1. Raum Siebenundzwanzig
»Soll ich mittkommen?«
Nachdem sechsstündigem Schweigemarathon, den die Fahrt von München hier hoch in den Norden in Anspruch genommen hat, hört sich die Stimme neben mir verstörend fremd an. Als wäre die Frau auf dem Fahrersitz des aufpolierten Mercedes gar nicht meine Mutter, sondern nur jemand, der mich schmerzhaft an sie erinnert - wie sie war bevor diese ganze Scheiße ausgebrochen ist und wie ein Virus mein Leben infiziert hat und Stück für Stück verkümmern ließ.
»Soll ich?«
Ich packe den Gurt der Sporttasche und reiße die Wagentür auf.
»Janis, bitte!«
»Dann noch ein schönes Leben, Ma.«
Vergebung liegt mir nicht besonders.
Ohne mich nochmal umzudrehen, knirschen meine Nikes durch den Kies. Wie lange bis sie den Motor startet? Fünf Schritte? Sieben?
Die Antwort lautet neun. Ganze neun Schritte zögert sie noch, bis sie den Motor anlässt und mit Vollgas in ihr neues Leben davonrast. Ich bleibe stehen und atme tief durch.
Komm schon, Berger, versuche ich mich selbst aufzuheitern. Sowas passiert den Besten. Es sind nur zwei Jahre. Zwei Jahre hinter imaginären Gittern und falschen Mauern, die dir vorgaukeln sollen, dein neues Heim zu sein, weil es sonst keinen anderen Ort mehr gibt, wo du noch Willkommen bist.
Internat lautet die schockierende Diagnose. Aufbewahrungsort für nicht mehr gewollte Teenager.
Der Kiesweg mündet vor einem imposanten Gebäude. Es ist mehrere Stockwerke hoch und die Länge übertrifft die Höhe nochmal bei Weitem. Efeu kriecht das spröde Mauerwerk hinauf, sowie einige bereits verblühte Rosenranken auf der Südwesthälfte. Nur die Dornen sind geblieben, die nun in der allmählich untergehenden Abendsonne schimmern.
Seufzend begebe ich mich in den Eingangsbereich. Ich weiß schon in etwa, wo ich hinmuss. Bei der Zwangsführung vor knapp einem Monat wurden mir einige Grundlagen ins Gehirn erpresst. Nicht meine Schuld, ich bin gut darin mir die absonderlichsten Dinge einzuprägen: Lagepläne, Bedienungsanleitungen, emotionslose Textpassagen von Zeitungsauszügen; unsinniges Zeugs, was einem im wahren Leben wenig weiterbringt.
Ich laufe einen schier endlos langen Flur entlang und erklimme zwei Stockwerke. Gleichaltrige kreuzen meinen Weg. Die Mehrheit genießt noch das letzte Stück Wochenende vor dem Schulbeginn, blödeln herum, knallen Türen oder philosophieren darüber wie sie die nächsten Stunden möglichst spaßig verbringen wollen.
Vor Zimmer Siebenundzwanzig halte ich inne, fische ein zerknittertes Knäuel aus meiner Arschtasche und vergleiche die Zahlen. Irrtum ausgeschlossen. Hinter dieser unscheinbaren Tür befindet sich also die Zelle, in der ich vorerst mein Dasein fristen muss.
Nach kurzem Klopfen trete ich ein.
Es ist ein Zweipersonenzimmer mit üblicher funktionaler Grundausstattung: Diagonalverlaufende Möbel auf jeder Seite. Bett, Zweitürenschrank, Nachtkästchen. Vor dem Fenster ein langes Holzbrett, was wohl als Doppelschreibtisch dient, zumindest sprechen die zwei Drehstühle davor dafür.
Auf dem Boden liegt ein dunkelhaariger Typ, die Augen geschlossen.
»Hi«, sage ich.
»Dir gehört die linke Seite«, sagt er, ohne sich die Mühe zu machen ein Auge zu öffnen oder sonst irgendeine Resonanz zu zeigen.
Wortlos umrunde ich ihn und werfe meine Sporttasche aufs Bett.
Fantastisch, denke ich. Mein Mitbewohner ist also ein Freak.
Ich habe nicht viel dabei. Bis zuletzt habe ich gehofft, dass meine Mutter es sich nochmal überlegt und als ich schließlich die Endgültigkeit ihrer Entscheidung umrissen hatte, war ich nicht mehr in der Lage vernünftig zu packen. Dementsprechend brauche ich keine zehn Minuten, bis das Meiste verstaut ist.
Gerade als ich vorsichtig meine Canon aus einem meiner T-Shirts wickle, fliegt prompt die Tür auf und ein Mädchen in rotem Spitzen-BH stürmt herein.
»Morten!«
Der Junge am Boden reagiert nicht. Sie verpasst ihm einen Tritt.
»Geh weg, Gretchen.«
»Meine Haare haben sich in meinem BH-Verschluss verfangen, verdammtes italienisches Modell! Also, was immer du da tust, hör auf damit und hilf mir!«
Der Junge, Morten, stützt sich an den Armen hoch. Offenbar ist es für ihn kein bisschen befremdlich, wenn ein halbnacktes Mädchen in sein Zimmer platzt und von ihm verlangt, ihr die Unterwäsche abzustreifen.
Immerhin hält sie sich vorne die Körbchen fest, damit sie gleich nicht völlig entblößt dasteht und in diesem Moment fällt ihr Blick auf mich.
»Du hast ja einen neuen Mitbewohner.«
»Offensichtlich«, entgegnet Morten und beginnt an dem Verschluss herumzufingern. »Du solltest künftig BHs mit vorderer Schließung kaufen.«
»Damit du doch irgendwann einen Blick auf meine Hübschen erhascht?«
»Damit du künftig ohne Fremdhilfe aus deiner Unterwäsche gelangst.«
»Ich bin Greta«, sagt sie ohne jede Scham und zwinkert mich an.
»J-Janis.«
»War er nett zu dir?«
»Ich bin zu niemandem nett«, stellt Morten klar.
»Nicht persönlich nehmen«, meint sie locker. »Er ist etwas schüchtern.«
»Okay.«
Die Situation überfordert mich und ihre Attraktivität entspannt die Sache auch nicht wirklich.
Für ein Mädchen ist sie relativ groß, lange braungebrannte Beine in abgeschnittenen Jeansshorts, hübsche Rundungen an den richtigen Stellen und ein keckes Lächeln runden das Gesamtbild ab.
»Kann ich das Shirt haben?«
»Klar.«
Ich reiche es ihr. Geschickt streift sie es sich einarmig über, genau in der Sekunde als Morten ihre Haare befreit. Nun steckt sie in meinem T-Shirt. BH-los.
»Danke!«
Mithilfe eines Haargummis, welches sie von ihrem Handgelenk zupft, bindet sie sich im Nacken einen wuscheligen Dutt.
»Nun denn ...« Achtlos wirft sie den Büstenhalter auf Mortens Bett und sich gleich hinterher. »Erzähl uns deine Geschichte, Frischling!«
»Ähm«, stammle ich, heillos überfordert. »Eigentlich gibt es da nicht viel zu berichten ...«
»Und uneigentlich bin ich der legitime Erbe des britischen Empires«, erwidert Morten, zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich verkehrt herum darauf. »Was hast du angestellt? Niemand landet freiwillig in einer Besserungsanstalt für privilegiert verzogene Bälger.«
»Bis vor kurzem ging ich noch in eine stinknormale öffentliche Schule«, rechtfertige ich mich erstmal. »Aber dann hat meine Mutter neu geheiratet und voilà, hier bin ich. Zufrieden, Your Highness?«
»Vorerst«, sagt Morten und dann an Greta gewandt: »Wird Zeit für unsere alljährliche Runde. Wie viel hast du?«
»Nen Fuffi. Mehr war nicht drin.«
»Mist. Wir brauchen mindestens Zweihundert. Frischling, hast du Bargeld?«
»Wofür?«, forsche ich stirnrunzelnd nach.
»Schätzchen, hast du noch nie nen Knastfilm gesehen?«
Greta beäugt mich mitleidsvoll. »Wir müssen die Wärter bestechen. Sonst kommen wir hier nämlich gar nicht raus.«
»Es würde die Sache zumindest verkomplizieren«, stimmt Morten ihr zu. »Also?«
Ich checke den Inhalt meines Geldbeutels. Da stecken noch zwei Fünfziger drin. Ich gebe sie ihm, auch wenn es sich um all mein Bargeld handelt, und ich keine Ahnung habe, wann und ob ich Nachschub erhalte. Doch dieses irre Funkeln in den Augen meiner Mitstreiter ist ansteckend. Zum ersten Mal in meinen Leben juckt es mich, etwas total Verrücktes zu tun. Egal wie bescheuert es sein mag.
»Großartig. Den Rest kratzen wir unterwegs zusammen. Auf geht's, Frischling.«
Morten übernimmt ganz selbstverständlich die Führung und ich und Greta trotten hinterher.
»Erzählst du mir auch deine Geschichte?«
»Klar.«
Greta hakt sich bei mir unter und ich versuche angestrengt die sich unter meinem T-Shirt abzeichnenden Erhebungen zu ignorieren.
Das ist neu für mich. Natürlich bin ich schon mit dem ein oder anderem Mädchen ausgegangen, doch mehr von der Sorte, die nervös mit ihren Haaren spielen oder im Kinosaal schüchtern meinen Ellbogen streifen.
»Meine Eltern starben früh bei einem Autounfall«, sagt sie unvermittelt. »Danach wurde ich von einem Verwandten zum Nächsten weitergeschoben, blieb jedoch immer im selben Internat hängen. Inzwischen bin ich in unserem geliebten St. Elmar länger als anderswo.«
»Das tut mir leid«, entfährt es mir ehrlich schockiert.
»Schnee von gestern«, entgegnet sie schulterzuckend, »Morten, bei wem versuchen wir unser Glück zuerst? Bennie?«
»Der Schwachkopf ist vom Pferd gefallen. Gehirnerschütterung, keine Chance vor Dienstag.«
»Mist. Fiete?«
»Fiete«, bestätigt er und biegt um eine Ecke. Zwei Türen weiter spaziert Morten, ohne anzuklopfen in ein Zimmer.
Der Bewohner des Zimmers ist von unserem plötzlichen Überfall alles andere als angetan. Er blickt missmutig von seinem Nintendo-DS auf.
»Wer ist das?«
»Mein neuer Mitbewohner«, antwortet Morten ungerührt. »Kannst du was beisteuern?«
»Und du vertraust ihm? Wie lange kennst du ihn denn schon? Zwei ganze Stunden?«
»Zwanzig Minuten. Wie viel?«
»Dreißig.«
Der Blonde öffnet seine Geldbörse und überreicht Morten die Scheine. »Hoffentlich handelst du dieses Jahr einen besseren Deal aus. Ich brauche mehr als einmal im Monat mein Pensum Freiheit.«
»Jemand, der lausige Dreißig beisteuert, sollte seine Erwartungen besser tief halten. Ich bin kein Wundervollbringer.«
»Du vergisst scheinbar, dass wir nicht hier sind, weil unsere Eltern uns für knuffige kleine Wonnebrocken halten. Dreißig war alles, was ich in meiner derzeitigen Lage abquetschen konnte, und selbst für diese Peanuts musste ich ein Abendessen im Clubhaus über mich ergehen lassen.«
Er zieht eine Grimasse, als würde ihm allein die Erinnerung daran physische Qualen bereiten.
Ich kann das gut nachvollziehen. Die gemeinsamen Mahlzeiten mit meinem Stiefvater lösen bei mir ebenfalls Magenkrämpfe aus.
»Leg es gut an.«
Morten schiebt die Scheine ein und geht aus dem Zimmer. »Fehlen immer noch wenigstens zwanzig.«
»Was ist mit dir?«
»Mit mir?«, echot er abwesend und lässt die Augen über verschiedene Türen wandern.
»Haben dir deine Eltern gar nichts mitgegeben?«
Selbst nach dem heftigen Streit hatte Melanie mir noch Geld zugesteckt, damit ich mir Snacks oder in Notsituationen ein Taxi leisten kann. Die Vorstellung, dass jemand den eignen Nachwuchs vollkommen blank entlässt, kommt mir komisch vor. Oder ist er sich zu fein dafür? Bis jetzt hatte ich einfach zu wenig Umgang mit Sprösslingen von Firmenbossen und Politikern, um es korrekt einschätzen zu können.
Einen Moment starrt Morten mich einfach nur an. Dann verdreht er wortlos die Augen und geht weiter.
Verwirrt suche ich Gretas Blick auf, die nun ebenfalls ausladend mit den hübschen Augen rollt.
»Was?«
»Mortens Familie lebt am Existenzminimum, er ist nur hier, weil der Staat durch sein Vollstipendium den Drogenkonsum seiner Mutter mitfinanziert.«
»Oh.«
Einen Moment herrscht betretende Stille.
»Sollte ich mich ... entschuldigen?«
Greta prustet los. »Das würde voraussetzen, dass du ihn mit deiner Frage verletzt hast. Glaub mir, Morten jucken deine Gedankengänge herzlich wenig.«
Erneut hakt sie sich unter und zieht mich entschlossen weiter. »Erwarte niemals Mitleid, Frischling. Jeder hier hat seine eigene traurige Geschichte zu erzählen - eine herzzerreißender als die Nächste.«
Wir biegen um noch eine Ecke und traben eine Treppe hoch.
»Wie spät ist es?«
Ich blicke auf meine Armbanduhr. »Beinahe sieben.«
»Es ist fast sieben!«, informiert Greta Morten. »Ich weiß«, sagt dieser. »Beeilen wir uns.«
»Warum?«
»Um 19.30h ist Schichtwechsel, und die Gelegenheit zum Schmieren dahin.«
»Ergibt das irgendeinen Sinn?«, frage ich stirnrunzelnd. Warum konnte man den Wachmann nicht auch morgen schmieren? Oder den Tag darauf?
»Alte St. Elmar Regel. Kompliziert, erkläre ich dir bei Gelegenheit.«
Ich nicke und wir stürmen ins nächste Zimmer. Von Anklopfen scheint niemand auf dieser Schule viel zu halten ...
Ein sommersprossiger, dunkelhäutiger Junge mit Hornbrille blickt lächelnd von seinem Kofferchaos auf.
»Morten! Greta! Hey!«
»Keine Zeit für Höflichkeiten«, schmettert Morten ab. »Wie flüssig bist du?«
»Das wird dir gefallen!«
Er greift in eine Seitentasche des aufgeschlagenen Koffers und fischt einen zusammengefalteten Hunderteuroschein daraus hervor. »Dein Verdienst. Ich belege zwar immer noch auf der Beliebtheitsskala meiner Familie den letzten Platz, aber durch meinen Notenaufstieg in Latein, bin ich Tante Birgit einen gewaltigen Schritt nähergekommen.«
»Busenblitzer-Birgit?«, fragt Greta und lacht.
»Ja, solange ich also meinen Intimbereich brav zensiert halte, schicken sie mir monatlich ein kleines, anspornendes Sümmchen.«
»Gut gemacht!«
Greta wuschelt Morten durch die dunklen Locken. »Deine Gehirnzellen haben mal wieder einen ausschlaggebenden Beitrag zum Fortbestand unseres sozialen Netzwerks geleistet. Kommst du mit?«
»Wenn es euch nichts ausmacht, packe ich lieber weiter aus. Bevor ...« Er wirft einen bedeutungsvollen Blick auf sein Nachbarbett und seufzt. »Übrigens ... wer ist das?«
»Janis, Elvin. Elvin, Janis«, stellt Greta uns gegenseitig vor.
»Mortens neuer Mitbewohner?«
»Ja«, bestätige ich. »Eben frisch eingezogen.«
»Du hast aber auch Pech! Niemand würde sich freiwillig mit dem fanatischsten Mitglied des Widerstands ein Zimmer teilen wollen. Abgesehen von mir natürlich, aber als Nummero Zwei bin ich quasi dazu verpflichtet.«
»Huh?«, frage ich absolut verwirrt.
»Hör auf zu quatschen«, fordert Morten in diesem Moment. »Wir sind spät dran!«
Also lasse ich mich von Greta weiterschleifen, im Dauerlauf durchs Gebäude, durch die sich von letzten Nachzüglern füllende Eingangshalle, querfeldein über eine akkurat geschnittene Rasenfläche.
Den ganzen Weg zurück bis zum massiven Eingangstor, wo in einem kleinen Wachhäuschen ein dickbäuchiger Mann mit Achselnässe positioniert wurde, um durch Betätigung eines Knopfs Eltern die Einfahrt aufs Gelände zu ermöglichen.
Als wir drei schwer atmend vor dem Häuschen zum Stillstand gelangen, lächelt er siegessicher.
»Morten Glas.«
Sein Doppelkinn schlackert unheilvoll. »Du hast noch sieben Minuten, um mir ein Angebot zu unterbreiten.«
»Hundertfünfzig.«
»Dreihundert. Das Bier im Rotkehlchen wird nicht billiger. Außerdem ... was sind für euch Bälger schon dreihundert Kröten? Die Halskette deiner Freundin ist vermutlich mehr wert, als meine komplette Einbauküche.«
»Zweihundert. Und die Halskette.«
Ohne geringsten Widerwillen öffnet Greta den Verschluss und lässt die Kette in Mortens ausgestreckte Hand gleiten.
»Ist der Stein echt?«
»Weiß ich nicht«, erwidert Greta unschuldig. »Sie war ein Geschenk.«
»Ein Geschenk, huh? Ich wette, ein Mädchen wie du, hat tonnenweise Verehrer mit fetten Bankkonten.«
»Nicht unbedingt die erste Information, die ich während eines Dates herauskitzle, aber ja, vielleicht.«
»Also haben wir einen Deal? Unter den üblichen Bedingungen?«, will Morten wissen.
»Deal!«
Der Wachmann hält Morten eine schwitzige Hand hin und dieser schlägt ein. Anschließend wechseln Schmiergeld und Kette den Besitzer.
Deutlich langsamer traben wir zurück zum Wohntrakt, und als wir außer Hörweite sind fragt Morten: »Woher war die Kette?«
»Six. Hat mich zum Sommerauftakt ganze vier Euro gekostet.«
»Würde gerne sein Gesicht sehen, wenn er damit zum nächsten Pfandleiher spaziert.«
»Hey«, unterwandere ich ihr Gespräch. »Verratet ihr mir langsam, worin ich mein Geld eigentlich genau investiert habe?«
»In die Freiheit«, antwortet Morten feierlich und breitet seine Arme aus.
»Einmal im Monat, lassen wir diese Mauern hinter uns«, wird Greta konkreter. »Viel gibt es zwar nicht, hauptsächlich kleine Ortschaften und Felder. In Brückental gibt es allerdings einen Starbuchs mit W-Lan, außerdem kann man sich dort Räder ausleihen und die fünf Kilometer bis zum Meer pendeln.«
»Wow«, sage ich. Ich wusste ja, dass das hier ein abgeschiedenes Kaff ist, doch so dramatisch habe ich es mir bei Weitem nicht ausgemalt. »Heißt das, hier auf dem Gelände gibt es keinen Internetzugang? Nirgendwo?«
»Doch, natürlich. In Fachinformatik und bei Recherchearbeiten in Geschichte oder Deutsch werden uns nach Absprache Laptops zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt es zweimal die Woche die Möglichkeit die Bibliothek-PCs zu nutzen. Aber die guten Seiten sind allesamt gesperrt, selbst sowas Banales wie Youtube kannst du vergessen.«
»Wow«, betone ich nochmal, mein Handy wurde mir ja bereits abgenommen.
»Was hast du erwartet? Läuterung hat auch immer etwas mit Verzicht zu tun«, erklärt die Brünette und schnaubt verächtlich.
»Und dann mein Volk, über das mein Name genannt ist, sich demütigt, dass sie beten und mein Angesicht suchen und sich von ihren bösen Wegen bekehren, so will ich vom Himmel herhören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen.«
»Wie bitte?«
Morten hebt eine Braue. »Du kennst nicht Salomons Geschichte?«
»Bibelzitate«, seufzt Greta. »Es ist niemals ein gutes Zeichen, wenn er anfängt aus der Heiligen Schrift zu rezitieren.«
»Wollte Elvin vorhin darauf hinaus?«, frage ich ungehalten. »Ist dieser Widerstand eine Art Sekte?«
»Also erstmal, solltest du niemanden, bei dem du radikale religiöse Ansichten vermutest, als Sektenmitglied bezeichnen - den Meisten wird das nämlich nicht gefallen und zweitens, nein. Ich vertrete eine rein agnostische Weltanschauung.«
»Agno-was?«
»Agnostisch. Das bedeutet, man kann an Gott glauben und gleichzeitig die Unbelegbarkeit seiner Existenz akzeptieren.«
»Du fährst also zweigleisig? Um auf Nummer sicher zu gehen?«
»Wenn er existiert, fein. Wenn nicht, auch fein.«
»Lass gut sein«, murrt Greta neben mir. »Es ist vollkommen sinnfrei mit ihm darüber zu debattieren. Wie auch? Man kann weder das eine noch das andere beweisen.«
»Genau das ist der Kern dieser Theologie«, grinst Morten.
Ich bin verwirrt, lasse das Thema aber fallen. »Wenn es sich beim Widerstand um keine Sekte handelt ... um was dann?«
Die beiden wechseln einen abschätzenden Blick.
»Kommt schon, ich kannte euch keine dreißig Minuten und habe euch mein komplettes Bargeld überlassen.«
»Davon hast du auch etwas«, erinnert mich Greta unbeeindruckt.
»Das wusste ich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht.«
»Du hast mich halbnackt gesehen.«
»Dabei hast du mir wohl kaum eine Wahl gelassen. Außerdem hast du mein T-Shirt an.«
Eine Weile laufen sie schweigend weiter und ich beginne mich damit abzufinden, wohl nicht in den Kreis der Auserwählten erkoren zu werden.
»Die Sache hier kann ganz gut für dich laufen, solange du dich an die Regeln hältst und dich von den falschen Leuten fernhältst. Leuten wie uns«, erklärt mir mein neuer Mitbewohner.
»Leuten wie euch? Sorry, aber in meiner alten Schule sind ganz andere Kaliber herumgelaufen. Kerlen, denen du definitiv besser aus dem Weg gegangen bist.«
»Diese Aussage unterstreicht bloß deine miserable Menschenkenntnis«, behauptet Morten und schlägt einen Umweg ein. Weg vom Wohnheim, einen leicht ansteigenden Hügelkamm hinauf. Die Sonne ist fast gänzlich untergegangen, nur einige wenige Strahlen kitzeln noch die Baumkronen. »Beurteile einen Menschen nie danach, wie er sich nach außen hin gibt. Beurteile ihn danach, was er tut, wenn er glaubt, es würde keiner hinsehen.«
»Genug Glückskeks-Weisheiten für heute«, verlangt Greta dramatisch.
»Fakt ist, das wir, der Widerstand, es uns zur Aufgabe gemacht haben unsere Rehabilitation in jederlei Hinsicht zu sabotieren. Wir sind nicht hier, um ein passables Abitur abzuliefern und Teil einer Gesellschaft zu werden, die Heranwachsende wie uns als unakzeptabel kategorisiert. Wir sind hier, weil wir es müssen. Es gibt nur eine entscheidende Frage, die du dir jeden Morgen aufs Neue stellen musst - akzeptierst du diesen Umstand oder leistest du Widerstand?«
Wir erreichen den Waldrand und ich blicke zurück. Dutzende von Lichtern sind aufgeflammt und zeugen vom Treiben im Inneren des Gebäudes; Jungen und Mädchen, die ihre Koffer leeren, und sich gegenseitig ihre Erlebnisse der Sommerferien berichten.
Akzeptierst du es oder leistest du Widerstand?
»Ich bin laktoseintolerant.«
Die beiden starren mich an.
»Wollte ich nur erwähnt haben, falls jetzt der Teil mit dem grusligen Aufnahmeritual beginnt.«
∧,,,∧
( ̳• · • ̳)
/ づ♡
Danke fürs Lesen❤️
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