11- Tue nett.
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heute
Sebastians Worte über einen möglichen Zusammenhang der Vorfälle blieben den Rest der Woche bei mir, genau wie die Überlegung wie ich den Mädchen in den Pessel-Mienen am besten half.
Er hatte Recht: Der Zufall wäre groß, dass all diese Ereignisse so strukturiert aufeinander folgten und der kleine Brief unter meinem Kissen hatte mich misstrauisch gemacht. Ich hatte bereits eine schattenhafte Idee, wer für all die Taten ein Motiv hatte. Das Problem war nur: Ich wollte nicht recht haben. Wirklich nicht. Denn dann würde ich rennen.
Cladina, meine Kammerzofe, die ich definitiv nicht verdient hatte, bemerkte mit einem tadelnden Schnalzen am nächsten Morgen, dass ich nicht genug geschlafen habe. Augenringe, die eher aussahen, als hätte ich einen Faustkampf verloren, gaben die späten Sorgen wieder. Ich seufzte.
„Es gibt nichts, was ich ausrichten kann", erklärte ich und wusste nicht, ob ich die Befürchtungen oder die Schatten unter meinen Augen meinte, „Sebastian hat gesagt, dass der Blinde Ball aussteht? Wie sieht es bei euch unterhalb der Treppe aus? Kommen die Bediensteten mit der Planung zurecht?"
Cladina zog geübt die Bürste durch meine Haare, ohne meinen Blick im Spiegel zu erwidern.
„Der Ball wird dieses Jahr ein besonderes Spektakel und es fehlt mehr denn je an helfenden Händen. Aber man hat mich gewarnt: Wenn ich Euch unten in der Küche sehe, werde ich Euch an den König höchstpersönlich verraten."
Halb geschockt, halb belustigt fiel mein Mund auf. Das war ein einziges Mal gewesen. Ein einziges Mal, weil meine damaligen Dienstmädchen so erschöpft waren, dass sie sich in meinem Ankleidezimmer versteckten, nur um einmal am Tag sitzen zu dürfen. Derzeit hatte ich nicht gewusst, welche Beleidigung es für das Personal gewesen war.
„Der Ball soll größer werden? So hätte ich die neue Königin überhaupt nicht eingeschätzt."
Cladinas Lippen wurden eine Spur schmaler und sie riss mir versehentlich ein paar Haare aus.
„Das verdanken wir ihrer Mutter: Lady Vanna. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie es schneien lassen an dem Tag."
Überrascht hob ich die Augenbrauen.
„Nicht der Königin? Ist sie nicht über die Tradition informiert?"
„Oh sie ist informiert worden. Aber die Planung wurde von ihrer Mutter durchgeführt."
Das war... unüblich. Allerdings nicht so verwunderlich wie dieser Hauch an Abneigung, der in jedem Wort meiner Kammerzofe mitschwang.
„Wann hat sich...", mein Magen zog sich zusammen bei der Frage, doch ich zwang mit weiterzusprechen, „Wann wurde Constantin mit Miss Vanna verheiratet?"
Cladinas Blick schoss hoch und traf meinen, doch sie hatte sich schneller wieder unter Kontrolle als ich.
„Vor einem halben Jahr."
Ich nickte, zwanghaft bemüht nicht betroffen, glücklich oder sonst irgendwie auszusehen. Das Letzte was ich brauchte, war jemand, der dachte, ich hätte Gefühle für ihn. Der Kerl war ein laufendes, sprechendes Problem, mit dem ich mich nicht auseinandersetzen wollte.
Deshalb fragte ich: „Sollte sie nicht seitdem die Aufgaben der Königin übernommen haben?"
Und damit hatte ich den Kern des Unmuts meiner Kammerzofe getroffen. Ihr farbenfroher Vergleich von Regenwürmern zur Königin begleiteten mich durch den Palast, auf der Suche nach eben jenem bezaubernden Geschöpf, das weder Rückgrat noch Eigenständigkeit kannte. Nun, wir begannen alle zögerlich. Und noch zögerlicher, wenn wir uns alleine fühlten.
Ich kannte ihre Mutter, Lady Vanna aus meiner eigenen Regierungszeit. Sie war eine ehemalige Dame von Constantins und Caridads Mutter und als solche zu mehreren Feiern im Palast eingeladen worden. Doch ich hatte ihre Tochter niemals gesehen.
Was ich bisher mitbekommen hatte, beschrieb sie als höfliches, zurückhaltendes Mädchen, das aus dem Hintergrund beobachtete.
Es machte Sinn, dachte ich mir auf dem Weg, Constantin brauchte ein Mädchen, das sein Temperament besänftigte. Jemand, der lieber auf den Terrassen saß und den Vögeln an den Brunnen zuschaute.
Es war ein schöner Ort, geschützt von einem bewachsenen runden Dach, das von einer Reihe Säulen getragen wurde. Rosen, gehegt und gepflegt, verströmten ihren Duft, während das gleichmäßige Plätschern der Brunnen in der schwülen Hitze Frische versprach. Von hieraus sah man auf die Berge hinaus, deren steinige Kappen aus den dichten Wäldern herausragten. Warum ich das wusste?
Einer der Soldaten hatte mir diesen Tipp gegeben und dort fand ich sie. Wie auch bei unserer ersten Begegnung trug sie ein hauchzartes, bei der Sonneneinstrahlung gefährliches, Kleid, das wie ein Wasserfall an ihrer schmalen Gestalt herunter fiel. Keine Sommersprossen. Vermutlich hatte sie in ihrem Leben noch nie einen einzigen bösartigen Gedanken gehabt.
Dies ließ sich allerdings nicht für Lady Vanna sagen, die mich leider zuerst entdeckte. Geräuschvoll erhob sie sich aus einem der geflochtenen Stühle und kam auf mich zu. Ihre Schuhe schlugen einen energischen Rhythmus auf den polierten Steinen.
„Hat der König nicht verfügt, dass Ihr Euch von uns fernhalten sollt?"
Hinter ihr hob Königin Akemira interessiert den Kopf, unternahm jedoch nichts, außer ihr Buch zur Seite zu legen. Sie sah aus wie eines dieser idyllisch stilisierten Gemälde aus Des Tempel.
Ich deutete die Sparversion eines Knickses an, wandte mich dann aber sofort an die Frau, der man nachsagte die Krone zu tragen, ohne geheiratet zu haben. Ich versuchte es mit Diplomatie und einem Lächeln.
„Wenn wir alle tun würden, was Constantin sich wünscht, würde dieser Ort im Chaos versinken." Oder sterben.
Sie fand mich nicht so witzig wie ich mich selbst. Im Gegensatz zu unserer ersten Begegnung blieb ihre Miene steinern und unberührt. Mein Auftreten überraschte sie in keiner Weise.
„Nur weil Ihr einmal auf dem Thron dieses kleinbürgerlichen Zirkels gesessen seid, glaubt nicht, dass Ihr nicht für Ungehorsam gezüchtigt werdet."
Ich blieb stehen und steckte die Hände in die Taschen meines Kleides. Oder wir waren direkt offen und unhöflich zueinander. Wie sie wollte.
„Das ist eine interessante Taktik, um Freunde zu gewinnen, Lady Vanna. Ich muss gestehen, ich hatte Sie ... vornehmer in Erinnerung."
Hinter dem breiten Rücken der Frau zuckte unsere momentane Königin zusammen. Sie gab sich ansonsten größte Mühe beschäftigt zu wirken, auch wenn sie das Buch nicht noch einmal in die Hände genommen hatte. Ihr schulterfreies, äußerst unpraktisches, Kleid verrutschte und ein widerlich blau-violetter Fleck auf ihrem Oberarm lugte unter dem Saum hervor, den sie sofort wieder hochzog.
Ich wurde steif wie ein Brett. Was war ihr denn zugestoßen?
Lady Vanna kniff die Augen zusammen, als lese sie mir meine Gedanken direkt von der Stirn ab.
„Ich bin nicht hier, um neue Freunde zu finden. Aber ich gebe Euch gerne einen Rat. Die Heirat zwischen meiner Tochter und dem König ist heilig. Ihr seid zu spät zurückgeflattert, um sie zu verhindern."
Ähhhh... was? Wieso nahm jeder einfach an, ich könne einen Gleiter steuern? War es so unwahrscheinlich, dass ich einen Ballonflieger bestochen hatte?
„Also um genau zu sein, bin ich gebracht worde-..." Ich hatte Probleme den merkwürdigen Bluterguss ihrer Tochter loszulassen. Sicherlich wusste ihre Mutter, wenn ihr etwas zugestoßen war?
„Papperlapapp. Eine sehr geschickte Finte, um das Mitleid des Volkes zu erschleichen, das gebe ich zu. Aber hättet Ihr nicht gefunden werden wollen, wärt Ihr nicht hier."
Ich tat einen Schritt zurück. Doch. Ab und zu geschehen Dinge, die man nicht gewollt hatte. Oder Leute taten Dinge, die weder ihnen noch einem selbst guttaten. Aber das war natürlich schwer zu begreifen, wenn man sein Leben nur in einem Palast verbracht hatte. Würdevoll hob ich das Kinn.
„Ihr scheint viel über etwas zu wissen, an das ich mich selbst nicht erinnern kann. Aber zu Eurem Glück möchte ich mich ohnehin mit Eurer Tochter unterhalten." Über den Blinden Ball oder ihren blauen Fleck. Ich war mir inzwischen nicht mehr sicher.
Sie nahm sich Zeit, aufreizend langsam eine Augenbraue zu heben. Eine stumme Drohung.
„Habt Ihr eine Audienz beantragt?"
Die Geduld zerrann zwischen meinen Fingern wie Sand.
„Sie sieht nicht sonderlich beschäftigt aus. Und ich habe nützliche Tipps, die den Blinden Ball betreffen."
Der immense Busen Lady Vannas hob und senkte sich rapide, als sie mir einen bedrohlichen Schritt folgte.
„Wenn Ihr keine Audienz beantragt habt, bitte ich Euch zu gehen und mit einem der Senatoren ein Treffen zu vereinbaren."
Sie saß dort drüben! Wenn ich laut genug sprach, hörte sie mich so oder so.
„Lady Vanna, ich bin auf Ihrer Seite. Ich versuche, zu helfen."
Sie schnaubte wie ein Pferd.
„Ich kenne Eure Art. Abgehauen mit einem anderen Liebhaber, aber kaum da er Euch sitzen lassen hat, taucht Ihr wieder hier auf wie eine streunende Katze auf der Suche nach Milch. Es gibt keine hilfreichen Tipps, die Ihr meiner Tochter geben könntet."
An dieser Stelle hätte ich umdrehen und gehen sollen. Selbst Schuld, wenn sie mir nicht glaubten. Der Blinde Ball klang viel freundlicher, als er am Ende war.
Das Problem war nur, dass sie mich inzwischen verärgert hatte. Ich war nicht mit Caridad durchgebrannt. Sie kannte ihn nicht einmal und erlaubte sich so über ihn zu sprechen.
„Vorsicht, Lady Vanna. Wenn Euer Kopf noch ein bisschen größer wird, ruft der Primus ihn als neuen bewohnbaren Zirkel aus."
Kurz überlegte ich, einfach an ihr vorbei zu gehen. Schnell genug wäre ich. Doch meine Absicht hatte mich verraten, denn sie baute sich prompt breitbeiniger vor mir auf. Ein Nashorn auf der Jagd.
„Eine falsche Bewegung in die Richtung meiner Tochter und sie werden Euren Körper aus der Hirne fischen. Haben wir uns verstanden?"
Sie wollte mich weiter zurückdrängen, kam jedoch prompt ins Stocken, als ich die Fersen in den Boden drückte. „Das Einzige was ich verstanden habe, ist, dass Ihr deutlich dümmer seid, als Ihr ausseht", ich zeigte ihr die Zähne in einem fruchtlosen Versuch, meinen Ärger für Primaten begreiflich zu machen, „Ich bin keine Gefährdung für Eure Tochter. Aber ich frage mich natürlich, ob Ihr diese Drohungen schon mal bei jemand anderem umgesetzt habt? Bei einem König vielleicht? Mit Pfeil und Bogen?"
„Das ist genug Dinah." Die Hände in den Hosentaschen schlenderte Constantin hinter mit aus dem Schatten des Hauses. Sein Mangel an einer Weste und die hochgekrempelten Ärmel betonten seinen entspannten Ausdruck. Die falsche Unbefangenheit eines ausgeschlafenen Morgens.
Sofort sprang seine Braut im Hintergrund auf und versank in einem tiefen Knicks, doch seine zweifarbigen Augen blieben bei mir, ein träges Lächeln auf den Lippen.
„Wenn ich mich recht entsinne, hast du mich schon mit Schlimmerem bedroht."
„Meistens mit gutem Grund."
Wir starrten einander in den Boden. Keiner gewillt dem anderen auch nur das kleinste Zugeständnis zu machen. Warum hatte er diesen Effekt? Ich sah mich grundsätzlich als eher entspannte Person, aber er... er weckte meine schlimmsten Instinkte. An guten Tagen wollte ich seine Welt brennen sehen und an schlechten... Darüber wollte ich gar nicht nachdenken.
„Eure Majestät, diese Frau setzt Eure Königin ungesundem Stress aus", mischte sich Lady Vanna ein, die Lippen vorwurfsvoll geschürzt. Der Mangel an Aufmerksamkeit fraß riesige Löcher in ihr Ego.
Mein Respekt, dass er nicht mit den Augen rollte. Stattdessen hielt er stur an unserem non-verbalen Wettbewerb fest.
„Das hat sie so an sich", sein linker Mundwinkel hob sich zu einem sadistischen Lächeln, „Ihr habt sie noch nicht in vollem Ausmaß erlebt, wenn Ihr danach nicht diese gesamte Insel gen Grund schicken wolltet."
Ich rümpfte die Nase.
„Ist das deine Art Frauen zu schmeicheln?"
„Normalerweise funktioniert es wunderbar. Fühlst du dich etwa nicht geschmeichelt?", gab er flach zurück.
„Geiselhalter."
„Lügnerin."
Meinetwegen.
Hinter ihm schnappte die junge Königin hörbar nach Luft und suchte sich Halt an einem der Brunnen. Das Geräusch brach unseren Starr-Wettbewerb und er drehte sich zu ihr um. Wer war jetzt ungesund für ihr empfindliches Stressempfinden?
„Ihr müsst ihre Manieren verzeihen. Wir hatten uns ursprünglich Mühe gegeben sie zu erziehen, aber Hunde lernen auch nicht fliegen."
„Und Spatzen nicht beißen", ich lächelte sarkastisch in ihre Richtung, „Ich denke, wir werden uns einig, dass die Schule des höflichen Benehmens auch an unserem König verschwendet war."
Königin Akemira sah verzweifelt zu ihrer Mutter.
„Hat deine Anwesenheit irgendeinen speziellen Grund, Dinah?", ersparte Constantin ihr eine Antwort. Er sah aus, als würde er jeden Moment diesen Ort in eine Ruine verwandeln, ohne auch nur einen Finger zu heben.
Ich zählte innerlich bis Zehn um zumindest die Spur von Kontrolle über meinen Ärger zu bekommen. Das hier würde nicht funktionieren, wenn ich mit wehenden Fahnen auf sie losging. So verlockend das auch sein mochte.
„Ich wollte Lady Vanna nur sagen, wie schön ich ihr violettes Kleid des gestrigen Abends fand." Es war tatsächlich das Erste gewesen, dass sie sorgenfrei auf Clevem tragen konnte, ohne dass ihr die Sonne die Haut verbrannte.
Constantin blinzelte nicht einmal.
„Es war eine fürchterliche Monstrosität, die ihre Haut grün aussehen ließ. Muss ich die Frage wiederholen oder findest du die richtige Antwort von alleine?"
Allein der Gesichtsausdruck seiner Schwiegermutter war diesen Moment hundert Mal wert.
„Gut zu wissen, dass du dich kein Bisschen verändert hast, Constantin."
Dieser brauchte einen Herzschlag lang, bis ihm klar wurde, was seine Ehrlichkeit angerichtet hatte, doch es war ihm nicht mehr wert als einen flüchtigen Seitenblick auf Lady Vanna.
„Fein", er grinste, als liefe alles nach einem Plan, den niemand außer ihm verstand, „Ich erhöhe meinen Einsatz: Du sagst mir, warum du abgehauen bist und ich lasse dich von hier gehen."
Oh, wenn er wüsste, wie sich diese zwei Aussagen gegenseitig ausschlossen.
„Ich brauchte damals neue Tanzschuhe und habe mich auf dem Rückweg verlaufen."
Eine vielsagende Ader an seinem linken Nasenflügel wurde sichtbar. Seine Stimme fiel um eine Oktave.
„Ich will nicht deine erfundenen Geschichten. Mein Bruder ist tot und ich will wissen wieso und wen ich dafür ermorden darf."
„Ich auch", zischte ich zurück, „Aber ich bin nicht mit Caridad geflohen und mein Verschwinden hatte nichts mit seinem Tod zu tun." Ich war kurz davor ihm einen Finger vor die Brust zu stoßen. Warum glaubten sie mir nicht? Gab es irgendwelche Beweise gegen mich?
Er kam näher, nur damit ich zu ihm aufsehen musste.
„Was würden wohl passieren, wenn ich den Leuten sage, dass du Caridads Tod verschuldet hast? Das deine Flucht diese Stadt den beliebtesten Junggesellen gekostet hat und du nicht einmal die Größe besitzt es zuzugeben", er machte eine zirkelnde Bewegung mit dem Handgelenk, „Sagen wir... De hat mir, seinem Stellvertreter auf dieser Insel, eine Vision von eurer Untreue gezeigt."
Das war eine Lüge.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, bis sich unsere Nasen beinahe berührten.
„Du würdest wie der Idiot aussehen, der du tatsächlich bist. Nur jetzt eben öffentlich."
„Schämt Euch! Vielleicht solltet Ihr sie in die Mienen von Keltar schicken, bis sie bereit ist Euch alles zu sagen, was Ihr wissen wollt", schlug Lady Vanna aus dem Hintergrund vor. Sie und der Mangel an Aufmerksamkeit verstanden sich wirklich nicht.
Ich tat einen Schritt zurück. Nur um ihn nicht zu packen, und quer durch den Raum zu schicken, ballte ich die Hände hinter meinem Rücken.
„Nein. Wir werden sie anders motivieren", er zwinkerte mir zu, „Mir ist zu Ohren gekommen, dass du Interesse an dem Schicksal einiger Dienerinnen gezeigt hast?"
Mein Atem stockte. Nein. Nein, nein nein. Die Hitze meines Zorns wurde einer Welle der Angst verschluckt und ließ mich innerhalb von wenigen Herzschlägen zitternd zurück.
Ich wusste, worauf das hinauslaufen würde. Meine Kampfhaltung fiel in sich zusammen und meine Stimme leiser.
„Tu das nicht."
Entspannt lehnte Constantin sich zurück gegen den Brunnenrand, die Beine überkreuzt.
„Keltar ist wirklich keine schöne Insel. Mein Vater hatte mich einst dort mit hingenommen. Nichts als karger Stein und Kälte. Kein Schnee. Aber graue Wüste so weit das Auge reicht", er streckte seine Finger, „Natürlich werden die Mädchen nicht sonderlich viel davon sehen. Die Mienen sind schließlich unterirdisch. Aber glaubst du, der Kern einer Insel ist schöner als ihr Erscheinungsbild?"
Er machte eine vielsagende Pause.
„Ihre Freilassung liegt in deinen Händen. Warum. Bist. Du. Damals. Abgehauen?"
Den schlimmsten Teil der Mienen hatte er nicht erwähnt. Ihre Bewohner. Ich vibrierte vor Zorn.
„Sie haben nichts hiermit zu tun. Gewähre ihnen einen ordentlichen Prozess! Was du hier vorschlägst, ist korrupt."
Keines meiner Worte erreichte ihn. Stattdessen drehte er sich um und goss sich aus einem bereitgestellten Behälter ein Glas Wasser ein. „Schockierend, nicht wahr? Aber auch du hast dich in dem letzten Jahr nicht sonderlich verändert. Und ich weiß wie dir Ungerechtigkeit unter die Haut geht. Also bitte: Erlöse dich von den Albträumen, die dich heute Nacht verfolgen werden."
Meine Zähne mussten unter dem Druck bersten, mit dem ich sie aufeinanderpresste.
„Ich. Weiß. Nicht. Warum dein Bruder dich verlassen hat. Ich habe ihn an dem Abend das letzte Mal gesehen."
„Sie lügt." Lady Vanna beobachtete mich wie eine Ratte in der Küche, „Warum sonst hätte sie von hier fortlaufen sollen?"
„Ich lüge nicht! Nicht dieses Mal!" Meine Fingernägel gruben sich tief in meine Handflächen und der Schmerz war alles, was mich an Ort und Stelle festhielt.
„Lasst diese Mädchen frei. Ihr gefährdet ihre Leben. Für was?"
„Sie haben mich bestohlen", gab die Mutter der Königin glatt zurück.
„Das hat man ihnen angehängt."
Mit einem hohen Ton stellte Constantin sein Glas wieder ab.
„Hast du dafür Beweise?"
Ich schluckte trocken. Zählte das Wort einer Kammerzofe? Für mich bestimmt, aber vor Gericht...
„De hat uns unschuldig geformt, bis das Gegenteil sich zeigt."
Constantins Lachen füllte den Raum und sandte mir eine Gänsehaut über die Arme.
„Das hast du dir gerade ausgedacht."
„Macht es einen Unterschied?"
Er klappte den Mund wieder zu.
„So lange du mir nicht beweist, dass den Mädchen die Diebstähle angehängt wurden, befreist du sie nur, indem du die Wahrheit sprichst."
In diesem Licht sah ich das erste Mal die vielen kleinen Veränderungen an ihm, die mir vorher nicht aufgefallen waren. Constantin und ich waren uns noch nie häufig einig gewesen, doch der Mann, den ich geheiratet hatte, hätte niemals Unschuldige in den Pessel-Mienen von Keltar gelassen. War es der schlechte Einfluss von Lady Vanna oder die Verzweiflung über Caridads Tod, irgendetwas hatte ihn erschüttert und sein Bild verzerrt.
Der Raum um uns herum wurde schweigsam und ich hatte Probleme mich aus meiner Beobachtung zu lösen. Ich musste mich losreißen, wie jemand der ein Haar auszupfte.
„Na gut. Ich hatte einen allergischen Rückfall und brauchte frische Landluft."
Ich spürte die Welle des Ärgers aus Constantins Richtung durch den Raum fluten.
„Du hast keine Allergien."
„Mein Pferd hatte welche."
„Du bist zu Fuß gefloh- ist das hier für dich ein Witz?" Seine Schulter spannten sich an, als wolle er sich auf mich stürzen.
Ja. Denn wenn ich das hier ernstnehmen würde, fehlte mir die Kraft, um weiterhin aufrecht zu stehen.
„Nur eine Krone reicht nicht, wenn man ein König sein will und selbst die trägst du nicht."
„Dinah." Es war eine Warnung und Drohung in einem Wort. Er umrundete den kleinen Tisch und kam auf mich zu, als ihm etwas anderes einfiel und er innehielt. Der Zorn, lebendig hinter seinen Augen, ebbte ab und mit einem Seufzen fuhr er sich durch die Haare.
„Du schuldest mir die Wahrheit."
Er hatte recht. Niemand hatte es verdient ohne eine Begründung mitten in der Nacht verlassen zu werden. Nicht einmal er. Aber die Wahrheit war weit von dem entfernt, was er erwartete und zerstörerischer, als ich zulassen wollte. Und ich konnte sie einfach nicht freigeben.
Als mein Schweigen andauerte, kam die Wut wieder zu ihm zurück. Und der Sarkasmus.
„Du hättest so viele Männer haben können, aber du hast dich für das größte Klischee entschieden. Wirklich, ich hätte mehr Dramatik von dir erwartet."
Ich atmete schwer.
„Wie kannst du Caridad nach seinem Tod nur so unrecht tun? Er ist immer für dich da gewesen. Immer."
Meine Worte trafen ihn wie Geschosse, doch obwohl ich ihre Wunden sah, blieb sein Gesicht unberührt.
„Wenn du es mir nicht sagen willst, wirst du in deinem Zimmer bleiben, bis es dir einfacher fällt. Keine Gäste, Besucher oder Kontakt zu der Außenwelt, bis dir einfällt, warum du gegangen bist."
Was?
„Ich bin kein kleines Kind, das in sein Zimmer geschickt wird, wann es dir passt."
Die Erinnerung an den kleinen Zettel unter meinem Kissen blitzte in mir auf.
„Wirklich?", er lief einfach an mir vorbei, „Mr. Hane, würden Sie bitte Miss Ferrox in ihr Zimmer geleiten und sicherstellen, dass sie dortbleibt?"
Aus dem Gang drehte sich die Wache um und kam zu uns hinüber, einen Flachmann hastig in seiner Manteltasche verstauend.
Meine Nerven flatterten. Erinnerungen, bitter und angsteinflößend warfen sich mit aller Gewalt gegen meine Selbstkontrolle, aber ich erzitterte trotzdem unter ihrer Wucht.
Bitte nicht. Bitte, bitte nicht. Der Zettel war der letzte Beweis gewesen wie wenig sicher diese Räume waren.
„Seid Ihr sicher, dass ihr Zimmer ausreichend ist? Wäre bei ihrer Fluchtgefahr nicht eine... eine Zelle besser?", mischte sich Lady Vanna ein, doch Constantin wank ab.
Eine Zelle? Fürchtete sie wirklich so sehr um die Ehe ihrer Tochter? Hätte ich nicht mit mir selbst zu kämpfen, ich hätte mich gefragt, woran das lag.
Der Soldat stellte sich neben mich und wartete, bis ich mich von alleine in Bewegung setzte. Er packte mich nicht am Arm, zerrte mich nicht hinaus, wie eine verurteile Mörderin. Es war der Mann, der mich auch gegen Constantins Wünsche in sein Zimmer gelassen hatte. Ich roch den Alkohol und war versucht ihn nach einem Schluck zu fragen. Aber mein ganzer Zorn wandte sich gegen den König.
„Du bist der letzte, verdorbene, unwürdige-..."
„Bring den Satz zu Ende und du findest dich jenseits der Schutzmauern wieder", warnte Constantin gleichgültig.
Ich schnappte nach Luft, überlegte kurz, mich auf ihn zu stürzen und entschied mich dann mit hocherhobenem Kopf dem Soldaten aus dem Zimmer zu folgen. Das hier war verschwendete Mühe.
„Und Mr. Hane?", rief der König uns hinterher, „Wenn sie behauptet, eine Abkürzung zu kennen... tut sie nicht."
Damit waren wir entlassen.
„Das war kein glückliches Treffen, hm?", brach er das Schweigen zwei Korridore später, als er mir eine der Flügeltüren aufhielt.
Bleierne Müdigkeit hatte sich auf meine Muskeln gelegt und machte meine Gedanken schwer. Ohne die Arbeit meiner Kammerzofe zu würdigen, fuhr ich mir durch die Haare.
„Er ist so... ist so..."
„Verändert?", sprang mir Mr. Hane zur Hilfe.
Ich nickte. Constantin war noch nie freundlich oder charmant gewesen. Das waren alles Beschreibungen, die auf Caridad gepasst hatten. Aber kaltherzig war ein neuer Begriff um ihn zu erklären.
„Wart Ihr jemals in den Pessel-Mienen von Keltar, Mr. Hane?"
„Nennt mich Ker", er führte mich eine Treppe hinunter, die nicht in Richtung meines Zimmers lag. Ein letzter Akt der Freundlichkeit, bis ich den Garten nur noch von dem Balkon aus sehen würde, „Aber nein. Ich habe lediglich von den Mienen gehört."
Es wäre auch unwahrscheinlich gewesen. Die meisten Soldaten leisteten zwei Jahre Dienst auf der Schutzmauer um Clevem herum und kehrten dann in unsere Hauptstadt zurück. Nur wenige wurden von dem Primus in einen anderen Zirkel beordert, der Unterstützung brauchte. Die Pessel-Mienen waren am Ende eine Strafversetzung.
„Gäbe es nicht die Mienen dort oben, niemand würde auf dem kargen Zirkel leben", erwiderte ich nüchtern. Doch die Pesselsteine waren die einzigen Materialien, die gleichmäßig und lange genug brannten, um unsere Flugballons in der Luft zu halten.
Ich seufzte. Die letzten Sonnenstrahlen empfingen uns mit dem Duft der Spätblüher draußen und ich ließ mir Zeit mit meiner Antwort. Kies knirschte unter unseren Schuhen, als er mich durch den Garten um das Haupthaus herum führte.
„Es ist nicht ohne Grund der Ort, an den wir unsere Mörder und Vergewaltiger schicken. Könnt Ihr Euch ausmalen, in welcher Gefahr die Mädchen dort schweben? Und er nutzt es, nur um seinen Stolz zu heilen."
Ohne eine Antwort brachte Ker mich in den unbelebten Teil des Gartens. Unter einem Tunnel aus verblühten Rosen hindurch, eröffnete sich vor uns ein Abschnitt, der von mannshohen Hecken vor neugierigen Blicken abgeschottet wurde.
Darin befanden sich zwei Dutzend marmorne Platten auf denen, ebenfalls aus Stein oder Edelmetall, kleine Gegenstände arrangiert worden waren. Sie machten die Inschriften beinahe überflüssig.
„Der Palast-Friedhof?", irritiert drehte ich mich zu dem Soldaten um.
Ker stand mit respektvollem Abstand am Eingang des Tunnels, die Hände vor sich um den Flachmann geschlossen.
„Es war nicht zu überhören, dass Ihr und Prinz Caridad eine Verbindung hattet. Ich dachte mir, Ihr würdet ihn gerne einmal besuchen, bevor..." Er brach ab.
„Oh..." Es war alles, was ich gegen die Enge meine Kehle heraus brachte. Ich hatte nicht erwartet, dass sie ihn hier beerdigen würden. Ein leeres Grab, weil Sebastian den Körper nicht hatte zurückbringen können. Aber es war nicht schwer zu finden. Ein aufgequollener Stapel Papier lag neben einem winzigen goldenen Hund, als erwarteten sie, er würde eines Tages aufstehen und alles wieder benötigen.
Birkenblätter zeichneten ihre feingliedrigen Schatten auf seinen Stein und ich ging am Fuß des Stammes auf die Knie.
„Er hat sich so oft für seinen Bruder entschuldigt", sagte ich zu Ker, mehr weil ich das Bedürfnis hatte etwas zu sagen, als über meine Worte nachzudenken.
Was er wohl zu der Veränderung sagen würde, die Constantin durchlaufen war? Er hätte mit Essen nach ihm geworfen.
Mit den Fingerspitzen strich ich über die raue Oberfläche des Marmors und versuchte mir zwanghaft nicht vorzustellen, wie alleine er sich in seinen letzten Momenten gefühlt haben musste.
„Glaubt Ihr... glaubt Ihr, sein Tod ist meine Schuld?"
Ker antwortete nicht und ich drehte den Kopf, um ihn anzusehen.
„Wenn ich nicht von hier abgehauen wäre, hätte er den Palast vielleicht nie verlassen."
Doch der Soldat schüttelte den Kopf.
„Es ist unmöglich, zu sagen, ob der Tod ihn nicht hinter diesen Mauern gefunden hätte. "
Das kam darauf an, wer hinter seinem Mord steckte. Mein Mund festigte sich zu einer starren Linie.
„Caridad hat das hier nicht verdient. Das Misstrauen seines Bruders und das Gerede der Leute."
Vor meinem inneren Auge sah ich wieder den Zehnjährigen, der einer Fremden anbot, in seinem Palast Hunde zu halten. Er war mein Freund gewesen.
„Ich werde seinen Mörder finden", es war nur ein geflüsterter Satz, doch er echote im Rascheln der Blätter und in dem Rhythmus meines Pulses, „Ich werde herausfinden, wer dir das angetan hat, ich verspreche es."
Und dann weinte ich. Das erste Mal seitdem ich hier angekommen war.
Ker ließ mich schweigend sitzen, bis ich fertig war. Er bewegte sich nicht, sagte kein Wort und versuchte nicht meine Gefühle zu beruhigen. Das war es, was mir verriet, wie sehr er ebenfalls um den gefallenen Prinzen trauerte und ich nahm mir vor, ihn an einem anderen Tag nach seiner Beziehung zu Caridad zu fragen.
Sobald ich aus meinem neuen Gefängnis ausgebrochen war. Und die Angst vor meinem Zimmer ließ mich bis spät in die Nacht auf dem Friedhof ausharren.
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https://youtu.be/Kv16hKExUto
"Soooo many secrets. Klickt das Sternchen und vielleicht vergisst Morgan nicht das eine oder andere auch irgendwann zu lüften!"- Dinah. Schützt ihr Geheimnis bis zum bitteren Ende :P
Also das heute hätten locker zwei Kapitel sein können. Aber ich wollte die Szene nicht... in Zwei teilen? :D ich habe euch ja vor den komischen Längen gewarnt :D
Wer von euch hat große Wochenends-Pläne? :D oder bleibt ihr alle lieber im Bett liegen? :D
Für mich geht's mit einer Freundin nach Sachsen :D Aber ich werde mein Bett in Form eines riesigen Kopfkissens mitnehmen! :D niemand kann mich aufhalten :D
Das heutige Kapitel wird auf jeden Fall Wasserfallduschen gewidmet, damit die Berufsschullehrer besser ertragen werden und nicht eine Melone an den Kopf bekommen <3
xoxo
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