Die Gegenwart - Letzte Hoffnung #7
Er wäre beinahe rücklings von dem Stein gefallen, als Sahira laut hustete und sich ruckartig vorbeugte. Eine Weile saß sie so da, nur damit beschäftigt, das Wasser aus ihren Lungen zu husten. Asmos klopfte ihr auf den Rücken, ständig in der Angst sie könnte ersticken. Schließlich hatte sie sich halbwegs beruhigt und atmete einmal tief durch. Reflexartig umarmte er sie, so fest er konnte.
„Aua! Warte, lass mich los", rief sie.
Er sah sie nur perplex an, während sie sich an die entblößte Brust griff, unter der noch die frische Wunde durch die Raubvögel prangte.
„Ich fürchte, ich habe dir ein paar Rippen gebrochen."
„Ich hoffe, ich soll dir dafür nicht dankbar sein", sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Danach brachte sie aber ein Grinsen zustande. „Schätze, ich bin dir was schuldig."
Asmos wollte grade zu einer Erwiderung ansetzen, da rutschte sie pfeilschnell von dem Stein. Erst hielt er es für einen makaberen Scherz, dass sie in das Wasser zurücksprang, aus dem er sie eben noch gerettet hatte, dann fiel ihm ein, dass sie nicht schwimmen konnte.
„Hätte ich ihre Füße nur aus dem Wasser gezogen", schalt er sich, ehe er ihr hinterhersprang.
Die Kälte überraschte ihn gar nicht mehr, fühlte er sich doch sowieso schon wie ein Eiszapfen. Ein riesiges fischartiges Wesen hatte Sahira in seiner Gewalt. Er maß sicher die doppelte Größe eines Vrynn, war nachtschwarz und somit schwer auszumachen. Einzig seine messerscharfen Zähne waren gut zu erkennen.
Asmos kämpfte seine Furcht nieder und schwamm auf die beiden zu. Da bemerkte er rund um sich herum noch mehr von ihnen. Sie mussten durch das viele Blut angelockt worden sein. Er entschied sich, sie einfach zu ignorieren. Es war zu spät, um sich einen Plan zu überlegen. Erneut zog er Ignatz, das angetrieben von seiner Wut in einer hellweißen Flamme aufloderte. Die restlichen Raubfische hielten sich von ihm fern, allein die Hitze, die das Wasser um ihn herum zum Brodeln brachte, lehrte sie das Fürchten. Nur der eine wollte sich seine Beute nicht streitig machen lassen. Asmos schwamm näher an ihn heran und ergriff Sahiras ausgestrecktes Handgelenk. Wütend zerrte daraufhin der Jäger an ihr und entriss sie Asmos Griff.
Ohne weiter nachzudenken, stieß er das Schwert nach vorne und traf das Auge der Bestie. Die Klinge wurde so heiß, dass Wasserdampf aus dem verbrannten Auge austrat. Sofort zog sich der Fisch zurück und auch die anderen verschwanden in sichere Entfernung. Er wagte es nicht, Ignatz zurückzustecken und beförderte Sahira mit Mühe wieder nach oben. Dieses Mal versuchten sie, sich möglichst fern von dem Wasser zu halten.
Sahira griff sich an ihr blutendes Bein, auf dem sich die gezackten Abdrücke eines scharfen Gebisses abzeichneten.
„Das wird es nicht unbedingt leichter machen zu schwimmen."
Asmos wiegte den Kopf hin und her. „Da hätte ein gesundes Bein auch nicht gereicht. Bei diesen Temperaturen erfrieren wir nach kurzer Zeit." Er legte die Arme um seinen Oberkörper, um die Kälte aus seinen Gliedern zu vertreiben, aber er war zu durchnässt. Der Himmel färbte sich langsam dunkelrot, die letzten Strahlen des Mantels wärmten sie nur noch schwach. Er deutete auf einen Sandstrand, der ein ganzes Stück in der Ferne lag.
„Da müssen wir rüber."
„Und wie willst du das anstellen? Da unten lauern noch immer diese Bestien."
„Wir werden eine Weile abwarten müssen. Vielleicht geben sie ja bis morgen früh auf."
Sahira ließ von ihrer Wunde ab und kuschelte sich an ihn. „Also gut, aber wir müssen uns gegenseitig warm halten."
Er nickte darauf und umarmte sie, liebkoste ihren Hals. „Vielleicht nutzen wir die Gelegenheit und du erzählst mir einmal etwas über dich, was der Realität entspricht."
„Das bin ich dir wohl schuldig ..." Sie atmete tief ein und aus. „Wie dir vielleicht schon aufgefallen ist, bin ich keine Vrynn, so wie ich es deinen Sinnen vorgegaukelt habe. Ich bin Absconde und gehöre zum Stamm der Aculeten. Ich bin 61 Zeitkreise alt ..."
„Du bist was?!", unterbrach Asmos sie abrupt.
„Wir werden ein wenig älter als ihr", erklärte sie ihm gleich darauf.
„Bei uns wärest du bereits eine alte Frau." Asmos kratzte sich verwirrt am Kopf. „Also gut, fahre fort."
Sie erzählte ihm von ihrer Vergangenheit. Ihrem gesellschaftlichen Aufstieg durch ihren Vater. Die Zeit nach seinem Tod und wie sie versuchte, sich als Assassine zu etablieren, was ihr als Frau nicht leicht fiel. Bis zu dem Augenblick, da sie ihn getroffen hatte, um ihren Auftrag zu erfüllen und somit endlich die lang ersehnte Chance zu erhalten. Zwischendurch kam sie immer wieder ins Stocken, verfiel in nachdenkliches Schweigen. Auf Asmos Fragen hin gab sie keine richtige Antwort. Sie froren erbärmlich und nur das stete Reden miteinander vermochte sie von ihren zitternden Gliedern abzulenken. Gerade als sie das Gefühl hatten, sich an die Kälte zu gewöhnen, spürten sie etwas Nasses unter sich.
Der Himmel hatte sich mittlerweile fast schwarz gefärbt und sie mussten sich großteils auf ihre anderen Sinne verlassen.
„Das Wasser steigt an, verdammt", fluchte Asmos. „Es wird den Felsen bald überflutet haben."
„Dann müssen wir rüber zu dieser Strandbank."
„Aber wir können diese Fische jetzt nicht einmal mehr sehen!"
„Warten wir darauf, dass sie uns überraschen, oder willst du den ersten Schritt machen?"
Asmos sah sie einen Moment geradezu entsetzt an, musste ihr dann aber zustimmen. Vielleicht konnten sie drüben sein, bevor es ihnen aufgefallen war, dass sie wieder im Wasser waren. Er nahm Sahira auf den Rücken und glitt so leise ins Wasser, wie es ihm möglich war. Sofort schien ihm das Herz stehen zu bleiben. Eine Welle schwappte über sie hinweg und holte ihn wieder zurück ins Leben. Mit kräftigen Schwimmbewegungen hielt er sich und Sahira über Wasser.
„Wenn es zum Kampf kommt, nimm Ignatz. Sein Feuer wird deine Feinde zumindest ein wenig erhellen."
„Ich soll kämpfen, während ich mich an deinen Rücken klammere, um nicht zu ertrinken?", fragte Sahira bestürzt.
Asmos wollte gerade etwas erwidern, aber er schluckte Wasser und hustete. Derweil entfernten sie sich schleichend langsam von den sicheren Felsen. Er schwamm weiter aufs offene Meer hinaus, um den Strand zu erreichen. Die perfekte Möglichkeit, sie zu attackieren.
Kleine Wellen schwappten über sein Sichtfeld und er hielt manchmal kurz inne, um die Orientierung zu behalten, konnte aber nur hoffen, in die richtige Richtung zu schwimmen. Um sich herum sah er gerade noch einen Fingerbreit weit und ebenso wenig hätte er erkennen können, wenn ein Angriff von unten käme. Etwas streifte seinen Fuß und ließ ihn vor Schreck auffahren. Seine hastige Bewegung warf fast Sahira ab, die sich vor Furcht mit den Armen wedelnd versuchte zu halten. Asmos stabilisierte sie mit den Händen und tauchte dadurch sofort ein Stück weit ins Wasser unter. Prustend kam er wieder an die Oberfläche. Die eisige Kälte verursachte ihm nun auch noch fürchterliche Kopfschmerzen – er musste endlich ankommen.
Tief konzentriert auf das Schwimmen, blendete er alles andere aus. Die Angst vor einem Angriff, die Kälte, das zusätzliche Gewicht auf seinen Schultern. Es gab nur noch ihn, seine Arme, die in rhythmischen Schwimmbewegungen vor- und zurückschnellten. Und unerwartet, wurde das Wasser seichter. Er befürchtete erst, wieder in Kontakt mit einem Meerwesen gekommen zu sein, jedoch war es Sand, den er unter sich fühlte. Wie ein Tornado richtete er sich auf, unfähig überhaupt einen Laut der Freude auszustoßen, lief er gefolgt von Sahira durch das Wasser, bis er trockenes Land erreichte. Ohne weiter darüber nachzudenken, warf er sich dorthin, gönnte sich ein paar tiefe Atemzüge und genoss die verdiente Pause.
Sahira legte sich nicht zu ihm. Sie stand stocksteif ein Stück entfernt und starrte in die Richtung, aus der sie kamen. Er konnte in der Dunkelheit nur vage ihre Umrisse ausmachen.
„Was ist los?", fragte er, als er ihr Tun bemerkte.
Erst beachtete sie ihn gar nicht. Vielleicht war es nur der Schock über das gerade Geschehene, aber als sie sprach, klang ihre Stimme eher, als stünde ihnen etwas noch viel Schlimmeres bevor.
„Ich habe etwas gesehen, oder besser gesagt gespürt. Es ist anders, als alles was meine Sinne je wahrgenommen haben und es scheint in großer Menge von dort hinten zu kommen."
„Du meinst von der Klippe, die wir hinuntergestürzt sind?"
Sie wand sich ihm zu und nickte. „Könnte sein, dass wir verfolgt wurden."
„Das kann unmöglich sein – wer sollte ..." und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: „Die Synethen! Aber wie konnten sie so schnell sein?"
Sahira schüttelte den Kopf, aber es war kein Verneinen, eher ein Ausdruck der Verzweiflung.
„Wer weiß, wie schnell sie sich fortbewegen können, wenn sie keine Gestalt besitzen."
„Für eine Flucht bin ich heute zu müde – ich kann nicht mehr", stöhnte Asmos auf.
„Ich denke nicht, dass sie auf die Idee kommen, wir könnten plötzlich durchs Wasser gegangen sein. Vielleicht haben sie auch keine Ahnung, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Ich schätze, wir können uns eine Pause gönnen."
Asmos setzte sich zu Boden und wrang seine nassen Sachen aus. Sie verzichteten sicherheitshalber darauf, ein Feuer zu machen, was die Nacht zu einer Tortur machte. Dicht an dicht klammerten sie sich aneinander, hielten die Hände vors Gesicht, um sie mit dem gegenseitigen Atem zu erwärmen.
„Das erinnert mich ein wenig an früher", sinnierte Sahira.
„Nur das es damals wärmer war", scherzte Asmos, worauf sie leise kicherte. „Und heute wirst du mir nicht davon laufen, in Ordnung?"
Sie fuhr ihm mit der Hand sanft über die Wange. „Nie wieder, ich verspreche es dir."
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