17- Der Inseluntergang ist nicht einmal mein größtes Problem
➴♚➶
2 Jahre, 11 Monat und 23 Tage vorher
Ein Attentat auf mich blieb keine private Affäre, wie ich zuerst gehofft hatte. Irgendetwas an dem Missbilligen anderer Königshäuser färbte auf den gesamten Palast ab. Oder es war die Tatsache, dass Constantin keinen Hehl daraus machte, dass mir sein Rückhalt fehlte.
Doch die eigentliche Katastrophe würde erst einige Wochen später ihren Lauf nehmen. Und wie jede gute Katastrophe wartete sie, bis meine Unterstützung in Form von Caridad aus persönlichen Gründen in einen anderen Zirkel reiste. Angeblich wegen eines Mädchens, aber als ich ihn darauf ansprach, blieb er reserviert. Constantin benahm sich nicht weniger merkwürdig. Er entschied sich, seinen kleinen Bruder zumindest für die erste Hälfte des Weges zu begleiten. Irgendetwas ging vor sich, aber mir sagte ja nie jemand etwas.
Die Luft im Musikzimmer war erdrückend. Ein feiner Schweißfilm hatte sich auf meiner Haut gebildet, obwohl ich seit Stunden einfach nur saß, das Buch vergessen in meinem Schoß.
Niemand von den Anwesenden bemerkte es. Sie alle hatten ihre kleinen Blasen der Gemeinsamkeit erschaffen, die mich nicht duldeten. Ihre Gruppen sprachen leise in der ironischen Stille des Haushaltes.
Dara Sarei hatte mir empfohlen Hof zu halten. Auch den Adeligen die Gelegenheit zu geben, mich kennen zu lernen. Über die Gerüchte hinaus, die sie selbst so fleißig säten, als könnten ihre Seelen sich davon ernähren.
„Das ist der Grund, warum man sich keine bürgerliche Braut anschafft", hatte eine von ihnen gewispert, als ich vorbei ging. Ein feines, durchsichtiges Fallseil, gesponnen aus ihrem Misstrauen gegen mich. Ich sah sie überall in dem hellerleuchteten Zimmer. „Stellt euch vor, der König wäre bei dem Attentat verletzt worden! Sie muss besser aufpassen."
Jemand hatte alle Fenster geöffnet. Die Freiheit dahinter lockte mich- nur ein Ausritt oder ein Spaziergang unter den schattigen Bäumen. Fern ab von ihren klebrigen Blicken. Sie wollten mich nicht kennenlernen. Sie wollten mich loswerden.
Ich legte das Buch weg und erhob mich von meinem Sessel. Kaum einer von ihnen sah auf, als ich mich auf die Flügeltür zubewegte, aber ich hörte ihr Aufatmen, als ich sie hinter mir schloss. Eine bürgerliche Königin, die mit einem Schwert unter dem Bett schlief war gefährlich. Für ihre Traditionen. Für ihren Glauben. Aber am Meisten für ihren Ruf. Und an den klammerten sie sich wie Schiffbrüchige.
Auf dem Gang schnappte ich nach Luft. Hier war es kühler und angenehmer still. Hilfesuchend griff ich an meinen Hals, wo sonst meine verborgene Kette lag. Weg. Sie war fort.
Meine letzte Verbindungen zu der Wärme und Liebe meines Vaters.
„Ist alles in Ordnung, Ma'am?" Ein Zimmermädchen näherte sich unsicher, eine Hand schüchtern ausgestreckt, „Soll ich Euch etwas bringen, Eure Majestät?"
Ihre Worte drangen vom Ende eines langen Tunnels zu mir. Ich kämpfte mich zu ihr durch, doch meine Finger krallten sich noch immer an mein Brustbein: „Meine Kette... sie ist fort."
Oh nein. Oh nein.
Meine eigene Stimme weckte die Panik in mir. Meine Kette war das einzige Beweisstück, das jemanden auf die Spur meiner Religion bringen konnte.
Wenn jemand sie fand, würde es Untersuchungen geben. Ermittlungen. Der Primus würde informiert werden. Ich musste sie zuerst finden.
Noch bevor das Mädchen etwas antwortete, brach ich beinahe mit der Tür in das Musikzimmer. Eine ältere Dame stieß einen erschrockenen Laut aus, der mich bis zu meinem Sessel zurückverfolgte.
Nichts. Ich drehte die Kissen um, ging sogar vor dem Möbelstück auf die Knie und sah darunter. Gut geputzt, aber nichts.
Wo war ich davor gewesen?
„Was bei De-...", empörte sich einer der Höflinge, doch ich hörte nicht einmal das Ende seines Satzes.
Mit fliegenden Röcken stürzte ich aus dem Zimmer hinaus auf den Gang. Wenn sie jemand vor mir fand-... Es war nicht so sehr, dass sie die Kette mit mir in Verbindung bringen würden. Aber ich würde sie nie wieder zurückbekommen.
„Ma'am?", das Mädchen stand noch dort, einen Eimer mit Putzlappen an ihren Füßen, „Soll ich das Personal suchen lassen?"
Mein Kopfschütteln war eine Spur zu heftig, mein Blick zu rastlos. Sie beobachtete mich mit der Unsicherheit, mit der man sich einem wirren alten Mann näherte, der zu lange in den Pessel-Mienen von Keltar gelebt hatte.
Ich raffte mein Kleid und lief los.
Mein Tag hatte sich vom Frühstück in die Bibliothek und dann weiter in das Musikzimmer gezogen. Die Spuren meiner Schritte waren mir noch klar im Gedächtnis, doch die Kette blieb aus. Selbst als ich in mein Zimmer zurückkehrte wurde ich von perfekter Leere begrüßt.
Verdammt. Verdammt noch tausend Mal. Ich durchsuchte mein Bett, meinen Schrank und meine Schmuckauslage, meinem besseren Wissen zum Trotz. Ich hatte die Kette nie abgelegt. Ich hatte sie verloren.
Der Laut eines verwundeten Tiers schlüpfte aus meinem Mund, als ich kraftlos auf meine Bettkante sank.
Und was jetzt? Die Frage schnürte mir die Luft ab. Ich hatte sie verloren. Die Kette meines Vaters.
Langsam tropfend, wie ein undichter Wasserhahn wurde mir außerdem noch ein zweiter Fehler bewusst. Ich hatte dem Zimmermädchen gesagt, dass ich meine Kette suchte. Wenn jetzt jemand eine Ke-enische Kette finden würde, war es kein weiter Sprung, bis sie sich an mich erinnerten.
Auf Anhieb fiel mir nur eine Person ein, der ich ansatzweise genug vertraute, um ihn um Hilfe zu bitten. Caridad war nicht hier, aber Dara Sarei... Er war meine einzige Chance die Kette zu finden, bevor es jemand anderes tat.
Widerwillig erhob ich mich wieder und wollte gerade zur Tür laufen, als ein verhaltenes Klopfen durch mein Wartezimmer klang. Ich gefror mitten in der Bewegung.
Noch ein Klopfen, das von meinem Puls beinahe übertönt wurde. Als hätte ich keine Wahl, öffnete sich mein Mund und ich rief ein wackeliges „Herein". Was, wenn sie die Kette bereits gefunden hatten? Gotteslästerer wurden von dem Primus zum Tode verurteilt. Er würde den gesamten Zirkel aus dem Himmel holen.
Herein schob sich ein äußerst besorgt dreinblickender Fidei Defensor Holus, dessen dunkelgewandte Gestalt das Licht aus meinem Zimmer zog.
„Eure Hoheit?" Besorgt suchte er meine Gestalt nach einer Begründung für die stocksteife Haltung und die zitternden Hände ab.
Ich gab ihm keine.
Etwas ungemütlich trat er näher, doch der Ausdruck eines Verdachts nahm in seinen Augen Gestalt an.
„Ich habe gehört, Ihr fühlt Euch nicht wohl? Etwas, mit einer verlorenen Kette?"
Ich hatte zu viel Aufmerksamkeit auf mich gezogen. Innerlich bebend, bat ich ihn zu einer kleinen Sitzgruppe und folgte ihm dorthin, verzweifelt bemüht mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Hysterie war eine anerkannte weibliche Krankheit. Eine männliche Erklärung für die Unzufriedenheit eines unterdrückten Geschlechts. Ich war fest entschlossen ihm keine Angriffsfläche zu bieten.
„Es ist das Erbstück meines Vaters. Ich lege es sonst nie ab", hangelte ich mich an der Wahrheit entlang und rief nach Tee.
Fidei Defensor Holus nickte. Er sah auf dem hellgeblümten Stoff fehl am Platz aus, doch ich zwang mich zu einem unverbindlichen Lächeln. Normal handeln. Diplomatie. Das konnte ich.
„Sicher versteht Ihr, dass mich sein Verlust geschockt hat."
Der Mann, erleichtert über meine Rückkehr zu natürlichem Verhalten, nickte verständnisvoll.
„Absolut, meine Königin. War es denn eine wertvolle Kette?"
Nein. Billige Goldlegierung. Aber Fidei Defensor Holus war der Letzte, der mich damit in Verbindung bringen sollte.
Ich zwang meine Lippen in ein Lächeln und nahm innerlich Abschied von der Erinnerung.
„Unbezahlbar. Ich bekam es noch vor dem Erbe meines Onkels. Der erste wertvolle Gegenstand, den ich besaß. Sie trug einen echten Rubin", log ich, während sich die Tür für ein Zimmermädchen öffnete.
Es war das rothaarige Mädchen vom Flur.
Ich nickte ihr unsicher zu und sie balancierte das Teetablett zu uns herüber.
„Wie schrecklich!", Fidei Defensor Holus warf zwei Zuckerwürfel in seinen Tee, „Und Ihr seid sicher, dass Ihr die Kette verloren habt?"
Ich brauchte einen Moment zu lange, um seinen Sinn zu verstehen. Er sprach sofort weiter.
„So ein Schmuckstück ist sicher eine große Versuchung für das Personal."
Unter seinen harschen Worten zuckte das Dienstmädchen sichtlich zusammen. Ein Tropfen Tee landete auf der Tischdecke, doch ich schob sofort meine Serviette darüber.
Niemand. Wirklich niemand würde diese Kette stehlen, es sei denn, er wusste was sie bedeutete.
„Fidei Defensor Holus, das sind hartarbeitende Menschen. Sie verdienen Ihr Misstrauen nicht."
Doch der Diener Des wischte meine Bemerkung aus der Luft. Er rutschte auf seinem Stuhl näher, als vertraue er mir ein Geheimnis an.
„Das denkt Ihr, weil Ihr zu lange unter ihnen gelebt habt. Eine Aufgabe Des, keine Frage, aber Ihr habt sie gemeistert. Ihr seid jetzt eine von uns. Und das bedeutet, dass Ihr die Unsrigen schützten müsst."
Ich stellte meine Teetasse geräuschvoll wieder auf das Tablett zurück, doch Fidei Defensor Holus ignorierte auch das. „Zweifelsohne habt Ihr bereits bemerkt, wie unsicher die anderen Palastbewohner Euch gegenüber sind. Sie wissen nicht, ob sie Euch vertrauen können."
Nein. Ich schürzte die Unterlippe. Das Zimmermädchen wollte sich bereits wieder hinaus auf den Gang stehlen, doch ich bat sie stumm hierzubleiben. Sie sollte das hören.
„Verzeiht Fidei Defensor, aber ich sehe nicht wie mein Misstrauen gegenüber den arbeitenden Leuten, das Vertrauen der Höflinge erwecken solle."
„Indem Ihr sie gegen die Mutwilligkeit der Ungebildeten verteidigt!" Sein Ausruf ließ uns beide empfindlich zusammenzucken und so setzte er beschwörend hinzu, „Statuieret ein Exempel, was mit Ungläubigen geschieht."
Ich hätte beinahe gelacht. Der Knoten in meinem Magen war inzwischen zu einem lebendigen Wesen herangewachsen, das sich bedrohlich streckte.
„Das wird nicht nötig sein, Fidei Defensor."
Wir erhoben uns und er ergriff meine Hand und umschloss sie mit seinen verschwitzten Fingern.
„Ich verstehe, dass Ihr zurückhaltend seid. So eine Veränderung fällt niemandem leicht. Aber Ihr könnt Euch auf mich verlassen. Ich werde die Kette für Euch wiederfinden."
Hätte ich gewusst, was er damit meinte, hätte ich ihn in meinem Wandschrank eingesperrt. Hätte ich gewusst, dass er es in meinem Namen tun würde, hätte ich den Schrank für ein paar Tage nicht mehr geöffnet.
So blieb ich mit dem rothaarigen Mädchen in meinem Zimmer zurück, verzweifelte leise daran, dass ich meine Kette niemals wieder bekommen würde und wusste nicht, dass die eigentliche Katastrophe zwei Tage späte erst wirklich anlaufen würde.
Zwei Tage später erwachte ich ungewohnt zu dem gleißenden Licht der beinahe mittäglichen Sonne, anstatt zu dem sonst so leise und höflichen Klopfen einer Magd. Man hatte mich vergessen. Und obwohl ich mir generell darum keine Gedanken machen würde, war es in jedem Fall merkwürdig, wenn man die Königin vergaß.
Ich zog mich selbst an- auf mein Klingeln reagierte niemand- und schlich mich aus meinem Zimmer. Die zwei Soldaten, die vor meiner Tür wachten, schnaubten, als ich an ihnen vorbeischritt. Wie abfällig das geklungen hatte, fiel mir jedoch erst auf, als zwei Zimmermädchen sich prompt in den nächsten Gang verdrückten, als ich um die Ecke bog.
Es dauerte seinen Moment, bis ich die erste ältere Magd in die Finger bekam und den Grund für das merkwürdige Verhalten erfuhr.
„Das wird der Hunger sein, Ma'am", erklärte sie so knapp und indigniert wie möglich.
Ich verstand nicht. Und deshalb fand ich mich das erste Mal mit so einer Art Mission im Musikzimmer ein, wo es ein paar Leute gab, die mir nur allzu gerne meine Meinung sagten.
„Ihr solltet Euch schämen", schimpfte eine ältere Dame, die nicht schnell genug aus ihrem Sessel gekommen war, um vor mir zu fliehen, „Es ist doch nur eine Kette. Aber diese Leute arbeiten. Sie haben Hunger."
Ich kniete vor ihr auf dem Boden, beide Hände an ihrem Arm, um sie an der Flucht zu hindern.
„Ich verstehe nicht, was vor sich geht", wiederholte ich mein Flehen an sie, „Was habe ich mit ihrem Hunger zu tun?"
Das verstimmte die Alte nur noch mehr. Doch ganz wie ich erwartet hatte, brannte sie nur so darauf, mir die Meinung zu sagen.
„Du magst jetzt denken, dass du endlich etwas Besseres bist. Aber diese Leute polieren den Thron, auf dem du sitzt. Schäm dich Kind. Ein Befehl geben, dass die Kette wieder auftauchen soll, hätte vollkommen genügt. Aber sie alle auszuhungern, bis sich der Dieb präsentiert...", sie brachte den Satz nicht zu Ende. Ihre kleinen Stecknadelaugen bohrten sich wie glühende Eisen in meine Haut.
„Ich... ich", die Worte klebten in meinem Mund, „Ich habe keinen solchen Befehl gegeben."
Mit zitternden Fingern ließ ich sie los. Ich würde sowas niemals tun. Nie.
Doch die Alte presste lediglich ihre faltigen Lippen zusammen.
„Fidei Defensor Holus hat Euren Beschluss gestern verkündet. Ihr wollt doch nicht einen Mann des Gottes der Lüge bezichtigen?"
Doch. Aber ich blieb still. Ich blieb still, bis auch sie das Zimmer verlassen hatte und ich buchstäblich und vollkommen alleine war. Selbst Caridad hätte diese Einsamkeit nicht auffangen können.
Niemand würde diese Kette finden. Ich würde mich stellen müssen oder-...
Meine Gedanken verschwammen mit den ersten Tränen, die zu Boden fielen.
➴♚➶
Mein Horoskop sagt: Ich werde die Woche meines Lebens haben. Ever.
Ich hab mir die Zunge am Kaffeefee verbrannt. So weit läufts also gut :D
Ihr solltet gleich mal nachschaun, was euer Sternzeichen so für diese Woche geplant hat :D sicherheitshalber
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro