14| Gefährliche Sterne und ein überfälliges Eingeständnis
Pünktlich zum Abendessen tauchte Sara wieder an unserem Platz auf, ein Handtuch um den Oberkörper geschlungen und mit triefnassen Haaren, die ihr überall im Gesicht hingen. "Mmh, Frischfleisch zum Abendessen", bemerkte Philip grinsend und ich schüttelte nur den Kopf über seine unqualifizierten Kommentare, während die Tagebuchschreiberin im Zelt verschwand, um sich neue Kleidung zu suchen.
Der Tomateneintopf kam bei den anderen gut an und war gleichzeitig noch ein sehr einfaches Gericht. Wir beschlossen, in den nächsten Tagen mehr zu kochen, anstatt uns die Bäuche mit ungesundem Fraß vollzuschlagen und nachdem alle Teller leer waren, zauberte Elian die Bierflaschen aus der kleinen Kühltasche hervor. Ich seufzte und rollte mit den Augen, als der Boxer jedem von uns ein Getränk hinhielt. "Du schaffst es auch echt nicht, ihn davon abzuhalten, Alkohol zu kaufen, oder?", fragte Sara und ich nickte nur resigniert, schüttelte kurz darauf aber mehr als deutlich den Kopf, als der Muskelberg auch mir eine Flasche geben wollte. "Bitte Alex!" Er zog die Mundwinkel nach unten und sah dabei eher aus wie eine Bulldogge als ein bettelnder erwachsener Mann. Ich blieb stur und lehnte den Alkohol ab, auch wenn Elian mir immer weiter mit der Flasche vor der Nase herumfuchtelte. "Eli, ich will kein Bier, okay?", versuchte ich es ein letztes Mal. Augenblicklich ließ er die Flasche sinken und trank stattdessen selbst einen Schluck daraus. Auf eine Weise, die ich nicht zu deuten wusste, hatte ihn meine Aussage getroffen und nun trank er anscheinend das Bier, um sich zu betäuben. Ich bekam langsam das Gefühl, niemals so wirklich schlau aus meinem Zeltnachbarn zu werden und zuckte leicht mit den Schultern, ehe ich meinen Blick von ihm abwandte.
Die Stunden verstrichen schnell, während wir im Kreis saßen und uns über Gott und die Welt unterhielten. Später am Abend verabschiedeten sich Sara und Philip, um schon schlafen zu gehen. Elian hatte aus irgendeinem Grund darauf bestanden, noch sitzen zu bleiben und ich wollte ihn nur ungern alleine und angetrunken draußen sitzen lassen. Er hatte zuerst mein und dann sein Bier getrunken und benahm sich entsprechend.
Er drehte die leere Flasche schon seit einigen Minuten in seinen Händen und ich wollte gerade aufstehen und ihn vom Schlafen gehen überzeugen, als er völlig aus dem Kontext gerissen sagte: "Guck mal, Alex. Die Sterne." Ich setzte mich näher zu ihm und sah in den wolkenlosen Abendhimmel, an dem sich tatsächlich schon die ersten funkelnden Feuerbälle bildeten. "Irgendwie sind die ja schon faszinierend, von hier unten sehen die so klein aus und so friedlich. Und eigentlich brennt in ihnen so ein großes Feuer und sie könnten so viel Zerstörung anrichten. Aber das sieht man von hier unten nicht." Erst jetzt bemerkte ich, dass er meine Hand genommen hatte und mit seinen Fingern völlig unwillkürlich - so wirkte es zumindest - Muster auf meinen Handrücken zeichnete. Etwas irritiert blickte ich auf seine Hand, die meine in fließenden Bewegungen streichelte, doch ich ließ es geschehen, denn hätte ich meine Hand weggezogen, wäre er aus dem Konzept geraten und die Stimmung zwischen uns wäre ziemlich unangenehm geworden.
Eine Weile lang sagte keiner von uns mehr etwas und ein Netz der Stille legte sich über uns. Er schaute wieder in den immer besser sichtbaren Sternenhimmel und strich währenddessen weiter über meine Hand. "Lass uns schlafen gehen", sagte ich in die Stille hinein, doch Elian achtete nicht auf meinen Satz, sondern nuschelte stattdessen: "Manchmal wäre ich auch gerne ein Stern." Mit diesen Worten kippte er hinten über und blieb auf dem Rücken im Gras liegen. "Elian, alles okay?", fragte ich ein wenig schrill, doch als ich seinen gleichmäßigen Atem vernahm, wusste ich, dass er einfach nur eingeschlafen war. "Manchmal hörst du ja doch auf mich", murmelte ich kopfschüttelnd und blickte auf den schlafenden Boxer hinab. Ich würde ihn unmöglich alleine ins Zelt gehievt bekommen, also musste er wohl oder übel unter freiem Himmel schlafen. Denn ich wusste von meiner Schwester gut genug, dass es nutzlos war, jemandem im Rausch aufwecken zu wollen. Also holte ich noch eben seinen Schlafsack aus unserem Zelt, öffnete diesen und deckte ihn notdürftig zu.
Als ich schließlich im Zelt lag, grübelte ich noch eine Weile über den Abend nach. Alleine in der eher engen Behausung zu liegen hatte zwar den Vorteil, dass ich wesentlich mehr Platz hatte, da ich nicht neben der lebenden Schrankwand schlafen musste, aber es war gleichzeitig ein komisches Gefühl, niemanden neben sich liegen zu haben. Die Wärme fehlte mir, denn das zwangsläufige Aneinander kuscheln gab mir eine Art Geborgenheit, von der mir erst jetzt auffiel, dass sie mir überhaupt fehlte.
Und wenn ich ehrlich war, hatte ich es nicht einmal schlimm gefunden, dass er meine Hand mit Mustern übersät hatte und genau das war mein Problem. Ich wünschte ihn mir wieder neben mich und eigentlich wollte ich auch seine Hand wieder auf meiner spüren. Und doch sträubte ich mich immens gegen die Gefühle, die mich langsam aber sicher im Würgegriff festzuhalten schienen. Das Letzte, was ich gerade brauchte, war eine lauwarme Romanze auf einer Reise ohne jegliche Privatsphäre. Denn wenn sie direkt wieder zerbrach, musste man noch den Rest des Trips zusammen verbringen, ob man wollte oder nicht. Und wenn es doch hielt, wusste man nicht, was die Zeit nach der Reise bringen würde, wenn der Alltag uns alle wieder einholte. Studium an verschiedenen Unis, Geldprobleme, Familienkrisen, Stress. Das alles würde auf uns zukommen und mir kam gerade zum ersten Mal in den Sinn, dass wir nicht ewig unterwegs sein würden. Insgesamt würden wir für den Hinweg ungefähr zwei Wochen brauchen und fünf Tage waren bereits vorbei. Und falls wir den Rückweg auch zu Fuß antreten würden, die gleiche Zeit noch einmal. Ob meine Schwester dann noch mit ihrer Freundin zusammen war oder wieder dem Alkohol verfiel war genauso unklar wie die Tatsache, ob ich mein Studium tatsächlich abschließen sollte oder ob es doch besser war, sich eine Ausbildung und damit zumindest überhaupt eine Lebensgrundlage zu suchen.
Plötzlich quälten mich wieder all diese Fragen, vor denen ich mit dieser Reise eigentlich geflohen war. Einfach so nach dem Schulabschluss ins Leben geworfen zu werden, war aber auch dreist und ich verstand jeden, der danach erst mal ein Auslandsjahr machte, um sich seiner selbst klar zu werden. Ich war leider der festen Überzeugung gewesen, zuerst mein Studium zu einem Ende zu bringen und mir dann eine Auszeit zu gönnen. Nur schade, dass ich zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung gehabt hatte, wie zäh sich ein Studium anfühlen konnte, hatte man es erst mal angefangen. Und deswegen lag ich jetzt gerade in diesem Zelt und dachte über meine Gefühle gegenüber dem jungen Mann nach, der draußen auf der Wiese lag und seinen Rausch ausschlief.
Wobei mir auffiel, dass er gar nicht so trinkfest war, wie ich zuerst angenommen hatte. Ein Bier schien noch gut zu funktionieren, aber schon bei zwei der bitter schmeckenden Getränke fing er an, völlig zusammenhanglose Sätze von sich zu geben. Oder es war Starkbier gewesen, so genau hatte ich die Flasche nicht gesehen, als er mir mit ihr vor der Nase herumgefuchtelt hatte.
So versank ich immer weiter in meine Gedanken und gleichzeitig senkte sich eine starke Müdigkeit auf mich herab. Ich kam zu dem Schluss, dass ich sehr wohl etwas für den Boxer empfand, es mir nur die ganze Zeit nicht hatte eingestehen wollen, aus Angst, es zu vermasseln und mich in eine weitere grauenhafte Beziehung zu stürzen. Über diesen Grübeleien schlief ich wenig später ein.
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