Ich bin da
In den kommenden Tagen funktionierte Sarah nur. Ihr Hausarzt hatte sie aus dem Verkehr ziehen wollen, aber sie hatte sich mit Händen und Füssen gewehrt. Sie wollte nicht alleine Zuhause sein. Die Nächte waren bereits schlimm genug.
Sie arbeitete. Im Büro waren es leichte Tätigkeiten, die sie machte, aber jeder hatte Verständnis. Ihr Hausarzt kam morgens zu ihr ins Büro. Zweimal legte er ihr eine Infusion.
Man bürdete ihr nicht zu viel auf. Und wenn sie an der Brüstung der Terrasse stand und in den Ort sah, achteten alle darauf, das sie auch wieder rein kam.
Mittags, wenn Marc bei seinem Vater war, schickten sie sie zu ihm. Dort sollte sie ein wenig Ablenkung erfahren. Sie unterhielt sich dann ein wenig. Meistens blickte sie aber nur vor sich hin oder sie ging irgendwann raus. Der Senior hielt in den Tagen ihre Hand, auch Marc erlaubte sich diese Nähe bei ihr. Dann nahm er ihre Hand. Auf der Terrasse, wenn sie dort alleine waren, hielt er sie auch umarmt, was sie zuließ.
Er und Nikoletta sorgten sich um sie, denn sie war blaß und man konnte ihr beim Abnehmen zugucken. Sarah trank Cola, aber sie aß tagsüber nichts, beide vermuteten, das sie überhaupt nicht aß.
Da sie nicht auf seine Mails per Handy reagiert hatte, hatte Marc nach drei Tagen abends einfach vor ihrer Tür gestanden.
Sarah hatte ihn Reingebeten, in das penibel geputzte Einfamilienhaus. Ihr Elternhaus, welches jetzt ihr gehörte. In der Küche wollte sie erneut den Lappen schwingen, doch er hielt ihre Hand fest.
"Sarah, es ist alles sauber!", sagte er leise. Sie sah ihn an, ließ es zu, das er sie vor sich zog.
"Er ist weg!", flüsterte sie. Dann ließ sie den Kopf sinken, so daß ihre Stirn gegen seiner Brust lehnte.
"Hast Du geweint?", wollte er ehrlich interessiert wissen. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. "Ich befürchte, wenn ich einmal anfange, kann ich nicht wieder aufhören.", flüsterte sie. "Ich bin da, ich halte Dich!", sagte er leise. Er strich ihr die Haare zurück
Dann merkte er das Zittern ihrer Schultern, als hätte er einen Schalter umgelegt
Er hörte das leise Schluchzen.
Er schlang die Arme um sie, fest.
Er hielt sie, bis sie sich beruhigte.
Sarah wischte die Tränen aus dem Gesicht, erst dann sah sie auf.
Von dem Abend an kam er jeden Abend bei ihr vorbei. Er hielt sie beim Weinen, er trocknete Tränen.
Er achtete darauf, das sie trank.
Er bekam sie nach einer Woche dazu etwas zu essen. Er hatte eine einfache Pizza mitgebracht.
Gleichzeitig war die Trauerfeier organisiert worden.
Am Waldfriedhof würde die Urnenbeisetzung am Friedwald sein.
In dem kleinen Hofcafe, welches ihr Vater so gemocht hatte, würde hinterher zu Kaffee, Suppe und Brötchen geladen.
Am Tag der Beerdigung, zwei Wochen nach dem Tod, am Freitag morgen, hatte sie nur wenig geschlafen.
Sie hatte mechanisch geduscht und die Haare glatt geföhnt.
Es war frostig an diesem Morgen. Ein stahlblauer Himmel zeigte sich.
Sarah trug einen schwarzen Hosenanzug, der den Gewichtsverlust der vergangenen Tage offenbarte, und halbhohe Schuhe. Sogar einen schwarzen knielangen Mantel hatte sie angezogen.
Um halb zehn stieg sie in ihr Auto, aber sie fuhr nicht los. Sie konnte nicht. Alles in ihr sträubte sich zu dieser Beerdigung zu fahren. Das würde es real werden lassen. Dann wäre es wirklich wahr.
Wenige Minuten später parkte neben ihr das knallrote Auto von Marc. Er zog sie aus ihrem Auto heraus. Er hielt sie locker umarmt.
Mit ihren traurigen Augen sah sie zu ihm auf. "Ich kann das nicht!", flüsterte sie.
"Ich bin da!", entgegnete er und öffnete ihr an seinem Auto die Beifahrertür. Sie stieg ein, erleichtert, das er da war.
Marc fuhr zum Friedhof, wo bereits alle in der Kapelle sassen.
Da waren ihre Cousins mit ihren Frauen. Da waren Arbeitskollegen ihres Vaters, Freunde.
Es waren Kollegen von ihr da.
Vorne war die Reihe frei, wo sie sitzen würde. Sie standen in der Tür.
"Ich kann das nicht!", wiederholte sie ihre Worte von Zuhause mit zittern der Stimme. "Du kannst und Du wirst. Du wirst ihm diese letzte Ehre erweisen. Ich bin da, die ganze Zeit! Du bist nicht allein.", gab er leise zurück.
Dann nahm er ihre Hand und ging mit ihr nach vorne, wo er sich neben sie setzte.
Sie wussten beide, wie das jetzt vor ihren Arbeitskollegen aussah, aber das war beiden egal. Während der freien Andacht, mit vielen persönlichen Worten und selbst ausgewählter Musik, weinte Sarah lautlos. Marc hielt immerzu ihre Hand. Auch mit Taschentüchern versorgte er sie.
Bei der Beisetzung der Urne stand er neben ihr, wie auch Nikoletta.
Als dann alle schon zu dem Café aufbrachen, stand sie allein vor dem Urnengrab im Wald.
Sie hielt stumme Zwiesprache, ehe auch sie aufbrachen.
Im Café wurde sie von ihrer Familie begrüsst und umarmt.
Alle sprachen ihr Beileid aus.
Als sie endlich ihren Platz einnahm hatte Marc ihr bereits einen Kakao bestellt. Sogar an die Sahne obenauf hatte er gedacht.
Er registrierte erleichtert das erste echte Lächeln seit Tagen, was er erwiderte. Er hielt ihre Hand, was ihr Sicherheit gab.
Sarah lauschte den Geschichten ihrer Cousins. Lustige Anekdoten ihres Vaters, die für Gelächter sorgten, die die Erinnerung lebendig hielten.
Trotzdem schlüpfte sie irgendwann durch die Terrasse nach draußen.
Die Sonne schien, aber ihr Atem fabrizierte in der eisigen Luft kleine Wölkchen.
Als Marc hinter sie trat, wandte sie sich zu ihm um. Erst jetzt musterte sie ihn genauer. Er trug einen schwarzen Anzug, der einzige den er hatte, gut geschnitten, mit Krawatte. Der Knoten saß schief welchen sie vorsichtig gerade rückte.
"Das hätte ihm gefallen. Die freie Feier, das Beisammen sein, die Geschichten!", gab sie leise von sich.
"Wie geht es Dir?", wollte er wissen. Ehrlich zuckte sie mit den Schultern. "Ich weiß es nicht. Es geht mir nicht gut, aber ich werde wieder werden. Es wird mir wieder gut gehen.", erklärte sie sich.
"Ich danke Dir für die letzten Tage!", sprach sie noch aus.
"Ich bin da für Dich, wie Du immer für mich!", erwiderte er und zog sie in eine feste Umarmung, welche sie erwiderte. Ihr Gesicht ruhte in seiner Halsbeuge, während er über ihren Rücken strich.
Und es stimmte, er wollte für sie da sein.
Drinnen wurde Nikoletta, die sich auch kümmerte, von den Kollegen gefragt, was da los war zwischen den beiden, was sie aber nicht kommentierte.
Abends, als Sarah Zuhause war, war sie an diesem Abend allein. Sie hatte Marc gebeten, an dem Tag allein sein zu können. Widerwillig hatte er ihr diesen Wunsch erfüllt.
Sie nutzte den Abend, um die Kleidung ihres Vaters auszusortieren.
Lediglich ein paar Pullover und einen Anzug behielt sie. Den Anzug aus rein nostalgischen Gründen.
Alles ändert sich.
Sie ist traurig und verzweifelt, aber Marc ist da.
Ob sie einen Weg finden?
Hat Sarah überhaupt einen Kopf für irgendetwas?
Was glaubt ihr?
Schreibt es in die Kommentare!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro