Eine Sitzung
Archibald Hopper wirkte mehr als überrascht, als Regina Mills bei ihm vor der Tür stand und um eine Sitzung bat. Nun, von bitten konnte nicht wirklich die Rede sein, denn ihr Ton zeigte jede Menge Widerwillen und darüber hinaus zog sie ein Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
„Habe ich das richtig verstanden?", hakte er nach. Er war sich fast sicher, entweder zu träumen oder sie gänzlich missverstanden zu haben. „Sie wollen eine Therapie?"
Misstrauen fand seinen Weg in ihre Augen. „Ist es so ungewöhnlich, dass jemand Ihre Hilfe in Anspruch nehmen will? Falls ja, würde ich meinen Vorsatz nämlich gerne nochmal überdenken", meinte sie sarkastisch, aber ihm entging nicht die Unruhe, die sie so verzweifelt zu kaschieren versuchte.
Interessant, dachte Archie sich. Offensichtlich war sie davon überzeugt gewesen, dass er nicht wusste, wer sie war. Das würde er gerne so beibehalten.
„Außerdem habe ich von einer Therapie nichts gesagt, Sie Trottel", beleidigte sie ihn. „Ich will eine Sitzung und vielleicht einen Rat."
Er ignorierte die Verunglimpfung und lächelte sie milde an. „Kommen Sie doch rein."
Regina derweil fragte sich, welchem gehirnamputierten Idioten sie sich da anvertrauen wollte. Aber sie hatte sonst niemanden, mit dem sie über ihre Probleme sprechen konnte. Mit Henry konnte sie ehrlich reden, allerdings war ihr Sohn erst zehn und begriff vermutlich nicht ganz das Ausmaß der Schwierigkeiten, in denen sie festsaßen. Und bevor sie ihr Innerstes vor ihrer Mutter ausbreitete, würde sie sich lieber umbringen. Also blieb nur der Psychiater der Stadt. Auch wenn sie ihm den Teil mit den Morden und der Flucht schönreden oder – noch besser – verschweigen musste.
Seine Wohnung, die auch seinen Arbeitsplatz darstellte, war gemütlich eingerichtet. Hier und da standen Topfpflanzen und es gab sogar die klischeebehaftete Couch. Diese wurde von Regina erst skeptisch beäugt, ehe sie sich naserümpfend auf die Sofakante setzte.
Dr. Hopper nahm ihr gegenüber Platz und beugte sich vor, um die Distanz, die sowohl räumlich als auch zwischenmenschlich zwischen ihnen lag, zu verringern. Er verschränkte die Finger ineinander. „Wie kann ich Ihnen helfen?"
Die Tochter der Bürgermeisterin rutschte unentschlossen auf dem Sofapolster hin und her. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe sie mit den Worten antwortete, die sie sich eben zurechtgelegt hatte: „Mein Leben ist gerade in einer seltsamen Kurve angekommen und ich habe das ungute Gefühl, dass es sehr bald wieder bergab geht." Über die poetische Wortwahl verwirrt, hielt sie kurz inne. Dann schüttelte sie leicht den Kopf. Es gab gerade Wichtigeres als ihre Ausdrucksweise, die bei Psychiatern immer etwas seltsam geriet, weil sie wusste, dass alles dokumentiert werden würde. Doch Dr. Hopper hatte kein Papier vor sich liegen und keinen Stift in der Hand. Es musste daran liegen, dass das hier weder ein psychologisches Verhör noch eine Therapie war. Er fiel ihr auch nicht ins Wort oder stellte forschende Fragen. Er wartete einfach darauf, dass sie weitersprach. „Jedenfalls habe ich gerade alles, was ich jemals wollte", rückte sie weiter heraus. Ihre Aussage relativierte sie wieder im Hinblick auf die Gesamtsituation: „Nun ja, ich habe fast alles. Meinen Sohn bei mir und jemanden, den ich liebe, was auf Gegenseitigkeit beruht." Sie schluckte schwer. Es war nicht leicht für sie, so viel über sich preiszugeben. Und bisher hatte sie nur an der Oberfläche gekratzt. „Das Problem ist... mein Sohn ist meinen Launen ausgesetzt und meine Beziehung wurde auf Lügen erbaut."
„Erläutern Sie das doch bitte näher", bat Archie. Das könnte deutlich interessanter werden als gedacht, und er hatte das Gespräch bereits mehr als gespannt eröffnet.
Regina warf ihm einen bösen Blick zu. Sie mochte es gar nicht, wenn ihr jemand reinredete. Dennoch ging sie darauf ein. „Ich habe eine Form von Borderline und mir wurde Soziopathie diagnostiziert", sagte sie in einem Atemzug. „Und die Unfähigkeit, eine Beziehung zu haben, in der ich keine Obsession oder Gewaltfantasien entwickele." Das zuletzt Gesagte klang beinahe beschämt.
Dr. Hopper blinzelte leicht überrumpelt. Er hatte gewusst, mit wem er da sprach, aber das war dann doch ein wenig schlimmer als der durchschnittliche Psychopath. „Sind das die Lügen, von denen Sie eben sprachen?", wollte er wissen, nachdem er sich wieder gefasst hatte.
Sie nickte. „Zum Teil. Aber das ist noch nicht alles. Meine letzten Beziehungen haben meist ein eher hässliches Ende gefunden. Das habe ich ihr verheimlicht." Also handelte es sich um eine Frau.
Archie sah sie prüfend an. „Verspüren Sie ein schlechtes Gewissen, weil Sie ihr all das vorenthalten?"
Regina lachte freudlos auf, ein erschreckend bösartiges Lächeln auf den dunkel geschminkten Lippen. „Haben Sie etwa schon den Teil vergessen, wo ich sagte, dass ich eine Soziopathin bin? Ich habe kein sonderlich ausgeprägtes Gewissen mehr. Und das ist auch gut so." Scheinbar überzeugt schlug sie die Beine übereinander und legte beide Hände auf die Knie.
„Was hat Sie zur Soziopathin werden lassen?" Archie hoffte, dass er das so direkt fragen konnte. Aber da war das Interesse dann doch größer als sein Überlebenswille, wie er sich ironisch eingestehen musste. Bisher hatte er noch keine soziopathische Person bei sich in Behandlung oder im Gespräch gehabt, außer vielleicht Maleficent, auch wenn die wohl einfach nur eine verbitterte Frau mit leider nicht grundlosen Verlustängsten war.
Regina dachte nach. „Einiges hat zu dieser Entwicklung beigetragen. Allem voran wohl meine Mutter", spuckte sie förmlich aus. „Bevor Sie dazu irgendeine dumme Frage stellen können, darauf werde ich nicht genauer eingehen." Sie sah ihn provozierend an, aber als keine Widerworte kamen, sprach sie weiter: „Warum ich sie nicht anstelle-" Sie brach ab.
Er wusste genau, was sein Gegenüber hatte sagen wollen. ‚Warum ich sie nichtanstelle meines Vaters umgebracht habe, ist mir ein Rätsel.' Damit sie nicht austickte, setzte er eine unwissende Maske auf. „Was meinen Sie?" Auf ihr erbleichtes Gesicht hin baute er einen fliegenden Themenwechsel ein: „Um noch einmal auf Ihre Aussage von vorhin zurückzukommen, was meinten Sie mit diesen ‚Launen', denen Ihr Sohn von Ihrer Seite aus ausgesetzt sei?" Er hoffte, dass sie darauf anspringen würde.
Was das anging, hatte er Glück. Regina räusperte sich. „Das wird dann wohl dieses Borderline sein. Ich werde schnell wütend, werfe Dinge, rase auf der Straße... eben der übliche Schwachsinn."
Archie legte die Stirn besorgt in Falten. „Wie reagiert Ihr Sohn darauf?" Ist das Kind in Gefahr?, war die eigentliche Frage, die er sich stellte.
„Gut. Zu gut." Sie saß immer noch ziemlich steif da, aber zumindest ihr Gesichtsausdruck war nicht mehr so verschlossen wie zu Beginn. „Er mag es nicht, aber in diesen Situationen ist er nur gleichgültig."
„Woher kommt dieses Verhalten, denken Sie?", hakte der Psychiater nach.
Regina überlegte kurz. Dann sprach sie aus, was ihr aufgefallen war. „Diese Aktionen richten sich nie direkt gegen ihn, immer ist etwas anderes der Auslöser oder das Ziel."
Dr. Hopper fixierte sie mit einem seltsamen Blick durch das dicke Brillenglas hindurch. „Was zum Beispiel? Oder... wer?"
Das ließ bei ihr alle Alarmglocken schrillen. Dieser Mann wusste etwas. Was wusste er? Sie wollte es nicht wissen, aber sie musste. Unauffällig tastete sie nach dem Klappmesser in ihrer Manteltasche. Während sie antwortete, öffnete sie es und hielt es fest in der Faust umschlossen. „Meine Mutter zum Beispiel. Oder eine alte Feindin. Kann es sein, dass Sie über letzteres bereits in Kenntnis gesetzt wurden?"
„Nein", erwiderte Dr. Hopper seelenruhig. „Sie haben sich ja nicht vorgestellt, ich habe also genau genommen nicht mal eine Ahnung, mit wem ich hier rede. Und wer sollte mich denn über eine Streitigkeit einer Frau informieren, die bis heute nicht meine Patientin war?"
Da mochte er recht haben. Aber sie blieb wachsam. „Selbstverständlich", sagte sie mit einem breiten, aber falschen Lächeln. Bevor sie alles auf eine Karte setzte und ihn angriff, würde sie jedoch noch gerne die Sitzung zu Ende führen. „Folgendes: Diese Feindin hat sich kürzlich als die Mutter meiner Freundin herausgestellt und ich weiß beim besten Willen nicht, wie ich damit umgehen soll, ohne... Sie wissen schon." Regina hatte beschlossen, dass Mordgedanken für eine Soziopathin nichts Ungewöhnliches darstellten und Dr. Hopper sie deswegen nicht gleich melden würde.
Dieser nickte verständnisvoll, wobei es so gut wie unmöglich war, dass dieser Gutmensch verstand, wovon sie da sprach. „Das ist vermutlich der Part, bei dem Sie einen Rat benötigen."
Definitiv. Emma hatte ihr gestern Abend von der Wiedervereinigung mit ihren Eltern berichtet. Regina hatte sich für sie gefreut, wirklich, nur als die Blonde zögerlich damit herausgerückt war, wer denn nun ihre Eltern waren, war die Stimmung deutlich gekippt. Das Entsetzen musste Regina ins Gesicht geschrieben gewesen sein, denn Emma war in bedrücktes Schweigen verfallen. Danach hatten sie die Sache einfach unbesprochen gelassen. Dass Mary Margaret und der Sheriff für Regina ein rotes Tuch waren, war Emma wohl nicht entgangen, und so hatte sie das Thema nicht mehr angerührt. Stattdessen hatten sie über alles Mögliche geredet, nur nicht über Familie.
Währenddessen hatte Regina sich dem Problem stellen müssen, das Henry ihr schon präsentiert hatte. Emmas direkte Verwandtschaft zu Mary Margaret machte Regina einen riesigen Strich durch die Rechnung. Sie konnte entweder ihre Rache haben oder Liebe. Nur war die Rache, einmal ausgeübt, permanent, während die Liebe zu Emma vergehen konnte oder entzweigerissen werden konnte. Aber sollte sie sich doch für die Liebe entscheiden, würde sie sich ändern müssen. Denn bisher war es so: Wenn sie Mary Margaret sehen würde, würde alles in ihr danach gieren, sie zu töten. Und das war ein miserabler Umstand. Einerseits, weil Emma ein guter Mensch war, andererseits, weil die Frau, die Regina so hasste, Emmas Mutter war. Wie war sie nur in diese vertrackte Situation geraten?
„Da brauche ich tatsächlich einen Rat", gestand Regina, der die Förmlichkeit dieser Unterhaltung langsam auf den Keks ging. „Und auch, weil ich die Wahl zwischen einem Kleinkrieg mit ihrer Mutter und einem friedlichen Leben mit passiver Aggression gegenüber dieser unausstehlichen Frau habe."
Archie schnaubte belustigt. „Wenn Sie mich fragen, sollten Sie die Streitigkeiten beilegen."
„Das ist einfacher gesagt als getan", meinte Regina mit zu Schlitzen verengten Augen und kräuselte die Nase beim Gedanken an ein Sonntagsfrühstück mit Mary Margaret. Da drehte sich ihr ja nahezu der Magen um.
„Ich fände es im Übrigen erfreulich, wenn Sie das Messer endlich auf den Tisch legen würden."
Regina erstarrte. „Wie bitte?" Er hatte es also bemerkt.
„Sie wissen schon, was ich meine." Dr. Hopper nickte ihr auffordernd zu.
Einen Moment lang zog sie es in Erwägung, vorzuschnellen und ihn schlichtweg abzustechen. Das kam dann aber selbst ihr makaber vor, daher ließ sie die Idee fallen. Was konnte schon passieren? Im Zweifelsfall war sie immer noch stärker. Und schneller. Wenn sie das Messer brauchte, konnte sie es sich zurückholen, bevor er es überhaupt merkte. Es kostete sie Einiges an Überwindung, aber schließlich nahm sie zögerlich das Klappmesser hervor und legte es auf den niedrigen Couchtisch. „Zufrieden?", fragte sie und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust.
Er musterte sie interessiert. „Warum sind Sie hier?"
„Wegen der Sachen, die ich Ihnen eben erzählt habe." Sie versuchte, sich wortkarg zu halten.
Das reichte Archie natürlich nicht. „Sie wirkten nicht sonderlich begeistert, bei mir aufkreuzen zu müssen", bemerkte er.
„Das liegt daran, dass es genau genommen mein Sohn war, der mich hergeschickt hat", grummelte Regina. „Können wir jetzt weitermachen?"
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