Kapitel 2
Ungeduldig trippelte Lisi im Kreis herum. Ray war vor Kurzem auf die Toilette verschwunden und hatte sie alleine gelassen. Da sie sich ja außerhalb der regulären Öffnungszeiten befanden, war auch sonst niemand in dem großen Raum. Dies behagte ihr nicht sonderlich. Ihr war auf Grund der vielen ausgestopften Pferde, die sie alle kalt mit ihren leeren Glasaugen anstarrten, etwas mulmig zu Mute. Argwöhnisch musterte sie ein grau geschecktes Fohlen, das auf einem kleine Podest stand und in ein einfaches, braunes Filztuch gehüllt war. Sein Fell war verklebt und die Augen unsauber angebracht. Überall erkannte man hässliche Nähte und Narben.
„Fohlen mit altertümlicher Kleidung", stand auf einem laminierten Zettel daneben. Lisi schüttelte angewidert den Kopf. Wie konnte man ein Pferd in seiner Würde nur so missachten. Nicht einmal eine Jahreszahl oder gar eine nähere Beschreibung war vorhanden. Nur eine ungenaue Bezeichnung, die viel Interpretationsspielraum lies. Zu viel.
Das Tier war wahrscheinlich einfach ein gewöhnliches Fohlen dieser Zeit gewesen, das einen frühen Tod erlitt und jetzt musste es sein Dasein als räudige Figur in einem Museum fristen.
Wut stieg in ihr auf. Und hier wollte sie mit den Schülern hingehen? Die würden doch bei dem Anblick glatt in Ohnmacht fallen oder sich übergeben. Dann müssten Ray und Lisi die Reinigung bezahlen. Gruselige, ausgestopfte Pferde in einem Museum aufzustellen war also ziemlich unverantwortlich. Schließlich hatte sie keine Lust zwanzig traumatisierte Fohlen zum nächstbesten Psychiater zu schleppen.
Eine weitere Welle blanken Zornes packte sie. Der Puls begann zu rasen und das Blut rauschte in ihren Ohren. Was fiel diesen Museumsleuten ein, einfach echte Pferde auf solch eine entwürdigenden Weise darzustellen? Dieses Handeln verstieß deutlich gegen das Grundgesetz!
„Artikel 1, Absatz 1: Die Würde des Pferdes ist unantastbar. sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Selbst Fohlen wussten das!
Ihr Herz pochte wild in der Brust und raubte ihr alle Sinne. Schnaubend holte sie aus und schlug zu. Ihr Vorderhuf krachte voller Wucht gegen das „Fohlen in altertümlicher Kleidung". Sie sog scharf die Luft ein. Das war nicht der Plan gewesen.
Wie in Zeitlupe löste sich das Präparat von dem niedrigen Podest und kippte zur Seite um. Mit angehaltenem Atem verfolgte die Stute, wie es hart und steif auf den Boden aufschlug und seinen braunen Filzmantel unter sich begrub.
„Shit!", entfuhr es ihr. Sofort spannte sich ihr ganzer Körper an. Sie war noch nie so weit gegangen etwas mutwillig zu zerstören. Nicht einmal in ihren wildesten Jahren war sie auch nur auf die Idee gekommen etwas Derartiges zu tun. Was war nur in sie gefahren? So leicht rastete sie doch sonst nie aus.
Plötzlich flog eine weiße Tür im hinteren Bereich der Halle auf und Lisi sah sie einen großen, schwarzen Shire Hengst mit donnernden Hufschlägen auf sich zu galoppieren. Ihr schwante, dass sie den Museumsdirektor höchstpersönlich vor sich hatte. Das würde ein Donnerwetter geben...
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