5 - Nie wieder Wäsche selber waschen.
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3 Jahre, 4 Monate und 12 Tage zuvor. Oder: Wie alles begann.
Der große Markt war der gefährlichste Ort der ganzen Stadt und ich war im Begriff sein jüngstes Opfer zu werden.
Gefährlich war er zum einen, weil er einmal abschüssig war, wie alles in der Stadt, und dann auch noch grundsätzlich überfüllt. Da es für ihn nicht die gleichen Regulationen wie für die anderen zwei Plätze gab, herrschte hier die Regel des schnellsten Händlers. Wer zuerst kam, suchte sich den besten Stand aus. Und falls das einmal nicht funktionierte, war es in jedem Fall nützlich, eine Gruppe breitschultriger Kerle mit dicken Stöcken zu kennen. Die machten rebellische Frühaufsteher gern auf das Recht des Stärkere aufmerksam. Diese breiten sich dann überall sonst auf der langgezogenen Fläche zwischen der äußersten und der ersten Stadtmauer aus und kreierten dabei ein unberechenbares Labyrinth aus Ständen, Tischen und Auslagen.
Und niemand navigierte diesen Irrgarten besser als die unvorstellbare Anzahl an Taschendieben. Ehrlich- von diesem Ort hatte ich gelernt, Kinder zu fürchten. Sie waren überall und stahlen dir den letzten Kern aus dem Backenzahn, selbst wenn du die Platzwache höchstpersönlich warst.
Manche behaupteten, die Kinder wären mit den Ke-enen vom Festland unter uns gekommen. Pah, als könnte sich irgendjemand die Überfahrt leisten. Aber es war leichter, die Schuld bei den Fanatikern zu suchen, als bei der wachsenden Armut dank der anhaltenden Dürre.
Wir waren vielleicht nicht so weit vom Grund entfernt, dass wir keine Niederschläge oder Wetter irgendeiner Art bekamen, aber unsere Laufbahn brachte uns zu nahe an die Sonne.
Wenn man also nicht zerquetscht wurde zwischen den Massen, die sich Feyentags auf den Markt quetschten, wurde man bestohlen, von den Händlern über den Tisch gezogen, mit Wagen überrollt, von Pferden zertrampelt und durfte mit Betrunkenen streiten. Kurzum: Ich liebte diesen Ort und seit dem Dahinscheiden meines Vaters, fand man mich jeden Feyentag in der absoluten Mitte des Geschehens. Mädchenschulen sahen ihre Schützlinge nämlich überhaupt nicht gerne hier draußen.
Mit gesenktem Nacken huschte ich an einem Priester vorbei, dessen dröhnende Stimme von einer provisorischen Bühne aus Fässern herunter hallte.
„Der Primus hat die Zirkel gegen die Bedrohung der Ke-enen geeint und wir zollen ihm dafür Respekt! Kommt morgen in die Kirche und spendet-..."
Oder auch nicht. Der Primus bekam meiner Meinung nach bereits genug Steuern von den zwanzig orbitalen Zirkeln und ihren jeweiligen Königen. Er brauchte mein mühsam zusammen gespartes Geld nicht. Kastanienbraunes Haar flatterte durch mein Gesicht.
Ich quetschte mich weiter durch zu der Auslage einer Obsthändlerin, die mit lauter Stimme ihre beschwerliche Reise beschrieb, die sie auf sich genommen hatte, um uns diese Köstlichkeiten zu präsentieren.
Lügnerin. Niemand schiffte so teure Früchte in unsere Hauptstadt, nur um ihn unter Halunken und Arbeitern zu verscherbeln. Aber weil es bereits der zweite heiße orbitale Zyklus war und sie einen der wenigen schattenspendenden Schirme besaß, hatte sie trotzdem ein Publikum.
Mich eingeschlossen, die die Orangen kritisch beäugte.
„Eure Aufgabe als Senator ist es, mich in gewissen Entschlüssen zu beraten. Ich weiß, das kommt als Überraschung, aber ich lass Euch nicht Entscheidungen einfach für mich fällen."
Ich hob den Kopf. Ich?
Nein, nicht ich.
Nicht, dass ich neugierig wäre, aber es existierte ein gewisser Tonfall, der es für mich manchmal unmöglich machte, nicht hinzuhören. Er lag exakt in der Mitte zwischen dem Wunsch, eine Person anzuschreien und nicht zu dürfen. Suchend sah ich mich nach dem Quell des Satzes um, doch das Wetter hatte niemanden in seinem Haus gehalten und der Platz war voll.
Leute in bunten Tuniken, verschleiert und verhüllt, drängten sich zwischen mir und den anderen Ständen hindurch. Ihr Gemurmel hing zwischen den Häusern wie die Hitze der niederbrennenden Sonne. Nur noch zwei Stunden, bis die Mittagsruhe ausgerufen werden würde.
„Absolut. Aber haltet Ihr Eure Reaktion nicht für... unvernünftig?"
Das war eine andere Stimme. Eine mir bekannte Stimme. Ich ließ die Orange in meiner Hand wieder zurück auf die Auslage sinken. Zwei Männer in hochgezogenen Kapuzen hatten sich vor dem Bänderstand eingefunden, ohne die Ware auch nur eines Blickes zu würdigen.
Mein Interesse wieder verloren, wollte ich mich abwenden, da-...
„Nein", erwiderte der Erste gefährlich ruhig, „Unvernünftig wäre es, wenn ich Euch hierfür jenseits der Sicherheitsmauer schicken würde. Ihr habt in meinem Namen einem Mädchen einen Antrag gemacht. Ein Mädchen, das ich weder kenne noch - oh große Überraschung - heiraten möchte. Wie gedenkt Ihr, dass ich aus diesem Pakt wieder herauskomme ohne meine politischen Beziehungen zu Ileatat gefährlich zu verletzten? Oder demnächst von ihnen mit Asteroiden beschossen zu werden? Was glaubt Ihr, wie viele Clevem aushält, bis wieder ein Stück Land abbricht?"
Ich wusste, wer das war. Und der Gedanke, in Wurfweite von König Constantin zu stehen, verwurzelte mich prompt auf dem unebenen Pflaster des Platzes. Warum war er hier? Ohne Krone oder Garde, die ihn bewachte? Und warum hatte ich das Gefühl schon einmal in so einer Situation gewesen zu sein?
Obwohl sich meine Füße weigerten den schiebenden und drängenden Marktbesuchern Platz zu machen, erkannte der Rest meines Körpers schneller, dass Flucht vielleicht eine intelligente Option wäre.
Suchend sah ich mich um, ob noch jemand anderem aufgefallen war, dass wir in königlicher Präsenz waren.
Nein.
Der Senator ließ sich von dem offensichtlichen Missfallen seines Regenten nicht aus der Ruhe bringen.
„Was für einen Anlass könnte es für Euch geben, nicht die Prinzessin aus Ileatat zu heiraten? Sie ist ein hübsches, frommes Mädchen. Sehr wohl erzogen, so wie ich sie kennen gelernt habe. Sie wird Euch gefallen."
Ich bemühte mich, möglichst abwesend und uninteressiert auszusehen. Waren das Mandarinen in dem Korb? Wo gab es denn zu dieser Jahreszeit noch Mandarinen? Oh- doch nur Äpfel. Alte Äpfel.
Die Verkäuferin warf mir einen ärgerlichen Blick zu. Sie feilschte nebenher mit zwei Kunden, die drei Körbe dieser Äpfel kaufen wollte, aber das hieß noch lange nicht, dass sie nicht den Rest ihrer Ware mit Des Augen bewachte.
Mit einem gequälten Lächeln zeigte ich ihr meine Geldbörse. Keine Diebin.
„Deshalb halten wir Rücksprachen", die Stimme des Königs ähnelte dem Schurren einer Raubkatze, die gleichzeitig ihre Krallen über deine Haut zog, „Ich brauche nicht noch jemand mit eigenen politischen Motiven, die ihre Intrigen in meinem Palast spinnt."
Unwillkürlich drehte ich mich um. Ein Fehler, denn die ruckartige Bewegung ließ den König den Kopf heben und unsere Blicke trafen sich. Oh Mist. Sofort wandte ich mich wieder dem Apfel in meiner Hand zu und kramte in meiner Geldbörse nach den Talern. Doch die Farbe in meinen Wangen hätte mich an jeden verraten.
„Ich befürchte, Ihr könnt nicht einfach jemanden aus Eurem Land heiraten. Der Affront gegen die Ileatanische Familie wäre ein Grund für eine Kriegserklärung. Oder schlimmer noch: Man wird dem Primus von Euch berichten. Jemanden für mehr Geld oder mehr Macht- das würden die Leute verstehen", fuhr der Senator fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben, doch meine Nackenhaare kräuselten sich unter ihren Blicken.
Niemand verärgerte den Primus. Nicht mehr. Der letzte Krieg war mit Kesh um einzelne Zirkel und deren Naturalien gegangen, bei dem auch das Spiegelsystem gebaut wurde. Eine tödliche Waffe, die jede fliegende Insel zu einer nicht-fliegenden Insel zu weit oben machte. Der Primus gewann damit den Krieg, die Ke-enen wurden in den Untergrund verdrängt und das war das. Niemand stritt mehr mit ihm.
Nur leider hatte der König Clevems das wohl momentan vergessen.
„Vielleicht sollte ich ihm einen Brief schreiben. Uns die Wartezeit verkürzen, bevor er diesen trockenen Klumpen Land aus der Luft holt. Was meint Ihr? Das würde uns zumindest die Planung des nächstjährlichen Sommernachtsballs ersparen."
Ich sog so scharf die Luft ein, dass ich anfing zu husten. Das konnte er nicht...
Aber er sprach bereits weiter.
„Wir haben nur noch drei Mondzyklen. Ich würde vorschlagen, Ihr findet möglichst schnell einen Plan, wie wir aus der Angelegenheit kommen oder Euer abgetrennter Kopf wird mein Hochzeitsgeschenk."
Die Verkäuferin wedelte mit ihrer ausgestreckten Hand vor meinen Augen hin und her. Ihrem Ausdruck nach zu urteilen, machte sie das schon eine Weile. Hastig legte ich die Münzen hinein, traute mich jedoch nicht, noch einmal zur Seite zu sehen.
Ich hatte nicht gewusst, dass König Constantin verlobt war. Nicht, dass ich mich generell für das Leben unserer Höflinge interessierte. So lange sie nicht offensichtlich vertraute Gespräche direkt neben mir führten...
„Nun, wenn Ihr darauf beharrt. Ich hätte vielleicht eine ... Lösung, die Euch und die verschmähte Braut retten könnte", die Stimme des Senators fiel um eine Tonlage, „Es wäre äußerst schwierig eine noch mächtigere junge Dame in Eurem Land zu finden, als eine Prinzessin aus einem anderen orbitalen Zirkel. Ihre Beziehungen und die Stärkung der unserer eigenen Stellung...."
„Klingt genau nach einer Frau, die ich nicht möchte."
Der Senator war wirklich mit unendlicher Geduld gesegnet.
„Nun ja...dann eine unbekannte Erbin. Jemanden aus dem einfachen Volk, absolut ohne Beziehungen-..."
Zeit zu gehen. Ich hatte genug gehört- tatsächlich mehr, als mir lieb war- und jetzt auch noch eine gammlige Frucht gekauft. Ich machte einen blinden Schritt zur Seite, trat in einen weiteren Fruchtkorb und verlor prompt die Balance. Wild mit den Armen rudernd kippte ich zur Seite und wäre sicherlich gefallen, wenn sich nicht in letztem Moment eine große Hand um meinen Oberarm geschlossen hätte und mich zurückzog.
Schneller als ich mein Gleichgewicht zurückgewann, zog er mich mit sich. Halb torkelnd, halb geschliffen, fand ich mich in einer halbdunklen Seitengasse wieder, von zwei kräftigen Armen an eine kühle Hauswand gepinnt. Ich schluckte trocken.
Die Kapuze des Königs war zurückgefallen und offenbarte einen blonden Schopf, der zur Seite rutschte, als er den Kopf schief legte. Doch mein erster Blick galt seinen Augen.
Die Geschichten stimmten also. Zwei Farben. Wie De selbst. Allerdings grinste die lokale Gottheit nicht so hämisch.
„Etwas Interessantes gehört?"
Über seine Schulter hinweg, sah ich den Senator eilig näherkommen, seine lange Robe in einer Hand gerafft.
Eine Trick-Frage. Ich schüttelte trotzdem den Kopf. Und dann- weil mein Gehirn offensichtlich noch vor dem Obststand wartete- fügte ich noch hinzu:
„Ich bin auch keine Erbin oder habe Vermögen. Ehrlich!"
Der König zeigte mir seine Zähne und wandte seinen Kopf zum Senator. Missfallen. Ich hatte das Missfallen des Königs erregt. Großartig.
Doch er bemerkte meine Sorgen nicht.
„Jetzt dürfen wir auch noch einer Passantin Schweigegeld zahlen. Großartig. Dieser Plan muss immer besser werden, um Euren Hals zu retten, Senator."
Der Senator, ein hagerer Kerl, dessen Falten um die Augen sich mit dem vollen, dunklen Bart um sein Alter stritten, kratzte sich an eben selbigen. Ich erwartete Unbehagen im Angesicht dieser offenen Drohung, doch stattdessen dachte er nach.
Ich versuchte, die Luft anzuhalten, um den König nicht an-zu-atmen. Es erschien mir in dem Moment wie eine fürchterliche Beleidigung seines Standes. Würde man mich hinrichten? Welche Strafe stand auf Lauschen?
Möglichst ohne Bewegung linste ich an mir herunter. Das war kein Kleid, in dem ich hingerichtet werden wollte. Dann wiederum bezweifelte ich, dass ich so ein Kleidungsstück besaß.
...Ich wollte einfach nicht hingerichtet werden.
„Habt Ihr politischen Einfluss, mein Kind?"
Ich brauchte peinlich lange, bis ich begriff, dass der Senator mit mir gesprochen hatte. Aus Angst, wieder von meinem Verstand verlassen zu werden, schüttelte ich nur den Kopf. Politischer Einfluss? Ich lebte seit 17 Jahren in der Hauptstadt Clevems und war kein einziges Mal im Palast gewesen. Wenn sie mich nicht gerade gegen eine Wand drückten, erkannte ich nicht einmal die Mitglieder des königlichen Haushalts.
Zufrieden gestellt strich der sich die Robe wieder glatt. Er hatte für einen Senator definitiv einen merkwürdigen Kleidungsstil, der nur noch verschlimmert wurde von einem fürchterlich hässlichen braunen Armband an seiner linken Hand.
„Sie könnte eine Erbin sein, findet Ihr nicht Eure Majestät?"
„Bitte?" König Constantin hätte mir beinahe eine Kopfnuss verpasst, so schnell drehte er sich um, „Das ist nicht Euer Ernst, oder?"
„Ihr habt mich nach einer Lösung gefragt. Nun, alle Erbinnen oder akzeptablen Ehefrauen haben zwangsläufig politische Verbindungen."
Der König starrte ihn ungläubig von der Seite an, die Stirn in tiefe Falten geworfen.
„Deshalb wollt Ihr eine erschaffen?" Er war kurz davor zu lachen.
„Ein kinderloser exzentrischer Onkel, der sein gesamtes Vermögen seinem bürgerlichen Bruder vermacht hat? Eine unverhoffte Erbin? Du hast doch hoffentlich keine Geschwister, mein Kind?", wandte sich der Senator das zweite Mal an mich und ich bereute meinen angehaltenen Atem sofort. Mir wurde schwindelig. Kleinlaut verneinte ich.
König Constantin ließ mich los und ich wäre fast nach vorne gegen ihn geprallt.
„Irgendwelche Beziehungen zu meinem Palast? Schon mal einem meiner Soldaten schöne Augen gemacht oder mit einem Senator geschlafen?" Die steigende Röte in meinen Wangen amüsierte ihn sichtlich.
Mein Blick fiel auf den Senator, doch ich schüttelte wieder den Kopf.
„Ihr wollt, dass ich so tue, als hätte ich ein Vermögen geerbt?" Das konnte mich den Kopf kosten. Nur so nebenbei. Das konnte uns alle unsere (noch) fliegende Insel kosten.
Die Männer ignorierten mich.
„Sie sollte genügen", nickte der Senator und faltete die langen Finger vor seinem Bauch, „Wenn wir ihr Erbe nur groß genug beschreiben, wird niemand Eure Entscheidung anzweifeln, lieber eine Bürgerliche zu heiraten, der leider die politischen Beziehungen fehlen. Und das Volk wird es für ein wundervolles Märchen halten. Vielleicht lenkt sie das von dem Wassermangel ab."
Ich konnte nicht verhindern die Zwei ungläubig anzustarren. Das war nicht ihr Ernst.
„Ich habe jede Wahlfreiheit abgegeben, als ich Euch in meinen Palast gelassen habe, nicht wahr?", der König schüttelte den Kopf, doch als er mich wieder ansah, war der Spott aus seinem Gesicht verschwunden.
„Dann bleibt nur noch eines...", mit der dramatischen Geste eines Komödienschauspielers, ging er vor mir im Straßendreck auf ein Knie, „Wollt Ihr-...", auffordernd hob er die Augenbrauen.
Ich antwortete aus reinem Reflex.
„D- Dinah." Er wusste nicht einmal meinen Namen! Das hier war Wahnsinn.
„Wollt Ihr, Dinah, meine Frau vor der Kirche, dem Primus und den zwanzig orbitalen Zirkeln werden? Wollt Ihr neben mir über diesen Zirkel herrschen nach den Regeln unseres Gottes? Oder lieber den Rest Eurer Tage im Verlies des Palasts verbringen?"
Romantik konnte er.
Ich vergaß wie man Worte formte und nickte stattdessen. Ich konnte nicht nein sagen, oder? Ein Blick zu dem Senator bestätigte meine Befürchtung und ich nickte fleißig weiter.
Ich nickte, bis es peinlich wurde.
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"Wer eine Montags-Rettung benötigt, drückt einfach den kleinen Notfall-Stern und wir senden jemanden vorbei." -Dinah, braucht eine Montags-Rettung, auch wenn es mal nicht Montag ist.
Mit Montagen ist nicht zu spaßen. Stay safe! Stay in bed.
xoxo
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