Kapitel 19 - Das, mit der aufgeladenen Erkenntnis
Ein leises Summen von Maschinen erfüllt die Luft und auf dem Betonboden liegen viele große Steine. Metallene Rohre hängen an der Decke und von irgendwo kommt viel Licht in den riesigen Raum, auch wenn keine genaue Lichtquelle zu erkennen ist. Vor uns erstreckt sich ein Chaos an Technik. Metallene Kästen, die aneinander gereiht sind, ein riesiger länglicher Kasten aus schwarzen Kunststoff, eine metallene Plattform, die leicht angehoben ist. Und ein riesiger Ventilator, der auf dem Boden liegt und die Steine nach oben pustet.
Das ist der Moment, in dem ich verstehe, dass es sich nicht um Steine, sondern um Staubkörner handelt. Ich schüttele mich angewiedert.
»Ich habe nachgedacht«, eröffnet Hermes feierlich.
»Irgendwas musst du ja getan haben, als wir das Rätsel gelöst haben«, erwidert Milan.
»Genau. Ich habe sehr ausführlich und glorreich nachgedacht.« Hermes lächelt.
»Indem du die Augen zugekniffen und die Ohren zugehalten hast?«, fragt Milan belustigt.
»Jetzt komm mir ja nicht frech, Bürschchen«, motzt Hermes ihn an.
»Leute!«, gehe ich dazwischen. »Wir haben gerade wirklich keine Zeit dafür! Zero! Hermes, was hast du denn nachgedacht?«
»Darüber, dass wir uns vermutlich auf dem richtigen Weg befinden. Schließlich ist die digitale Welt in der Software nicht real. Sie ist abstrakt. Und jetzt sind wir wenigstens in der Hardware, dem physischen Teil.«
»Das sind deine Überlegungen? Dass wir wahrsheinlich richtig sind?«, hakt Milan nach. Hermes nickt. Dann fügt er nebenbei hinzu: »Und, dass Hephaistos vermutlich ein Schrumpferitisbakterium in das Handy eingebaut hat.«
»Ein was?«, frage ich.
»Schrumpferitisbakterium«, wiederholt der Gott. »Damit haben wir uns früher immer genervt. Demeter hat damit angefangen, uns als Rache für Hephys und meine Idee, eine Autobahn durch ihr Feld zu bauen, mit den kleinen Bakterien zu schrumpfen. Sie hat sie uns ins Essen eingemischt.«
»Warte, ein Bakterium soll hierfür Schuld sein?«, frage ich verwirrt.
»Genau.«
»Also ist Hephaistos so wütend auf dich, dass er in jedes Handy ein Schrumpferitisbakterium setzt?«, hake ich nach.
»Ganz recht.«
»Und das nur, weil du den Ruhm von euch beiden eingesahn hast?«
»Exakt.«
»Wie genau hat das dann funktioniert?«, fragt Milan. Er setzt sich auf einen der Steine und springt erschrocken wieder auf, als dieser unter seinem Gewicht einsackt. »Was ist das?!«
»Staub«, antworte ich, während Hermes sagt: »Komprimierte Essensreste mit Hautschuppen, Haaren, Papier, Wand, gewürzt mit Haarspray und Chemikalien.«
»Ekelhaft«, meint Milan und bringt so viel Abstand wie möglich zwischen ihn und die Steine.
»Um auf deine erste Frage zurückzukommen, Milan, ich weiß es selber nicht genau. Dass wir den Brei gegessen haben, ist schon eine Weile hergewesen, aber dann, als wir zu unserer Planung zurückgegangen sind, waren wir plötzlich winzig klein. Demeter hat nicht lang gezögert und uns unter ihrem Fuß zerquetscht. Wenn ich mich richtig entsinne, waren ihre Worte: ›So fühlen sich die Insekten, wenn ihr euren scheiß-Beton über die Landschaft gießt!‹«
»Äh cool. Also habt ihr beide den Brei gegessen und dann an einem bestimmten Ort seid ihr winzig klein geschrumpft?«, frage ich.
»Genau.«
»Und wie seid ihr wieder groß geworden?«
Hermes runzelt die Stirn. »Gar nicht. Erst, nachdem wir wiedergeboren worden sind.«
Frustriert schlage ich mir die Hand über den Kopf zusammen. »Und was soll uns das jetzt bringen?!«
»Was, wenn ...«, murmelt Milan und bricht dann wieder ab. »Nein, das wird es nicht sein.«
»Doch, sag«, fordere ich ihn auf.
»Was, wenn dieses Bakterium doch etwas damit zu tun hat? Und es vielleicht irgendwo an Hermes Kleidung war und ihn dann geschrumpft hat, als er beim Handy war? Schließlich war das bei der Autobahn genau so. An einem bestimmten Ort. Und was, wenn dieses Bakterium nicht geschrumpft ist? Was, wenn wir das Bakterium besiegen müssen, um wieder zu entschrumpfen?«
»Du meinst ... dass das Schrumpfi vielleicht genau so groß ist wie wir?«, frage ich und werde bleib um die Nase.
Hermes schnaubt verächtlich und verschränkt die Arme. »Keine Chance. Mich bekommt niemand dazu, zu kämpfen. Das könnte meine Haare ruinieren.«
»Lass uns das Schrumpfmonster finden«, beschließt Milan. »Wir haben schließlich noch ein paar Minuten zu leben.«
Entschlossen marschiert er in eine Richtung los und ich folge ihm. Denn er könnte Recht haben. Vielleicht ist das unsere Rettung.
»Wartet!« ruft Hermes und wir drehen uns um. Er holt zügig auf und wiedermal fällt mir auf, was für eine Wirkung seine Haare haben, wenn er sich vorwärts bewegt ...
Die Haare! Natürlich!
»Hermes!«, sage ich aufgeregt. »Seit wann wirst du ab und zu in die Handys eingesogen?«
»Hat vor knapp zwanzig Jahren angefangen.«
»Und jedes Mal hat dich Hephaistos gerettet, obwohl er wütend auf dich ist?«, frage ich verwirrt und unterbreche damit unfreiwillig meinen Gedankengang von davor. Hermes schweigt und räuspert sich dann.
»Wenn ich ehrlich bin, nein. Eigentlich hat mich noch nie jemand gerettet. Ich bin jedes Mal gestorben.«
»Und was ist mit Wenn ich sterbe, wird die Welt im Chaos untergehen?«
»Das habe ich nur gesagt, damit du mehr Motivation hast, einen armen, alten Mann zu retten, der nicht schon wieder für ein Jahr tot sein will.«
Mir geht ein Licht auf. »Hermes. Du bist doch nicht nur der Gott der Reisenden und der Götterbote, oder? Du bist doch auch der Gott der Diebe und der Lügner.«
Hermes jammert: »Ich kann nicht anders. Es ist mein Fluch. Ich will das immer nicht, aber dann plötzlich bin ich da und erzähle allen, ich hätte die Handys erfunden. Dabei habe ich nicht einmal bei der Software helfen können. Ich habe nur ein paar Ideen eingeworfen. Und plötzlich ist Hephy wütend auf mich.«
»Deswegen rächt sich Hephaistos bei dir!«, sagt Milan, der ebenfalls verstanden hat. »Deswegen das alles! Er will dir unter die Nase reiben, wie wenig du von Handys weißt und dass er immer auf dich wütend sein wird!«
Hermes schweigt und fragt mich dann: »Warum hast du gefragt, ab wann das mit den Handys angefangen hat?«
Ach genau.
»Seit wann machst du dir diese Frisur?«
»Was hat das denn jetzt damit zu tun?«, fragt Milan verwirrt, aber Hermes antwortet leise: »Seit zwanzig Jahren ...«
Ich nicke. »Und wer hat dir das Haargel gegeben? Demeter?«
»Hephy und Demeter. Es war ihr Geburtstagsgeschenk für mich.«
In den nächsten Minuten haben wir erfolgreich nachgedacht: Hermes Schrumpfung kann zwar mit dem Haargel zusammenhängen, aber das erklärt noch lange nicht, warum sowohl Milan als auch ich anschließend ebenfalls geschrumpft sind. Glücklicherweise sind wir aber nur geschrumpft und nicht auf den Kopf gefallen, weshalb wir die einzige logische Schlussfolgerung gezogen haben: Milan und ich haben übernatürliche Kräfte.
Zumindest war das meine. Milan wiederum hat nur die Augen verdreht und besserwisserisch angemerkt, dass es keine übernatürlichen Kräfte gibt, woraufhin Hermes beleidigt die Arme verschränkt hat. Letztendlich sind wir darauf gekommen, dass sich bei Hermes' Schrumpfprozess ein paar der Schrumpferitisbakterien am Handy abgesetzt haben und durch das Umklammern vom Handy an Milan und mich herangekommen sind.
»Habt ihr schon irgendwo ein potentielles Schrumpfi gesehen?«, fragt Hermes, der meine Abkürzung für Schrumpferitisbakterien übernommen hat. Verständlich, denn solche langen Begriffe existieren ausschließlich dafür, um Schüler im Unterricht zu nerven. Nicht, dass Lehrer so ein cooles Bakterium, das Menschen schrumpfen kann, im unterrichten würden.
»Nein«, antwortet Milan.
»Hermes, ist dir vielleicht irgendwas aufgefallen, was das Schrumpfen anging? Gab es irgendwelche Muster?«
»Es waren immer Handys?« Wenn ich mich nicht täusche, höre ich Sarkasmus in seiner Stimme.
»Nicht hilfreich.«
Hermes streicht sich grübelnd über den Bart.
»Oh doch! Mir fällt etwas ein. Das Handy war immer am Ladekabel.«
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