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2. Die Rückkehr

Der Mädchentrakt befindet sich im ersten Stock des Westflügels. Morten und ich geleiten Greta noch bis zu ihrer Zimmertür und traben dann weiter auf unser eigenes Stockwerk.

Ich gehe vor und zucke zusammen, kaum, dass ich über die Schwelle getreten bin. Ein Typ im schwarzen Trainingsanzug hockt auf Mortens Bett und analysiert meine Kamera.

»Hast du endlich jemanden gefunden, der deine Schandtaten für dich festhält?«

Ich drehe mich fragend zu Morten um, teils, weil ich gerne wütend werden würde und aus unerklärlichen Gründen vorab sein Okay dafür einholen möchte, teils, um abzuprüfen, ob es doch so eine Art Test ist, und er sehen will, wie ich reagiere. Doch sein Anblick verunsichert mich nur noch mehr, flüchtig wirkt er wie vor den Kopf gestoßen, bevor er sich zusammenreißt und zu seinem berechnenden Selbst zurückkehrt.

»Was willst du, Val?«

Angesprochener legt die Canon beiseite. »Du hast dich nicht an unsere Abmachung gehalten.«

»Ich war beschäftigt.«

»Sechs Wochen?«
Seine sturmgrauen Augen funkeln gefährlich. Er gehört zweifellos zu dem raren Typ Mensch, in deren Gesellschaft man sich sofort minderwertig fühlt - attraktives Erscheinungsbild, gekoppelt an eine unnahbare Präsenz.

»Es war ein geschäftiger Sommer«, entgegnet Morten und schlürft hinüber zu seinem Schrank. »Und ein langer. Wenn es dir also nichts ausmacht ...«

Einen Moment scheint der ungebetene Gast abzuwägen, ob es sich lohnt die Diskussion fortzuführen, kommt jedoch zu dem Schluss, dass dies wohl nicht der Fall ist. Er schiebt sich vom Bett und geht ohne ein weiteres Wort hinaus.

»Was war das denn?«, frage ich überfordert, während ich rasch meine Canon aufklaube und nach etwaigen Schäden untersuche. Meine Wangen glühen. Zwar habe ich keine peinlichen Fotos darauf abgespeichert, trotzdem fühlt es sich wie ein gewaltsamer Eingriff in meine Privatsphäre an.

»Die High Society

Ich muss wohl ziemlich blöd aus der Wäsche gucken, den während er in T-Shirt und Pyjamahose wechselt, wird er ausführlicher: »Das St. Elmar ist eine Einrichtung für verhaltensauffällige Teenager von Eltern mit gut gefüllten Bankkonten, richtig?«

Ich nicke artig.

»Wobei verhaltensauffällig einen eher dehnbareren Begriff umschreibt. Das geht bei Kreditkartenentwöhnung los und endet irgendwo zwischen Abfacklung des Sommerhauses auf den Bahamas oder übermäßigem Alkoholkonsum. Oder aber, du willst einfach nicht den Part spielen, den deine Familie für dich vorgesehen hat. Im Klartext, die meisten Kids hier sind harmlos.«

»Du findest Brandstiftung harmlos?«

»Jedenfalls geht es nicht darum warum jemand hier ist, es geht darum wer«, übergeht er meine Anmerkung einfach. »In der wirklichen Welt gehören Macht und Einfluss einem nicht einmal fünf Prozent ausmachenden Teil der Bevölkerung - und diese künftigen fünf Prozent üben schon jetzt für den großen Showdown. Warum auch nicht? Sie sind gelangweilt und es gewohnt, dass jeder und alles nach ihrer Pfeife tanzt.«

»So Game of Thrones-mäßig?«
Inzwischen habe ich mich auf mein Bett gesetzt und die Kamera in mein Nachtkästchen verstaut. Morgen würde ich mir einen weniger offensichtlichen Aufbewahrungsort überlegen.

»Nicht ganz so viel Inzucht, kommt aber ansonsten hin. Grob kann man die Schüler dieses Internats in vier Gruppierungen unterteilen; die High Society, deren arschkriechende Gefolgschaft, die Normallos und uns.«

»Und dieser Typ eben war ...?«

»Valentin von Schlichting.«

»Von Schlichting? Warte ... doch nicht etwa ...«

»Allerdings. Er ist der Sohn von Johann von Schlichting, unserm derzeitigen Innenminister.«

»Krass. Den sehe ich ständig im Fernsehen, wie er irgendwelche Interviews gibt.«
Vor meinem geistigen Auge taucht ein charismatischer Mann in seinen späten Vierzigern auf, mit gewinnbringendem Lächeln und zurück frisiertem Haar. Ein Mann, der dafür bekannt ist, für seine Überzeugungen einzustehen und wenn es sein muss, auch an der eigenen Partei Kritik übt.

»Er ist demnach der Abkömmling eines hochrangigen Politikers, hmm?«
Ich fahre mir durchs kurze Stoppelhaar und frage mich, ob Greta wohl in meinem T-Shirt schlafen wird. »Wobei der eigentlich immer einen ausgesprochen sympathischen Eindruck macht.«

»Nicht hinsehen, wenn alle hinsehen«, murmelt Morten in den beginnenden Halbschlaf hinein. »Dann, wenn es keiner tut.«

*

Was habe ich erwartet? Eine düstere postapokalyptische Stimmung? Missbilligende Seitenblicke? Einen Schrank, der mich niederringt und meine Nieren malträtiert?

Nichts davon tritt ein.

Am Morgen folge ich Morten einfach in die Eingangshalle, wo es durch eine angegliederte Tür in den Hörsaal weitergeht. Greta und Elvin haben uns jeweils einen Platz freigehalten, am Mittelgang der rauschenden Schülerschar. Bedauerlicherweise rutscht Morten ganz selbstverständlich neben die Brünette.

»Was ist los?«, fragt diese nach einem prüfenden Blick in sein Gesicht.

»Valentin hat mir gestern noch einen Besuch abgestattet.«

»Und?«

Er zuckt die Schultern. »Schwer einzuschätzen. Hast du sie schon ausgemacht?«

»Hinter uns, letzte Reihe.«

Ganz automatisch drehe ich den Kopf. Valentin sitzt tatsächlich dort oben, die weißen Sneakers auf der Sitzlehne vor sich abgestützt, und unterhält sich mit seinen beiden Sitznachbarn, einem fast weißblonden Typen mit gelangweilter Miene und einem ungesund hageren Kerl, der aussieht wie ein Skelett.

»Hey!«
Jemand erteilt mir einen Rüffel - Greta. »Hör auf mit diesem Gestarre, Dumpfbacke. Wir heucheln niemals Interesse.«

»Es ist keine Heuchelei«, erwidere ich und reibe mir den schmerzenden Oberarm. »Ich bin neugierig. Wer sind die anderen beiden?«

»Noel Cordier und Gerald Wendiger. Ersterer ist Spross eines Firmenchefs bei Siemens und einer ehemaligen französischen Kunstturnerin, den Wendigers gehören dagegen mehrere private Kunstgallerien verstreut in ganz Europa«, klärt Elvin mich netterweise auf. »Davon abgesehen ...« Sein Tonfall sinkt ab, bis kaum mehr als ein heiseres Flüstern übrigbleibt: »... waren Noel und Greta einmal liiert. Sechs Monate.«

»Danke, Wikipedia«, sagt Greta säuerlich.

»Er hätte es sowieso irgendwann spitzgekriegt. Und dann würde er sich fragen, warum wir es geheim gehalten haben und daraus unweigerlich schließen, dass er dich verlassen hat und du noch weiter unterschwellige Gefühle für ihn hegst.«

»Bist du fertig?«

»Fast. Was sie nicht tut. Weil sie klug genug war, ihn zuerst abzuschießen, auch wenn es ein bisschen seltsam ist, dass sie seitdem kein einziges richtiges Date mehr hatte.«

»Wenn du Janis schon über mein Liebesleben updatest, solltest du ihm auch unbedingt von der fragwürdigen Obsession deines Schwarms berichten. Nina Auenburg, dem vermutlich weißesten Mädchen, welchem je vergönnt war auf Erden zu wandeln.«

»Das ist rassistisch.«

»Ihre Ahnen waren mit Sicherheit Mitbegründer des Kuk-Klux-Klans.«

Elvin stöhnt. »Nur weil sie einmal an einer Pegida-Demonstration teilgenommen hat, ist sie nicht automatisch-«

»Haltet die Klappe«, spricht Morten ein Machtwort und der aufkeimende Streit erstickt augenblicklich. »Wir haben aktuell wirklich andere Probleme.«

»Ich habe da mal ne Frage.«
Meine Hand hebt sich ganz lehrbuchhaft. »Wenn du von wir redest, meinst du doch unser Widerstandsgrüppchen, korrekt? Aber wie bilden wir eigentlich eine Meinung? Durch Mehrheitsentscheid?«

Abgesehen vom rauschenden Lärm, den die restlichen Schüler veranstalten, herrscht einvernehmliches Schweigen.

Ich wusste es.

»Die Meinung des Widerstandes synchronisiert also lückenlos mit deiner eigenen. Alles klar - überhaupt nicht sektenhaft.«

Morten öffnet den Mund, doch in diesem Moment betritt die Rektorin die Halle, gleitet elegant mit hinterrücks verschränkten Armen zum Rednerpult hinauf.

Vor gut einem Monat, als ich zum ersten Mal in ihr Büro geschleift wurde, präsentierte sie sich als harmonischer Buddha-Abkömmling, von dem alle meine finsteren Blicke abgeprallt waren wie Wasser an einer Kunststoffplane. Sie vermittelte Eltern die absolute Gewissheit, dass egal wie nervenaufreibend der Umgang mit ihren Zöglingen auch sein mochte, sie damit zurechtkommen würde. Von dieser Schule flogen nicht einmal die schwierigsten Kandidaten. Im Gegenteil, die waren sogar ihre Lieblinge.
Und genauso selbstsicher stellte sie sich nun vor diese, erzählte dieses und jenes und keiner, nicht einmal Morten, unterbrach dieses plötzlich heraufbeschworene Schweigegelübde.

Sie ist gut. Beunruhigend gut.

Anschließend sind wir entlassen und traben artig nacheinander aus der Halle.

»Wen haben wir zuerst?«

»Hörmann«, antwortet Elvin wie aus der Pistole geschossen und rückt beiläufig sein Brillengestell zurecht.

»Mögen wir den?«, frage ich Morten betont grübelnd und dieser präsentiert mir seinen Mittelfinger. Anscheinend mag er es nicht, wenn man seine Absolutheit infrage stellt. Innerlich grinsend merke ich kaum den zweiten Rüffler von Greta - an diesem Abend werde ich wohlgemerkt voller blauer Flecken sein.

»Hörmi ist ganz in Ordnung«, erläutert Elvin mir bereitwillig. »Er ist einer der Wenigen, der diesen pädagogischen Bockmist aufgegeben hat und uns meistens machen lässt, solange wir es wohlgemerkt nicht während seiner Stunden tun.«

»Dann wird er garstig«, ergänzt Greta. »Bei der Fischer hast du gute Karten so lange du ein wenig Interesse heuchelst, Riedling mag jeden, der ihm nur tief genug in den Arsch kriecht, Kretschmer ist absolut leistungsorientiert und unser Seelsorger Richter versucht ständig dir deine dunkelsten Geheimnisse zu entlocken.«

»Klingt doch lustig«, behaupte ich.

Wir betreten den Biologiesaal. Plakate von den abgefahrensten Dingen pflastern dort die Wände. Millionenfach vergrößerte Kleinstlebewesen, Insekten mit ungesund vielen Augen und Beinen, sowie ein unheimlich skelettartiger Tiefwasserfisch.
Fasziniert folge ich Elvin in die linke vorletzte Reihe hinauf. So sah das in meiner alten Schule nicht aus - wir hatten bloß ein altes klappriges Skelett, dem irgendjemand vor Jahren den Kopf geklaut und nie mehr zurückgebracht hat.

Nach und nach strömen meine neuen Mitschüler herein. Auch das ist irgendwie anders. Keiner schlürft oder gähnt, niemand ist in Jogginghose unterwegs oder gar ungekämmt. Manche sind sogar richtig herausgeputzt; tragen polierte Markenschuhe, fleckenlos gebügelte Blusen und einer sogar ein dunkles Sakko zur Jeans.

Da komme ich mir in meinem labbrigen alten Shirt und der ausgewaschenen Jeans ein wenig underdressed vor.

In diesem Moment schwappt ein neues Grüppchen über die Schwelle - dessen Schlusslicht Valentin, Noel und Gerald bildet. Vergleichsweise sind sie legerer gekleidet, trotzdem klebt ihnen eine Art erhabene Aura an den Fersen, die sie nochmal einen Tick mehr vom Rest abhebt.

Die Stimmung des Raums kippt bedenklich. Ich habe das Gefühl zwischen zwei Eisbrocken eingeklemmt zu sein.

»Sollen wir nicht Hallo sagen?«

Greta malträtiert weiter meine Schulter. Plötzlich bemerke ich, wie Elvins Kopf seufzend in seinen Handinnenflächen versinkt, und ich folge seinen träumenden Augen. Ein Mädchen mit weißblondem Pixie und elfenhafter Figur schwebt soeben in den Raum hinein. Sie plaudert mit einem großen, breitschultrigen Jungen, der nervös zurücklächelt.

»Was zum ...«, entfährt es Elvin schockiert und seine Pupillen weiten sich alarmiert.

Auch Morten und Greta bemerken es - was immer es ist - und für einen Moment wirken sie wie erstarrt. Viele der Anwesenden folgen diesem Beispiel und der Rest fängt aufgeregt an zu tuscheln.

»Was ist los?«, raune ich fragend in Elvins Richtung.

»Ich weiß es nicht«, antwortet er. »Was ...? Das ergibt doch keinen Sinn!«

Ich blicke nochmal zu dem ungleichen Pärchen hinunter. Die Blondine hat ihm eine Hand auf den Arm gelegt und redet offensichtlich bemüht beruhigend auf ihn ein.

»Was soll denn jetzt die Scheiße?«, flucht Morten los und springt auf. Sein Gesicht ist gerötet vor Zorn.

Ich verstehe immer noch nicht, was eigentlich abgeht. Offenbar hat es etwas mit dem Kerl zu tun, der im Moment in einer Mischung aus Wut und Scham seine Fußspitzen anstarrt. Wer ist er bitte? Hitlers Urgroßneffe?

»Ach ja«, schnurrt Noel von schräg hinten. Seine sanfte Stimme harmoniert kein bisschen zu den kalten Augen. »Jetzt weiß ich was mir die letzten Wochen abgegangen ist. Niemanden schert deine Meinung, Glas. Also tu dir selbst den Gefallen und zügle dein Schandmaul.«

»Warum verdammt nochmal ist er hier?!«, lässt Morten keineswegs locker, seine Finger verkrampfen. »Dieser Dreckskerl, dieses ...«

»Ich weiß« unterbricht Valentin ihn, »... dass dir das nicht gefällt. Aber so ist es nun mal und damit musst du klarkommen.«

»Damit klarkommen?«, echot Morten. Seine Fingerknöchel zeichnen sich weiß auf seinen geschlossenen Fäusten ab.

»Ja«, bestätigt Valentin ruhig. »Die Schule hat den Rauswurf zurückgenommen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«

»Und wie viel hat das seine Eltern wohl gekostet, hm? Muss schon ne ganze Stange Geld gewesen sein, um den kompletten Elternrat umzustimmen.«

»Ich hatte nichts damit zu tun!«, platzt dem Kerl auf einmal der Kragen. Er schwitzt, Schweißflecken zeichnen sich unter seinem hellblauen Poloshirt ab. »Es war seine eigene Entscheidung, okay?! Niemand hat ihn zu diesem Schritt gezwungen!«

»Vermutlich sehen seine Angehörigen das etwas anders«, knurrt Morten zurück. »Genau wie der Rest von uns. Zumindest habe ich das bisher angenommen.«

»Was ist denn hier los?«
Ein Mann, dessen Wohlfühlbäuchlein sich unter einer spannenden Strickjacke abzeichnet, kommt hereinspaziert und wirft polternd seine Aktentasche aufs Pult. »Setzen. Und zwar alle.«

Die Meisten gehorchen.

»Herr Glas, diese Aufforderung gilt sogar für die Hochbegabten unter euch.«

Morten reagiert, in dem er ohne ein weiteres Wort aus dem Klassenzimmer stürmt.

Der Mittvierziger blickt ihm mit hochgezogener Augenbraue hinterher, sagt aber nichts weiter dazu, sondern fordert die Klasse stattdessen auf die Bücher aufzuschlagen. Scheinbar hält er nichts von Schonfristen nach den Ferien oder erachtet es für nötig, mich der Klasse vorzustellen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die Letzten ihre Plätze einnehmen. In der ersten Reihe das Mädchen und der offenbare Grund des Aufruhrs. Er sitzt gebückt da, lässt die massigen Schultern hängen und blickt starr auf die Tischfläche vor sich.

Ich wende mich Greta zu, die mit finsterem Blick die Tafel anstarrt, als befände sich dort ein Bildnis von Saddam Hussein.

»Was ist los? Wer ist der Kerl?«

Schweigen.

Also versuche ich mein Glück bei Elvin, der höchst konzentriert in seinem Biologiebuch blättert. »Später«, meint dieser aber nur aus dem Mundwinkel heraus und so bleibe ich weiterhin auf dem Trockenem sitzen. Meine Fantasie brennt durch. Was könnte er so Schlimmes angestellt haben, um an dieser Schule einen Beinahrauswurf zu kassieren? Eine Lehrerin geschwängert? Einen Mitschüler krankenhausreif geschlagen? Hat er das Schulgeld seiner Eltern unterschlagen und eine monströse Dope-Party auf dem Schulgelände geschmissen?

In meinem Hirn rattert es geschäftig.
»Kommt schon, er hat doch keinen umgebracht, oder?«, frage ich scherzhaft.

Niemand antwortet.

»Ihr verarscht mich.«

Mein Blick wandert zurück zu den strähnigen braunen Haaren, die aus dem Schädel des vermutlich mit Steroiden vollgepumpten Ungetüms sprossen.

»Du da!«

Ich zucke schuldbewusst zusammen. Hörmann fixiert mich kritisch. »Auch wenn du vielleicht in deiner letzten Schule an der Nahrungsspitze weit oben standest, in meinem Klassenraum tust du das gewiss nicht länger. Deshalb würde ich dich höflichst darum bitten, endlich die Klappe zu halten.«

»Tut mir leid, kommt nicht wieder vor«, erwidere ich sofort defensiv und er blinzelt überrascht. Offenbar hat er mit mehr Widerstand gerechnet. Schließlich nickt er zufrieden und führt seinen Unterricht fort.

Ich bin kein wirklicher Schulrebell. In meiner alten Schule bin ich fast mit allen ausgekommen. Lehrer, Mitschüler - zwar stand ich niemandem besonders nah, aber ich war ein funktionierender Teil der Gemeinschaft, wurde regelmäßig auf Partys eingeladen und spielte leidenschaftslos in der Schulmannschaft mit.

Die Zeit schreitet voran. Langsam. Immer wieder schweift mein Blick zur Uhr über dem Pult.

Ticktack.

Nichts ist zu hören außer dem stetigen Geticke und dem gelegentlichen Klick eines Kugelschreibers. In einer Klasse voller Problemkinder habe ich anderes erwartet.

Endlich läutet es zum Ende der Doppelstunde. Nacheinander stoben wir in den Flur hinaus und in diesem Wirrwarr aus Gliedmaßen, schnappe ich mir Elvins Arm und sondere mich vom Rest ab.

»Wir haben jetzt Geschichte«, teilt er mir unaufgefordert mit.

»An der ändert sich auch nichts, wenn wir ein paar Minuten später ins Klassenzimmer kommen - also klär mich auf. Wen hat er umgebracht und warum sitzt er dafür nicht irgendwo ein?«

»Er hat niemanden umgebracht«, korrigiert mich Elvin leise. »Es ist nur ...«

»Was?«

»Leon Zimmermann.«

»Wer?«

»Ein Junge aus unserem Jahrgang liegt im Koma.«
Eine kurze angespannte Pause flammt auf. »Ein missglückter Selbstmordversuch. Die Ärzte glauben nicht, dass ...« Er bricht ab und schluckt hart. »Leon wird bereits seit Wochen künstlich beatmet.«

»Das ist ja schrecklich.«

»Ja, ist es.«
Elvin holt tief Luft und erklärt: »Wir wussten natürlich, dass es auch unter den Normallos Zoff gab, aber in der Regel artete das niemals wirklich aus - und ... Ich weiß auch nicht ... Vermutlich waren wir zu sehr mit unserem eigenen Kleinkrieg beschäftigt, um das Ausmaß der Schikanen richtig mitzubekommen.«

»Und dieser Halbaffe darf einfach weiter die Schule besuchen?«, frage ich wütend.

»Wir sind die Endstation«, erwidert Elvin achselzuckend. »Weiter können Kinder, dessen elterliches Bankkonto sie abfedert, nicht mehr fallen.«

»Aber das ist doch ... krank

Er nickt. »Deshalb sind die anderen ja so aufgebracht. Und Morten besonders. Er gibt sich selbst die Schuld daran, weil er es übersehen hat, obwohl er und Leon sich ja ein Zimmer geteilt haben.«

»Was?«, frage ich überrumpelt. »Ich penn auch noch im Bett eines Fast-Toten? Wow, die Sache wird immer verrückter. Was kommt als nächstes, hm? Irgendeine krasse urbane Schullegende, die für den nächsten Stephen King Roman taugen könnte?«

»Nicht lustig«, murmelt Elvin betrübt.

»Nein«, stimme ich zu, »ist es wirklich nicht.«

Wir kommen zehn Minuten zu spät und handeln uns dafür eine Woche freiwilligen Tafeldienst ein.

Frau Fischer ist eine kleine, rundliche Frau mit strengen Gesichtszügen.

»Das fängt ja hervorragend an, Herr Berger«, sagt sie vorwurfsvoll und deutet auf die noch leere vorderste Tischreihe. »Setzen.«

Während ich mich hinfallen lasse, streift mein Blick durchs Klassenzimmer. Morten schwänzt weiterhin und Greta sitzt mit abgewandtem Gesicht am Fenster und starrt hinaus.

Als es zur Mittagspause läutet bedeutet mir Elvin mit einem Kopfnicken vorauszugehen.
»Wir kommen gleich nach.«

Aha.
Vermutlich ist das nur natürlich nach so einem Horrorschock. Da braucht man einen Moment unter Freunden - und ich bin eben bloß der Neue.

Ich stiefle zur Mensa und überlege, was ich nehmen soll. Die Anrichte ist einladend hergerichtet und wirkt kein bisschen wie der Kantinenfrass, der mir auf meiner alten Schule ständig vorgesetzt wurde.

»Die Burger hier sind ziemlich gut.«

Überrascht fahre ich herum. Hinter mir in der Schlange steht das Mädchen mit dem blonden Pixie. »Wohingegen ich dir von dem Kartoffelauflauf dringlichst abraten würde. Genauso wie von dem Tiramisu - da ist so ziemlich alles drin, abgesehen von anständigem Kaffee.«

»Wow«, sage ich. »Also zur Alkohol- und Internetabstinenz gesellt sich jetzt auch noch Koffeinentzug. Der Tag wird besser und besser.«

Sie schenkt mir ein verschmitztes Lächeln.
»Ich bin Nina.«

»Nina Auenburg?«

Ihr Lächeln gefriert. »Oh man ... wurdest du schon gemortet?«

»Ihr habt ein eigenes Wort dafür kreiert?«

»Allerdings - Mortens Gehirnwäschen sind legendär«, behauptet sie seufzend und schnappt sich ein Tablett vom Stapel.

»Hm ... also ich denke, im Moment bin ich noch Herr meiner Sinne.«

»Wirklich? Also ... dann schätze ich, sollte ich die Gelegenheit besser nutzen.« Nina holt tief Luft. »Val hat mir erzählt, du würdest fotografieren.«

»Hat er das?«

»Stimmt das etwa nicht?«

»Doch. Wieso? Möchtest du ein Shooting?«, scherze ich und lade mir eine der bereitstehenden Salatschüsseln auf.

Ihr Grinsen kehrt zurück. »Ehrlich gesagt ... ja. Sowas in der Art. Finger weg von den Pilzen. Die wurden in Öl ersäuft.«

»Ich stehe voll auf in Öl ertränktes Gemüse«, behaupte ich und schaufle mir nen Löffel drüber. Nina zieht eine Grimasse und schüttelt sich, aber auf eine ausgesprochen sympathische Art und Weise.

»Ein Shooting also.«

»Mhm, aber kein anzügliches.«

»Verdammt.«

»Ich bin Vorsitzende der Schülerzeitung«, informiert sie mich.

»Und jetzt möchtest du mich rekrutieren.«

»Für ein Shooting. Dennis, mein eigentlicher Fotograf, hat sich sein Handgelenk verstaucht. Und diese Story braucht unbedingt ein abgedrucktes Gesicht.«

»Und da ich zufällig eine Kamera habe, bin ich für den Job qualifiziert?«

»Nein, weil Val behauptet hat, deine Bilder wären gut belichtet gewesen. Und von Valentin von Schlichting ein Kompliment zu kassieren, ist in etwa so rar, wie ein vierblättriges Kleeblatt in der Sahara aufzustöbern.«

Ich kann nicht behaupten mich darüber zu freuen.

»Bitte«, schiebt sie nach und stupst mich freundschaftlich mit dem Ellbogen, um einiges zärtlicher, als Greta es in der Vergangenheit getan hat. »Du würdest mir einen großen Gefallen tun.«

»Klar, warum nicht?«

»Wirklich?!«

Unterbewusst zucke ich die Achseln. »Gibt nicht wirklich einen Grund, warum ich es nicht tun sollte, oder?«

Ihr Lächeln schwächelt. »Vermutlich wirst du von deinem Mitbewohner gleich den ein oder anderen Grund zu hören bekommen, deshalb ...«

»Ich weiß es schon.«

Ninas Augen weiten sich überrascht. »Und du willst trotzdem?«

»Ist doch bloß ein Shooting. Keine große Sache.«

»Was darf es sein?«, fragt die Kantinenfrau mit monotoner Stimme dazwischen.

»Ich habe gehört, dass der Auflauf hier phänomenal sein soll - demnach nehme ich gleich eine doppelte Portion davon.«

Kurz starrt sie mich einfach nur überrascht an, dann schleicht sich ein Strahlen in ihr Gesicht und sie schneidet eine extragroße Portion von der bisher unberührten Auflaufform ab.

»Was? Ich stehe auf abgefahrenes Essen.«

»Janis Berger, du bist total verrückt«, flüstert Nina neben mir kopfschüttelnd.

Anschließend laufen wir noch gemeinsam ein paar Schritte und verharren dann unsicher nebeneinander. Ich entdecke Morten an einem der Tische.

»Ich würde dich fragen, ob du dich mit zu uns setzen willst, aber ...«

»Danke, aber ich denke, ich habe die Mordlust meines Mitbewohners heute schon genug angeheizt, deshalb ...« Ich verstumme, als ich ihren starren Gesichtsausdruck bemerke. »Sorry, das war wohl unpassend.«

»Hey Janis.«

»Hm?«

»Wir sind vielleicht nicht perfekt. Aber so übel wie sie versuchen werden uns darzustellen, sind wir auch wieder nicht, okay?«

»Okay.«

Sie nickt und eilt zu einem der hinteren Tische davon.

Ich mache mich derweil auf zu der wabernden Säule Düsternis, die es erstaunlich lange schafft, ohne zu blinzeln die Coladose vor sich anzustarren.

»Hey«, sage ich und setze mich ihm gegenüber.

»Du hast den Auflauf genommen?«

»Wurde mir wärmstens empfohlen.«

Er schüttelt den Kopf. »Ein weiterer Beweis dafür, dass man einem hübschen Gesicht nicht ohne weiteres trauen sollte.«

»Ich find's geil«, erwidere ich und beginne zu schaufeln. Der Blumenkohl ist zu hart, die Kartoffeln extrem verkocht und der überbackene Käse schmeckt rußig.

»Worüber habt ihr sonst noch geredet?«

»Ich dachte, Elvin wäre ihr Stalker.«

»Komm schon, ich kenne Nina. Sie wollte irgendwas von dir.«

»Läuft das jetzt immer so zwischen uns? Muss ich für jedes Gespräch, was ich künftig führe Rechenschaft ablegen?«

Morten lächelt dünn. »Du bist gerade einmal den zweiten Tag hier. Du kennst sie nicht wie ich sie kenne.«

»Genauso wenig wie du mich kennst - und auf keinen Fall werde ich dein Leon Zimmermann-Widergutmachungsversuch sein, klar?«

Mortens Augen werden kalt. »Niemand zwingt dich mitzumachen.«

»Wenn ich ein Teil dieser Gemeinschaft werden soll, musst du mich meinetwegen wollen, und nicht aus Mitleid oder weil du ein schlechtes Gewissen hast. Und wenn du es unbedingt wissen willst, sie hat mich um ein Shooting gebeten. Offenbar ist Valentin nämlich neuerdings ein Fan von mir.«

»Hast du zugesagt?«

»Ich habe keinen Grund gesehen, es nicht zu tun.«

»Gut.«
Endlich köpft er seine Cola und nimmt einen Schluck daraus.

»Ach ja?« Die Pilze sind wahrhaftig mit Öl verseucht worden.

»Ja. Könnte nützlich sein.«

»Inwiefern?«

»Weiß ich noch nicht genau. Aber ich halte mir gern mehrere Optionen offen.«

∧,,,∧
( ̳• · • ̳)
/ づ♡
Danke fürs Lesen❤️
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