5. Das Probetraining | Janis
Gegen 16:00 Uhr versammeln sich einige Gestalten in Sportkleidung auf den Sportplatz hinter dem Schultrakt. Die Meisten wirken nervös und malträtieren angespannt den Rasen unter ihren Füßen mit den daran haftenden Fußballschuhen, indem sie rastlos umhertigern und ab und an nach einem wehrlosen Grashalm treten.
Die vor fünfzehn Minuten geendete Doppelstunde habe ich vor allem damit verbracht, mir von Elvin ein Ohr abkauen zu lassen, als dieser mit unheimlicher Hingabe versuchte, mich auf das jetzige Training vorzubereiten.
„Fokussier dich nicht zu sehr auf die Technik", riet er mir, „die Mannschaft hat bereits ihre Starspieler - du solltest lieber deine Verlässlichkeit unter Beweis stellen, sei ein Teamplayer und beweis dem Coach, dass du eine klare Spielweise hast, ohne unnötige Schnörkeleien."
„Okay", sagte ich dann, während ich halbwegs versuchte dem Unterricht zu folgen. Die Standards auf der St. Elmar sind eindeutig höher als auf sämtlichen von mir besuchten öffentlichen Schulen. Bereits nach dem zweiten Tag raucht mir gewaltig der Kopf und der Schlafentzug durch meine nächtliche Wanderung macht es auch nicht gerade einfacher fokussiert zu bleiben. Wobei ich zugeben muss, dass der Wutausbruch unseres Wirtschaftslehrers an diesem Morgen schon unterhaltsam ausgefallen war...
Der Coach der Mannschaft bläst lautstark in seine Pfeife und ich reihe mich brav in die nun entstehende Reihe ein. Nach einer knackigen Ansprache, müssen wir Paare bilden und mehrere Aufwärmungen absolvieren. Mein Partner ist ein riesiger Kerl, unter dessen Achseln sich bereits nach kürzester Zeit triefende Halbmonde abzeichnen.
„Dein erstes Mal?", fragt er, nachdem er mir seinen Namen verraten hat. Kevin.
„Was?", frage ich nur.
„Das Probetraining. Ich hab dich davor noch nie gesehen."
„Wundert mich nicht", erwidere ich, „ist auch erst mein zweiter Tag an dieser Schule."
„Wirklich? Dann sei besser nicht zu enttäuscht, wenn du gleich vollkommen abstinkst. Keine andere Schule im Umkreis von zweitausend Meilen hat ein härteres Einstiegstraining. Dafür sind wir berüchtigt und gefürchtet."
„Ah", meine ich nur und damit endet die Konversation vorerst.
„Na schön, Mädels", verschafft der Coach sich Gehör, „diejenigen unter euch, die durch dieses leichte Stretching noch keine Muskelzerrung davongetragen haben, teilen sich jetzt in zwei Mannschaften auf - wir beginnen das Trainingsspiel."
Schon gleich nach dem Anpfiff wird klar, dass es sich hierbei um kein Freundschaftsspiel handelt. Doch da ich wenig Lust verspüre, mich blindlings in die Schlacht um den Ball zu werfen, versuche ich lieber, in einer immer gut anspielenden Position zu bleiben und möglicherweise auftretende Verteidigungslücken im Blick zu behalten. Wirklich viel bringt es nicht, durch die Menge an vergebenen Gelben Karten kommt kein richtiger Spielfluss auf und die Frustration steigt von Minute zu Minute mehr an. Zur Halbzeit geht gut die Hälfte der spielenden Mannschaften ab - entweder zu drangsaliert, um weiterzumachen oder vom Coach höchstpersönlich vom Platz geblasen.
Ich kuschle mich seufzend ins Gras und trinke in einem Zug meine angebrochene Wasserflasche leer. Klebriger Schweiß kriecht mir mein Rückgrat hinunter und verströmt einen unangenehmen Geruch.
„Abgesehen davon, dass du noch keinen Ballkontakt hattest, schlägst du dich ganz passabel."
Überrascht blicke ich auf und sehe wie Valentin höchstpersönlich neben mir aufragt.
„Beginnst du jetzt etwa schon den Mitbewohner deines Freundes nachzustellen? Gruslig."
„Du hältst dich echt für amüsant, oder?"
„Humor ist eine bewährte Waffe um mit Stress umzugehen."
„Stresst es dich etwa mit mir zu reden?"
„Na klar. Du bist der verdammte Erlkönig. Mit dir sollte man es sich besser nicht verscherzen."
„Du verbringst offensichtlich zu viel Zeit mit Morten Glas."
„Ganz deiner Meinung - ich sollte mir allmählich einen neuen Sektenführer suchen - kannst du zufällig einen empfehlen, einen der wenigstens noch ein kleines Minimum an eigener Meinung zulässt? Vielleicht zur Abwechslung jemanden mit wenig Selbstbewusstsein und einer Vorliebe für spätmittelalterliche Liebesliteratur?"
„Es ist immer wieder unterhaltsam, wenn Morten versucht meinen engsten Kreis zu unterwandern", sagt Valentin grinsend und geht neben mir in die Hocke. „Irgendwie krank, aber dennoch süß. Und bisher hast du es ehrlich am weitesten gebracht. Nina mag dich wirklich. Ich bin fast so etwas wie beeindruckt."
„Danke. Ich meine, das ist ein ausgesprochen verstörendes Kompliment, aber danke."
„Versteh mich nicht falsch, du kannst dieses Schmierentheater meinetwegen solange weiterspielen wie du willst - ist mir egal. Aber schlussendlich verschwendest du damit einfach nur deine Zeit."
„Kein Thema - ich bleibe ohnehin nicht lange. Doch bis dahin könnten wir uns doch gegenseitig unterstützen."
„Du willst als Doppelagent fungieren? Kein Interesse. Ich weiß auch so, was mein durchtriebener Freund in seiner Freizeit treibt."
„Hmm... so habe ich es nicht unbedingt gemeint. Jeder will doch etwas, richtig? Also, im Austausch für etwas Zeit im engsten Kreis, besorge ich dir was du möchtest."
„Und was möchte ich deiner Meinung nach?"
„Ein Date mit Morten. Ein richtiges Date, außerhalb der Schule. Beim nächsten Freigang."
Valentin lacht auf, ein freudloses und nicht besonders charmantes Lachen. „Du denkst, das wünsch' ich mir?"
„Ich weiß nicht, vielleicht. Wenn du mehr in ihm siehst als ein Spielzeug, dass du nur bei Bedarf aus der Schublade ziehst, dann ja. Schätze schon."
Der Pfiff für die zweite Halbzeit beendet unsere Konversation abrupt. Und, auch wenn ich es kaum für möglich gehalten habe, die Verletzungsrate steigt weiter rapide an, bis wir am Ende des Trainingsspiels nur noch zu sechst auf dem Spielfeld stehen.
Das Ganze erinnert mich allmählich mehr an ein Survivaltraining, als an eine Trainingseinheit - doch außer mir scheint das niemanden aufzustoßen.
„Für dein erstes Mal hast du dich erstaunlich gut geschlagen", keucht Kevin neben mir und reicht mir ein Handtuch. „Vielleicht schaffst du es sogar in die engere Auswahl."
„Und was bedeutet das?"
„Das wir Samstag am richtigen Training teilnehmen dürfen. Auf Bewährung."
„Kann's kaum erwarten", murmle ich in das Handtuch, was ich mir ins Gesicht presse und Kevin klatscht mir aufmunternd auf den Rücken. „Guter Mann. Wir sehen uns Samstag."
Damit habe ich die erste Hürde wohl mehr oder weniger gemeistert.
Ich schiebe mir das Handtuch vom Gesicht auf den Kopf und angle mir eine zweite Wasserflasche aus dem bereitgestellten Träger.
Diejenigen, die sich nicht vollkommen fertig auf dem Rasen zusammenkauern, betasten mit schmerzverzerrten Gesichtern ihre davongetragenen Blessuren oder stieren mit ausgelaugtem Blick ins Leere.
„Hey", sagt plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir und ich fahre halb herum. Nina ist vielleicht keine herausstechend wilde Schönheit wie Greta, aber in dem langärmligen Kleid und dem breiten Samthaarreif im weißblondem Haar, sieht sie sehr hübsch aus.
„Du warst klasse."
„Ich hatte gefühlt dreimal Ballkontakt."
„Ach darum geht es bei diesem Sport? Hmm... dann warst du wohl eher schlichtweg beschissen. Vielleicht schreibe ich einen Artikel darüber. Die Schlagzeile betitle ich mit: Der Scheideweg des Neuen - ist sportliches Versagen erst der Anfang?"
„Find' ich gut. Hält mir alle Optionen für weiteres Scheitern offen - was gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern mehr als wahrscheinlich ist. Hoppla, Spoileralarm!"
Sie lacht. Ein ehrliches, wunderbar authentisches Lachen, welches ich ihr bei unserer ersten Begegnung niemals zugetraut hätte.
„Na wenigstens bei dir kommen meine Sprüche an."
„Was denn? Hat Morten Glas dein loses Mundwerk nicht gefallen und dich in der ersten Woche abserviert? Skandalös!"
„Im Gegenteil, zwischen mir und meinen Mitbewohner läuft's klasse - nur sein Freund kann mich offensichtlich nicht leiden. Seltsam, oder? Ich bin bezaubernd."
„Und so bescheiden!", fügt Nina grinsend hinzu. „Nimm es nicht persönlich. Morten hat in dieser Hinsicht in der Vergangenheit einfach schon zu viel Mist gebaut."
„Wieso? Hat er es gewagt Valentins Freundschaftsanfrage auf Facebook zu ignorieren?"
„Nein, aber er hat seine beste Freundin dazu angestiftet, seinem besten Freund das Herz rauszureißen", entgegnet sie frostig und sofort fällt die Temperatur in unserem Gespräch um einige Grad.
„Was?"
„Ja, allerdings. Noel ist bestimmt kein Unschuldslamm, aber er hat Greta gemocht und hatte es wirklich nicht verdient auf diese dreckige Art und Weise verarscht zu werden."
„Tja, also diese Gutenachtgeschichte kannte ich noch gar nicht."
„Ach", schnaubt sie verärgert, „waren wohl zu sehr damit beschäftigt uns als die absoluten Monster darzustellen und hatten anschließend keine Zeit mehr, bei deinem Aufnahmeritual über ihre eigenen Verfehlungen Beichte abzulegen, was?"
„Zur Verteidigung - mein Aufnahmeritus dauerte bloß knapp eine Zigarette lang."
„Tut mir leid, ich weiß, Morten ist dein Mitbewohner und du bist ihm schon verfallen, aber... lass dich nicht zu sehr von ihm in die Scheiße reiten."
„Ich versuch's", gelobe ich feierlich, „aber versprechen kann ich nichts."
„Idiot", sagt sie mit einem zurückkehrenden Grinsen und lässt mich alleine auf dem Rasen hocken.
Diese Schule hat wirklich mehr Intriganten als ein Nonnenkloster Jungfrauen... und bis ich hier wieder wegkomme, steck' ich mittendrin.
So langsam sollte ich wohl den Rückweg antreten und mir eine Duschgelegenheit suchen. Ich rieche übler als nach meinem dreiwöchigen Seifenstreik. Aber wenigstens blieben die übrigen Hochzeitsgäste dadurch auf gebührenden Abstand... und meine Mutter hat die lächerliche Idee aufgegeben, mich als ihren Ringbewahrer zu missbrauchen.
„Du verstehst dich gut mit ihr, was?"
„Mit Nina?", frage ich unschuldig und nehme Gretas ausgestreckte Hand an, die mich aus der Hocke hochhievt. Den inzwischen erkalteten Schweiß meiner Handinnenfläche, wischt sie sich anschließend unbeeindruckt an der Arschtasche ihrer Jeans ab.
„Lass mich raten... Hat sie dir eine nette kleine Geschichte über uns aufgetischt, damit sie selbst wieder im besseren Licht dasteht? Gar nicht so einfach, nachdem sie so deutlich klargemacht hat, wem ihre Loyalität nach der Erik-Leon Sache gilt."
Gespielt nachdenklich legt sie den Kopf schief und zwirbelt eine ihrer unbändig langen Strähnen.
„Basierend auf ihrer tiefverwurzelten Bösartigkeit würde ich sagen... sie hat ein paar pikante Infos aus meinem Liebesleben erörtert. Dass ich Mortens kleine Privathure bin und bereitwillig mit jedem ins Bett steige, solange ich mir davon einen Vorteil erhoffe."
„Also hast du ihn geliebt?"
„Was?"
„Noel. Wenn Morten dich nicht angestiftet hat, muss es doch eine andere Erklärung geben, warum du mit ihm zusammen warst."
„Ich denke nicht, dass dich das etwas angeht."
„Tut es nicht. Trotzdem bist du diejenige, die damit angefangen hat sich für dein Liebesleben rechtfertigen zu wollen. Mir ist es nämlich völlig egal, mit wem du in der Vergangenheit liiert warst und warum - geht mich ja auch wirklich nen feuchten Dreck an. Ich weiß nur, dass ich mit niemandem schlafen werde, nur um Morten damit glücklich zu machen."
„Du willst mit Nina schlafen?"
„Wenn, dann nur, weil ich es aus freien Stücken möchte. Und sie natürlich auch."
„Wie nobel von dir", bemerkt sie schnippisch. „Aber mach dir keine falschen Hoffnungen, ich bezweifle stark, dass unsere Eiskönigin echtes romantisches Interesse an dir hegt."
„Man kann nie wissen", bleibe ich optimistisch und das hübscheste Mädchen, welchem ich je begegnet bin, verdreht daraufhin die Augen.
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( ̳• · • ̳)
/ づ♡
Danke fürs Lesen❤️
Vielleicht magst du ja auch Voten oder mir ein kleines Feedback hinterlassen(^^)>
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