2.7. Rückkehr eines Freundes (I)
Sogleich wurden Heinrichs Vermutungen bestätigt: eine neue Gruppe von Reitern war angekommen. Diese war sogleich nach Erreichen des Dorfes von einer Großzahl der Bewohner angehalten und umringt worden, die dem Trupp allerlei neugierige Fragen stellten. Daher kam die große Reitergruppe von 14 Rittern nur noch im Schritttempo vorwärts. Da die Bauern unentwegt Fragen stellten und die Ritter gleichzeitig immer wieder riefen, doch den Weg frei zu machen, entstand dieses große Stimmengewirr, dass man jetzt in ganz Gesken nicht mehr überhören konnte.
Heinrich schritt mit Andreas zur linken und Hugo zur rechten langsam den Hauptweg an der Giebelseite des Gasthauses entlang auf die seltsame Menschentraube zu und blieb dann abrupt stehen, da die umringte Reitergruppe gleich seine Höhe erreicht haben würde. Er stand damit an genau derselben Stelle, an der ihn vor drei Stunden Wilhelm der Ältere angehalten hatte. Nun war er Derjenige, der eine ankommende Schar stoppte.
Als die vielen Bauern ihren Herrn bemerkten, hielten sie mit ihrem Umdrängen inne und ließen den Reitern endlich in der gewünschten Richtung eine Öffnung entstehen. Zugleich ebbte das Stimmengewirr ab.
Heinrich, der die Bauern mit scharfen Blicken zu diesem Innehalten gebracht hatte, sah sich jetzt erst die Reitergruppe genauer an. Sogleich erhellte sich seine Miene, denn er erblickte das Hegeliner Wappen bei einem der Reiter. ‚Er hat es also geschafft!', dachte er erfreut.
Auch die Reitergruppe war nun gänzlich angehalten, da sie den Bernsteiner Grafen vor sich erblickt hatte. Einer stieß plötzlich ein lautes „Ha!" aus, als er Heinrich erblickte, dann trabte dieser Ritter mit zwei weiteren Reitern sogleich aus dem Bauernknäuel auf Heinrich zu und sie hielten direkt vor ihm und seinen Getreuen an.
Heinrich erkannte in dem mittleren Reiter, der zuvor den erfreuten Ausruf getan hatte, August von Hegelin. Dieser nahm seinen Helm sogleich ab, blickte Heinrich verschmitzt lächelnd an und rief dann in seiner unbeschwerten lockeren Art aus: „Teufel noch eins, Bernstein! Da reite ich gerade mal ein paar Meter auf Eurem Territorium, schon erscheint Eure Gestalt direkt vor mir. Seid Ihr es wirklich oder plagt mich erneut irgendeine Narretei der Attanen?!"
Heinrich zeigte sogleich ein fröhliches Lächeln ob dieser Worte und rief dem Hegeliner zu: „Vermögen diese Attanen scheinbar auch Vieles, aber bis hierher nach Bernstein reicht ihre Macht nicht. Ich bin es wirklich und wahrhaftig, Hegelin."
„Dann bin ich froh, Euch unversehrt anzutreffen", entgegnete August sofort. Unvermittelt erhielt seine Miene einen ernsten Ausdruck, als er ergänzte: „In den letzten Tagen ist ja so mancher der Unsrigen unverhofft aus dem Leben gerissen worden."
Heinrich erwiderte nichts darauf, sondern nickte nur mit ebenso ernsthaftem Gesicht bestätigend dazu.
Der Hegeliner wurde sogleich wieder etwas scherzhafter im Ton und fragte: „Aber warum treff' ich Euch dann hier an, Bernstein? Anscheinend seid auch Ihr von der Bauernschaft aufgehalten worden. Die Burschen sind ja wirklich resolut, das muss man schon sagen", fügte er lachend hinzu.
„Sie wussten anscheinend nicht, wen sie vor sich haben.", sagte Heinrich auffällig laut und ernst, wobei er einen scharfen Blick über die Schar der anwesenden Bauern warf. Diese sahen verlegen nach unten und wünschten sich augenblicklich weiter weg. Einige Wenige wandten sich tatsächlich auch sogleich zum Gehen um.
„Ach was, das ist ja eigentlich auch egal", erwiderte August gleich darauf abwinkend, schwang sich behände vom Sattel und ging beschwingt auf Heinrich zu. „Wir wollten heute sowieso nur noch bis zum hiesigen Gasthaus kommen." Er blieb vor Heinrich stehen und deutete auf die Abendsonne hinter der Waldkante. „Oder glaubt Ihr, ich habe Lust und Muße, im Dunkeln nach Hegelin zu stolpern?", ergänzte er dann grinsend.
Heinrich musste bei diesen Worten ebenfalls schmunzeln. „Dann wird es Euch freuen, Hegelin, dass ich mittlerweile denselben Entschluss gefasst habe."
„Ist dem so? Na, das ist doch eine schöne Überraschung!", rief August, wobei er sich zu seinen Männern umdrehte. „Es gibt ja auch allerhand zu berichten", sagte er dann bedeutungsvoll an Heinrich gewandt. Dabei nickte er sinnierend und ließ bewusst eine Pause der Stille entstehen.
„Ja – leider mehr Schlechtes als Gutes", sagte Heinrich ernst, worauf wiederum eine kurze Stille zwischen ihnen eintrat.
Der Graf von Bernstein nahm sich dabei Zeit, sein Gegenüber kurz zu mustern. August von Hegelin hatte sich kaum verändert. Sein ganzes Gesicht wurde eingerahmt von lockigen Haaren, die bis auf die Schultern fielen und die ihre volle dunkelbraune Farbe bereits verloren hatten und immer mehr von silbrigen Fäden durchzogen wurden. Unter einer runden Stirn blickten einem die beiden blassblauen Augen entgegen, die nach wie vor einen freundlichen und zugleich vergnügten Ausdruck ausstrahlten, der durch die beiden kurzen hakenförmigen Augenbrauen noch verstärkt wurde. Die Nase war auffällig schmal und gradlinig. Sein Mund wurde von einem breiten, dunkelbraunen Schnurrbart verdeckt, der bis über die Mundwinkel reichte und an beiden Seiten jeweils noch ein kleines Stück nach unten gewachsen war. Dieser Schnurrbart betonte jedes Lachen des Hegeliners, da er der Mundbewegung folgte. Und August von Hegelin lachte oft und gern.
„Jedenfalls ist es schön, Euch gesund zu sehen", sagte der Hegeliner nach einer kurzen Pause schließlich in einer ruhigen Weise mit ernsthafter Freude und schlug Heinrich kameradschaftlich auf die Schulter. Dieser ließ diesen Akt über sich ergehen und entgegnete dasselbe in ähnlich erleichtertem Tonfall. Nach all den Verlusten gab es auch gute Nachrichten, über die man sich freuen konnte.
Hugo und Andreas staunten nicht schlecht über die plötzlichen Gefühle, die bei ihrem Herrn durch die Ankunft des Hegeliner Grafen ausgelöst wurden. Sie konnten sich nicht erinnern, ihren Grafen in den letzten Wochen irgendwann einmal so gelöst und zuversichtlich gesehen zu haben.
Das lag aber einfach an dem guten Verhältnis zwischen Heinrich von Bernstein und August von Hegelin. Denn letzterer hatte Heinrich von seinem ersten Tag als Graf an gleichwertig behandelt, obwohl sein Nachbar 18 Jahre jünger war. Dies zollte Heinrich mit Respekt und gute Nachbarschaft, so dass ein besonders einvernehmliches Verhältnis zwischen den beiden Grafen entstanden war.
Wie bei keinem anderen Grafen stand Heinrich daher mit August in einer besonderen Verbundenheit, die auf der Basis einer respektvollen Freundschaft fußte. Da sich beide seit Beginn des Feldzuges nicht mehr gesehen hatten, waren sie dementsprechend jetzt natürlich erleichtert darüber, dass der jeweils Andere das Unheil überstanden hatte.
August begrüßte nun Hugo und Andreas und erfuhr von Heinrich mit Schrecken, dass dies sein ganzes verbliebendes Gefolge ist. „Dagegen hattet Ihr ja weit mehr Glück, wie ich sehe", sagte Heinrich dann mit einer knappen Handbewegung zu der Reiterschar hinter August.
„Das kann man sagen, ja", gab dieser unumwunden zu, „wobei auch ich einige wirklich gute Begleiter verloren habe. Außerdem befinden sich noch einige Gäste in meinem Gefolge." Er drehte sich zu der Reitergruppe um und wies auf die linke Seite der Gruppe.
Erst jetzt fielen Heinrich die fünf Ritter auf, die mit ihrer bunten Bekleidung aus der Menge herausstachen. Sie trugen große Umhänge, die auf der linken Seite rot, auf der rechten blau gefärbt waren. Auf der blauen Seite der Umhänge erkannte man unzählige weiße Lilien, die dort in einem bestimmten Abstand eingestickt waren.
‚Frankobarden...', dachte Heinrich sofort, nicht ohne einen gewissen Verdruss.
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