Die Vergangenheit - Die Suche #4
Asmos wachte erschrocken auf. Zunächst wurde er sanft von den ersten frühen Strahlen des großen Mantels in den Übergang zwischen Schlaf und Aufwachen versetzt. Als er sich dann instinktiv zur Seite rollte, um Sarah in die Arme zu nehmen, bemerkte er, dass sie nicht im Bett war. Das, kombiniert mit den Blutspuren, die er im Haus vorfand, ließ ihn blitzartig aus dem Bett auffahren. Er hatte sich in Windeseile angekleidet. Mit dem Schwert in der Rechten stieß er die Tür auf. Nirgendwo war eine Spur von ihr. Das Dorf ruhte noch im morgendlichen Schlummer.
„Sarah!", schrie er verzweifelt. Panik gemischt mit Ratlosigkeit überspülte ihn und ließ ihn auf die Knie fallen. Genauso schnell, wie ihn die Angst in den Bann genommen hatte, sprudelte nun Wut in ihm auf. Er stieß sein Schwert in den Rahmen der Tür, nur um es danach mit Gewalt herauszureißen. Als sein Verstand wieder Herr seiner Emotionen war, überkam ihn eine sachliche Kühle.
Er bückte sich und untersuchte den Boden, aber er konnte nichts entdecken. Keine Fußspuren, Blut, nichts was es ihm erleichtert hätte, die Spur eines Entführers zu verfolgen. Wie hätte jemand auch in sein Haus eindringen und seine Freundin stehlen können, ohne dass er es bemerkt hätte? Vielleicht war sie auch nur spazieren gegangen. Vielleicht hatte sie sich an irgendetwas verletzt? Aber wohin sollte sie gehen? Asmos konnte nicht warten, nicht untätig sein.
Er lief los und durchsuchte fieberhaft das Dorf. Auf den Straßen war noch niemand zu sehen. Die meisten schliefen wohl noch ihren Rausch aus. Auch von Sarah war keine Spur, wie er sich eingestehen musste, nachdem er mehrfach das ganze Dorf abgegrast hatte. Er ging zu seiner Mutter, die zu dieser Zeit sicher schon wach war. Diese war umso verwunderter darüber, dass er so zeitig auf den Beinen war.
„Hallo Asmos, wo hast du Sarah gelassen?", fragte sie verunsichert, als sie seinen gehetzten Ausdruck bemerkte.
„Sie ist verschwunden! Hast du sie gesehen?" Er wusste schon, dass das nicht der Fall war. Warum hätte sie ihn sonst nach ihr gefragt. Aber in diesem Moment klammerte er sich an jegliche noch so zweifelhafte Hoffnung.
„Vielleicht ist sie bei Thorben. Der Gute kann etwas Pflege ohnehin vertragen."
„Gute Idee!" Und schon war er wieder auf und davon. Anya sah ihm mit liebevollem Kopfschütteln nach. Dennoch machte sie sich Sorgen. Asmos reagierte nur selten grundlos übertrieben.
Er vergeudete keine Sekunde und rannte auf Thorbens kleine Hütte zu. Dieser versperrte prinzipiell nie die Tür, da er erstens ohnehin nie Besuch erwartete und zweitens schon lange den Schlüssel verloren hatte. Dementsprechend verwundert war Asmos darüber, dass er einigen Widerstand beim Öffnen der Tür verspürte. Er mutmaßte, dass Thorben irgendetwas achtlos vor die Tür geworfen hatte, was jetzt im Spalt zwischen Tür und Boden feststeckte. Mit einem kräftigen Stoß öffnete er die Tür und stolperte nach drinnen.
Von den morgendlichen Lichtstrahlen beleuchtet, präsentierte sich Asmos eine Szene, auf die er liebend gerne verzichtet hätte: Thorben lag ausgestreckt auf dem Bett. Die grobe Wolldecke bedeckte gerade mal seinen Unterleib und den Boden neben dem Bett. An seine Brust geschmiegt lag Emilia. Ihre völlige Nacktheit, gepaart mit dem friedlichen Ausdruck in ihrem Gesicht, ließen sie beinahe unschuldig wirken, was im Gegensatz zu ihrem gewöhnlichen Auftreten stand. Sarah war nicht da.
Asmos tappte leise nach hinten und hoffte, dass keiner der beiden aufwachen würde, um ihnen allen einen unangenehmen Augenblick zu ersparen. Leider spielte der Kleiderhaufen neben dem Eingang nicht mit. Er stolperte und fiel lautstark zu Boden. Emilia schrak auf und wandte sich der Tür zu. Nun lag sie nicht mehr mit dem Rücken zu ihm und zeigte ihm ungewollt für einen Moment die volle Pracht ihres Körpers. Der Augenblick verging so schnell, wie er gekommen war. Kaum erblickte sie Asmos, schrie sie erschrocken auf und fiel im Versuch, sich zu bedecken vom Bett herunter. Thorben wachte kurz darauf ebenfalls auf, ließ sich aber von dem morgendlichen Störenfried weniger irritieren als seine Bettgenossin.
„'N bisschen früh für einen Besuch. Findest du nicht Asmos?", fragte er schläfrig, während er sich streckte.
Asmos richtete sich wieder auf und sah demonstrativ von den beiden weg. Sein Gesicht war puterrot angelaufen.
„Sarah ist verschwunden. Ich dachte ..."
„Eine Frau genügt mir völlig. Außerdem mochte sie sowieso nur ..."
„Das meine ich nicht!", begehrte Asmos auf, „wir dachten sie könnte dich pflegen, wegen deiner Verletzung."
„Wir?"
„Ich und Anya."
„Was denkt deine Mutter nur von mir?"
Asmos ächzte auf. „Thorben, das ist ernst! Weißt du, wo sie steckt?"
„Tut mir leid mein Freund. Ich hab bis jetzt geschlafen."
„Schon in Ordnung. Verzeiht die Störung."
Er schloss die Tür hinter sich und beeilte sich, von der Hütte wegzukommen. Sein Herz pochte vor Aufregung als auch vor Angst um Sarah. Er entschied sich, den Wald abzusuchen. Erst blieb er am Waldrand, spähte tiefer hinein, um irgendein Zeichen von ihr zu finden. Als der Mut ihm bei der ergebnislosen Suche sank, kam ihm eine Idee. Er ging den ganzen Weg, bis zu dem Wasserfall, den er ihr gezeigt hatte. Das Rauschen des Wassers gab ihm Hoffnung, je näher er kam und je lauter er es hörte.
Endlich durchstieß er die Grenze zwischen Wald und Lichtung. Der Duft unzähliger Blumen, gemischt mit dem Geruch des Morgentaus stieg ihm in die Nase. Er warf hektische Blicke hin und her, konnte sie aber nach wie vor nicht ausmachen. Enttäuscht presste er seinen Kopf gegen den kühlen Felsen. Sein Atem ging rasselnd. Nun war auch die allerletzte Hoffnung dahin - sie war verschollen. Stumme Tränen rannen über sein Gesicht.
„Hier wirst du sie nicht finden." Die tiefe Stimme ließ Asmos erschrocken herumfahren. Er wischte sich rasch die Tränen von den Wangen. Ihm gegenüber stand der Wolf, der Sarah bei ihrer ersten Begegnung bedroht hatte. Ein riesenhaftes Ungetüm, das scheinbar seiner Sprache mächtig war. Asmos Hand griff zum Heft seines Schwertes.
„Was hast du mit ihr gemacht?"
„Ich habe ihr gar nichts getan."
„Du hast sie schon einmal bedroht!"
„Warum sollte ich dich aufsuchen, wenn ich sie getötet hätte?"
„Um dein Werk an mir zu vollenden."
Der Wolf lachte auf. Es klang mehr wie ein Donnergrollen als wie Erheiterung.
„Wenn ich das wollte, hätte ich dich doch schon längst töten können. Statt also deine und meine Zeit mit dümmlichen Fragen zu verschwenden, solltest du vielleicht endlich die richtigen stellen."
„Wo ist sie?"
„Weit im Norden."
„Wurde sie entführt?"
„Sie wollte zumindest, dass es so aussieht. Aber nein, sie ist aus freien Stücken gegangen."
„Warum?"
„Vielleicht hatte sie ja Heimweh." Der Wolf schmunzelte, ehe er wieder ernst wurde.
„In ihrem Zuhause herrschen Unruhen. Darum ist sie mit ihrer Familie ...", setzte Asmos an.
„Sie war nie mit ihrer Familie unterwegs", unterbrach er ihn.
„Warum sollte sie mich anlügen?"
Der Wolf tat etwas, was wirkte wie eine Art Schulterzucken. „Zumindest hättest du sie nicht unter deinem Dach aufgenommen, hättest du die Wahrheit gekannt."
„Warum?" Das Wort schwebte einen Moment im Raum zwischen ihnen. Asmos kam es vor, als warte er Stunden auf eine Antwort seines Gegenübers.
„Sie gehört nicht zu deinem Volk. Deine Sarah, sofern das ihr richtiger Name ist, entspringt dem Volk der Absconden. Sie sind Meister des Mords und der Täuschung. Geschickte Jäger ihres Volks sind in der Lage die Sinne der Vrynn zu täuschen, um ihnen ein anderes Erscheinungsbild vorzugaukeln."
„Woher weißt du das?"
„Meinen Geruchssinn kann man nicht überlisten. Wir führen schon lange Krieg mit den Absconden und kennen ihre Tricks."
„Wer seid ihr?"
„Das kann ich dir nicht sagen."
„Wo finde ich ihr Volk?"
„Sie leben tief im Norden inmitten der Himmelsgebirge. Aber ich rate dir davon ab, sie zu suchen."
„Ich brauche deinen Rat nicht."
Damit war für Asmos das Gespräch beendet und er ging gemessenen Schrittes an ihm vorbei zurück zum Dorf. In Gedanken plante er schon seine Reise.
„Ist sie es wirklich wert?", hörte er noch einmal die Stimme des Wolfs.
Er blieb für einen Moment stehen.
„Ist sie es wert, dass du für sie dein Leben lässt?"
Asmos lächelte leicht. „Ich denke nicht, dass das einen riesigen sprechenden Wolf etwas angeht."
Danach ging er einfach weiter. Seine Entscheidung war getroffen, schon lange bevor er die Details über ihre Herkunft und ihr Verschwinden erfahren hatte. Er würde ihr überall hin folgen.
Als Asmos ins Dorf zurückkehrte, ging er gleich nach Hause und packte ein paar seiner Habseligkeiten ein. Gerade so viel, wie er brauchte, um Transportgewicht zu sparen, lautete seine Devise. Er war nicht lange Zuhause, da tauchte auch schon Thorben hinter ihm auf.
„Du packst?"
Asmos nickte nur schwach.
„Das heißt, du hast sie nicht gefunden, was?"
„Sie ist fortgegangen. Warum weiß ich nicht, aber ich glaube nicht, dass es aus freien Stücken war."
„Und wohin?"
„Nach Norden."
„Geht das auch genauer?"
Asmos schüttelte den Kopf und schulterte seinen Beutel. „Ist eher eine Ahnung."
„Die hat dir echt den Kopf verdreht, was?"
„Ich liebe sie."
Thorben schmunzelte und kratze sich am Kopf. Als Asmos an ihm vorbei nach draußen wollte, hielt er ihm mit dem Arm auf. „Ich komme mit dir."
„Du solltest dich um deine Freundin kümmern."
„Emilia kommt schon klar", erwiderte er fest. Seine Entscheidung schien unumstößlich. Asmos rückte seinen Rucksack zurecht. „Es ist zu gefährlich. Ich mache das allein."
„Ein Grund mehr, dich zu begleiten."
Asmos musterte die Wunde an Thorbens Kopf. Er wollte nicht, dass sein Freund verletzt wurde. Wer wusste schon, was ihnen auf ihrer Reise alles widerfahren würde?
„Thorben ..."
„Nein! Vergiss es. Ich komme mit und damit ist Schluss."
Asmos seufzte tief und umarmte seinen Freund einen Moment. „Danke."
„Schon in Ordnung."
Sie gingen zu Thorbens Haus, wo dieser ebenfalls die nötigste Ausrüstung in einen Beutel steckte. Mithilfe eines langen Stocks schulterte er diesen. Emilia war schon auf den Beinen und zu Asmos Freude angezogen. Sie umarmte Thorben zum Abschied und gab ihm einen Abschiedskuss.
„Komm bald wieder zurück, ja?"
„Ich verspreche nichts", sagte er lachend, worauf sie ihm einen freundschaftlichen Stoß gab.
„Tut mir leid, dass ich euch heute Morgen gestört habe", warf Asmos ein.
Emilia lächelte neckisch. „Schon in Ordnung. Als Gegenleistung überrasche ich dich auch einmal - beim Baden, oder vielleicht wenn du frühmorgens nackt im Bett liegst." Sie zwinkerte ihm zu, worauf er lachen musste.
„Bevor Asmos mir jetzt ungewollt meine Freundin streitig macht, schlage ich vor, dass wir gehen", sagte Thorben schmunzelnd.
„Macht es gut und kommt heil wieder zurück, ja?"
„Machen wir!", riefen sie einstimmig.
Sie besuchten noch Asmos Mutter, der sie eilig das Geschehene erklärten. Sie bereitete ihnen Proviantpakete für ihre Reise. „Ich nehme an, dein Entschluss steht fest?"
Asmos nickte nur stumm dazu.
„Es ist nicht so, dass ich dich nicht verstehe, aber ich mache mir Sorgen. Was, wenn sie doch aus freien Stücken gegangen ist?"
„Das glaube ich nicht", erwiderte Asmos gereizt. Die Worte des Wolfs kamen ihm in den Sinn, doch er schenkte ihnen keinen Glauben. Man hatte sie entführt. Warum sonst sollte sie von ihm gehen?
Seine Mutter umarmte ihn und klopfte ihm auf die Schulter. „Wehe ihr kommt nicht gesund und munter wieder zurück", rügte sie die beiden in gespieltem Ernst.
„Also ich komme auf jeden Fall zurück. Was Asmos mit seiner Sarah tut ..."
Anya kicherte. „Mein Muttersöhnchen kommt doch immer wieder zu mir zurück."
„Jetzt stellst du mich auch schon vor Thorben bloß!", beschwerte sich Asmos und stampfte mit dem Fuß auf.
„Dafür ist eine Mutter doch da." Anya lächelte, aber es war gequält. Man merkte ihr an, dass jegliche Freude nur eine Maske war, unter der sie ihre Trauer über den Abschied verbarg. Sie nahm beide noch einmal in den Arm, ehe sie sich endgültig verabschiedeten.
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