7- Exil ist die Antwort auf jedes zweite Problem
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heute
Es gab sechs unterschiedliche Wege aus dem Palast hinaus. Einer davon involvierte einen Wasserfall, dessen Stand im Becken dank mir seit ein paar Jahren sank. Außerdem gab es noch einen Notausgang durch die Küche, einen durch das königliche Gemach, zwei Geheimgänge am Fuß der Mauer zu Stadt und einen im hinteren Gartenbereich für die Liebhaber. Letzterer war vor knapp drei Jahren bei einer winzigen Streitigkeit zerstört worden. Den Rest hatte ich abgeklappert und von Wachen besetzt vorgefunden.
Constantin wusste, dass ich fliehen wollte und er hatte Vorbereitungen getroffen.
Unzufrieden und verschwitzt kehrte ich zu meinem neuen Zimmer zurück und schoss die Schuhe in ein Eck. Ein Geräusch, das sofort meine Kammerzofe aus dem scheinbaren Nichts herauf beschwor und mir den kleinen Moment des Selbstmitleids nahm.
Sie stieß eine Reihe missbilligender Laute aus, als sie die Pantoffeln wieder einsammelte und stellte sie ordentlich vor den Schrank.
„Du musst das nicht machen, Cladina. Ich kann meine eigenen Schuhe aufräumen." Ich war bereits daran ihr den Schleier wegzunehmen, den ich ebenfalls aufs Bett geworfen hatte, doch sie zog ihn mir energisch fort.
„Wozu wäre ich noch nützlich, wenn ich nicht meine Aufgaben erledigen würde?" Der Schleier zerriss beinahe.
Ich konnte mich täuschen... meine bisher so liebevolle Kammerzofe hatte heute den Biss eines Terriers.
Verwirrt ließ ich den Schleier los und sie warf ihn- ähnlich wie ich zuvor- auf einen Stapel von ansonsten fein gefalteten Tüchern. Ich kniff die Augen zusammen.
Irgendetwas stimmte nicht. Aber was? Ich hatte nichts getan- nichts von dem ich wusste- und schon gar nichts, was mit ihrer Arbeit zu tun hätte.
„Hat...", ich umrundete sie, um ihr Gesicht besser zu sehen, „Hat sich jemand über dich beschwert?"
Ihr Blick schoss nach oben und sandte mich zwei Schritte stolpernd zurück.
„Nein. Ich hoffe doch, dass es dafür keinen Grund gibt, Ma'am." Jedes Wort verließ ihren Mund mit der Kraft und Schnelligkeit eines Peitschenschlags.
Uneingeschüchtert verschränkte ich die Arme vor der Brust.
„Und ich habe auch nichts gestohlen, falls das Eure nächste Vermutung ist", verkündigte sie mit einem dramatischen Schniefen und klopfte gewaltvoll mein Bett aus.
Das war... eine merkwürdig unzusammenhängende Auskunft.
„Ich habe auch nichts vermisst", gab ich langsam zurück, mich einmal suchend in meinem Zimmer umsehend, bis mir einfiel, dass ich mit nichts hier angekommen war und demnach nicht bestohlen werden konnte.
Mein Verstand bot mir stattdessen eine andere Lösung.
„Wer hat denn ebenfalls nichts gestohlen?"
Der Satz unterbrach für einen Herzschlag die rücksichtslosen Hiebe auf meine Bettdecke.
„Niemand."
Wums.
Von meiner eigenen Frage verwirrt ließ ich mich auf einen der Sessel nahe der Balkonfenster nieder.
„Das heißt, wenn ihr Lady Vanna fragt, hat natürlich jemand etwas gestohlen."
Der nächste Schlag traf mein Kissen.
Ich zuckte unwillkürlich zusammen.
„Lady Vanna ist von ihren letzten fünf Zimmermädchen bestohlen worden! Allen fünfen! Einschließlich Lana, deren Vater einer der Diener unten in der Kapelle ist."
Das war Sarkasmus, falls ich zuvor jemals welchen gehört hatte. Doch etwas anderes hatte meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ein kleiner zusammengefalteter Zettel, dessen Ecke unter einem der noch nicht gemachten Kissen hervor lugte.
Seine helle Cremefarbe stand so grotesk gegen den dunklen Stoff heraus, wie meine eigene Erinnerung vor meinem Schlafengehen dort noch keinen Zettel gesehen zu haben. Eine böse Vorahnung lief mit ihren langen Spinnenartigen Beinen über meinen Rücken.
Vorsichtig, um meine Kammerzofe nicht misstrauisch zu machen, schob ich mich auf die andere Seite meines Bettes.
„Was ist aus den Mädchen geworden?", fragte ich nebenbei.
Die Prügel hielte wieder inne und gaben einem herzzerreißenden Schluchzen Raum, mit dem sich Cladina zu mir umdrehte.
„Nach Keltar haben sie sie geschickt. Weil keiner von ihnen die gestohlenen Stücke zurückgeben oder die geforderte Entschädigung zahlen konnte."
„Keltar?", ruckartig hielt ich inne, „Was ist das für ein Urteil? Niemand würde für Diebstahl nach Keltar geschickt werden."
Keltar war der höchste bewohnbare Zirkel. Keine Wettererscheinungen mehr, keine Vegetation oder Fauna. Nichts als eisige Winde und blanker Stein. Oh und natürlich die Pessel-Mienen. Ein unendlich tiefes Schachtsystem, aus dem die leicht entzündbaren Steine gewonnen wurden.
Allein die Vorstellung ließ mich schaudern. Zimmermädchen waren noch genau das: Mädchen. Selbst wenn sie etwas aus dem Zimmer genommen hätte, hätte man das Urteil abmildern müssen.
„Und Lana... sie konnte den goldenen Armreifen nicht zurückgeben. Sie hatte ihn überhaupt nie", brachte Cladina zwischen zwei Schluchzern hervor und ließ sich rückwärts auf mein Bett sinken, das sie eben noch so leidenschaftlich glatt geklopft hatte.
Ich nutzte die Gelegenheit, um den Zettel unter dem Kissen hervor zu ziehen und in meinen Ärmel gleiten zu lassen. Sein Rascheln klang dabei in meinen Ohren wie eine Drohung.
„Hast du den König über dieses Missverständnis informiert? Die Mädchen müssen umgehend aus den Mienen entfernt werden." Ich kam wieder um das Bett herum, um vor ihr auf die Knie zu gehen.
„Der König... wir wollten ihn fragen, Eure Majestät. Schon nach dem ersten Mädchen haben alle Bediensteten in der Küche darüber gesprochen. Aber nachdem Ihr verschwunden wart..."
Sie musste den Satz nicht beenden. Ich hatte das Lied jetzt bereits schon einige Male gehört.
„Ihr habt euch nicht getraut."
„Nein, Ma'am. Und ich bereue es! Wirklich. Wenn wir Lady Vanna bei dem ersten Mädchen gestoppt hätten..." Aus ihrem Ärmel zupfte sie ein Taschentuch und tupfte sich die Wangen. „Lana ist mein Patenkind, müsst Ihr verstehen. Ich kenne sie seit ihrer Geburt."
Ich nickte, obwohl ich am liebsten den Kopf geschüttelt hätte. Die Patenschaft über fremde Kinder war eines der merkwürdigsten Konstrukte, die ihre Religion erschaffen hatte. Man nahm ein mehr oder weniger unbekanntes Kind und kümmerte sich oft mehr darum, als um seinen eigenen Nachwuchs. Zumindest gewann ich wiederholt den Eindruck. An dessen Geburtstagen verpflichtete man sich zu zahlen und wenn alles die Hine herunterging, saß man auf dem Bett der ehemaligen Königin und vermöbelte es.
Das sagte ich natürlich nicht laut. Stattdessen verfing ich mich schon wieder in einer dieser dämlichen Versprechen, die mir zu schnell über die Lippen kamen.
„Ich werde sehen, was ich machen kann."
Ich schalt mich noch nicht einmal mehr dafür, dass ich eigentlich von hier verschwinden wollte, anstatt mich wieder in das Chaos des Palasts hineinziehen zu lassen. Manchmal konnte ich mir selbst nicht helfen. Stattdessen kratzte das Papier des Zettels über die Innenseite meines Handgelenks.
Aus irgendeinem Grund begann Cladina noch mehr zu Weinen.
„Es gibt nichts, was Ihr tun könnt! Lady Vanna hat sie verurteilt und niemand würde das Wort der Mutter der Königin anzweifeln."
Ihre Verzweiflung forderte mein Ego heraus und ich schob meine Brief-Sorgen in den Hintergrund.
„Außer vielleicht das Wort der Königin, von der Constantin sich noch nicht hat scheiden lassen."
Namentlich: von mir.
Meine Kammerzofe dachte darüber nach.
„Ihr würdet Euch für sie einsetzen?"
Mit einem mitleidigen Seufzen ließ ich mich neben sie auf das Bett nieder. Natürlich würde ich das. Ich konnte mich ja noch nicht einmal selbst davon abhalten. Ganz egal wie dringend meine Abreise war.
„Es ist meine Ehre und meine Pflicht als Königin des Volkes für seine Rechte und Bedürfnisse einzustehen."
Dieser beinahe schon berühmte Satz aus Des Schriften, hellte ihr Gesicht auf und sie griff meine Hände.
„Dann sind die Geschichten über Euch alle wahr!"
„Jede. Auch die schlechten", lächelte ich und erwiderte den Druck ihrer rauen Hände.
Es dauerte danach nicht mehr lange, bis sie sich wieder soweit eingekriegt hatte, dass sie verkündete unten in der Küche die gute Nachricht zu verbreiten.
Doch gerade, als ich den Zettel aus meinem Ärmel gezogen hatte, klopfte es an der Tür und ein Page streckte seinen Kopf herein.
„Eure Majestät?"
Ich wusste wirklich nicht, wen er sonst hier drinnen erwartete. Hektisch stopfte ich den Zettel wieder zurück in meinen Ärmel.
Nervös blieb der Bursche direkt neben der Tür stehen.
„Der Hauptmann der Wache fragt, ob ihr ihm eine Audienz gewährt?"
Ich saß sofort aufrechter auf meinem Bett.
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*Gleich geht's weiter*
"Hust. Hust. Doppel-Update. Hust. Hust." - Dinah
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