2.2. Unterredung mit den Rittern (I)
Hugo und Andreas wirkten zunehmend erleichtert. Das Gespräch mit dem Grafen verlief einfacher, als sie angenommen hatten. Eine Standpauke für ihr Verschwinden vom Schlachtfeld – das hatten sie eigentlich erwartet und hatten sich dagegen auch schon innerlich gewappnet. Doch Heinrich ging nicht darauf ein, sondern wollte in erster Linie wissen, wie es ihnen ergangen war. Also erzählten sie ihm, was sie nach der Aufteilung von den Anderen erlebt hatten.
Sie waren mit Reinhard von Esseln unterwegs gewesen, um an der Seite der Austrianer weiterzukämpfen. Dabei kamen ständig die Lawinen herunter. Hugo und Andreas berichteten, wie es ihrem Trupp mehrfach gelang, den Steinen auszuweichen. Reinhard von Esseln, der sie angeführt hatte, war oft weite Wege gegangen, um die tödlichen Sturzbäche aus Felsgestein zu umgehen. Aber als dann die Golem auftauchten, konnten sie ihre Formation nicht mehr aufrechterhalten. Viele der Austrianer kamen um – manche einfache Ritter flohen sogar – und schließlich wurden auch fünf Bernsteiner in den Tod gerissen.
„Genau in dem Moment, als Reinhard eine Idee hatte, wie man unbemerkt weiter den Gipfel erstürmen könnte", erzählte Hugo gerade, „kam mit einmal eine Lawine wie aus dem Nichts auf uns zu."
Andreas nickte bei dieser Erwähnung und berichtete dem Grafen zugewandt weiter, der sie beide gebannt anstarrte: „Ja, es war eine Lawine mit viel kleineren Steinen – so als wäre den Attanen kurzzeitig das Mäalström knapp geworden!"
„Und was dann?", hakte Heinrich sofort nach.
„Wir wurden allesamt zu Boden geworfen und Hugo, Franz, Siegfried und ich purzelten den Hang hinunter", fuhr Andreas fort.
„Ja, wir wurden einfach mit den Steinen mitgerissen – ich dachte, dass alle unsere Knochen zum Teufel gehen würden!", fügte Hugo sogleich hinzu, wobei er ein wenig mit den Armen gestikulierte, um diese Szene zu verdeutlichen. „Aber nach einer Weile waren die Steine über uns hinweg und wir kamen zum Stillstand."
„Und was war mit den Anderen?", fragte Heinrich ihn durchdringend, „was war mit Reinhard?"
Hugo und Andreas tauschten einen kurzen Blick. Alle Ritter wussten, dass der Graf besonders viel von Reinhard hielt und ihn bevorzugte, was ein wenig ungerecht war, da auch die anderen Getreuen gewissenhaft ihre Pflichten erfüllten.
„Ihm war es gelungen der Lawine auszuweichen – zusammen mit Karl", antwortete Andreas seinem Herrn, ohne sich das Unverständnis, das er gegenüber der Bevorzugung des Grafen hinsichtlich Reinhards empfand, anmerken zu lassen. „Wir rappelten uns auf und sahen ihn und Karl weiter oben in Kämpfe mit Attanen verwickelt", fuhr Andreas fort. „Sie waren ein ganz schönes Stück entfernt über uns – wir mussten etwa 200 Fuß weit herunter geglitten sein."
Heinrich nickte zum Zeichen, dass er die Umstände verstand. Ihm wurde bewusst, wieviel Hugo und Andreas haben einstecken müssen, aber dennoch wollte er nun auch endlich wissen, was mit seinem besten Ritter, was mit Reinhard von Esseln geschehen war.
„Wir wollten natürlich zurück zu ihnen", mischte sich Hugo nun wieder ins Gespräch, „aber kurz darauf wurden auch wir von Attanen angegriffen – und zwar von sechs zugleich!"
„Sie waren sehr unfair", fügte Andreas hinzu, „und bevor wir wussten was los war, fielen Franz und Siegfried neben uns tot zu Boden und wir zwei sahen uns vier Attanen gegenüber – die anderen zwei hatten wir wenigstens schon zu erledigen gewusst." Der Sarkasmus in Andreas' Stimme war nicht zu überhören.
„Uns gelang es zwei von den Vieren zu erschlagen. Die anderen Beiden hatten offensichtlich genug von uns und liefen davon." Andreas hustete plötzlich kurz auf, so als hätte er noch immer Staub von der Schlacht in der Kehle, erst dann sprach er weiter: „Wir wollten daraufhin gleich zu Reinhard – aber plötzlich tauchte auch noch ein Golem auf, der wohl darauf abgerichtet war, uns von weitem anzugreifen." Andreas schnaubte verächtlich und blickte mit ärgerlicher Miene auf sein Bein.
Hugo wusste, warum die Wut seines Partners aufwallte und setzte den Bericht daher fort: „Er schleuderte Steine und Felsbrocken nach uns. Dabei wurde Andreas am Bein getroffen. Damit war er ausgeschaltet. Ich wusste nicht, wie wir an dem Golem vorbei nach oben sollten." Hugo räusperte sich, es war ihm anzumerken, dass er nicht gern über den Moment sprach, indem er sich entschieden hatte, dass Flucht die einzige richtige Lösung war.
„Es war kein weiterer Ritter mehr in unmittelbarer Nähe um uns", setzte er zögerlich an. „Ich sah zu Reinhard und Karl – hoffte, dass sie unsere missliche Lage sahen und wenigstens sie irgendwas unternehmen konnten – aber als ich dorthin sah, wo sie zuletzt gewesen waren, da..." Der blonde Kopf des Ritters sank betroffen nach unten.
„Was?", fragte Heinrich sofort, „was sahet Ihr?"
Mit gesenktem Kopf warf Hugo seinem Herrn einen ernsten Blick zu. „Ich sah, wie eine Horde Attanen Reinhard packte und ihn einfach mit sich in den Berg zog."
Der Graf sah bestürzt drein. „Sie haben ihn gefangen genommen?!", gab er laut von sich, weniger als Frage, sondern mehr um das Gehörte zu begreifen.
Andreas nickte und nach einer kurzen Pause sagte er mit betroffener, ruhiger Stimme: „Ja. Von Karl fehlte jede Spur – vermutlich ist er auch tot – aber was Reinhard betrifft, so sah ich dasselbe wie Hugo."
Mit zitternder Hand fuhr Heinrich sich langsam über das Gesicht. „Allmächtiger...", gab er dann mit halb erstickter Stimme von sich. Er brauchte nichts weiter zu sagen. Es gab wohl nichts Schlimmeres, als von Attanen gefangengenommen zu werden, denn ein Jeder in Allerlanden wusste, dass diese Wilden ihre Gefangenen aufaßen.
Zu erfahren, dass seinem besten Ritter ein solch abscheuliches Los bestimmt war – ihm, der immer für ihn da war, der von Anfang an eine Stütze seiner Herrschaft gewesen war – dies zu erfahren, gab Heinrich mit einem Mal ein ungeheures Gefühl von unendlicher Ohnmacht. Ihm wurde sogar etwas schwindlig.
Man sah es ihm zwar im Gesicht an, doch seinen beiden Rittern gegenüber würde er nicht zeigen, was im Rest seines Körpers geschah. Sein Herz fühlte sich an, als wäre es ihm in die Knie gerutscht. Langsam und mit ernstem Gesicht ging er zum Fenster, wobei er sich bemühte, nicht im Gang zu schwanken.
Er sah hinaus. Er konnte regelrecht spüren, wie die Blicke seiner beiden (letzten) Ritter sich in seinen Rücken bohrten. Sie waren mit ihrem Bericht noch nicht fertig und brannten aber gleichzeitig darauf zu erfahren, was ihr Graf dachte.
„Das werden sie bereuen."
Es war nur ein Murmeln, aber so nachdrücklich, dass an der Ernsthaftigkeit des Gesagten kein Zweifel bestehen konnte. Heinrich wusste, dass die beiden Ritter ihn vermutlich gehört hatten, aber Hugo und Andreas sagten nichts und taten so, als hätten sie nichts mitbekommen, wofür Heinrich ihnen dankbar war. Immerhin hatte er als Graf die Pflicht, seine wahren Gefühle zurückzustellen und mit Ruhe und Sorgfalt seine Untergebenen zu führen.
„Wie ging es dann weiter", fragte er – wieder mit hörbarer Stimme und weiterhin den Blick aus dem Fenster gewandt.
Hugo ergriff erneut das Wort und schilderte Heinrich mit nervöser, brüchiger Stimme den weiteren Verlauf. Er sprach über ihre Ohnmacht der Situation: Andreas verletzt – Reinhard von Attanen ergriffen – Karl und der Rest gefallen – der angreifende Golem. Kleinlaut und bedrückt gestand er seinem Herrn dann, dass sie nur noch eine Chance in der Flucht sahen.
Er erzählte wie der Golem näher auf sie zu kam, wie mit einem Mal ein austrianischer Gaul in ihrer Nähe vorbeipreschte, der vermutlich durch eine Steinlawine weiter südlich aufgeschreckt und quer über den Hang geflohen war.
Andreas bestätigte Hugos Erzählung ab und zu durch ein leichtes Kopfnicken, da der Graf sich mittlerweile wieder zu ihnen umgedreht hatte. Dann erzählten beide Ritter abwechselnd über den Verlauf der Flucht: wie es Hugo gelang das verschreckte Pferd aufzuhalten und einzufangen und wie sie dann beide anschließend auf dem Gaul geflohen waren, wobei Hugo noch den vom Golem geworfenen Speer in den Arm bekam. Diesen Teil des Geschehens hatten sie bereits dem Priester erzählt, aber auch beim zweiten Mal des Erzählens fühlte es sich nicht leichter an, fest zu wissen, dass man aus Ohnmacht und Angst vom Schlachtfeld geflohen war und damit seinen Herrn im Stich gelassen hatte.
Heinrich hörte sich alles ruhig an und unterbrach sie während ihres Berichtes auch nicht mehr. Einerseits war er innerlich erschöpft, angesichts der Tatsache, dass er seinen besten Ritter Reinhard auf diese grausame Art und Weise verloren hatte, anderseits bemerkte er genauso wie Gerach zuvor, dass die Ritter unbedingt jemandem von ihren erlebten Schrecknissen erzählen mussten – einfach um sich ein Stück weit von den Nachwirkungen dieser grauenhaften Erfahrungen zu befreien.
Zwischendurch erschien der Medicus kurz, weil er die Ritter nochmals abschließend untersuchen wollte, aber nachdem er Heinrichs finsteren Blick gesehen hatte, räusperte er sich nur und gab dann zu verstehen, dass er später wiederkommen werde.
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