17| Sherlock, Fastfood-Restaurants und quietschende Schwestern
Nach einer ganzen Weile hatten wir die anderen wieder eingeholt und kehrten im nächsten Ort zum Mittagessen ein.
Danach teilten wir uns, wie zuvor auch schon, in zwei Gruppen auf. Elian und Philip liefen vor und Sara und ich gingen in einigen hundert Metern Abstand hinter ihnen her, denn wie versprochen wollten wir uns auch mal unter Frauen ein wenig unterhalten.
"Schön, dass wir uns auch mal ein bisschen unterhalten können. Sich die ganze Zeit von Philip einen Knopf an die Backe labern zu lassen, wird auf Dauer doch etwas anstrengend", gab Sara seufzend zu und ich antwortete grinsend: "Ich hoffe, er labert dir einen Knopf an die Wange, meine Liebe." "Hey!" Spielerisch stieß sie mir den Ellenbogen in die Seite und ich taumelte ein wenig nach rechts, ehe ich mich wieder fing. "Ich meine ja nur", murmelte ich und als ich unseren Weg normal fortsetzen wollte, blieb sie plötzlich stehen. "Was läuft da eigentlich zwischen dir und Elian?" Etwas perplex starrte ich sie an und erwiderte nach einigen Sekunden der Stille knapp: "Was soll da laufen?" Hatte Elian ihr gesagt, dass er zufälligerweise auch Gefühle für mich hatte oder war es mittlerweile so auffällig, dass wir viel Zeit miteinander verbrachten. Während wir einige Meter weiterliefen, antwortete sie: "Lüg mich nicht an, es ist mehr als offensichtlich, dass ihr etwas füreinander empfindet. Ihr verbringt wirklich viel Zeit miteinander, seilt euch immer mal wieder ab und unternehmt Zeit zu zweit und wenn man euch von außen betrachtet, sieht man sehr deutlich, dass da ein bisschen mehr hinter steckt. Habe ich Recht?", sagte sie mit einem schelmischen Grinsen auf dem Gesicht. "Na ja, also...", druckste ich ein wenig herum und spürte schon, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Was sollte ich jetzt antworten? Zusammen waren Elian und ich nicht und wie viel er am Ende wirklich für mich empfand, stand auch in den Sternen. Also setzte ich erneut an: "Ich weiß es nicht."
"Wie, du weißt es nicht?" Sara sah mich völlig ungläubig von der Seite an. Mit schief gelegtem Kopf und hochgezogener Augenbraue war sie erneut stehen geblieben und musterte mich. "Wie kann man das denn nicht wissen? Entweder man ist zusammen, oder man ist es eben nicht." "Wir sind nicht zusammen. Aber..." "...du wärst es gerne, du hast nur keine Ahnung, wie du es ihm sagen sollst und hast Angst, dass er nichts für dich empfindet. Hab ich Recht oder habe ich Recht?", beendete die Tagebuchschreiberin meinen Satz und sah mich mit einem schelmischen und wissenden Grinsen.
"Woh-? Woher weißt du das?" Ich musste bei diesen Worten komisch ausgesehen haben, denn das Grinsen in Saras Gesicht wurde nur noch breiter, ehe sie erwiderte: "Ich habe nur logisch kombiniert. Ihr verbringt viel Zeit miteinander, seid deiner Aussage nach aber nicht zusammen und spätestens nach deinem Satz am Lagerfeuer, dass Elian gar nicht mal so schlecht aussieht, liegt die Vermutung nahe, dass da von deiner Seite mehr im Busch ist."
"Gut kombiniert, Sherlock", murmelte ich und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie ins Schwarze getroffen hatte. Zwar war ich noch nicht in ihn verliebt gewesen, als ich den Satz am Lagerfeuer von mir gegeben hatte, aber auch damals hätte ich schon nicht leugnen können, dass er wirklich attraktiv war. Mir fiel auf Saras Aussage keine wirklich bessere Antwort ein, doch zum Glück fing sie sowieso nach dem Bruchteil einer Sekunde wieder zu reden an: "Also an deiner Stelle würde ich es ihm einfach sagen. Ich meine, was hast du zu verlieren? Es wirkt so, als hätte er auch etwas für dich übrig und selbst, wenn nicht, könnt ihr immer noch Freunde bleiben. Vielleicht steht in den ersten Tagen noch etwas zwischen euch, aber das gibt sich. Außerdem will ich endlich mal ein bisschen Romantik sehen. Es ist ja schlimm, euch dabei zuzusehen, wie ihr ganz offensichtlich mehr voneinander wollt, es aber einfach nicht auf die Reihe bekommt, es euch zu beichten."
"Wer hat denn eigentlich gesagt, dass ich einen Ratschlag von der weisen, Ukulele-spielenden Tagebuchschreiberin haben möchte?", konterte ich. Kurz schaute sie mich perplex, fing sich aber schnell wieder und antwortete dann: "Du sahst ganz danach aus, meine Liebe. Und, wirst du es ihm sagen?" In ihren Augen war die Neugier nicht zu übersehen und als ich mit einem grinsenden "Mal sehen" antwortete, machte sie einen kleinen Luftsprung. "Ihr werdet sooo unfassbar toll zusammen sein."
Ich rollte genervt mit den Augen, denn solche Reaktionen hatte ich ausschließen wollen. Ich konnte es nicht ertragen, wenn Menschen sich so in mein Leben einmischten und um dem Thema zu entfliehen, sagte ich schnell: "Wir haben uns in den letzten zehn Minuten ungefähr fünf Meter bewegt. Also vielleicht sollten wir mal weitergehen, bevor wir die beiden Chaoten verlieren." Sie nickte nur schweigend und setzte sich in Bewegung, doch ich konnte sehen, dass das Lächeln nicht aus ihrem Gesicht weichen wollte.
Gerade, als wir wieder zu den anderen beiden gestoßen waren, klingelte mein Handy. Etwas verwundert holte ich es aus meiner Hosentasche, ehe mir wieder einfiel, dass ich es nach heute Morgen immer noch nicht aufgeladen hatte und die Prozentzahl des Akkus dementsprechend gering war. Zwar fiel es mir schwer, den Anruf abzulehnen, als ich den Namen meiner Schwester auf dem Display sah, doch der Akku hätte das Gespräch keine zehn Minuten mehr durchgehalten. Um mein Gewissen ein wenig zu beruhigen, schrieb ich ihr noch schnell eine Nachricht, in der ich die ungünstige Situation erklärte, gleichzeitig aber versprach, sie am Abend zurückzurufen.
Dann wendete ich meine Aufmerksamkeit wieder den anderen zu, die mit mir stehen geblieben waren und fragte: "Hat jemand von euch zufälligerweise eine Powerbank dabei, die ich benutzen könnte? Heute Morgen habe ich ja kaum die Möglichkeit gehabt, mein Handy aufzuladen und ich wollte heute Abend meine Schwester zurückrufen und dafür sollte der Akku dann möglichst reichen." Elian setzte sofort seinen Rucksack ab und zog nach kurzem Suchen mit einem "Taadaa!" eine Powerbank heraus und drückte sie mir in die Hand. Ich bedankte mich mit einem Lächeln bei ihm und ließ mein ladendes Handy in mein Monstrum von Rucksack verschwinden. Danach setzten wir - zum ersten Mal an diesem Tag zu viert - unseren Weg fort.
Nach einer ganzen Weile des Laufens fanden wir einen geeigneten Ort zum Zelten und stellten etwas erschöpft unsere Rucksäcke auf die Wiese. Um uns herum befanden sich einige Bäume, die Fläche war eher spärlich bewachsen, doch wir hofften, dass das Blätterkleid reichen würde, um nicht entdeckt zu werden. In einigen hundert Metern Entfernung war das Logo einer Fastfood-Kette zu erkennen und bei diesem Anblick schnellten die Mundwinkel des Journalisten augenblicklich nach oben. Als Elian das sah, ließ er sich die Gelegenheit nicht nehmen, jegliche Hoffnung des Großmauls auf ein warmes Abendessen zu zerstören. "Schlag dir das aus dem Kopf, wir haben noch Bötchen von heute Morgen." Sofort wurde Philip mürrisch und man hätte fast meinen können, es hätte nicht mehr viel gefehlt und er hätte mit dem Fuß wütend aufgestampft wie ein kleines Kind. "Habt ihr auch daran gedacht, mir Brötchen mitzubringen?", fragte ich in die Runde, was erst mit verwirrten Blicken quittiert und dann zähneknirschend mit dem Satz: "Du kannst meine haben, wir haben bestimmt noch irgendwo Sandwiches" von Elian beantwortet wurde. Nur nach dem Bruchteil einer Sekunde setzte Philip ein wissendes Lächeln auf und sagte mit zuckersüßer Stimme: "Oh, wie süß. Wollt ihr euch vielleicht noch das Trinken teilen?" "Ach, halt einfach deine Klappe, Man", erwiderte der Boxer sichtlich genervt und schlug dem Journalisten aus Spaß auf die Schulter. Was für den Muskelberg wohl ein Klaps sein sollte, ließ das Großmaul kurz zusammenzucken, doch er versuchte es lässig zu überspielen, indem er einen Schritt nach vorne machte und ankündigte: "Lasst uns endlich mal die Zelte aufbauen, damit wir irgendwann auch etwas essen können. Also mir hängt der Magen in den Kniekehlen."
Später saßen wir gemütlich beim Abendessen und Elian und ich teilten uns seine Brötchen und die Sandwiches. Die Kommentare diesbezüglich wiederholten sich zum Glück nicht und so verbrachten wir die Zeit, in der wir um den Gaskocher herum saßen, mit dem Plaudern über die ein oder anderen belanglosen Dinge. Nachdem wir eine Weile kauend und redend dort gesessen hatten, stand Sara auf und holte ihre Ukulele hervor. Nachdem sie die ersten paar Töne angestimmt hatte, wurde die Atmosphäre um einiges ruhiger und ein ganzes Stück melancholischer. Nur unterbrochen durch zwischenzeitliches Schmatzen und Schlürfen, spielte die Tagebuchschreiberin einen Song nach dem anderen und meine Gedanken vermischten sich mit der Melodie. Ich schweifte immer wieder zu Elian ab und als ich mich zu ihm drehte, fand ich ihn in der gleichen Position vor wie schon beim letzten Mal, als Sara uns etwas vorgespielt hatte. Den Kopf leicht in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen saß er da und wirkte mit den Gedanken weit weg von hier, so als würde er gerade in einem anderen Universum in Erinnerungen graben.
Und erst jetzt fiel mir auf, wie gerne ich ihn eigentlich ansah. Er sah so friedlich aus, so entspannt in diesem Moment und ich hätte nur allzu gerne seine Hand genommen oder mich an seine Schulter genommen, doch die Kommentare der anderen wollte ich mir beim besten Willen nicht ausdenken. So genoss ich nur seinen Anblick und die Tatsache, dass gerade nichts von dem von Schuldgefühlen und Vorwürfen geplagten Elian übrig war.
Die friedliche Atmosphäre wurde nach einer ganzen Weile nur durch Philips Kommentar: "Der Ton war schief." unterbrochen und sorgte dafür, dass Sara aufhörte zu spielen und anfing mit ihm zu diskutieren, ehe sie so aussah, als hätte sie ihm am liebsten die Ukulele übergebraten. Lachend stand ich auf, denn mir fiel wieder ein, dass ich Hanna noch hatte zurückrufen wollen und als ich mich gerade in Richtung meines Zeltes umdrehen wollte, konnte ich im Augenwinkel erkennen, dass auch der Boxer aus seiner Starre erwacht war und sich ebenfalls amüsiert das Spektakel ansah.
Im Zelt sitzend zog ich mein Handy aus dem Rucksack und stellte erfreut fest, dass die Powerbank ganze Arbeit geleistet hatte und der Akku nun wieder ganz voll war. Ich wählte Hannas Nummer und mein Herz pochte, während ich warte, bis meine Schwester abhob. Erst als ich ihre Stimme am anderen Ende der Leitung hörte, beruhigte sich mein Herzschlag wieder etwas. "Ich dachte schon, du rufst nie zurück", begann sie das Gespräch, aber ich konnte an ihrer Stimme erkennen, dass es als Witz gemeint war. "Keine Sorge, ich habe dich nicht vergessen. Was ist bei dir so passiert?" "Bei mir? Sophia und ich sind immer noch zusammen, falls du das meinst. Es läuft gerade richtig gut zwischen uns. Und hast du schon auf deiner Reise jemanden gefunden, dem du vollends verfallen bist?" Ich überlegte kurz, was ich auf diese Frage antworten sollte, beschränkte mich dann aber auf ein knappes "Wer weiß." und erreichte damit, dass meine Schwester schrill auf quietschte und sofort erwiderte: "Wenn du wieder da bist, musst du mir dringend alles über ihn erzählen und ihn mir vorstellen!" Nach einer kurzen Pause fügte sie etwas zögernd hinzu: "Es ist doch ein 'er', oder?" Ich nickte nur, ehe mir auffiel, dass sie das durch den Hörer nicht sehen konnte und bejahte ihre Frage.
Nachdem wir uns eine ganze Weile unterhalten hatten, verabschiedete ich mich von ihr mit dem Satz: "Ich weiß nicht, ob ich dir das schon bei unserem letzten Telefonat gesagt habe, aber ich bin unfassbar froh, dich wieder glücklich zu erleben und ich freue mich so sehr, dich wieder zu sehen. Wir hören in den nächsten Tagen noch voneinander, ganz sicher." Sie antwortete mit: "Ich freue mich auch so unfassbar, wenn du wieder zu Hause bist. Hab dich lieb, Schwesterherz" und damit war unser Gespräch beendet.
Gerade, als ich mein Handy zur Seite gelegt hatte, kam Elian etwas unbeholfen ins Zelt gestolpert und ich fragte mich, wie er bei dieser Tollpatschigkeit gleichzeitig Boxer sein konnte. Ich hatte gar nicht wirklich mitbekommen, dass die Geräusche von draußen verstummt waren und es in der Zwischenzeit immer dunkler geworden war.
Der Muskelberg ließ sich neben mich auf den Boden des Zeltes sinken und sagte völlig aus dem Kontext gerissen: "Sara kann wirklich gut Ukulele spielen." Ich nickte nur, dem war nichts mehr hinzuzufügen und außerdem war ich von dem Gespräch mit meiner Schwester sowieso noch etwas in Gedanken versunken. "Gut, dass sie Philip damit doch nicht erschlagen hat, sonst wären wir so schnell nicht mehr in den Genuss ihrer Musik gekommen." "Dafür wären wir einen Dauerredner los geworden. Haben sich die beiden eigentlich wieder vertragen?", fragte ich grinsend. "Anscheinend. Zumindest hat sich keiner von ihnen dagegen gesträubt, sich mit dem jeweils anderen ein Zelt zu teilen", erwiderte er. "Wie viel Uhr ist es eigentlich?", fragte ich immer noch etwas geistesabwesend. Elian lachte auf und sagte: "Du bist die, die das Handy neben sich liegen hat." Ich schlug mir leise fluchend gegen die Stirn und schaute auf das Display. Kurz nach halb zehn.
Ich wusste nicht, woher der Gedanke auf einmal kam, doch plötzlich sagte ich in die kurz entstandene Stille hinein: "Lass uns noch ein bisschen spazieren gehen." Der Boxer nickte langsam, wandte dann aber ein: "Wir sind irgendwie schon mal öfter abends unterwegs. Das ist nicht so sonderlich gut für den Schlafrhythmus." "Spielverderber. Willst du mich etwa alleine gehen lassen?", schmollte ich und schneller als erwartet knickte er ein. "Nein, natürlich. Dann komme ich meinetwegen mit", antwortete er im Aufstehen und zog mich am Arm auf die Beine.
Draußen standen wir etwas unschlüssig auf dem Stück Gras und entschieden uns schließlich dafür, in Richtung des Fastfood-Restaurants zu gehen. Wir genossen die eher ruhige Stimmung, denn außer einigen Autos auf der nächstgelegenen Autobahn und dem Zirpen der Grillen war nicht viel zu hören. Schweigend schlenderten wir die Wiese entlang und ich versank etwas in Gedanken, bis ich spürte, wie seine Hand kurz meine berührte. Es war nur ganz leicht und ich redete mir ein, dass das nur ein Versehen gewesen war, doch mein Puls beschleunigte sich automatisch.
Ich fragte mich, warum ich eigentlich vorgeschlagen hatte, noch spazieren zu gehen. Die Idee war aus einem Impuls heraus entstanden, keine Sekunde hatte ich nachgedacht, bevor die Worte meinen Mund verlassen hatten. Und eigentlich wusste ich auch ganz genau, was ich vor hatte, ich wollte es mir nur mal wieder nicht eingestehen. Ich wollte Elian sagen, wie viel ich für ihn übrig hatte, doch mein Kopf realisierte das nicht und so kam ich einer Herzattacke wohl gerade noch davon.
Nach einer Weile des Laufens, in der keiner von uns etwas sagte, kamen wir am Schnellrestaurant an. Wir lehnten uns von außen an den Zaun der Terrasse und starrten in den Himmel über uns. Die ersten Sterne stachen aus dem dunklen Blau hervor und wir schwiegen weiter. Doch es war keine unangenehme Stille zwischen uns, sondern mehr ein einvernehmliches Schweigen. Heute schienen wir keine Worte zu brauchen, sondern lediglich den Himmel über uns. Ich merkte, wie er immer ein kleines Stück näher an mich heran rückte und auch ich bewegte mich immer wieder einen Millimeter mehr in seine Richtung. Die Zeit, die verging, bis der Abstand zwischen uns nur noch verschwindend gering war, verstrich quälend und als wir dann Oberschenkel an Oberschenkel nebeneinander am Zaun lehnten, schien er plötzlich unsicher zu werden, denn er stieß sich mit beiden Armen ab und sagte: "Lass uns wieder zurückgehen. Wir wollen schließlich morgen nicht schon wieder aussehen wie Waschbären auf Drogen." Erst wusste ich darauf keine Antwort, denn Enttäuschung breitete sich in mir aus, doch als er sich von mir wegdrehte und einige Schritte in Richtung unseres Zeltplatzes machte, kamen mir nur zwei Worte über die Lippen: "Warte kurz."
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