Verwandtschaft
Sie wirkte ruhig, wie sie so auf dem Boden vor der Tür saß. Aber innerlich tobte sie.
Wenn sie hier rauskam, würde sie Regina das Leben zur Hölle machen. Mehr als sie es je zuvor getan hatte. Ihre Tochter würde sich wünschen, nie geboren worden zu sein.
Cora legte den Kopf in den Nacken, wobei sie die Tür mit einem leisen Klonk traf. Je mehr sie über Regina nachdachte, desto weniger konnte sie sich zurückhalten. Erneut kollidierte ihr Hinterkopf mit der schweren Holztür, diesmal fester. Ein weiteres Mal. Wieder und wieder. Der Schmerz kompensierte ihre Wut.
„Alles okay?", kam es unvermittelt von der anderen Seite der Tür. Henry, ihr Enkel.
Kurz hielt sie inne. Dann schlich sich ein bösartiges Lächeln auf Coras Züge. Ein zehnjähriges Kind dürfte leicht zu manipulieren sein. Warum war sie da bisher nicht drauf gekommen? Naja, sie musste sich zugutehalten, dass ihre Tochter darauf geachtet hatte, den Kleinen nicht in ihre Nähe kommen zu lassen. Aber nun war der Moment, in dem Regina kein Auge auf ihn hatte. Sie müsste außer Haus sein, vor knapp zehn Minuten hatte Cora gehört, wie sie sich von ihrem Adoptivsohn verabschiedet hatte. Dann war die Tür gegangen.
Henry klopfte leicht gegen das massive Holz, als sie nicht antwortete. „Hallo?"
„Ja, Schatz", antwortete Cora in leidendem Ton, der das Gegenteil beweisen sollte, und stand auf. Sie ging leicht in die Hocke und sprach durchs Schlüsselloch, damit er sie besser hören konnte. Sie ließ ihre Stimme absichtlich kratzig klingen: „Es ist nur so, ich bin schrecklich durstig. Das Wasser, das deine Mom mir gegeben hat, ist ausgegangen." Das war nicht einmal gelogen. „Bist du so lieb und holst mir eine neue Flasche?", bat sie, ein siegessicheres Grinsen im Gesicht.
„Mom meinte schon, du wirst versuchen, mich auszutricksen", erwiderte Henry jedoch nach kurzem Zögern. „Und verdursten werden Sie nicht, es sind bestimmt noch Äpfel da. Also nein."
Sie hatte den Jungen wohl unterschätzt. Cora biss die Zähne so fest aufeinander, dass es knirschte. Sie ahnte, dass sie Henry durch Vortäuschen von physischem Unwohlsein nicht dazu bekommen würde, sie freizulassen. Doch sie konnte etwas anderes tun. Ihre Spezialität: Sie konnte Zweifel säen. „Weißt du überhaupt, was deine Mutter getan hat, um die Todesstrafe zu verdienen?", fragte sie in einem Ton, als würde sie mit einem Kleinkind reden.
„Sie hat Leute umgebracht", sagte Henry. Sie meinte, ein Quäntchen Unsicherheit aus diesem Satz herauszuhören. Er hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte.
Cora seufzte theatralisch. Sie begann, dieses Spielchen zu genießen. „Du weißt es nicht, oder, Süßer?" Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Tss, tss, tss."
Henry klang nervös. „Was weiß ich nicht?"
„Dass sie immer die tötet, die ihr am nächsten stehen", triumphierte Cora. „Sie hat ihren Vater aufgeschnitten, ihren Mann vergiftet, mindestens einen Liebhaber erstochen, ihr erster Freund gilt bis heute als vermisst..." Dass das ihre eigene Schuld war, ließ sie um der Dramatik willen ungesagt. Als Henry schwieg, fuhr sie fort: „Und ich bin mir ziemlich sicher, mich will sie auch umbringen. Ihre eigene Mutter!" Das falsche Entsetzen triefte nur so aus den Sätzen. „Zu ihrer Familie zu gehören gibt dir praktisch die Garantie, auf ihrer Mord-Liste zu stehen", spuckte Cora schlussendlich aus.
„Versuchen Sie es nur weiter", kam es von der anderen Seite der Tür. Henry gab nicht nach: „Sie ist meine Mom und würde mir nie etwas tun! Egal, was sie früher getan hat!" Er klang sehr sicher bei dem, was er sagte. „Übrigens haben Sie keine Chance bei mir."
Dass ihr Enkel sich ihr überlegen fühlen würde, damit hatte Cora nicht gerechnet. „Wie kommt das?", fragte sie fast schon neugierig.
„Ich glaube an meine Mom", antwortete er. „Und ich habe ein halbes Jahr bei ihrer Schwester gewohnt. Weshalb die so intrigant ist, weiß ich jetzt, wo ich Sie getroffen habe." Er wollte gehen, aber Coras Stimme hielt ihn zurück.
„Welche Schwester?" Sie glaubte sich verhört zu haben. Sie hoffte es. Ja, so musste es sein! Es konnte doch nicht sein, dass...
„Zelena natürlich", erwiderte Henry. „Ihre andere Tochter. Moms Halbschwester." Es waren leiser werdende Schritte auf dem Flur zu hören. Henry war gegangen.
Cora blieb wie erstarrt zurück, vor der Tür hockend, die Hände auf das eiserne Schlüsselloch gelegt. Sie hatte das Gefühl, in Schock verfallen zu sein. Ihre älteste Tochter hatte Regina gefunden. Das war aber nicht das Schockierendste daran. Das war, dass Zelena sich nie bei Cora selbst gemeldet hatte. Sie wusste selbst nicht, warum es ihr so viel ausmachte. Schließlich hatte sie ihr uneheliches Kind ohne schlechtes Gewissen fortgegeben. Ein Abschiedsgruß, und auf Nimmerwiedersehen.
In ihr machte sich die Ahnung breit, dass es nicht lange dauern würde, bis sie es bereuen würde. Jetzt, wo sie wusste, dass ihre Töchter sich gefunden hatten, die eine aber kriminell und auf der Flucht war, während die andere scheinbar Cora im Charakter ähnelte, kannte Cora die Grundrisse von Zelenas Plan. Sie hatte aus einigen Diskussionen zwischen Henry und Regina herausgehört, dass es eine Frau namens Emma gab, an der Regina Gefallen gefunden hatte. Es war nur eine Vermutung, aber... das konnte doch kein Zufall sein. Mary Margaret und David hatten ein Kind namens Emma gehabt, das verschwunden war. Und jetzt, achtundzwanzig Jahre später, kam eine gleichnamige Person nach Storybrooke und bändelte mit Regina Mills an, die sich zufällig zur selben Zeit dort aufhielt?
In diesem Moment beschloss Cora, es darauf ankommen zu lassen und auf ihre abstruse Theorie zu vertrauen. Wenn sie recht hatte, würde Regina sich noch ganz alleine weiter in die Misere reiten.
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