Lichtbildausweis
Ich ziehe mein Shirt von meinem Bauch hoch. „Los Dreh dich um!", sage ich wieder.
Er verdreht seine Augen und dreht sich schließlich um. Natürlich entgeht mir auch nicht, dass bei der rechten Seite die ganze Wand mit spiegeln sind. Also darf er nicht nach hinten und zur rechten Seite blicken.
Während er brav wartet, ziehe ich mir das übergroße Shirt an und gehe nach vorn zu seiner Tasche, da stecke ich mein schmutziges Shirt rein, weil ich kein Bock habe es mit mir zu schleppen. Ohne mich zu ihm umzudrehen, gehe ich die weiteren Schritte schweigend zur Tür und will raus, jedoch überholt er mich viel zu schnell und versperrt mir mit seinem Arm zum Türrahmen gelehnt den Ausweg. Ich blicke langsam zu ihm rauf in die Augen. Viel zu nahe steht er mir.
„Bist du sauer auf mich, wegen heute?", fragt er vorsichtig und mustert mich. Wieso sieht er so schön aus? Wieso macht er mich auf einmal so nervös? Und wieder mal, wie er mich ansieht, bereitet in mir ein besonders schönes Gefühl aus. Als würde mir seine Nähe und sein Duft zu sehr gefallen. Nein! Mein Gott! Du bist müde Aurelia, hör auf so zu denken, denn er ist dein bester Freund!
„Ich bin nur müde!", sage ich leise und löse seinen Arm von dem Türrahmen, damit ich endlich raus kann und zwischen uns Abstand schaffe.
Die Fahrt verläuft sehr ruhig, keiner sagt etwas. Als er neben meinem Haus parkt, bedanke ich mich und umarme ihn beschwichtigend, dann steige ich schnell aus, als wäre ich sehr in Eile. Keine Ahnung was in mich gefahren ist.
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Am nächsten Morgen bin ich überraschenderweise besser drauf als gestern. Nach dem Frühstücken drücke ich mit einem Lächeln einen dicken Kuss auf die Wange meiner Mutter.
„Ich fahr dann mal los", sage ich und drücke auch meinem kleinen Bruder einen Kuss auf die Wange.
„Aurelia, Mama sagte du gehst dieses Wochenende zu einer Party, darf ich auch mit?", fragt er erwartungsvoll.
Ich blicke skeptisch rauf zu meiner Mutter, während ich meine Schuhe anziehe.
„Es ist ein Geburtstagsparty und da dürfen nur erwachsene hin", erkläre meinem Bruder. „Ich weiß was du vor hast Mama, du willst, dass ich ihn mitnehme, damit ich kein Alkohol trinke, aber dort wird es kein Alkohol geben und wie du mich kennst, solltest du wissen, dass ich niemals zu diesem Zeug greifen werde!", rede ich zu meiner Mutter gerichtet.
„Das weiß man ja nie, was wenn du damit zufällig doch noch anfangen willst", meint sie Schultern zuckend.
„Nein, mach dir keine Sorgen. Und sorry Ben, wir können ja, wenn ich Zeit finde zum Kino fahren. Versprochen!", sage ich freundlich und durchwühle sein volles Haar.
„Okay...", gibt er von sich und schlägt belustigt meine Hände von sich weg.
Anschließend verlasse ich das Haus und nähere mich zu meinem Fahrrad. Was hätte ich ohne mein Fahrrad gemacht? Dieses Baby begleitet mich schon seit Schulzeit und jetzt auch zur Uni. Gerade als ich das Schloss von dem Fahrrad lösen will, wird ein schwarzes Motorrad direkt vor mir angehalten. Wie angewurzelt starre ich zu dieser Person, der eben seinen Helm von dem Schädel löst und mich anlächelt.
Fassungslos öffne ich mein Mund, um was zu sagen, doch er ergreift das Wort: „Hey süße!"
„Cedric? Was...was machst du denn hier?", frage ich perplex und gehe zwei Schritte auf ihn zu.
„Ich dachte mir, ich nehme dich heute mit zur Uni", antwortet er und steigt von seinem Motorrad runter. Ich ziehe meine Augenbrauen hoch.
„Und woher hast du meine Adresse? Oder tust du mich stalken?"
Er lacht. „Nein, meine Schwester hat mir deine Adresse gegeben und sie hat es von diese eine Freundin von dir...wie heiß sie noch gleich?!", versucht er zu überlegen. „Ist nicht so wichtig, ich bin so schlecht im Namen merken. Jedenfalls, wollen wir?" Er benimmt sich so als würden wir uns schon lange kennen.
„Was, wenn ich jetzt auf dich höre und auf dein Motorrad setze...was, wenn du mich entführen willst? Vielleicht bist du ja ein Krimineller." Es sollte halb wie ein Witz klingen, aber ich höre mich viel zu ernst an.
Er zieht seine Lippen zu einem schiefen grinsen und kommt mir einen Schritt näher.
„Ich bin ein direkter Mensch und mag keine bösen Überraschungen. Also werde ich dir schon vorher Bescheid geben, wenn ich dich entführen will", sagt er leise und sein Blick fixiert auf einmal meine Lippen. Viel zu unangenehm für mich. Somit mache ich einen großen Schritt zurück.
„Erstens, hasse ich es, wenn ein fremder wie dich, mich so nähert. Zweitens will ich dein Pass sehen, ich habe meine Gründe, weshalb ich nicht glaube, dass du wirklich Cedric heißt. Drittens darfst du mich erst näher kennenlernen, wenn du mir vorher hilfst diesen Typen zu finden. Sind wir uns einig?", frage ich und warte auf seine Antwort. Es scheint so, als würde ihm das ganze gar nicht gefallen, denn er kämpft was er als Nächstes sagen könnte. Er atmet anschließend durch und setzt sich auf seinem Motorrad.
„Gut, einverstanden! Komm jetzt setz dich drauf!"
Ich lächle gespielt. „Nein danke, mein Fahrrad ist mir auch lieber", wende ich mich von ihm ab und nähere mich wieder zu meinem Fahrrad. Als Nächstes höre ich wie er sein Motorrad startet und einfach wegfährt, ist mir auch recht.
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Gedankenverloren kritzle ich mein Blick voll mit Strichmännchen. Ich muss tief überlegen, wo ich mit der Suche nach den Idioten Celeb überhaupt anfangen könnte. Soll ich mich wirklich auf Cedric verlassen? Obwohl wieso sollte ich nur auf seine Hilfe angewiesen sein, wenn ich doch so einen tollen besten Freund wie Aiden habe?! Bei diesem Gedanken muss ich über mich selbst grinsen. Auch dieser Idiot scheint sehr beschäftigt zu sein. In dem nächsten Moment schnappt sich jemand einen Stuhl und setzt sich genau mit gegenüber. Mein Blick schweift zu ihm rauf.
„Hey Süße", grinst er mich an.
„Also langsam bekomme ich Angst vor dir. Ich weiß zwar nicht was du vor hast, aber es wäre besser, wenn du mich in Ruhe lassen würdest!", murmle ich und fixiere ihn.
„Ich will dir helfen, aber du bist einfach so unhöflich", spottet Cedric grinsend.
„Nenn mich nicht Süße!"
„Jemand hat dir wohl so richtig Herz gebrochen. Wer ist es? Dein Ex?", redet er weiter. Ich lehne mich nach vor und schaue ihm direkt in die Augen.
„Ich will, dass du mich in Ruhe lässt!", wiederhole ich mich.
„Ich weiß zwar nicht, wieso du so bist, aber ich bin keine Gefahr für dich. Wenn ich ehrlich bin, bin ich mit der Spur ein wenig nahegekommen und weiß, wie dieser Künstler, den wir suchen heißt. Aber da du ja mein Pass auch sehen wolltest und du dich höchstwahrscheinlich wegen dem so verhältst, kann ich es dir gerne zeigen."
Somit wirft er sein Lichtbildausweiß direkt vor mir auf dem Tisch. Ich lasse es mir nicht entgehen und schaue nach und tatsächlich steht da Cedric und sein Lichtbild. Okay gut, vielleicht hatte ich es ja ein wenig übertrieben. Mit ein wenig Schuldgefühl gebe ich es ihm wieder.
„Und wie heißt der Künstler?", frage ich etwas freundlicher.
„Oliver!", antwortet er schnell. Oliver? Ungläubig ziehe ich meine Augenbrauen zusammen.
„Woher weißt du das? Ich mein hast du von diesem Oliver etwa die Kunstwerke verglichen?"
„Natürlich, so blöd bin ich ja nicht", lacht er.
„Okay, sehr gut, dann lass uns zu Oliver gehen, damit ich mit ihm reden kann. Ich will wissen, wieso er das getan hat...", sofort werde ich unterbrochen.
„Ich bin schon bei seinen Kursen kurz drin gewesen, er ist seit einer Woche nicht da. Keine Ahnung, seine Mitstudenten meinten, er hätte eine Grippe und er erst nächste Woche anwesend sein wird", erklärt er und zuckt mit der Schulter.
„Nächste Woche? Wir müssen heute schon die Wand überstreichen. Morgen folgt dann die nächste Aufgabe...ich will dort nicht unschuldig weiter machen. Dieser scheiß Idiot soll selbst das gesprayte Kunstwerk überstreichen und nicht wir!", rege ich mich auf.
Er atmet ohne Plan durch. „Kann man nichts machen, tut mir leid. Aber ich habe gehört, dass du und die anderen heute nichts machen müsst. Die Köchin war sehr begeistert, wie schön ihr gestern die Küche sauber gemacht habt und als Lob dürft ihr heute früher gehen", erklärt er mir mit einem Lächeln.
Meine Miene verändert sich nicht. „Woher weißt du davon? Du bist erst seit einer Woche hier und weißt mehr als ich. Als gebe es jemand der dir alles berichtet."
„Ich war heute früher da und musste bei der Rektors Büro vorbeilaufen, da war das einfach nicht zu überhören. Du hinterfragt einfach viel zu viel, nicht dass dein Kopf vor sorgen Platz."
belustigt lächle ich kurz und wende mich zu meinem Block. „Darf ich dich was fragen?", kommt er.
„Ja?", gebe ich von mir, ohne zu ihm rauf zu schauen.
„Könnten wir zwei heute nach dem Unterrichtas schluss vielleicht was unternehmen? Ich zeig dir schöne Orte, so können wir uns kennen lernen", fragt er vorsichtig mit angenehmer Stimme.
Er bekommt wieder meine volle Aufmerksamkeit. Ich kann doch nicht wieder so bockig auf ihn sein, wenn er doch die ganze Zeit so nett ist. Also stimme ich zu. Ich bin Single und jemanden neuen kennen zu lernen wird schon nicht schaden.
„Okay!"
„Wirklich?", strahlt er.
„Ja!", nicke ich grinsend.
„Oh Mann, danke!", bedankt er sich überglücklich und geht mit einem Abschiedswinken aus der fast leeren Klasse, die sich mittlerweile füllt.
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In der Pause laufe ich ein Stockwerk rauf. Ich blicke wieder auf Aidens Stundenplan, den wir mal ausgetauscht hatten. Raum 354. Angekommen neben der Tür warte ich die nächsten fünf Minuten an der Wand angelehnt, bis seine Kurse zu Ende ist. Nachdem Läuten verlassen einige Studenten den Raum. Als auch Aiden aus dem Raum kommt, gehe ich schnell auf ihm zu und bleibe abrupt vor ihm stehen.
„Können wir reden?", frage ich unsicher.
Er steckt seine Hände in seine Hosentaschen und schaut mich überlegend an. Ist das sein Ernst? Überlegt er gerade ob wir reden können oder nicht?
„Worum geht's?", fragt er.
„Was ist los? Wieso verhalten wir uns so als wären wir uns fremd?"
„Haa, das willst du also wissen?", fragt er und zieht ungläubig seine Augenbrauen hoch. Dann im nächsten Moment zieht er mich von meinem Handgelenk mit sich mit, öffnet eine Tür und schließt sie wieder, nachdem ich reingezogene wurde. Er schaltet schnell das Licht ein und ich merke erst, dass wir uns in Abstellkammer befinden.
„Was hat dieser Typ aus McDonald's der angeblich Cedric heißt, heute in deinem Kurs zu suchen gehabt?", will er von mir wissen.
„Ich habe dir doch schon gestern erklärt, er hilft mir den Künstler zu finden."
„Also du lässt ihn dir helfen? Wieso fragst du nicht mich? Dieser Kerl ist ein richtiges Arschloch!"
„Wieso? Ich habe dir doch schon zweimal wegen dem angesprochen, gesagt, ich möchte den Typen finden aber nein du warst ja so beschäftigt. Noch dazu woher kennst du Cedric? Willst du mir das erklären oder gehört das wieder zu deinen Geheimnissen?", frage ich.
„Zuerst hat Camilla angefangen mich zu nerven und wie es aussieht will sie gar nicht aufhören und jetzt kommst du uns stellst fragen die absolut unnötig sind. Wenn ich schon sage, dass der Typ ein Arsch ist, solltest du dankbar sein, dass ich dich vorwarne."
„Vielleicht irrst du dich. Er hat mir sein Lichtbildausweis gezeigt und dort steht genau sein Name: Cedric. Du irrst dich was manche Menschen angeht, sie sind nicht so böse wie du es denkst. Wegen dir sehe auch ich fast jeden als das Bösewicht, weil du mich immer vor fast jeden vorwarnst. Reicht das nicht langsam?", frage ich.
Er schweigt und mustert mich überlegen.
„Okay, damit du das ganze verstehst so wie ich das tue...erzähle ich dir heute die ganze Wahrheit", sagt er schließlich.
Fassungslos starre ich ihn an. „Ich komme heute zu dir vorbei", meint er und greift zum Türgriff, um hier rauszukommen.
„Das geht nicht!", ergreife ich schnell das Wort. Er lässt den Türgriff los und schaut fragend zu mir. „Ich wollte heute mit Cedric ein bisschen in die Stadt fahren, naja damit wir uns besser kennen lernen können."
Und schon wieder zieht er seine Augenbrauen zusammen.
„Ohhh nur zu, Aurelia. Ich freue mich schon bald ein Loch für dich zu graben, damit ich dich beerdigen kann", sagt er schnell und kommt den letzten Schritt auf mich zu. Wieso kommt er mir in letzter Zeit so oft nahe? „Dann werde ich auf deinen Grabstein mit einem wasserfesten Stift schreiben: ‚Die liebe Aurelia sehnte sich so sehr nach der großen Liebe, doch sie wurde in den Tod geschickt' Ahh was für ein Pech", spottet er und grinst dabei. Für die weiteren sieben Sekunden starren wir uns einfach in die Augen. Keine Ahnung was das Ganze soll, ich habe einfach mein Hirn ausgeschaltet. Ich würde ihn am liebsten stundenlang so anstarren.
Ohne den Blick von mir zu lösen entfernt er sich verwirrt ein Stück zurück.
„Und heute müssen wir den Graffiti Wand nicht überstreichen, es wurde auf morgen verschoben", gibt er zur Kenntnis und löst uns von dieser komischen Stille.
„Ja, habe ich schon gehört", nicke ich und blicke zur Tür.
„Wir sehen uns in zwei Stunden. Wir haben heute beide gleich Unterrichtsschluss, also werde ich auf dich unten warten, dann fahren wir gemeinsam zu dir", sagt er zuletzt und geht aus der Tür hinaus.
Ich weiß nicht was ich zu all dem denken soll. Ich bin mehr als nur verwirrt, ich weiß auch nicht was mit mir passiert. Ich schalte das Licht aus und verlasse ebenfalls die Abstellkammer. Dann erst wird mir klar, weshalb ich extra hier rauf zu Aiden gekommen war. Ich wollte ihn fragen, ob er mir hilft zu dem Künstler Oliver zu fahren, um ihn zur Rede zu stellen. Genau das wollte ich fragen und ich blöde bin nicht mal dazu gekommen. Oh oh, ich habe nicht mal seine Adresse, wie hätten wir es dort hinschaffen sollen?
Das einzig gute bei all dem ist, dass er mir heute endlich erzählen wird, was damals vor zwei Jahren passiert ist.
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