Gewissenskonflikt
Emma war kein Langschläfer. Relativ früh erwachte sie aus einem unruhigen Schlaf voller wirrer Träume. Eine halbe Minute starrte sie nur ins Licht, das durch die halb zugezogenen Vorhänge drang, und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. In ihrem Schädel war ein leicht schmerzhaftes, stetes Pochen zu spüren. Ein schaler Geschmack hatte sich in ihrem Mund breitgemacht. Einige Momente noch war sie mit Vergessen gesegnet, dann traf es sie wie der Schlag.
Noch nie war sie schneller aufgestanden. Vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte, was die Sache kein bisschen besser machte. „Mary Margaret?", rief sie, sich an einem der Dachbalken abstützend. Die Lautstärke ihrer eigenen Stimme war unangenehm. Was zur Hölle war im Drink bitte drin gewesen, dass es sie so umgehauen hatte?
Kurz stoppte das Geklapper aus der Küche unten, lief dann aber einfach weiter. Ach so. Mary Margaret war also immer noch wütend.
Ratlos ließ sich Emma zurück auf ihr Bett fallen, dass das Lattenrost quietschte. Sie verbarg das Gesicht in den Händen. Das war gestern nicht wirklich passiert, oder? Sie hatte Regina Mills geküsst. Oder die sie. Wie auch immer. Es war nicht richtig. Diese Frau war eine Serienmörderin. Ein Mensch, der gegenüber dem Leben so gut wie keinen Respekt hatte. War sie von allen guten Geistern verlassen, dass sie das für einen Moment einfach außer Acht gelassen hatte? Alles kam ihr vor wie ein irrsinniger Traum, wenn sie an den gestrigen Abend zurückdachte. Wann hatte sie all ihre Vorsicht über Bord geworfen?
So konnte sie doch nicht David gleich vor die Augen treten. Er erwartete jemand Professionelles, der der Aufgabe gewachsen war. Und das war sie nicht. Emma überlegte ernsthaft, einfach nach Boston zurückzufahren und eine Kündigung zu riskieren. Sie konnte das hier nicht. Sie war zu weit gegangen- Nein, schalt Emma sich selbst, sie würde nicht die Verantwortung für den gestrigen Vorfall übernehmen. Sie war nicht ganz Herrin ihrer Sinne gewesen, damit entschuldigte sie es vor sich selbst. Und nun waren ihre Chancen, an Henry heranzukommen, besser denn je. Sie sollte das Beste aus der Situation machen.
Von unten war das Schaben eines der Barhocker über den Holzboden zu vernehmen. Eine halbe Minute später hörte sie die Tür zuschlagen. Voll Bedauern verzog Emma den Mund. Allerdings wusste sie nicht, wie sie sich hätte verhalten sollen, was sie Mary Margaret hätte sagen dürfen. Sie hatte nie eine richtige Polizeiausbildung genossen. Sie war schlicht und einfach eine ehemalige Kriminelle, die von der Polizei angeworben worden war, nachdem sie eine Weile erfolgreich als Privatdetektivin gearbeitet hatte.
Man hatte sie einmal gefragt, wieso sie so gut darin war, andere Menschen aufzuspüren. Ihre Antwort war gewesen, dass sie ihr Leben lang schon auf der Suche war. Nach wem, verriet sie nicht. Denn sie suchte viele Menschen. Den Jungen, der sie damals im Waisenhaus abgegeben hatte. War er ihr Bruder gewesen? Oder nur ein Fremder? Ihre Eltern. Wer waren sie? Weshalb hatten sie sie weggegeben? Ihren Exfreund, der sie damals einfach mit dem Diebesgut wie auf dem Präsentierteller hatte stehen lassen. Warum hatte er das getan? Wo war er geblieben? Und ihre damalige beste Freundin, die gelogen hatte. Emma hätte gerne gewusst, wo sie nun war, wie es ihr ging, und hätte sich gerne entschuldigt, dass sie damals ohne auch nur zurückzusehen in das Auto des Jugendamts gestiegen war. Aber keine dieser Personen war zu finden. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Daher tat sie ihr Bestes, damit andere Menschen nicht einen ähnlichen Verlust erleiden mussten.
Sie würde Henry in Sicherheit bringen, die Cops rufen, und dann könnte sie wieder zu ihren üblichen Tätigkeiten zurückkehren. So einfach war das.
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