Chapter 35
„Was machst du denn hier?“, fragte Dennis entgeistert, als er seine Sprache wiedergefunden hatte.
„Ich bin auf diesen Ball eingeladen worden“, antwortete meine Oma schnippisch. „Ihr etwa auch?“
„Selbstverständlich“, sagte Josh.
„Komisch, komisch. Vor nicht einmal einer halben Stunde hatte ich den Eindruck, nur zwei von euch seien auf dem Ball. Ihr habt euch in der Zwischenzeit rapide vermehrt.“
„Bitte, komm uns nicht dazwischen“, sagte Marvin freundlich, jedoch mit einer Spur von Härte in der Stimme.
„Und was sollte mich daran hindern? Ich bin eine anständige Bürgerin, die soeben ein paar Verbrecher auf frischer Tat ertappt hat.“
„Bitte. Tu, was sie sagen“, bat Sophie, aber ihre Amme schüttelte bloß den Kopf.
„Schlimm genug, dass sie dich entführt und nicht wieder freigelassen haben. Aber dass sie jetzt den Schatz stehlen, kann ich nicht mehr zulassen.“ Anklagend funkelte meine Oma mich an und zu meiner Überraschung schien sie es ernst zu meinen.
Inzwischen tanzten wir alle nebeneinander, um nicht allzu sehr aufzufallen, und unterhielten uns mit gesenkten Stimmen.
„Du verstehst das nicht!“, sagte Sophie verzweifelt.
„Ich glaube du verstehst hier etwas nicht! Das sind immer noch Verbrecher, die dich gefangen halten, und jetzt gehen sie eindeutig zu weit. Die viele frische Luft muss dich um den Verstand gebracht haben! Und euch alle anderen auch!“, schimpfte meine Oma.
„Psst, nicht so laut“, murmelte Dennis, als die Leute um uns herum verwundert die Blicke hoben.
„Ich sage euch: Wenn ihr wirklich plant, diesen Schatz zu stehlen, könnt ihr mich schon mal ganz oben auf die Liste euerer Widersacher setzen“, drohte meine Oma. „Euer Verhalten ist absolut unverantwortlich!“
„Still, Omi“, entgegnete Dennis, ungerührt von den Vorwürfen. „Außerdem musst du dir keine Mühe geben, wir haben bereits genug Feinde.“
„Tatsächlich?“
„Siehst du die netten Herren da hinten? Ich fürchte, sie haben sich unseren Tod auf die Flagge geschrieben.“
„Oh“, war alles, was meine Oma dazu sagen konnte. „Die kenne ich. Was heißt hier, kennen. Ich sage nur: Wenn ihr sie in einem finsteren Gang trefft, packt sie und werft sie für mich aus dem nächsten Fenster.“
„Ich dachte, wir wären unverantwortlich und nicht zivil genug?“, grinste Josh.
„Ah, Gesellschaftstanz“, sagte meine Oma, ohne auf sein Kommentar einzugehen und wirbelte mit dem nächsten Tanzpartner davon.
„Warte!“, rief Dennis, schnappte sich ebenfalls eine Partnerin und tanzte ihr hinterher. Während Josh von einem fremden Mädchen weggepflückt wurde, schnappte ich mir Marvin und tanzte meiner Oma hinterher.
„Warum läufst du nicht weiter?“, fragte ich Marvin nach drei Schritten.
„Du stehst auf meinem Fuß.“
„Gut. Jetzt nicht mehr.“
„Deine Schuhe sind spitz.“
„Ich weiß, sorry“, entschuldigte ich mich und wich einem weiteren tanzenden Pärchen aus. „Kannst du meine Oma irgendwo sehen?“
Marvin stellte sich auf die Zehenspitzen und wirbele einmal mit mir im Kreis, dann deutete er nach links.
„Da lang.“
„Passt doch auf“, schnauzte uns ein Mann an, als wir ihn fast über den Haufen tanzten.
„Sei nicht so grob mit ihnen. Siehst du nicht, wie süß sie sind?“, sagte seine Frau.
„Oh Gott, schnell weg hier“, stöhne Marvin Augen rollend, und grinsend folgte ich ihm.
„Hier müssen sie ungefähr sein“, meinte ich. Wieder drehten wir uns und wieder wechselten wir die Richtung.
„Gott, was für ein Chaos“, stöhnte Marvin, gerade als das Chaos erst begann.
Plötzlich lösten sich die Paare auf und ein Partnerwechsel fand statt.
„Nein!“, jammerte ich und klammerte mich an Marvin, der mich schützend in die Arme nahm.
„Los, auch ihr beiden“, sagte ein Mann neben uns. Er schien es nur gut zu meinen, aber das Mädchen, das sich kurz darauf begleitet von einer gigantischen Parfümwolke auf Marvin stürzte, meinte es sicher nicht so gut. Im Nu hatte sie mir Marvin entrissen und schwebte mit ihm davon, während ich von einem netten, alten und leider auch sehr gesprächigen Herrn aufgelesen wurde. Die ganzen folgenden fünf Minuten zeigte er mir all die jungen attraktiven Männer im Saal und vergaß dabei auch nicht, regelmäßig auf Marvin anzuspielen.
Ich leugnete jedoch jegliche Beziehung zu ihm, zumal ich nicht sonderlich interessiert an den „jungen, gut aussehenden Herren“ war. Froh, als der nächste Partnerwechsel stattfand, hielt ich nach einem bekannten Gesicht Ausschau, und tatsächlich: Dort, in der Masse erspähte ich Aron.
Im nächsten Moment erspähte ich ein Mädchen, das ebenfalls zielstrebig auf ihn zuhielt.
Nein!, dachte ich, rannte los, trat auf den Saum meines zu langen Kleides, und stolperte. Stolperte buchstäblich in die Arme eines Fremden.
Kräftige Arme fingen mich auf und für einen kurzen Moment klammerte ich mich an den Schultern des Mannes fest, dann wurde ich ein Stück zurückgeschoben.
„Da bist du ja wieder“, sagte eine wohlbekannte Stimme und ein Blick nach oben bestätigte meine schlimmsten Vermutungen. Es war einer der anderen Verbrecher.
„Lass sie los, du hast schon wieder die Falsche“, schnauzte Josh und entriss mich dem Mann. Mit einem finsteren Blick tanzte er davon, mich im Schlepptau.
„Komm schon, ich dachte, du kannst einigermaßen tanzen“, sagte er, nun wieder freundlich.
„Wir sind hier nicht zum Tanzen“, verteidigte ich mich, was bei Josh jedoch nur ein mildes Lächeln hervorrief.
„Viel wichtiger ist“, fuhr ich fort. „Hast du Dennis wiedergefunden?“
„Ja. Er sagt, die Oma sagt, sie würde uns helfen, aber wir dürfen Sophie nichts davon verraten, weil das ihrer Erziehung nicht guttun würde. Die Alte spinnt, wenn du mich fragst.“
„Sie ist meine Oma!“, verteidigte ich sie. „Und sie spinnt nicht!“
„Ja ja. Übrigens: Gerade eben hast du richtig getanzt.“
„Echt?“, fragte ich erstaunt.
„Jetzt wieder nicht. Das war mein Fuß. Aber das kriegen wir noch.“
„Ich will nicht tanzen lernen!“, protestierte ich. „Wir müssen die anderen wiederfinden.“
„Was hältst du davon, dass wir zu ihnen tanzen?“, schlug Josh vor.
„Von mir aus. Sieh mal, da hinten ist Sophie!“
„Wer ist denn der elende Schnösel, mit dem sie tanzt?“, fragte Josh.
„Josh! Beherrsche dich!“, lachte ich und begann, in Sophies Richtung zu tanzen.
„Dora. Du führst gerade.“
„Was tue ich?“, fragte ich verwirrt.
„Du führst. Aber beim Tanzen führen die Männer.“
„Ach so“, sagte ich ungerührt. Ein breites Lächeln war die Antwort.
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