Die Vergangenheit - Asmos #2
Die Nacht umfing sie mit einem kalten Windstoß, kaum dass sie das Haus hinter sich hatten. In den umliegenden Fenstern wurden in rascher Folge Lichter entfacht, während die Warnglocke weiterhin läutete.
Asmos versuchte, in der Dunkelheit irgendeine Gefahr auszumachen, erkannte aber nichts außer den beiden Freunden auf dem Wachturm. Sie hasteten auf den Turm zu, wobei das Licht aus den Häusern ihnen den Weg ausleuchtete. Abseits des Dorfs herrschte ein gefährliches Halbdunkel und sie stolperten mehr, als sie gingen.
Auf dem Turm, wo Dannyl und Saro bewegungslos in Richtung des Waldes starrten, hatte man ihr Kommen schon bemerkt. Dannyl beeilte sich, die Leiter herunterzuklettern, wobei er eine der zwei oben befestigten Fackeln in der Hand trug.
„Was ist passiert?", fragte Asmos schwer atmend.
„Wir haben etwas gehört, einen Schrei." Dannyl deutete auf den Wald. „Irgendeine Frau hat da geschrien, wir hörten auch ein lautes Knurren - klang nach einem Wolf."
„Warum seid ihr dann nicht schon da drin?", rief Asmos erbost und nahm ihm die Fackel weg.
„Was sollen wir denn gegen ein Rudel Wölfe ausrichten?", stellte dieser empört die Gegenfrage.
„Und wie wird es da erst dieser hilflosen Frau ergehen?"
Darauf wusste er nicht wirklich eine Antwort. Asmos ließ ihn stehen und hechtete auf den Wald zu.
„Asmos stopp! Wir müssen warten, bis Hilfe kommt!", schrie Thorben verzweifelt, aber er hörte nicht auf ihn und war schon bald im Dickicht des Waldes verschwunden. Thorben warf gehetzt einen Blick zurück ins Dorf, wo sich einige Einwohner mit quälender Langsamkeit und irgendwelchen Leuchtmitteln wie Kerzen, den Hang hinaufquälten.
„Saro komm mit der anderen Fackel runter, los!" Thorben fasste Dannyl grob am Hemd. In seinen Augen blitzte Wut auf. „Wir werden Asmos folgen und ihm helfen, verstehen wir uns?!"
Dannyl nickte nur hilflos.
Asmos stürmte blindlings in den Wald, ohne auf herabhängende Zweige oder herumliegendes Geäst zu achten. Er hätte es sowieso im schummrigen Licht der Fackel kaum erkannt. Er hatte keine Ahnung, warum er sich so Hals über Kopf in diese Sache hineinstürzte. War es eine Art heroische Ader an ihm? Er wusste jedenfalls, dass er diese Frau nicht den Wölfen überlassen konnte, indem er darauf wartete, dass Verstärkung aus dem Dorf kam. Ein Ruf um Hilfe brachte ihn auf die richtige Fährte und beruhigte zugleich sein wie wild trommelndes Herz. Er entnahm dem Hilfeschrei Bedrängnis, konnte sich aber darunter noch kein todesähnliches Szenario vorstellen.
Er beschleunigte seinen Lauf. Der Wald war ihm wohlbekannt und er erahnte die Pfade selbst im Dunkeln. Herabhängende Äste peitschten ihm ins Gesicht und hinterließen blutige Striemen. Einmal blieb er an einer hervorschauenden Wurzel hängen und fiel der Länge nach auf den matschigen Boden. Nur dank des Dorngestrüpps, das sich bis über die Pfade schlängelte und ihm ins Gesicht stach, konnte er die folgende Benommenheit abschütteln. Er raffte sein Schwert, das ihm beim Fall aus der Hand geglitten war, auf und rannte keuchend weiter. Im Stillen betete er, dass er die Richtung des Schreis richtig gedeutet hatte. Auf einer von den schwachen bläulichen Strahlen des Mantels erhellten Lichtung machte er die Schemen zweier Gestalten aus:
Ein Wolf, welcher auf vier Beinen sicher über eineinhalb Meter, also fast so groß wie ein Vrynn war, stand einer ihm an Körpergröße leicht unterlegenen Frau gegenüber. Asmos hatte nie ein so gewaltiges Tier gesehen. Von seinem Maul troff Geifer, vermischt mit Blut, das ihm aus einer Schnittwunde nebst dem Maul lief. Sein silbernes Fell glänzte mystisch und lenkte Asmos kurz davon ab, dass er hier einer blutrünstigen Kreatur gegenüberstand. Sein tiefes Knurren rief ihn in die Realität zurück. Er betrachtete für einen Augenblick sein Kurzschwert, welches an der Spitze Rost ansetzte. Der Dorfschmied hatte es ihm zum Geburtstag geschenkt. Seitdem waren einige Zeitkreise ins Land gezogen.
„Halte ein du Unvieh!", schrie er wütend, als der Wolf nach der jungen Frau schnappte. Sie wich überraschend geschickt aus, aber eine Bisswunde an ihrem Unterarm bewies, dass ihr das sicher nicht jedes Mal gelang.
Das Monstrum sah zu Asmos zurück, interessierte sich aber scheinbar nicht weiter für ihn. Im Gegenteil, es schien, als würde es seine Anstrengungen verdoppeln, die Frau zu töten. Mit einem kraftvollen Sprung flog er ihr entgegen. Auch sie war durch Asmos abgelenkt und bemerkte die Gefahr zu spät. Asmos rannte herbei, aber er war bereits über ihr.
Mit ganzem Körpereinsatz warf er sich gegen den Wolf, der gerade sein mit dolchartigen Zähnen bestücktes Maul zum tödlichen Biss öffnete. Normalerweise hätte er es nicht geschafft, einen Gegner dieses Ausmaßes von den Beinen zu holen, aber da er nach dem Sprung noch keinen allzu sicheren Stand besaß, fielen sie übereinander hinweg auf den Boden. Als der erwartete Gegenangriff des Wolfs ausblieb, hob Asmos sein Schwert zum Schlag. Aber sein Kontrahent reagierte zu schnell: Er stieß ihn mit seinen kräftigen Pranken von sich weg, sodass Asmos im hohen Bogen neben der Frau liegen blieb. Sein Brustkorb brannte vor Schmerz, einen Moment war es ihm nicht möglich zu atmen und sein Blick trübte sich. Eine sanfte Stimme rief ihn ins Leben zurück.
„Er ist fort."
Asmos blinzelte mehrmals, erhob sich dann abrupt und stieß mit dem Hinterkopf gegen das Kinn der Frau, die einen schmerzerfüllten Schrei ausstieß. Beinahe panisch sah er sich in alle Richtungen um, aber es gab keine Spur von ihrem Gegner. War er geflohen? Oder plante er einen Angriff aus dem Hinterhalt?
„Tut mir leid." Asmos packte, ohne weiter zu hadern, die Hand der Frau. Sie fühlte sich klein und zerbrechlich in der seinen an. „Wir müssen schnell weg von hier, ehe er mit dem Rest seiner Meute zurückkehrt." Er zog sie hinter sich her zurück zum Dorf. Immer wieder warf er hektische Blicke umher, aber weder sah er etwas, noch hörte er ihren Gegner. In der Ferne sah er die Lichter der herannahenden Dorfbewohner auf sich zukommen.
Der Waldrand war bereits in greifbarer Nähe. Da teilte sich urplötzlich das Gestrüpp vor ihnen und der riesige Wolf sprang hervor. Er stieß ein tiefes, kehliges Knurren aus und versperrte den Weg. Asmos' Schützling umklammerte fest seinen Arm. Er und der Wolf fochten einen stillen Kampf mit Blicken. Er wusste, dass er ein Duell mit ihm nicht überleben würde. Trotzdem zögerte das Tier. Hatte es Angst, verletzt zu werden? War die Aussicht auf die Beute nicht verlockend genug, um sich dafür ein paar Schnittwunden einzufangen?
Eben noch hat er mich mit einem einzigen Stoß beinahe bewusstlos geschlagen und jetzt zögert er.
Asmos ging einen Schritt nach vorne. Der Wolf blieb stehen wie ein stummer Wächter. Er machte einen zweiten Schritt. Nun war er seinem Feind so nahe, dass er dessen langsames Atmen hörte. Zeitlupenartig drehte er sich um. Er sah ein letztes Mal zu ihnen zurück, wie als wolle er eine stille Drohung aussprechen, dass es hiermit nicht vorbei war, dann verschwand er in den Tiefen des Waldes. Hinter Asmos atmete die Frau erleichtert auf.
„Es ist vorbei", kommentierte er die Flucht des Wolfs. Er hatte die Frau gerettet, fühlte sich aber keineswegs wie ein Held. Hätte das Tier es darauf angelegt, hätte es ihn mit Leichtigkeit umgebracht. Er hatte sich wie ein Narr verhalten. Warum nur war er geflohen? Er konnte es sich nicht erklären.
„Danke", nuschelte sie und lockerte ihren Griff um seine Hand.
Sie beeilten sich, trotzdem zu den anderen zu kommen. Asmos nutzte die Gelegenheit und musterte sie unauffällig. Sie hatte längliche fast strohblonde Haare, welche wie pure Seide ihre Schultern hinab flossen. Ihre Erscheinung wirkte allgemein sehr elegant. Sie trug eine rote Bluse und einen violetten Rock, die ihn an die Kleidung der Städter erinnerte. Ihre Augen waren von einem stechenden Grün, das scheinbar sogar im Dunkeln leuchtete. Oder bildete er es sich nur ein?
Kaum erreichten sie die Menge, fragte man sie über das Geschehene aus. Asmos schirmte sie vor der Meute ab, da sie sich offensichtlich bedrängt fühlte. Außerdem musste ihr Arm verbunden werden - wer wusste schon, wie tief die Wunde war?
„Macht Platz! Sie ist verwundet!"
Nur zögerlich wichen die Dorfbewohner zurück und mehr als nur einmal half Asmos mit sanfter Gewalt nach. Mit einem Mal spürte Asmos einen Ruck an seinem Arm. Das linke Bein der Frau knickte ein und Asmos musste sie festhalten, damit sie nicht hinfiel. Er befühlte ihren Fuß, der eine leichte Schwellung aufwies. Wahrscheinlich war sie umgeknickt. Sie sah ihn mit starrem Blick an. Zumindest gehörte sie nicht zu den Frauen, die nach so etwas gleich in Ohnmacht fielen, dachte sich Asmos. Er hob sie an und trug sie ungefragt weiter. Ihr dünner Körper wirkte zerbrechlich, weswegen er sie so sanft wie möglich anfasste, um ihr nicht wehzutun. Sie schien es zu bemerken, fasste Vertrauen und hielt sich an ihm fest.
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