Kapitel 2 - Das, in dem Ole lange schreibt
Gebannt starre ich auf mein Handy. Ich habe gewusst, dass Ole ein schlechtes Gewissen bekommen würde. Das »Sorry, lass später reden«, spricht für sich. Und jetzt tippt er schon seit zwei Minuten, und ich weiche dementsprechend seit zwei Minuten Menschen, Fahrrädern und Pfeilern aus. Ziemlich sicher hat er jetzt schon einen halben Roman formuliert.
Oh Dany, meine Verehrteste! Ich vermisse dich. Und ich will wirklich gerne mit dir zusammen auf die Taylor Swift Party gehen. Dafür würde ich sogar mein Handy Zuhause lassen, weil ich dich so sehr liebe! Wir werden das Paar der Nacht sein und wenn du willst, können wir uns sogar Matching Kostüme raussuchen und uns zusammen wach-schminken. Vergibst du mir? - Ole
Ja, bestimmt schreibt er so einen Text gerade. Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht, während ich mit klopfendem Herzen auf das Ole <3 schreibt gucke.
Bis meine gute Laune abrupt von einem Körper zerstört wird, gegen den ich laufe. Mein Handy fällt klappernd auf den Boden und meine Nase wird platt gedrückt. Erschrocken weiche ich zurück.
»Verflucht!«, rufe ich. Warum müssen denn auch andere Leute im Weg stehen? Jetzt ist bestimmt der Highlighter von meiner Nase nicht mehr an meiner Nase, sondern in der schwarzen Jacke meines Gegenübers. Und noch schlimmer: ich kann nicht mehr auf das Ole <3 schreibt gucken! Panisch taste ich mit meinem Blick den Boden ab. Wo ist mein Handy?
»Ey, hast du keine Augen im Kopf?«, beschwert sich eine tiefe Stimme, die mir seltsam bekannt vorkommt.
»Konntest du nicht aus dem Weg gehen?«, gebe ich im gleichen angepissten Tonfall zurück und schaue den Typen zum ersten Mal an.
Klarer Fall davon, dass ich absolut gar keine Schuld an unserem Zusammenprall trage. Denn er ist nicht viel größer als ich, was erklärt, warum ich ihn über den Handyrand hinweg nicht gesehen habe. Würde er mit ... einem Zylinder rumlaufen, wäre ich bestimmt ausgewichen und seine entspannte Fleecejacke würde jetzt keinen helleren Fleck auf der Höhe meiner Nase haben.
Ansonsten sind da noch eine markante Nase und Kieferknochen, Wangenknochen, blaue Augen und von der Kälte spröde Lippen. Er sollte sich dringend einen Labello kaufen.
Das sage ich ihm auch.
»Hä?«, ist die Antwort.
»Na wegen deinen Lippen. Die sind zu trocken.« Immer noch denke ich darüber nach, woher ich seine Stimme kenne, komme aber einfach nicht darauf.
»Warum hast du dir meine Lippen angeschaut?«, fragt der Typ verwirrt.
»Äh-« Röte schießt mir in die Wangen, als ich nach einer passablen Erklärung suche. »Liegt vielleicht an dem Fakt, dass sie in deinem Gesicht sind und nicht irgendwo auf deinem Rücken«, sage ich dann nach einigen Sekunden. »Natürlich sieht man deine Lippen, wenn man dich anschaut, oder besser gesagt, man sieht deine des Todes trockenen Lippen.«
»Du kommst mir bekannt vor«, sagt der Typ jetzt und mustert mich von oben bis unten. Abwehrend verschränke ich die Arme.
»Soll das jetzt ein blöder Anmachspruch sein? Damit kannste gleich wieder nach Hause gehen.«
»Nein, im Ernst.«
»Okay, ja«, gebe ich zu. »Du kommst mir auch bekannt vor.«
»Aber woher?«, fragt der Typ, er ist ungefähr mein Alter.
Mir fällt sofort eine ganz einfache Möglichkeit ein, diese Frage zu beantworten.
»Also. Ich bin in die Papageien-Kita gegangen, dann in die Grundschule am Prenzlauer Berg, dann auf das Schiller-Gymnasium, mein Zahnarzt heißt Dr. Tillmann, ich geh regelmäßig ins Nagelstudio, mein Lieblingscafé ist bei mir um die Ecke ... ach und es heißt Café Blümchen, dann shoppe ich gerne beim Alex, vielleicht sind wir uns da über den Weg gelaufen, letzten Donnerstag war ich im Ikea, da gibt es die besten Zimtschnecken ...«
»Warte ... Dany? Daniella Novak?«, unterbricht mich der Typ.
»Sind wir uns im Ikea über den Weg gelaufen? Aber woher kennst du dann meinen Namen?«, frage ich verwirrt.
»Ich bin Milan. Wir waren auf der gleichen Grundschule. Ich habe nur nachgedacht, welches der total anstrengenden Mädchen du nochmal warst, bis mir eingefallen ist, dass du tatsächlich die mit der Zahnspange warst, die einzige, die damals nicht genervt hat.«
Ich nicke. »Oder? Ich bin nicht nervig, auch wenn Ole immer was anderes behauptet-«
Milan unterdrückt ein Grunzen und sagt: »Den Hinweis, dass ich nachgedacht habe, welches der nervigen Mädchen du warst, hast du nicht gecheckt?«
Ich runzele die Stirn. Stimmt. Fiesling.
»Also dafür, dass du damals der schüchterne Mäuse-Milan warst, bist du ziemlich frech geworden«, beschwere ich mich.
»Mäuse-Milan?«, fragt dieser ungläubig und richtet sich auf. »Wegen meiner Größe?«
»Nein, wegen deiner Zähne.«
»Ach so. Ja. Ich hatte dann auch eine Zahnspange.«
»Offensichtlich«, bemerke ich und strecke dann stolz meine Brust raus. »Wäre ich nicht darauf gekommen, alle Stationen in meinem Leben aufzuzählen, würden wir jetzt vielleicht immer noch darüber nachdenken, woher wir uns kennen.«
Milan lacht auf und erwidert: »Ein Name hätte es auch getan ... Apropos Namen. Der Ole aus unserer Klasse?«
»Ja. Mein Freund.«
»Dein Freund. Aha«, antwortet er gedehnt.
»Ja.«
»Also, ich muss jetzt auch gehen, war aber schön, mit dir geredet zu haben, Dany«, sagt Milan freundlich. Ich nicke. »Fand ich auch.«
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht drehe ich mich weg. Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich ausgerechnet mit dem Mäuse-Milan so gut verstehen würde.
»Ähm, Dany?«, hält mich Milan auf und ich bleibe stehen. »Ist das hier dein Handy?«
Mein Lächeln rutscht mir aus dem Gesicht. Wie habe ich mein Handy vergessen können? Warum ist mir das nicht wieder eingefallen? Schnell laufe ich zurück und greife danach.
»Und ... wollen wir einfach mal einen Kaffee trinken gehen? Als zwei Freunde aus der Grundschulzeit, die sich lang nicht gesehen haben? Café Blümchen?«
»Ja, das klingt gut«, höre ich mich antworten. Mein Gehirn hat nur Café Blümchen gehört. Das Totschlagargument.
»Cool«, sagt Milan überrascht und lächelt. »Wir sehen uns dann ... morgen vielleicht?«
»Morgen klingt gut!«
Als ich weiterlaufe und hinter der nächsten Straßenecke verschwinde, fallen mir zwei Sachen auf. Erstens habe ich mich das letzte Mal mit einem Typen ohne Oles Anwesenheit vor zwei Jahren getroffen und zweitens muss mir Ole mittlerweile bestimmt mit einem halben Liebesroman geantwortet haben. Gespannt öffne ich die Nachricht.
»Sorry. Keine Zeit.«
Im Ernst? Für drei Wörter hat er fünf Minuten gebraucht? Das macht ihn ja noch langsamer als die Faultiere aus Zoomania. Kopfschüttelnd mache ich mich auf den Weg nach Hause.
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