21- Es ist nicht das, wonach es aussieht.
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Ich zögerte erst, als ich in der Tür stand. Denn nicht nur hatte ich Caridad versprochen seinen Mörder zu finden. Ich hatte Constantin mein Wort gegeben, ihm die Scheidung zu unterschreiben. Und ich mochte eine notorische Lügnerin sein, aber mein Wort-...
„Nur zwei Tage?"
Ich war mir ziemlich sicher, dass die Nässe auf meiner Haut bei Constantins Stimme zu Eisblumen wurde.
„Nur zwei Tage und du versuchst bereits, wieder von hier zu fliehen?" Er lehnte im Schatten eines Walnussbaums, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt und der Blick verschleiert.
Ich suchte nach dem letzten Krümel Mut in meinen Venen.
„Ich bin auch überrascht, dass es dich zwei ganze Tage gekostet hat diese dämliche Falle zu entwerfen."
„Falle?", sein Lachen hallte aus seiner Richtung zu mir herüber und er stieß sich von dem Baum ab, „Ich weiß nicht was du den Wachen geboten hast, dass sie alle ihre Posten verlassen haben. Ich werde den Großteil von ihnen ins Exil schicken müssen. Das hier...", er deutete auf die offene Tür, „... ist gefährlich für jeden, der unter meinem Dach wohnt. Und ich bin der Einzige, der mit ihrer Sicherheit spielen darf."
Er schlenderte in den Schein meiner Fackel und ich musterte ihn. Die blonden Haare klebten dunkel in seinem Gesicht. Das sonst weiße Hemd hatte er gegen eine braune Version eingetauscht, was mir verriet, dass er nicht nur eine ganze Weile auf mich gewartet hatte, sondern auch die Überraschung geplant hatte. Aber wenn er nicht von der Falle wusste, hatte ihm jemand anderes einen Tipp gegeben.
„Ich hatte nicht vor zu fliehen", sagte ich mit so viel Selbstbewusstsein, wie ich unter seinem zornigen Blick fand, „Jemand hat mich hierhergelockt, um es so aussehen zu lassen."
Ein humorloses Schmunzeln war alles an Reaktion, die meine Aussage aus ihm lockte.
„Ach wirklich? Jemand mit genug Einfluss, dass er die Wachen von der Mauer abziehen kann?"
Natürlich glaubte er mir nicht. Engstirniger Idiot.
Mit einem Augenrollen, das ihm genau das sagen sollte, griff ich in meine Rocktasche und fischte nach dem Zettel. Ohne Erfolg. Meine Fingerspitzen wischten über den Boden der Tasche, bis ich sie umdrehte und im Schein der Fackel untersuchte. Nichts. Der Zettel war fort.
Constantin beobachtete mich geduldig, wie ich immer panischer meine eigene Rocktasche umstülpte und ausschüttelte. Als ich seinem Blick begegnete, hob er lediglich eine Augenbraue.
Mein Puls nahm wieder an Fahrt auf. Die Gestalt im Umhang hatte mich berührt, als sie die Fackel entzündete. Er musste mich in der Bibliothek beobachtet haben, als ich den Brief in die Tasche steckte.
Mir wurde schlecht, aber es fehlte die Zeit, um mich in die Paranoia hinein zu steigern. Später war dafür auch noch Gelegenheit.
Entweder Constantin log mich an- was eigentlich mein Teil der Beziehung war- oder aber er hatte die Soldaten auch nicht abgezogen, was bedeutete-...
Ich blickte mich hektisch um und warf die Fackel in den sandigen Boden vor der Tür.
„Hat dir jemand einen Tipp gegeben, hier unten zu warten?"
Die Worte kamen so schnell über meine Lippen, das Constantin einen Augenblick brauchte, um mir zu folgen.
„Wieso?"
„Ja oder nein?", fuhr ich ihn an, doch als er keine Anstalten machte mir eine Antwort zu geben, packte ich ihn am Arm und zog ihn hinter mir her in den Schatten des Baumes.
Er folgte mir, teilweise verwirrt, teilweise verärgert und machte sich ziemlich bestimmt wieder von mir los, kaum da ich stehen blieb. Stattdessen packte er mich an den Schultern und drehte mich zu ihm um, sodass unsere Nasenspitzen einander fast berührten.
„Dinah. Logische, zusammenhängende Sätze. Jetzt."
Sein Atem strich über mein Gesicht und ich unterdrückte einen neuerlichen Anfall von Gänsehaut. Misstrauisch spähte ich über seine Schulter, doch ich konnte sowieso nichts sehen. Und ich hoffte, das galt auch für alle anderen, die um diese Uhrzeit nicht im Bett waren.
„Wir haben deinen Attentäter noch nicht gefasst. Du darfst nicht vollkommen alleine nachts draußen herumsitzen."
Wenn ihn jemand hier hinaus gelockt hatte, ähnlich wie mich, dann war er gerade in Lebensgefahr.
Doch das interessierte Constantin natürlich nicht.
„Mir musste niemand einen Tipp geben. Ich werde von alleine misstrauisch, wenn keine Soldaten mehr in diesem Teil des Palasts zu finden sind. Vor allem wenn ich das Große Grauen freigelassen habe."
Ach...oh?
Ich entließ einen tiefen Atemzug. Das war gut. Und schlecht. Damit fehlte mir jetzt ein Beweis, dass ich hereingelegt worden war.
„Wir müssen zu den Baracken."
„Ach? Müssen wir das?" Die Belustigung in seiner Stimme verlieh ihr einen rauen Unterton.
Ich schluckte die Erinnerung herunter und reckte mein Kinn.
„Ich will wissen, wer den Befehl gegeben hat alle Soldaten aus diesem Bereich abzuziehen. Los. Wenn du mir nicht glaubst, amüsiere mich."
Mit einem gleichgültigen Schulterzucken ließ er mich wieder los und bedeutete mir vorauszugehen. Wir machten einen kleinen Schlenker an der Tür vorbei, schlossen sie ab und marschierten dann in stummer Zweisamkeit zu den Baracken hinüber. Oder um es genauer auszudrücken: Ich sprintete beinahe, musste aber alle zwei Schritte warten, weil der Herr Regent alle Zeit der Welt hatte.
Bis wir dort ankamen, hätte ich ihn am liebsten geschüttelt. Aber uns wurde die Tür geöffnet und ich war in meinem ganzen Leben noch nie so erleichtert gewesen, eine Rüstung zu sehen. Halb hatte ich befürchtet, dass der komplette Palast verlassen sein könne und wir auf uns alleine gestellt wären. Doch meine Angst wurde kurz darauf weiter vertrieben, als wir einen ganzen Trupp aus ihren Betten scheuchten, bis jemand den unterschriebenen Befehl fand. Ein anderer Mann wurde zu Sebastian in sein Stadthaus geschickt- nur um zu klären, dass er nichts mit der Situation zu tun hatte.
Der Befehl war formvollendet aufgeschrieben, in ein Kuvert gesteckt, versiegelt und vermutlich per Diener abgegeben worden. Das Siegel, ein stilisierter Adler mit drei Köpfen, war allein den königlichen Familienmitgliedern vorbehalten, obwohl ich im Augenblick keinen Siegelring besaß.
Constantin warf nicht einmal einen Blick auf die Handschrift.
„Wer hat den Brief abgegeben?"
Keiner der Soldaten erinnerte sich.
„Ich brauche den Namen des Dieners oder wer ihn geschickt hat. Findet denjenigen, der den Befehl angenommen hat und bemannt sofort wieder die Mauer und die Tore."
Ich studierte unterdessen die Handschrift und verglich sie mit meinen Erinnerungen von dem Zettel aus der Bibliothek oder dem unter meinem Kopfkissen. Es war vielleicht dieselbe. In ihr stand eine Notiz geschrieben, dass das Bataillon Drei, in dessen Quartier wir uns gerade befanden, die Nachtschicht mit Bataillon Zwei tauschen würde.
Mein untrüglicher Ermittlersinn sagte mir, dass nur niemand das zweite Bataillon davon in Kenntnis gesetzt hatte. Hoffnungsvoll wandte ich mich an Constantin.
„Du glaubst mir also, dass ich das nicht geschrieben habe?"
Constantin warf mir einen unleserlichen Blick zu.
„Ob ich glaube, dass du einen Brief aufgesetzt, einen Siegelring gestohlen und jemanden angeheuert hast, um den Brief heimlich abzugeben? Wenn du genauso gut Sebastian auch einfach hättest fragen können? Ich bitte dich. Als ich dich kennen lernte, hast du die Hälfte der Zeit die Unterröcke weggelassen, weil sie, und ich zitiere ‚umständlich zum Anziehen sind und am Ende eh nicht gesehen werden'."
Er hatte sich auf eine Bank in der Ankleide der Baracken gesetzt und die Ellenbogen auf den Knien abgestützt.
Ich marschierte vor ihm auf und ab.
„Das war ein-..."
„Zwei Mal." Er machte eine nicht-kommentierende Handbewegung.
„Traumatische Erlebnisse behält man stärker in Erinnerung."
Ich versuchte es mit einem bösen Blick, doch er sah eh nicht in meine Richtung.
Konnte ich davon ausgehen, dass jemand all das hier inszeniert hatte, um mich loszuwerden?
„Mit der Verwendung des Siegelrings bleiben nicht sonderlich viele Verdächtige."
Er hatte das Gesicht in seinen Händen vergraben, weshalb seine Worte nur dumpf zu mir drangen.
„Sag du es mir. Wen hast du jetzt schon wieder da mitreingezogen?"
Ich... was? Meine Beine hielten inne.
„Ich dachte, du glaubst mir, dass ich den Brief nicht geschickt habe? Das hier war ein intriganter Schachzug."
„Oder du hast jemanden bezahlt, dass er sich die Mühe für dich gibt", er tauchte wieder aus seinen Händen auf, „Du bist schlau Dinah. Schlau genug, um meine Rückschlüsse vorherzusehen. Aber halte mich nicht für so dumm, dass ich dich unterschätzen würde."
Die Tür zum Vorraum ging auf und ersparte mir mit Sebastians Auftritt glücklicherweise eine Antwort. Er hatte es geschafft, dass selbst seine kurzgeschorenen Haare zerzaust wirkten.
„Ihr habt nach mir schicken lassen, Eure Majestät?"
Constantin stand auf und ging an mir vorbei.
„Ich will wissen, wer mit ihr unter der Decke steckt", mit dem Daumen deutete er über seine Schulter auf mich, „Dieser Befehl hat Priorität über allem anderen, bis ich antworten habe. Außerdem sollen die Soldaten vorübergehend nur noch Befehle von mir annehmen. Zumindest was die Besetzung der Wehr und der Tore angeht."
Und noch ehe Sebastian eine Antwort geben konnte, war sein König auch schon wieder draußen in der Nacht.
„Sir?", ein Soldat fing die zu schwingende Tür ab und schlüpfte hinein, „Es tut mir leid Sir, aber wir wissen nicht, wer den Befehl überhaupt entgegengenommen hat. Alle anwesenden Männer behaupten, das Schreiben erst auf dem Tisch des Gemeinschaftraumes gesehen zu haben."
Ich horchte auf.
„Aber jemand muss den Brief entgegengenommen haben. Niemand sonst hätte Zutritt zum Gemeinschaftsraum." Jemand in Zivil wäre auf jeden Fall bemerkt worden.
„Irgendjemand muss den Brief entgegengenommen haben", wandte sich der Hauptmann seinem Soldaten zu, „Findet heraus, wer es war. Falls sich niemand freiwillig bis zum Morgengrauen meldet, werdet ihr alle wochenweise Nachtwache schieben, bis es jemandem wieder einfällt."
Ich zog die Nase kraus, sagte jedoch nichts vor seinem Untergebenen.
Als wir wieder alleine waren, sprach er meine Bedenken aus: „Glaubst Ihr unser Attentäter steckt hinter dem Befehl?"
Mit einem Seufzen ließ ich mich auf die Bank nieder, auf der zuvor Constantin gesessen hatte.
„Tatsächlich nein. Constantin muss die halbe Nacht in perfekter Schusslinie gewartet haben und nichts ist passiert. Wer mir die Notiz zugesteckt hat, wollte mir helfen zu fliehen." In knappen Sätzen gab ich die Geschehnisse der Nacht an Sebastian weiter. Er hörte zu, diskutierte mit mir kurz über die Gefahr, in die ich mich begeben hatte und die Gerissenheit, mit der die Person hinter dem Vorfall vorgegangen war und endete dann mit: „Warum wart Ihr überhaupt noch so spät in der Bibliothek?"
„Ich habe nach Giften recherchiert."
Ein vorbeilaufender Soldat ließ spontan seinen Helm fallen und Sebastian, der eben noch mit dem Ellenbogen gegen einen Balken gelehnt hatte, rutschte ab und fiel beinahe hin. Er rümpfte die Nase, sodass sich die Narbe darüber verbog.
„Nach einem bestimmten Gift oder soll es nur langsam und schmerzhaft wirken?"
Ich grinste.
„So sehr hat Constantin mich noch nicht aufgeregt."
„Beruhigend zu wissen."
Mühsam stand ich wieder auf. Meine Kleidung war nass und eisig und ich verspürte Sehnsucht nach meinem warmen, weichen Bett und Cladinas Zuneigung.
„Paius- Kirschen. Ihr Saft schmeckt süß und lässt sich leicht in Getränke mischen. Hochdosiert führt sie zu Unruhe, Halluzinationen und manchmal zum Tod. Davon hatte ich bereits das Vergnügen. Niedrig dosiert ist der Saft ein Schlafmittel, das jemanden für Tage bewusstlos halten kann. Sehr gut für Operationen."
„Ideal also, wenn ich jemanden im Wald ablegen möchte, bis die Person gefunden wird", folgte Sebastian mir aus dem Zimmer.
„Exakt. Wird sie mit Wein oder Tee getrunken hinterlässt sie violette Spuren auf den Lippen und beim Abklingen der Droge einen bitteren Nachgeschmack auf der Zunge."
Sebastian bestand darauf, mir seinen Mantel zu reichen, als wir die Baracke verließen und zum Eingang des Westflügels eilten.
„Warum habe ich davon noch nie gehört?"
„Weil das Rezept für ihre korrekte Aufbereitung in unserem Zirkel nicht sonderlich verbreitet ist. Die Pflanzen wachsen nicht in unserem Klima."
„Ihr glaubt, es war die Königin oder ihre Mutter?"
„Nein." Ich hatte einen viel schlimmeren Verdacht. „Sie war bei meiner ersten Vergiftung nicht anwesend. Und dass es zwei Leute gibt, die dasselbe ausländische Gift verwenden, wäre schon ein merkwürdiger Zufall." Ich wischte mir eine nasse Haarsträhne aus der Stirn, „Aber der Versuch mich aus dem Palast zu locken, passt zu gut zu ihren Motiven. Vielleicht haben sie dieselbe Person angeheuert."
Selbst, wenn sie nichts mit den Vorfällen von damals zu tun hatten, sie konnten mir vielleicht Hinweise geben.
Sebastian nickte.
„Ich denke wir werden uns einmal mit ihnen unterhalten müssen."
Und das taten wir auch.
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Vielen Dank an alle Sternchendrücker und ganz besonders an die fleißigen Kommentare schreiber bisher! Ihr motiviert mich weiterzumachen <3
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