt immer nur vom wenigsten zu leben - zum Beispiel in ein neues Auto. Ja, dem alten blauen Käfer, der alles andere als kompakt war, sah man seine Jahre schon recht deutlich an.

Ich griff in meine Tasche - und fand nichts. Natürlich, ich hatte mein Handy zu Hause liegen lassen. Konnte es eigentlich noch besser werden?
Seufzend sah ich mich um, suchte die Gegend nach irgendetwas ab, das mir hätte weiterhelfen können. Häuser entdeckte ich nur in der Ferne und außer einer wenig vertrauenerweckenden Bar sah ich hier eigentlich absolut nichts. Irgendwo im Nirgendwo traf es also ganz gut. 

Ein wenig widerwillig machte ich mich auf den Weg zur Bar, mit dem Ziel nicht mehr Zeit als nötig dort drinnen zu verbringen. Nur ein kurzes Telefonat, dann würde ich sie sofort wieder verlassen. Von außen wirkte das Gebäude sehr altmodisch, beinahe auf eine reizvolle Art, sogar so altmodisch, dass ich mir bildlich vorstellen konnte, wie es vor hunderten Jahren im Inneren ausgesehen haben musste. Die Menschen hier vom Land, die sich zusammenfanden, die Mengen an Bier die flossen, Glücksspiel in den hinteren Räumen, man fühlte sich sofort in der Zeit zurückversetzt. Wozu auch der Name beitrug, der nur eine Anspielung sein konnte.

Beinahe erwartete ich eben dieses Szenario, als ich die Tür zum "Rising Sun" öffnete und das Gebäude betrat. Überrascht hielt ich inne, war mir erst nicht sicher ob ich richtig sah. Tatsächlich hatte die Bar auch hier von Innen ein ziemlich altmodisches Flair, doch weitaus stilvoller und schöner als ich erwartet hatte. Ich fühlte mich in dieser Atmosphäre schlagartig wohl.
Zielstrebig ging ich zum Tresen.

Kurz hob er den Blick von seinem Glas Whiskey, als die Tür aufschwang. Es wäre nichts gewesen, dem er weiter Beachtung geschenkt hätte. Doch dann stand plötzlich sie im Eingang und er glaubte einen Geist zu sehen.
Dasselbe dunkle Haar, dieselbe blasse Haut, dieselben tiefbraunen Augen, dieselben feinen Gesichtszüge. Sie sah genauso aus wie damals. 

Aber das war unmöglich, es konnte nicht sie sein. Wachsam folgten seine Blicke jedem ihrer Schritte, beobachteten jede noch so kleine Bewegung, bis schließlich ihre Stimme leise zu ihm drang. Dieser Klang... Er hätte ihn überall wiedererkannt. Augenblicklich kehrten alle alten Erinnerungen wieder, drängten sich von dem dunklen Winkel seines Gedächtnisses, in die er sie gesperrt hatte, an die Oberfläche. Damals in Berlin... Doch das lag bereits Jahrzehnte zurück.

Nein! Sie konnte es nicht sein. Das war völlig unmöglich! Doch wer war sie dann, diese Frau, die genauso aussah wie sie, das Mädchen, das ihn um den Verstand gebracht hatte, das er damals geliebt und doch so abgrundtief verabscheut hatte?

Nach meinem Telefonat mit dem Pannendienst ließ ich mich auf einem der Barhocker nieder. Bis irgendjemand hierherkam, konnte es Stunden dauern, also konnte ich mir hier ruhig etwas die Zeit vertreiben. Ich bestellte einen Sherry. Noch so etwas typisch Englisches, das Daniel immer amüsant gefunden hatte. "Sherry und Tee? Du bist ja doch eine richtige Engländerin", hatte er einmal scherzhaft gemeint und sich liebevoll über diese Klischees lustig gemacht. 

Kopfschüttelnd verdrängte ich diese Gedanken und suchte verzweifelt nach einer guten Ablenkung von diesen traurigen Erinnerungen. Gesucht, gefunden. Die leise Musik drang beruhigend vom anderen Ende des Raumes zu mir und ich stellte überrascht fest, dass diese Bar wohl tatsächlich noch einen eigenen Pianisten engagierte. Eigentlich hatte ich gedacht, so etwas wäre schon aus der Mode gekommen... Zumindest in solchen Gegenden.

"Sie spielen Klavier?" Diese Worte -viel eher Feststellung als Frage- ließen mich gewaltig zusammenzucken. 

Verwirrt blickte ich zur Seite und traf den Blick zwei blauer Augen. Der Mann, zu dessen Füßen ein Schäferhund ruhte, war mir bereits aufgefallen, als ich die Bar betreten hatte, doch ich hatte ihn nicht weiter beachtet und offensichtlich nicht einmal gemerkt, dass ich mich praktisch neben ihn gesetzt hatte.
"J-Ja... Aber woher wissen Sie...?" Dazu kam nun noch die Verwirrung über seine Aussage. Wie konnte er das wissen? Das konnte man mir doch nicht vom Gesicht ablesen. 

Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen. "Sie haben Ihre Finger zur Musik bewegt", erklärte er knapp, mir fiel der schwache Akzent auf, der in seiner tiefen Stimme mitschwang.
"Oh." Schon seltsam auf diesen unbewussten Tick von einem Fremden hingewiesen zu werden.
"Elton John, richtig?"
"Nein, die Beatles." Mir entkam fast ein leises Kichern.

"Autsch, da lag ich wohl ziemlich daneben. Ich hatte nie so ein gutes Gespür für Musik wie ich mir gewünscht hätte." Wieder zeigte sich dieses seltsame Lächeln auf seinen Lippen, das mir zum Teil ehrlich und zum Teil einstudiert erschien. Es war umwerfend, doch es schien nicht ganz seine Gefühle widerzuspiegeln. Und zudem lag darin eine merkwürdige, fast beängstigende Kälte.

Ich lächelte leicht. "Ach, das hätte jedem passieren können."
"Meinen Sie?" Er zog eine Augenbraue hoch und schaffte es damit, dass ich mich augenblicklich schlecht für meine Worte fühlte. 

So gerne ich auch wollte, ich konnte nichts darauf erwidern. Verwundert musterte ich den Mann, der mich gerade so aus der Fassung gebracht hatte. Seine ganze Haltung strahlte eine einschüchternde Autorität und Selbstbewusstsein aus als wäre er es gewöhnt Befehle an sein Umfeld zu erteilen. Sein blondes Haar war sorgfältig zurückgekämmt, verlieh seinem attraktiven Gesicht eine gewisse Strenge, unterstrich die markanten Züge, das etwas bereitere Kinn und die schmale gerade Nase.

In seinen Augen, die bei genauerem Betrachten eher stahlgrau als richtig blau waren, spiegelte sich eben dieser Ausdruck wider. Eine eisige Kälte, Verschlossenheit und ein faszinierendes Blitzen, das ich nicht wirklich einordnen konnte. Das einzige, was seinem Gesicht eine gewisse Freundlichkeit zu verschaffen schien, war sein einnehmendes Lächeln.

Nur schwer konnte ich meinen Blick wieder von seinen Augen abwenden, doch schließlich erregte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Eine Narbe, die sich seinen Hals hinunter schlängelte und irgendwo in seinem Hemdkragen verschwand. Woher stammte sie?

Mir fiel es schwer zu sagen, wie alt der Mann wohl war, auf jeden Fall allerdings um einiges älter als ich. Doch abgesehen von den leichten Fältchen, die sich um seine Augen gebildet hatten, und sich auch an seinen Mundwinkeln zeigten, wenn er lächelte, konnte ich allerdings kaum Anzeichen des Alters entdecken. 

Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich ihn nun schon einige Momente lang schweigend angestarrt haben musste. Ein wenig verlegen räusperte ich mich, doch mir fiel beim besten Willen nichts ein, was ich hätte sagen können. "Ähm... Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Amina Mayfair", meinte ich etwas zu hastig.

Mit einem beinahe nachdenklichen, abwägenden Blick betrachtete er meine Hand kurz, die ich ihm entgegengestreckt hatte. Nur für einen Augenblick bemerkte ich sein Zögern, bis er endlich zu sprechen begann. "Kilian Blackwell", stellte er sich vor als höre er den Namen selbst zum ersten Mal. Für einen Moment glaubte ich tatsächlich, er hätte in Wirklichkeit etwas ganz anderes sagen wollen... 

Unglaublich fest schloss sich seine Hand um meine, während sein Blick mich gerade zu durchbohren schien. Einen Augenblick lang blieb mein Herz stehen.
Am liebsten hätte ich ihm meine Hand sofort entrissen und dem Drang einfach wegzulaufen nachgegeben. Doch irgendetwas hielt mich davon ab, sein Blick schien beinahe eine hypnotische Wirkung zu besitzen, die mich daran hinderte, mich auch nur einen Millimeter zu bewegen. 

Mit einem Lächeln ließ er meine Hand wieder los. "Wissen Sie, ich habe früher selbst Klavier gespielt", sprach er dann vollkommen ruhig weiter und dieser merkwürdige Moment war zu Ende.
"Allerdings nicht besonders gut", fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu. "Aber vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, das zu ändern." 

Ich atmete innerlich erleichtert auf. Wenigstens war das ein Thema bei dem ich mir keine Gedanken machen musste etwas falsches zu sagen und es nahm der Stimmung sofort wieder diese unbehagliche Beklemmung. "Dafür ist es nie zu spät."

Er trank einen Schluck von seinem Whiskey. "Sind Sie sicher? Wissen Sie, ich habe leider mehr Zeit als mir lieb ist und es wäre schade zu warten bis mein Klavier vollkommen unter Schichten von Staub verschwindet. Machen Sie das denn beruflich?"
"Ja, ich bin Pianistin." 

"Pianistin", wiederholte er das Wort, ließ es sich auf der Zunge zergehen. Dabei erschien in seinen Augen wieder dieses merkwürdige Leuchten.
Ich schluckte und nickte stumm, weil ich nicht wusste was ich darauf sagen konnte. Was löste dieses Wort bei ihm aus? Was war daran so besonders? 

"Sie müssen Talent haben", meinte er, während er nach einem weiteren Schluck das Glas abstellte und eine Zigarette aus seinem Etui entnahm, diese schließlich anzündete. Beides -Etui und Feuerzeug- wirkten altmodisch, aber teuer. Vielleicht befanden sie sich schon länger in seiner Familie und er hatte sie von seinem Vater oder Großvater geerbt. 

Das Feuerzeug war an einer Stelle etwas in Mitleidenschaft gezogen, doch erschienen die tiefen Kratzer darauf keinesfalls willkürlich, sondern viel eher beabsichtigt, als hätte jemand versucht etwas zu entfernen. Vielleicht eine Gravur? Ein Wappen? Etwas in der Art musste es gewesen sein.

Ich zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht", antwortete ich nur.
Er nahm einen tiefen Zug, ehe er den Rauch ausblies. "Nein, ich denke Sie haben großes Talent", entgegnete er mit einer Bestimmtheit, die mich etwas verwirrte. Woher wollte er das denn wissen? "Haben Sie zur Zeit irgendwelche Verpflichtungen?"

"Nein", antwortete ich bestimmt. "Wieso fragen Sie?"

"Nun, ich hätte ein Angebot für Sie." Wieder führte Killian die Zigarette an seine Lippen. "Was halten Sie davon zu unterrichten?"
"Unterrichten?"
"Ja, Klavierunterricht."
"Klavierunterricht...für wen?" Im Nachhinein war mir klar, wie dumm diese Frage gewesen war, doch in dem Moment schien sie mir berechtigt.

Ein schmales Lächeln stahl sich auf seine Lippen. "Für mich, Miss Mayfair."


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