Chapter 1
An diesem Abend hatte ich Angst und fühlte mich einsam. Einsam fühlte ich mich, weil Marvin so weit weg und unerreichbar schien und Angst hatte ich davor, dass er zurückkommen könnte.
Mitten in der Nacht, so fürchtete ich, würde er kommen und das Buch zurückholen. Dass ich es unter meiner Bettdecke versteckt hatte, ja, praktisch darauf schlief, machte es nicht sonderlich besser.
Also rief ich Aron an und keine Minute später rückte er bepackt mit einer Decke und seinem Kopfkissen an.
„Wo ist die Matratze?“, fragte er, worauf ich bedeutsam einen Finger hob.
„Moment.“ Kurz darauf zerrte ich unter dem misstrauischen Blick meiner Mutter eine weitere Matratze in mein Zimmer, wünschte ihr Gute Nacht und schloss die Tür.
„So. Ich wünschte, ich hätte einen Schlüssel für meine Zimmertür“, murmelte ich und ließ mich zurück auf mein Bett fallen. Sofort tasteten meine Finger nach dem Buch, das natürlich noch da war.
„Ist es wegen Marvin, Josh und Dennis?“, wollte Aron wissen, während er es sich in meinem Zimmer bequem machte.
„Erfasst. Ich möchte nicht alleine sein, wenn diese Halunken bei mir einbrechen, um das Buch zurückzuholen.“
„Wo du recht hast, hast du recht“, meinte Aron. „Besser, wir halten abwechselnd Wache.“
„Gute Idee“, stimmte ich zu.
Keine halbe Stunde später waren wir eingeschlafen.
„Das Buch! Aron! Wach auf! Das Buch ist weg!“, zeterte ich, tastete nach dem Weltentor und flippte endgültig aus, als ich es auch beim zweiten Versuch nicht fand.
„Wassn los?“, gähnte Aron, rieb sich den Schlaf auf den Augen und zuckte zusammen, als ich ihn am Kragen zu mir heranzog.
„Das Buch ist weg! Es ist alles aus!“, klagte ich so laut, dass er mich verstört ansah.
„Lass uns doch erst mal suchen, bevor wir durchdrehen“, schlug Aron nun schon etwas wacher vor, plumpste jedoch rückwärts auf seine Matratze zurück, als ich ihn losließ.
Immer noch verrückt vor Sorge schielte ich unter mein Kopfkissen und nun begann auch Aron, mein Bett zu durchwühlen. Ich lugte sogar unter meine Matratze, aber da ich dadurch freien Blick auf das Chaos unterm Bett hatte, ließ ich sie schnell wieder fallen.
„Dora, ich hab’s“, verkündete Aron plötzlich.
„Was?“, fragte ich, hellhörig geworden.
„Ich habe das Buch. Es ist bloß aus deinem Bett gefallen.“ Grinsend hielt Aron das Weltentor hoch, worauf mir ein erleichterter Seufzer entfuhr.
„Na dann …“, langsam warf ich einen Blick auf die Uhr und erstarrte. „In zehn Minuten fängt die Schule an!“, rief ich entsetzt, sprang förmlich in meine Klamotten, wobei ich meinen Schlafanzug aus Zeitgründen einfach anließ. Dann begann ich in Windeseile meine Hefte, sowie das Weltentor in die Schultasche zu werfen.
„Besser wir nehmen es mit. Nur zur Sicherheit“, erklärte ich Aron, der nur schnell sein Hemd wechselte. Die Jeans hatte er erst gar nicht ausgezogen.
Keuchend standen wir keine zwei Minuten später vor der Haustür, exakt so aussehend wie jemand, der gerade aus dem Bett gefallen war, was ja auch der Fall war.
„Ich kann nicht mehr“, ächzte ich, aber Aron packte mich unbarmherzig ab Arm und rannte los.
„Du bist gerade mal durch dein Haus gerannt. Wir haben überhaupt keine Zeit, um schlappzumachen!“
Also rannten wir durch die Straßen, bogen pfeilschnell um jede Kurve …
… und stolperten plötzlich beinahe über eine Gestalt, die auf dem Gehweg hockte und sich die Schnürsenkel band.
„Morgen, ihr zwei.“ Grinsend erhob sich der nur allzu bekannte Junge.
„Marvin“, hauchte Aron verdattert und auch ich wusste nicht, ob ich ihn umarmen oder besser schreiend wegrennen sollte. Da nahm man schon das Buch mit, damit es diesen Verbrechern nicht ihn die Hände fiel, und was passierte? Marvin kam einfach zur Schule!
Besorgt umklammerte ich meine Schultasche, und das aufgezwungene Lächeln verrutschte zum Zähnefletschen, als ich sagte: „Hi Marvin. Schön, dass du wieder zurück bist.“
„Zurück? Ihr wisst doch: Ich war überhaupt nicht weg.“ Lächelnd stieß Marvin mich an, aber seine Augenringe verrieten ihn. Sie zeugten von einer extrem unerholsamen Nacht, die Marvin, Josh und Dennis wahrscheinlich im Auto verbracht hatten.
„Ja, ja, keine Angst. Wir verraten dich nicht. Jetzt lass uns besser zur Schule gehen, wir kommen sowieso schon zu spät“, sagte Aron.
„Ach, wo wir gerade bei Schule sind … Ihr habt doch sicherlich die Hausaufgaben gemacht?“, wollte Marvin mit einem hintergründigen Lächeln wissen.
„Du etwa nicht?“, zog ich ihn auf.
„Was denkst du denn?“, fragte Marvin zurück. „Ich hatte gestern ja irgendwie … keine Zeit.“
„Ah. Natürlich.“ Unverschämt grinste ich ihn an und er grinste unverschämt zurück. Nur Aron grinste nicht. Er lächelte auf eine hintergründige Art und Weise.
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