2.3. Unterredung mit den Rittern (II)
Nachdem die Ritter ihren Bericht beendet hatten, seufzten sie einmal tief und schwer und blickten betrübt nach unten. Es entstand eine schwermütige Stille, die das Zimmer spürbar ausfüllte.
Heinrich trat mit langsamen Schritten wieder zurück vor das Fußende des Bettes, auf dem die Beiden immer noch saßen – wenn auch in aufrechter Haltung.
Hugo und Andreas sahen sich einmal kurz an, so als wollten sie sich selbst Mut verschaffen, dann sprach Andreas für sie beide: „Herr...wir...wir wollten Ihnen noch sagen...". Er stockte, wischte sich einmal mit der Hand über das Gesicht.
Dann nahm er nochmals seinen Mut zusammen, atmete tief ein und äußerte sein Anliegen: „Wir wollten Ihnen sagen, dass wir sehr wohl wissen, dass wir falsch gehandelt haben. Wir haben uns eigenmächtig von Ihnen entfernt, ohne dass Sie uns die Erlaubnis dazu erteilt hatten. Wir sind uns bewusst, dass dies Verhalten nicht nur unangemessen, sondern auch eines Ritters unwürdig ist – daher rechnen wir auch mit keinerlei Verzeihung Ihrerseits und erwarten stattdessen eine rechtmäßige Strafe.
Wir nehmen diese gerne auf uns, aber glaubt uns dies Eine: Hugo und ich wünschen uns nichts sehnlicher, als in Eurem Dienst zu bleiben, daher hoffen wir darauf, dass Ihr uns nicht einkerkert oder gar aus dem Dienst als Ehrlose entlässt, sondern dass Ihr für die weitere Zeit uns die Möglichkeit einräumt, zu beweisen, dass uns dieses Verhalten sehr reut."
Andreas sank halb zusammen nach dieser Ansprache. Hugo hatte bei jedem Wort mit Nachdruck genickt. Er hätte nicht im Entferntesten eine derartige Rede hinbekommen, daher hatte er dankbar seinem Mitstreiter das Wort überlassen.
Heinrichs finstere Miene hatte sich inzwischen etwas aufgehellt. Sicherlich hatten sie beide falsch gehandelt, aber angesichts der Tatsache, unter welchen Umständen sie gezwungen waren, dort zu kämpfen, und angesichts dessen, dass so viele der Seinen gefallen waren, konnte Heinrich ihnen nicht ernsthaft ihr Verhalten verdenken. Er selbst kannte die Umstände, denn er war ebenfalls auf diesem gottverdammten Berg gewesen und vor allem hatte er selbst nicht viel anders gehandelt, kam es ihm in den Sinn.
Doch so einfach wollte er es den Rittern auch nicht machen, daher verbarg er nach außen seine soeben beschlossene Absicht, ihnen zu vergeben.
„Euer Verhalten war in der Tat nicht ritterlich", sagte er daher zunächst mit ruhiger Stimme, ohne jede Spur von Verärgerung, aber doch sehr ernst. „Wie die Dinge aber im Moment stehen, kann ich es mir nicht leisten, auf euch zu verzichten – schließlich seid ihr meine letzten verbleibenden Ritter", fügte er dann an und ließ ihnen Zeit, das Gesagte richtig aufzunehmen.
Die Gesichter seiner Ritter verwandelten sich in Mienen des Erstaunens. Das war kein Wunder, denn sie hatten ja noch nichts von den Ereignissen der verbleibenden Bernsteiner erfahren. Daher ging Heinrich nun als Nächstes darauf ein und berichtete ihnen von seinen Erlebnissen – einschließlich von den Dingen, die ihm Johannes von Helmsdorf auf dem Schlachtfeld erzählt hatte.
So erfuhren Hugo und Andreas aus erster Hand, dass der andere Trupp, den Reinhard von Esseln mit Johannes von Helmsdorf an der Spitze nach links geschickt hatte, vollständig aufgerieben worden war – gipfelnd in dem traurigen Schicksal, das ihr Freund und Gefährte Johannes selbst erleben musste, denn auch diese grausame Episode der Schlacht enthielt Heinrich ihnen nicht.
„Wie ihr also seht", schloss er seine Ausführungen, „bin ich momentan nicht in der Position, den wenigen Rittern, die mir verbleiben sind," – er wies mit der linken Hand und einem sarkastischen Blick auf die beiden Angesprochenen – „lange zu grollen, mich über sie zu ereifern oder sie gar aus dem Dienst zu entlassen."
Der Graf blieb stehen und sah sie direkt an. Die ganze Zeit über, während er ihnen den Schrecken der letzten Tage erzählt hatte, war er vor dem Bett auf und abgewandert, auch weil er sich selbst damit ein wenig ermutigen konnte, wirklich Alles zu erzählen.
„Abgesehen davon", sagte er nun, mit unverwandtem Blick auf seine Getreuen, „blieb auch mir angesichts der drohenden Gefahr durch die Golem nichts weiter übrig, als sich davonzumachen. Es war gar nicht mal geplant, sondern ergab sich aus der Situation heraus." Mit Schaudern dachte Heinrich dabei an den Golem, der ihm bis in das Wäldchen nachsetzte.
„Und ihr könnt mir glauben: ich war nicht der Einzige! Ich habe gesehen, wie ein Großteil der Austrianer kehrt machte", fügte der Graf mit Groll in der Stimme hinzu. „Was blieb ihnen auch weiter übrig?!", schnaubte er mit Hohn, „es waren acht oder neun Golem auf einmal aufgetaucht und diese Kreaturen verstanden ihre Arbeit gut."
Mit grimmiger Miene schüttelte er seinen staubigen Kopf, als er sich so deutlich an diesen Moment der Ohnmacht erinnerte. Die Ritter hörten gebannt zu. Sie hatten diese Situation ja nicht mehr erlebt, daher war ihnen sogleich klar, dass sämtliche Feldherren und Edelleute spätestens bei diesem Geschehen nur noch an einen Rückzug gedacht haben mussten.
Heinrich senkte den Kopf und schüttelte immer noch leicht den Kopf. Jetzt da das Geschehen ein Stück weit hinter ihm lag, konnte er es erst richtig in Gedanken nachzeichnen und einordnen. Ihm wurde nun die ganze Niedertracht der Attanen bewusst. Immer wieder hatten sie die stürmenden Angreifer durch Steinlawinen zermürbt und lediglich ab und zu einen Golem auf den Hals gehetzt. Aber erst nachdem sie scheinbar gespürt hatten, dass der Feind am Ende seiner Kraft war, hatten sie eine ganze Abteilung Golem auf sie los geschickt und konnten so nicht nur zu einem alles entscheidenden Finalschlag ausholen, sondern die ohnehin strapazierten und zermürbten Gemüter der Ritter und Edelleute vollends zerschlagen. Kein Wunder, wenn alle Angreifer danach endgültig verschreckt auseinanderstoben.
Der Graf wandte sich wieder seinen Rittern zu: „Wie ihr also nun wisst, kann ich euch kaum für etwas verurteilen, dass ich selbst gewagt habe." Seine Stimme klang abgekühlt – fast schon resigniert. „Dass es soweit kommen konnte, liegt weder in eurer Schuld, noch in meiner – dieser ganze Feldzug war von Anfang an schlecht durchdacht."
Die Ritter nickten zustimmend und waren erleichtert. „Danke, Herr", sagte Hugo mit schwacher, brüchiger Stimme, in der viel Demut mitschwang. Auch Andreas dankte dem Grafen und sagte dann: „Wir hatten die Lage in etwa auch so eingeschätzt. Wir sind froh, dass Ihr diese Ansicht teilt, Herr."
Heinrich nickte. „Und ob ich die teile", erwiderte er mit müder Stimme.
Alle drei schwiegen und dachten bekümmert an die verlorenen Gefährten. Zugleich spürten sie die Wut der Niederlage in ihren Herzen. Ein Jeder erinnerte sich auf seine Weise an den Feldzug, der doch so vielsagend begonnen hatte. Innerhalb weniger Tage waren die ersten Berghöhlen der Attanen erstürmt und ein Großteil dieses wilden Volkes war auf die oberen Berghänge des Gebirgszuges zurückgedrängt worden.
Aber dann schwenkte die Lage um. Kaum war die Heilige Allianz auf den oberen Berghängen, da ließen die Attanen Steinlawinen vom Stapel, so dass man nicht mehr geschlossen vorgehen konnte. Zwar erwischte man viele Wilde durch Pfeile oder mithilfe der Zaubersteine, die jeder Anführer des Feldzuges mit sich führte. Doch nach fünf Tagen waren die magischen Steine aufgebraucht und erst jetzt tauchten die ersten Golem auf. Man kam so gut wie kaum vorwärts und gegen die steinernen Kolosse war man sowieso nicht richtig ausgerüstet.
So kam es schließlich zu der schrecklichen Situation, in der auch die Grafen und Ritter aus Allerlanden verwickelt worden waren: Die Attanen hatte die angeblich so ruhmreiche Allianz der Völker tief ins Gebirge gelockt und zogen nun sämtliche Register, um ihre Feinde vor Ort und Stelle niederzumetzeln.
Das Schlimmste für Heinrich dabei war, dass vor allem die Glaubensherren immer wieder zu diesem Feldzug gedrängt hatten, obwohl sie selbst natürlich nicht in den Kampf gezogen waren! Einfache Priester waren aus bestimmten Ortschaften mitgeschleift worden, um die Schlachtordnung halbwegs durch Segnungen und Predigten Mut zuzusprechen. Aber letzten Endes hatte ihre Hauptaufgabe schließlich nur noch darin bestanden, die letzte Salbung zu verleihen oder Eilbestattungen durchzuführen...
Ein Klopfen riss Heinrich aus seinen Gedanken. Der Medicus trat langsam ein und erkundigte sich vorsichtig, ob die Unterredung nun beendet sei. Der Graf stimmte zu und war froh, auf andere Gedanken zu kommen. „Dann würde ich nun gerne die Nachuntersuchung abhalten", sagte der Medicus daraufhin mit einem dozierenden Tonfall.
Auch Hugo und Andreas hatten sich beim Eintreten des Heilgelehrten entspannt und sagten nun fast wie aus einem Munde: „Oh ja, bitte – dann können wir uns endlich von diesem Bett erheben!"
Heinrich hatte Mühe, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Er wusste, dass es für junge Ritter, wie diese Beiden es waren, nichts Schlimmeres gab, als müßig irgendwo herumzusitzen und auf etwas warten zu müssen. Was immer ihm auch in Zukunft bevorstand – Heinrich ahnte, dass diese Beiden nur darauf brennen würden, sich für ihn und für Bernstein einzusetzen. Diese Erkenntnis verschaffte ihm etwas, was er in den letzten Tagen verloren geglaubt hatte – Zuversicht.
Er spürte, dass er Hugo und Andreas wirklich vergab und es nicht nur gesagt hatte, um sie zu beruhigen. „Dann hoffe ich mal, dass ihr wahrhaft genesen seid", sagte er an sie gewandt. Anschließend blickte er in das klug aussehende Gesicht des Medicus und bedeutete diesem anzufangen. „Ich werde mich nach unten begeben", sagte der Graf schließlich an alle gerichtet, wandte sich um und ging mit festem Schritt hinaus.
Erst als er das Zimmer verlassen hatte, ließ er zu, dass das innerliche Schmunzeln sich auch auf seinem Gesicht ausbreitete.
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