27-Audienzen und andere Krankheiten
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Kers Wunsch ging in Erfüllung, auch wenn ich durch die Flure schlich, als wäre jemand gezielt auf der Suche nach mir. Aber abgesehen von einem tatsächlich gleichgültigen Diener, erreichte ich das Zimmer der Königin ohne größere Zwischenfälle.
Ich hatte erwartet, dass ihre Mutter rund um die Uhr an ihrer Seite wäre und war dementsprechend überrascht, als Miss Akemira mich ohne sie empfing.
Sie bewohnte den Teil des Palasts, der auch mir damals zugesprochen worden war und ich versuchte verzweifelt ihre Änderungen an der Einrichtung nicht allzu doof zu finden.
Zu den königlichen Gemächern gehörte ein Empfangszimmer, inklusive eines Teetischs, mehreren Sofas und den Hofdamen, die sich darauf tummelten. Auch sie hatte einen Balkon, dessen Türen weit offenstanden und die kühle spätherbstliche Luft hereinließen. Alles war in dunklem Holz und hellem Stoff gehalten, was erstaunlich geschmackvoll in dem sonst leeren Raum aussah. Niemand hatte Bilder aufgehängt oder die Wände bemalt und jemand hatte die Statuen und Büsten von früheren Königinnen auf den Gang hinausgetragen.
Als die Königin mich bei ihrem Diener in der Tür stehen sah, erhob sie sich von ihrem Sofa und beendete sämtliches Tuscheln ihrer Gäste mit freundlich ausgestreckten Armen. Ihre Hofdamen drehten zwar die Köpfe, doch von ihnen war kein einziges nettes Gesicht dabei. Sie rückten näher zusammen.
„Lady Ferrox, welche Ehre. Wollt Ihr Euch zu uns setzen?"
Ich lächelte reflexartig zurück. Sie war zwar jung, doch ihre freundliche Art würde ihr viele Herzen öffnen, wenn sie sich nur nicht ausnutzen ließ.
Ich knickste vor ihr und trat näher. Ihre gute Erziehung färbte auf mich ab.
„Ich hatte gehofft, mit Euch und Eurer Mutter eine private Unterhaltung zu führen, aber ich kann gerne später wiederkommen."
Mein Schritt in die Richtung der Gruppe, ließ ein Mädchen panisch in die Höhe fahren, bereit zur Flucht, doch eine ältere Dame zog sie entschieden wieder neben sich auf das Sofa und legte einen Arm um ihre Schultern.
„Nicht doch!" Allein die Idee mich zurückzuweisen erschreckte die Königin. Ein Mitglied des königlichen Haushalts nicht sofort empfangen? Bestimmt eine Schandtat im Regelbuch der feinen Damen. Zu dumm, dass ich es nie gelesen hatte.
„Es tut mir leid, dass nur ich hier bin. Meine Mutter ist in einer Audienz mit dem König, um... um..." Sie sah auf ihre Finger hinunter.
Ah. Noch ein Regelverstoß.
„Um meine Verurteilung zu verhandeln?", half ich ihr auf die Sprünge.
Hinter ihr steckten die Hofdamen wieder die Köpfe zusammen, doch ich überhörte sie mit voller Absicht. Sie würden reden, ob ich jetzt hin hörte oder nicht.
„Ich befürchte ja", nickte Miss Akemira, unfähig mir in die Augen zu sehen, „Aber vielleicht kann ich Euch behilflich sein?" Sie legte so viel Hoffnung und neugefassten Mut in die Frage, dass ich es niemals über mich gebracht hätte sie zu verneinen.
Also nickte ich und sie geleitete mich zu einem der breiten Erkerfenster. Es war eine schmale Bank, eingelassen in ein Eckfenster, wo sie Platz nahm und mir bedeutete es ihr gleich zu tun. Es war so eine vertraute Nähe, dass ich beinahe doch einen Rückzug gemacht hätte. Alles was lieb war, aber ich würde nicht mit ihr kuscheln. Aber konnte ich wirklich so unhöflich sein und stehen bleiben?
Schließlich quetschte ich mich weit auf die andere Seite der Bank und sah sofort hinaus.
Das Fenster hatte perfekte Sicht auf den Trainingsplatz, wo Constantin sich gerade wieder mit einer Handvoll Soldaten duellierte. (So viel zum Thema der Audienz ihrer Mutter).
Es war beeindruckend, jemanden bei etwas zu beobachten, in dem er einfach gut war. Ich hatte früher stundenlang die Hitze der Schmiede ertragen, nur um meinem Vater bei seiner Arbeit zuzusehen.
Caridad und seine Hunde war amüsant und wortraubend zugleich. Seine Kommunikation mit den Tieren entzog sich vollkommen meinem Verständnis.
Aber Constantin war etwas anderes. Es war weniger, dass er einfach sehr gut mit dem Schwert umging. Oder dass er während seinen Kämpfen endlich mal die Klappe hielt. Sebastian war selbst fürchterlich geschickt und schnell. Und sogar ich ließ den einen oder anderen Soldaten ins Leere laufen.
Aber Constantin hatte etwas an sich, das in Kampfsituationen in ihm aufglühte. Wer ihn kannte, sah es bereits in kleinen Streitigkeiten die Muskeln strecken, oder in Diskussionen mit seinem Rat die Zähne fletschen. Doch wenn er ein Schwert führte, erwachte es zum Leben und ließ jeden mit einer Gänsehaut zurück. Er steckte alles in den Kampf. Jede Zelle in seinem Körper und jeder Nerv arbeitete in ihm, als ließe er endlich los, was er sonst mit so viel Kontrolle zurückhielt.
Einen nach dem anderen entwaffnete er. Er ließ die jungen Männer nach Luft ringen oder über ihre eigenen Füße stolpern.
Ich riss mich davon zuerst los und für einen kleinen Augenblick beobachtete ich die junge Königin in ihrer absoluten Versunkenheit. Fürchtete sie diese Seite von Constantin? Oder hatte sie noch nicht bemerkt, dass sich hier am deutlichsten sein Kern zeigte?
„Habt Ihr schon einmal ein Schwert in die Hand genommen?"
Eine der Hofdamen schnappte hörbar nach Luft, aber die Königin schmunzelte lediglich.
„Ich würde raten, dass Ihr schon einmal eins geführt habt?", sie sandte mir einen kurzen amüsierten Seitenblick, „Und Ihr seid sicher, dass Ihr keiner der Fanatiker seid, die gegen unseren König kämpfen?"
Hatte sie gerade darüber einen Witz gemacht?
„Tochter eines Schwertschmieds. Aber nahe dran."
Sie blickte wieder nach draußen.
„Ihr hattet mir von dem Tod Eures Vaters erzählt. Euer Onkel hatte Euch aufgenommen, nicht wahr? Darf ich fragen, wo er jetzt ist?"
Exzellente Frage.
„Hoffentlich nicht in Schwierigkeiten." Über die Palastmauer hinweg sah das Dach der Sternenwarte in der Sonne schimmern. Wem wollte ich etwas vormachen? Er war nicht in Schwierigkeiten. Dieser Mann machte Schwierigkeiten.
„Ich habe keinen Kontakt mehr zu ihm."
Überrascht drehte sich Miss Akemira zu mir um, ihr Gesicht ein Beispielbild der Betroffenheit.
„Aber er ist Eure einzige Familie, nicht wahr? Er sollte mit Euch im Palast sein. Sicherlich hat er von Eurer Rückkehr gehört und erwartet eine Einladung."
Die Vorstellung erheiterte mich mehr, als das Thema zuließ.
„Oh, das tut er ganz bestimmt nicht." Ich ignorierte ihren fragenden Blick. Mein Onkel war ein totes Problem. Ich zwang mich, selbst nicht über ihn nachzudenken.
„Mein Onkel ist der Letzte, den Ihr im Palast haben wollt, glaubt mir."
Und auch die Königin verstand, dass die Angelegenheit für mich erledigt war. Sehnsüchtig fuhr sie mit ihren Fingerspitzen über das Glas der Scheibe und der Hauch von Melancholie hüllte sie ein.
„Ich habe einmal ein Schwert in der Hand gehalten", sie nickte selbstversichernd „Aber niemals geschwungen. Es wäre sicherlich... unterhaltsam. Und ihm würde es gefallen."
Constantin? Schwer zu sagen. Falls sie das Schwert nach ihm schwang, würde sich seine Begeisterung eher in Grenzen halten. Aber das war nicht, was ich von dieser Aussage mitnahm.
„Ihr mögt ihn, nicht wahr?"
Sie drehte nicht einmal den Kopf- viel zu vertieft in ihre Beobachtung. Und unwillkürlich fragte ich mich, ob Constantin sie wohl mit derselben Hingabe ansah, wenn sie ihren Pflichten nachging.
„Das tue ich. Er ist ... gutaussehend."
Ah. Gut. Das war jetzt nicht... also...
„Wirklich?", ich unterdrückte ein Lachen, „Mir fällt sowas nie auf, wenn sich die Typen wie ein Arsch benehmen."
Kollektives Nach-Luft-Schnappen der lauschenden Hofdamen und eine erhob sich und verließ den Raum. Entweder um Meldung über mein unverfrorenes Verhalten zu machen oder sich Riechsalz geben zu lassen.
„Aber nein!", rief die errötende Königin aus, „Ich meine er sagt all diese fürchterlichen Sachen aber... er würde niemals... er liebt sein Volk und... also..." Sie kam ins Stocken und brach schließlich den Satz ab. Ihre Brust hob und senkte sich in dem Tempo ihrer galoppierenden Gedanken.
„Liebt Ihr ihn denn nicht?"
Die Frage hätte mich beinahe von der kleinen Sitzbank gezerrt. Meine Gedanken kamen zu einem stotternden Halt und ich zwang meinen Blick woanders hin.
Liebte ich ihn? Constantin war die meiste Zeit fürchterliche Gesellschaft. Er verdrehte einem jedes Wort im Mund, spiele Spielchen die andere verletzten, bedrohte, ignorierte und lieferte sich Wortgefechte mit jenen Männern, die ihm helfen sollten diesen Zirkel zu regieren. Er machte sich über alles lustig und kannte keinen Respekt.
„Ich habe ihn verlassen, schon vergessen?"
Akemira beobachtete mich für einen Moment, als suche sie in meinem Gesicht nach einem Zeichen und glaubte mir schließlich. Ich fühlte mich noch schlechter.
„Dann versteht Ihr auch nicht, welches Gewicht die Krone auf seinem Kopf hat", sie stoppte, als sie mein wissendes Lächeln sah. Verwirrung wurde von Verständnis und dann von einem kleinen Funken Ärger abgelöst.
„Wisst Ihr wohl", sie kniff die Augen zusammen, als sähe sie direkt durch mich hindurch, „Ihr wolltet mich dazu bringen, ihn zu verteidigen!"
Ich schüttelte den Kopf, dankbar, dass es sich nicht mehr um mich drehte.
„Ich wollte nur austesten, wie tief Eure Gefühle für ihn gehen."
Ihre Züge wurden hart und das erste Mal seitdem ich sie kennengelernt hatte, sah sie tatsächlich verärgert aus.
„Ist das hier ein Verhör? Ihr hättet mich einfach fragen können."
„Es tut mir leid." Und das tat es tatsächlich. Ich hatte sie nicht verletzen wollen.
„Das sollte es auch!", sie erhob sich würdevoll und ich tat es ihr nach, „Bin ich nun ebenfalls auf Eurer Verdächtigen-Liste oder habe ich diesen Test bestanden?"
So wie sie das Kinn hob, um trotz ihrer kleinen Gestalt auf mich herabzusehen, erinnerte sich mich das erste Mal an ihre Mutter.
„Das wart Ihr niemals", erklärte ich ruhig, „Eigentlich bin ich hierhergekommen, um mit Eurer Mutter zu sprechen."
Ihr Gesicht bekam eine ungesunde Färbung, doch sie hielt sich zurück.
„Meine Mutter würde Constantin niemals etwas antun." Ihre Worte kamen so hart wie ein Stoß vor den Kopf.
Ich bemühte mich, gelassen zu bleiben. Ich war nicht hier, um sie zu beleidigen.
„Wir wollen lediglich Constantin in Sicherheit wissen. Und das bedeutet, dass wir in alle Richtungen ermitteln." Wartend starrte sie auf mich hinunter.
„Ihr müsst zugeben, dass sie ein Motiv hat. Sein Tod würde Euch zur Herrscherin machen. Und auch wenn Ihr ihn gerne habt, kann ich-..."
„Ihr geht zu weit", sie vibrierte förmlich vor Zorn und ich hatte Schwierigkeiten zu verstehen, wie ich diese Reaktion ausgelöst hatte, „Mit Constantins Tod verliere ich alles. Unsere Ehe wurde nie vollzogen, weil ich nach dem Gesetz dieses Landes noch nicht die Volljährigkeit erreicht habe."
Es wurde prompt totenstill im Raum. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich dachte, sie wäre 17? Wer verheiratet bitte sein Kind? Es erklärte zumindest die Anwesenheit ihrer Mutter.
Akemira tat einen tiefen Atemzug und richtete sich noch ein Stück weiter auf.
„In den Augen des Primus und der Kirche bin ich nicht die legitime Königin. Wenn Constantin stirbt, wärt Ihr die rechtmäßige Herrscherin. Das würde Euch ein noch stärkeres Motiv geben, oder irre ich mich?"
Meine Nackenhaare stellten sich auf.
„Wenn ich hätte Königin sein wollen, warum bin ich dann gegangen?"
Sie blinzelte nicht einmal.
„Das ist die große unbeantwortete Frage, nicht wahr? Vielleicht hat er Euch niemals wie seine Königin behandelt und Ihr hattet genug? Rache ist ein sehr gutes Motiv. Oder vielleicht Zorn, dass er eine neue Frau gefunden hat und glücklich ist?"
Ich hatte das Gefühl durch den Boden zu sinken. Die Luft in meinen Lungen wurde zäh und dehnte sich bis in meinen Verstand aus.
„Ich denke, das ist mein Zeichen zu gehen."
„Das denke ich auch." Die Kälte ihrer Stimme verfolgte mich bis vor die Tür, wo zu meiner Überraschung Ker auf mich wartete, der gerade seinen Flachmann wieder einsteckte. So viel zu: kein Wein und kein Bier. Aber vermutlich hatte er da auch nichts von Beidem drinnen. Er las die Situation in einem einzigen Blick und verlangte zu wissen, was vorgefallen war.
„Das ist kompletter Blödsinn", kommentierte er schließlich meine kurze Erzählung, die den Weg bis in den Garten gedauert hatte.
Ich brauchte frische Luft. Viel frische Luft. „Es gibt sicherlich noch jemand anderes, der davon profitieren würde, wenn du Königin wärst."
Ich suchte Halt an dem nächsten Baum. Es war erstaunlich kühl hier draußen. Vielleicht, ganz vielleicht, würden wir doch noch einen richtigen Winter bekommen, mit Eisblumen oder zumindest Raureif.
„Ich denke, ich weiß sogar wer."
„So oder so solltest du vorsichtiger sein", Kers raue Stimme rieb sich in meine Gehirnwindungen hinein, „Solche offenen Anschuldigungen können gerade dich auch vor das Tempelgericht bringen."
Ich war mir fast sicher, dass er nicht einmal wusste, wo die Zellen des Tempelgerichts sich befanden. Ich schon. Ich hatte sie auch schon von innen gesehen.
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"Voted und ich streiche euch von meiner Verdächtigenliste." - Ker. Hat keine Liste. Aber das wisst ihr ja nicht :D
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