Vier
Stumm starrte ich die Wand mir gegenüber an.
Sie musste einmal in einem kräftigen, frischen Grün gestrichen gewesen sein, schimmerte jetzt aber nur noch blass.
Ich nahm Stimmen und Schritte auf dem Flur wahr, löste meinen Blick von der schmucklosen Tapete und wandte meinen Kopf zur offenstehenden Tür hin.
Sofort durchzuckten Schmerzen meinen Schädel, ich kniff einen Moment die Augen zusammen, als ein unangenehmes Gefühl mich überrollte. Als die Wirkung langsam nachließ, öffnete ich sie wieder.
Zwei leise schnatternde Schwestern in den typischen blauen Schürzen rollten ein leeres Bett an meinem Zimmer vorbei.
Eine von den beiden bemerkte mich und nickte mir freundlich zu, ich lächelte schnell zurück.
Auch noch nachdem die beiden vorbeigehuscht waren, starrte ich weiterhin durch die Tür.
Ein blechernes Schild war mit dicken roten Lettern versehen und notdürftig an einer Wand festgenagelt. Die Worte sprangen mir förmlich ins Auge.
UNFALLCHIRURGISCHE STATION
Ich biss mir beschämt auf die Lippe. Ein Unfall, ein Autounfall war der Grund, warum wir hier waren.
Einfach nur aus Leichtsinnigkeit hatten wir unser Leben riskiert.
Langsam streckte ich einen Fuß unter der Decke hervor und betrachtete ihn.
Gott sei Dank konnte ich noch laufen und hatte mir nichts schlimmes zugezogen oder gebrochen.
Lediglich eine leichte Gehirnerschütterung hatte ich abbekommen und mir den Arm angebrochen.
Wow, ich musste wirklich viel Glück gehabt haben.
Was wir da getan hatten, war verdammt gefährlich gewesen.
Das wurde mir irgendwie erst jetzt richtig klar und diese Tatsache schockierte mich völlig.
Wie auf einen Schlag, als hätte jemand in mir einen Schalter umgelegt, wurde mir kotzübel.
Wir hätten sterben können.
Ich hätte sterben können.
Einfach aufgehört zu atmen.
Zu denken.
Zu Lachen.
Zu Fühlen.
Völlige Panik erfasste mich, ich fing an haltlos zu zittern und hilflos umklammerte mich selbst, als könnte ich mir selber irgendwie helfen, mich abzulenken oder mir den Kummer nehmen.
In dem lächerlichen Versuch mich davor zu bewahren, zusammenzubrechen, mich zu halten.
"Kayla?" Erschrocken zuckte ich zusammen. Mein Kopf flog zur Seite und ich ignorierte das schmerzhafte Kribbeln, was dabei durch mich hindurch rieselte.
Ich blickte in Emmas blasses, besorgtes Gesicht.
Das Lattenrost knarzte laut, als sie sich aufsetzte und zu mir herüberhumpelte.
Auf ihrer Stirn prangte ein riesiges weißes Pflaster und eine Schiene umhüllte ihr ganzes linkes Bein.
Das Image eines starken Mädchens, das sich nie in die Schranken weisen ließ, welches sie vorher umhüllt hatte, war fast gänzlich verschwunden.
Im Gegenteil, sie sah so kaputt und völlig zerstört aus, dass mir das irgendwie den völligen Rest gab.
Ihr Anblick war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Ich brach laut aufschluchzend in Tränen aus.
"Kayla!" Emma sah mich schockiert an und hinkte noch etwas schneller zu mir rüber.
"Ent- Entschuldige", schniefte ich völlig aufgelöst und fuhr mir übers Gesicht.
Ich wollte nicht, dass sie mich so sah.
So verletzlich.
Das Mädchen schüttelte nur den Kopf und ließ sich langsam auf meiner Bettkante nieder.
Automatisch rückte ich zur Seite und schlug die weiße Bettdecke hoch.
"Hey", sprach sie sanft. "Was ist denn mit dir los? Hast du Schmerzen? Soll ich einen vom Pflegepersonal holen?"
Ich schüttelte schnell den Kopf. Autsch, das war ein Fehler, aber egal.
"Das... das i-ist es n-n-nicht. Es ist nur... d- dieser Unfall... wir hätten st-sterben können, alles n-nur wegen mir."
Emma sah mich nicht an, sie bettete ihren Kopf auf meiner Schulter, schwang ihre Beine auf die Matratze und gemeinsam starrten wir nachdenklich an die grüne Wand.
"Nein, das stimmt nicht. Es war ganz allein unsere Entscheidung dich mitzunehmen, wir wussten von den Konsequenzen und was wir damit riskieren würden.
Aber weißt du... wir lieben den Nervenkitzel und die Abenteuer. So ist das nun einmal. Und wenn wir dir nicht geholfen hätten, dann wäre es etwas anderes dummes gewesen, wofür wir unseren Hals riskiert hätten. So ist das eben."
Ich beruhigte mich etwas, nur meine Schultern zuckten noch, doch meine Tränen liefen weniger und versiegten nach einiger Zeit.
"Aber habt ihr...", ich stockte. "Habt ihr überhaupt keine Angst?"
Gedankenverloren spielte Emma an ihrem Piercing herum.
"Nein, meistens nicht.
Aber leider überschreiten wir auch öfter mal die Grenzen, so wie gestern.
Aber... weißt du... es ist einfach dieses Gefühl. Tun und lassen zu können, was wir wollen.
Dieses Gefühl von Freiheit und den Stolz und die Erleichterung, die einen durchströmt, wenn man nicht erwischt wird."
Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Ich brauche das einfach. Dieses Adrenalin.
Und Jeff und Aiden brauchen es auch."
Ich war von dieser Unterbreitung eines komplett anderen Lebensstils völlig platt.
"Habt ihr denn keine Eltern?", wollte ich wissen und machte mir schon Sorgen, einen wunden Punkt getroffen zu haben, als sie antwortete:
"Doch, aber wir sind von Zuhause abgehauen."
Eine Mischung aus Respekt, Verwunderung und irgendetwas anderem packte mich. Mit was einer Leichtigkeit sie das über die Lippen brachte erschrak mich, doch es machte mich auch neugierig.
Wie musste das wohl sein? Wie verdienten sie Geld? Wie lebten sie? All diese Fragen stellte ich mir, als Emma sprach.
"Du bist überrascht, nicht? Aber das ist ja auch kein Wunder. Wir wissen ja so gut wie nichts über uns.", grinste Emma und machte einen Knoten in ihr langes weißes Nachthemd.
"Na schön... ich erzähle dir... hmmm... drei Fakten über mich.", grinste ich jetzt.
"Na schön... Ich bin gespannt!", schmunzelte Emma.
"Okay, Fakt eins: Ich habe Angst vor Hunden.
Fakt zwei: Ich habe eineinhalb Jahre zwei verschiedene Schuhe angezogen.
Fakt drei: Mein Lieblingsessen ist Ravioli aus der Dose." Ich grinste.
"RAVIOLI AUS DER DOSE?", kreischte Emma entsetzt, fiel aber gleichzeitig in mein Lachen mit ein.
"Wo...", japste sie zwischen zwei erneuten Lachsalven "Wo bitte bist du aufgewachsen?"
Mein Lachen erstarb augenblicklich. ich versuchte, meine geschockte Reaktion mit einem schiefen Grinsen zu vertuschen, doch das gelang mir nicht.
Emmas Lachen erstarb ebenfalls und zum ersten Mal in diesem Gespräch sahen wir uns richtig in die Augen.
Mir fiel auf, dass ihre Iris mit goldenen Sprengeln durchzogen war.
"Oh. Es tut mir leid. Ich hätte das nicht so sagen sollen.", flüsterte sie erschrocken.
Ich holte zittrig Luft. "Du hast mir so viel erzählt... also will ich auch nicht so sein."
Sie nickte und nahm vorsichtig meine Hand in ihre. das gab mir ein besonderes Gefühl von Kraft und Verbundenheit und ich fühlte mich bereit, es ihr zu erzählen.
"Ravioli in der Dose. Was fällt einem dazu wohl ein? Richtig, es ist billig, geht schnell und ist einfach zu machen. Dieses Zeug ist so ziemlich das, wovon ich mich die letzten Jahre ernährt habe. Weil.. weil ich keine Mutter habe, die sich für mich in die Küche stellen würde um jeden Tag eine warme Mahlzeit zu zubereiten. Ich habe eine Mutter, aber sie ist ganz bestimmt nicht so. Sie würde für mich nicht kochen, oder irgendetwas anderes tun. Niamals. Den Aufwand bin ich keiner meiner Elternteile wert.
Ich komme mir immer vor wie ein Untermieter wenn ich Zuhause bin, der einfach ab und zu einkehrt, schläft und etwas isst. Was soll ich sagen... ungefähr so ist es und so behandelt man mich auch. Tja, und das einzige, was ich schon früh machen konnte war Ravioli." Ich lachte unter Tränen die mir über die Wange liefen, obwohl das alles anders als wotzig für mich war.
Emma schwieg. Eine Stille breitete sich aus, jene Art von Stille, die von keinem Geräusch gestört wurde, die kein Laut durchbrach, und trotzdem war sie laut und schien mehr zu sagen.
"Wow... das tut mir leid. Toll von dir, dass du so ehrlich warst."
Meinte sie langsam und wischte mir eine Träne unterm Auge weg.
Ich lächelte leicht. "Ja... ich rede nicht oft darüber. Es fällt mir nicht leicht."
Sie nickte verständnisvoll. "Na dann danke, dass ich die Ehre hatte. ich finde es gut, dass du das Rätsel um deine Familie jetzt aufgelöst hast."
Schweigend starrten wir wieder eine Weile die Wand an, bis sie plötzlich aufsprang und ich zusammenschrak. Ihr Augen funkelten und in ihre Wangen kam wieder Farbe.
"Lass uns", sie machte eine künstlerische Pause, um die Spannung zu halten "Lass und aus dem Krankenhaus abhauen."
Was für eine absurde Idee.
Ich dachte, sie würde einen Witz machen und brach in schallendes Gelächter aus. "ja klar."
Doch sie packte mich am Arm, und zerrte daran. "Nein, ehrlich! das war kein Witz oder so!"
ich lachte immer noch, hatte aber schon etwas die Befürchtung, dass sie das wirklich ernst meinte.
"Em... das können wir nicht machen! ich habe eine Gehirnerschütterung und sieh dir dein Bein an.", widersprach ich schnell.
"Aaaach", stritt sie ab und fing jetzt an, mich mit beiden Armen nach oben zu zerren. "Das ist doch gar nichts."
"Und". kämpfte ich weiter und versuchte mich ihrem starken Griff zu entwinden. "wir wissen auch noch nicht, wie es den Jungs geht."
Ein siegessicheres Grinsen erschien auf ihrem Gesicht und sie zog mich mit einem Ruck nach oben auf ihre Augenhöhe.
"Doch", triumphierte sie. "ich habe mit ihnen telefoniert und sie meinten, dass ihr Airbag sofort aufgequollen sei. Außer ein paar Schrammen und leichten Prellungen haben sie überhaupt nichts. Also los!"
Ich wollte sofort noch ein Argument herausschleudern, warum ihre Idee furchtbar war, doch zu meinem Entsetzten humpelte Emma mit einer überraschenden Geschwindigkeit einfach los, ohne auf meine Proteste zu reagieren.
"Nein! Emma!", jaulte ich und vergrub eine Hand in meinen Haaren. Eine Geste, die immer mehr zur Gewohnheit wurde.
Verdammt. Sollte ich ihr folgen? ich brauchte keine Sekunde, da war meine Entscheidung schon gefallen und ich trippelte hinter Emma hinterher, darauf bedacht, ja nicht zu laut zu sein.
Als ich kurz um die Ecke lugte, stellte ich erleichtert fest, dass der kahle Flur menschenleer war.
Ich rannte hinter Emma her, der aufdringliche Geruch von Desinfektionsmittel drang mir in die Nase und in die Atemwege.
"Emma", keuchte ich. "Wo liegen die Jungs überhaupt?"
Ich war völlig genervt von ihrer Aktion.
Was dachte sie sich dabei?
"Folge mir einfach.", rief sie über die Schulter und riss mit Schwung eine Tür auf.
Die Klinke krachte laut gegen die Wand, Emma blieb im Türrahmen stehen und strahlte.
Ich schlitterte die letzten Meter über den sauberen, glatten Fußboden und kam neben ihr zum Stehen.
"Hey Jungs! Lust auf ein Abenteuer?", quiekte Emma aufgeregt.
"Lasst uns aus dem Krankenhaus abhauen!"
Über ihre Schulter erhaschte ich einen Blick ins Zimmer. Jeff und Aiden saßen mit ihren Handys in der Hand auf ihren Betten und blickten uns mit hochgezogenen Augenbrauen entgegen. Offensichtlich überrumpelt von unserem Hereinplatzen.
Es musste ein komisches Bild für Außenstehende sein, wie Emma und ich da so im Türrahmen standen und die beiden Typen gebannt anstarrten, die fragende Blicke wechselten.
Sie schienen ein Gespräch allein mit den Augen zu führen.
Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, lösten sich ihre Augen voneinander und als sie uns ansahen, konnte ich in Aidens Blick dasselbe schelmische Funkeln erkennen wie eben in Emmas.
Er grinste. "Okay, dann lasst uns loslegen."
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~4. Teil, 1735 Wörter~
Ja ja... schlechtes Kapitel, schlechtes Ende, komische A/N. Aber egal.
Ich weiß, war nicht der Hammer und ich habe meinen Titel nicht gut verteidigt, aber wenn ich jetzt Mal richtig abrutsche, ist das halt so.
Freue mich trotzdem über Feedback. Was kann ich verbessern?
Vorallem, beim schreiben so:
Mein Laptop
"Ach, ich gehe jetzt einfach mal herunterfahren und alles immer und immer wieder hochfahren, nh?"
WLAN (für den Laptop)
"Neee, kein Bock..."
Mein Hirn
"Och ich verweigere dir jetzt mal gute Ideen"
Mein Kopf
"...Eine Prise Kopfschmerzen..."
HAHAHAHAHA cool, nicht? xD
Joa, ich hoffe, dass ich nächstes Mal wieder eine bessere Leistung bringen kann.
Geht es euch gut?
LG aleaaquarius24
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