Kapitel 6
Bunte Lichter und ein beißender Geruch nach Alkohol schlugen Feivel entgegen. Wie benebelt vom Lärm der johlenden Menge und dem dröhnenden Bass, taumelte er auf die Wiese.
Nahezu sämtliche Studenten der Winters Academy schienen auf dem Platz versammelt. Es waren bestimmt über 1000 Pferde anwesend, die sich entweder lautstark in Grüppchen unterhielten, übel riechende Getränke aus Pappbechern schlürften oder über die Tanzflache rotierten. Feivel war sich noch nicht sicher, ob er sich mit einer derartigen Atmosphäre anfreunden konnte. Zwar waren ihm große Pferdemengen eigentlich nicht sonderlich geheuer, doch in der Anonymität der Dunkelheit verspürte er dennoch so etwas wie Sicherheit.
Plötzlich wurde der Hengst von etwas angerempelt. Erschrocken schnaubend fuhr er herum und sah suchend um sich.
Eine schon leicht angetrunkene Schimmelstute mit langer, brauner Mähne und andalusischem Körperbau schaute zu ihm auf. „'Tschuldigung, ist echt viel los hier." Sie musste sich bemühen, laut genug zu sprechen, da der Lärm der Feier ohrenbetäubend war.
Er nickte. „Schon gut."
„Komm, wir holen uns was zu Trinken", schlug die Stute vor und schob sich ohne eine Antwort abzuwarten an einigen grölenden Pferden vorbei in die Menge.
„Warte, wer bist du überhaupt?" Feivel eilte ihr nach. Jetzt schon war er vollkommen überfordert mit der ganzen Partysituation, obwohl er erst seit höchstens fünf Minuten hier war.
Zielstrebig wühlte sich die Schimmelstute über den Platz und kam schließlich am Getränkeausschank zum Stehen. Da sie ein erstaunlich flottes Tempo vorlegte, hatte Feivel Mühe mit ihr mitzuhalten.
Keuchend bremste er neben seiner neuen Bekannten ab, die bereits dabei war, etwas bei dem Apfelschimmel hinter der instabilen Theke zu ordern. Der Stand bestand aus einem notdürftig vor der Hauswand aufgestellten Klapptisch und war umringt von Pferden.
„Bitteschön!" Dreckig grinsend schob der Apfelschimmel der Stute vor sich zwei Pappbecher zu, die er mit einer undefinierbaren Flüssigkeit befüllt hatte. Rick Baylee. Wer sonst würde freiwillig diesem Job übernehmen. Feivel vermutete, dass Ray seinen Kumpel dazu genötigt hatte, sich heute Abend um den Ausschank zu kümmern, da sich niemand anderes dafür bereiterklärt hatte. Glücklicherweise war der Fuchsschecke selbst nirgendwo zu sehen.
„Ich bin übrigens Clementine." Die Stute drehte sich zu Feivel um und reichte ihm einen der Becher.
„Ich heiße Feivel", stotterte er und nahm das Getränk zögerlich entgegen.
Als Rick sah, mit wem Clementine da redete, schüttelte er ungläubig seine ungepflegte Mähne. Kühles Schnauben entwich seinen Nüstern. Sein Gesicht nahm einen eisigen Blick an, ehe er grimmig davon trabte. Seinen Stand lies er einfach zurück.
„Was ist denn mit dem los?" Mit einem herablassenden Ausdruck sah Clementine dem Apfelschimmel nach.
„Ist doch egal...", murmelte Feivel, auch wenn er nicht ganz dieser Meinung war. Ein unwohles Gefühl kroch seinen Nacken hinauf. Möglicherweise würde Rick Ray holen. Zwar schien er nicht wirklich gefährlich, aber wer wusste schon, was der Hengst sich wieder in den Kopf gesetzt hatte. Ein Schauder jagte Feivels Rückgrat hinab, als er sich an dessen eisig blauen Blick erinnerte.
„Und, was machst du so hier?" Clementine stieß ihn lächelnd in die Seite.
Feivel empfand sie als ein wenig zu aufdringlich für seinen Geschmack. Eigentlich hatte er gar keine Lust, sich mit irgendeiner unbekannten Stute zu unterhalten. Skeptisch betrachtete er seinen Pappbecher und beobachtete, wie Clementine den Inhalt in einem Zug herunterkippte. Als sie nicht auf der Stelle tot umkippte, wagte auch Feivel, vorsichtig daran zu nippen. Ein beißender Geschmack machte sich in seinem Maul breit und er spuckte das Gebräu sofort wieder aus. Trocken antwortete er: „Studieren."
„Wow, hätte ich jetzt nicht vermutet." Kichernd wankte Clementine neben ihm herum. Sie musste wohl doch schon etwas mehr intus haben, als er zuerst vermutet hatte.
„Hey!"
Erschrocken fuhr Feivel zu dem Ausruf herum. Er erwartete schon das Schlimmste, als er sah, dass nicht er gemeint war. Es war nur ein Brauner, der irgendetwas von dem Pferd neben sich wollte. Trotzdem beruhigte sich der Herzschlag des gepunkteten Hengstes nicht. Von jetzt auf gleich war sein Puls auf 180. Unaufhörlich flogen seine Augen durch die Menge, stetig auf der Suche nach einem gewissen Fuchsschecken.
„Und warum studierst du hier?" Clementine schien seine Anspannung gar nicht zu bemerken. Sie war viel zu beschäftigt damit, ihr Gleichgewicht zu bewahren. Gleichzeitig grabschte sich sich einen weiteren Pappbecher und lies den Leeren einfach zu Boden fallen. Dort lagen schon zahlreiche andere Dinge, die hier definitiv nicht hingehörten. Die Person, die das morgen aufräumen durfte, würde sicher sehr begeistert sein.
„Weil ich Naturwissenschaften mag." Unruhig scharrte Feivel mit dem Huf und stellte sein Getränk einfach auf den Tisch zu den anderen zurück.
In der Hoffnung Clementine irgendwie abschütteln zu können, lief er ein Stück von dem Stand weg. Doch die Stute folgte ihm wie ein Hündchen und brabbelte einfach weiter und erzählte lallend irgendetwas über ihre Lieblingsfächer. Feivel derweil versuchte den tanzenden und wild wiehernden Leibern auszuweichen, die in seinem Weg herumsprangen. Auf einmal spürte er Clementines lange seidige Mähne an seiner Schulter. Ziemlich bewusstlos wirkend schmiegte sie sich an ihn und gurrte vor sich hin. Skeptisch inspizierte Feivel sie. Er beschloss, niemals so viel Alkohol zu trinken, dass er den Abend beendete, indem er an irgendeiner Stute klebte.
Leicht angewidert schob er die Schimmelstute von sich. „Ich glaube, ich muss jetzt gehen." Dann riskierte er zumindest nicht, doch noch auf Ray zu treffen. Außerdem fand er es hier in dieser lärmenden Atmosphäre sowieso nicht wirklich berauschend.
„Nein, Feivel, geh nicht! Wir haben uns noch so viel zu erzählen!" Beinahe kläglich jammerte Clementine ihm direkt ins Ohr. Sie sabberte dabei sogar ein wenig sein Fell an.
„Nein, haben wir nicht." Entschieden stieß er sie von seinem Gesicht weg. Er war erstaunt, dass sie sich überhaupt seinen Namen merken konnte. Obwohl Feivel sich etwas unwohl dabei fühlte, sie einfach hier zwischen all den verrückten Besoffenen zurückzulassen, trabte er auf den Ausgang des Gartens zu. Andererseits war Clementine ja auch eine dieser verrückten Besoffenen, sie fand bestimmt jemand anderen, den sie nerven konnte. Sicherlich hatte sie ihn innerhalb der nächsten paar Minuten sowieso schon wieder vergessen.
Erleichtert aufatmend schloss er die Tür hinter sich und sperrte die wummernde Musik und das Geschrei damit einfach aus. Augenblicklich breitete sich wieder eine gewisse Ruhe in seinem aufgewühlten Körper aus. Solche Partys waren ihm definitiv zu stressig.
Langsam drehte er sich um. Der Gang des Gebäudes C, der den einzigen Weg vom Garten in den Innenhof darstellte, lag dunkel und gespenstig vor ihm. Die Türen der verschiedenen Büros ließen sich nur wage ausmachen, doch das Licht anzuknipsen war keine Option. Er wollte keine unnötige Aufmerksamkeit irgendwelcher verirrten Pferde erregen. Also tapste der gepunktete Hengst durch seine eingeschränkte Wahrnehmung zögerlich durch den Korridor, bis er endlich den Eingangsbereich erreichte. Die Photographien an den Wänden, die John Winters, Newton und Co zeigten, starrten ihn aus ihren leeren Augen an. Schnell schüttelte Feivel seine kurze Stehmähne und wandte den Blick ab. Mit einer raschen Bewegung stieß er die gläserne Tür des Gebäudes auf und schritt wieder ins Freie. Die kühle Nachtluft empfing ihn mit ihrer beruhigenden Aura. Gähnend setzte Feivel sich in Bewegung. Er hatte gar nicht bemerkt, wie müde er bereits war, die Party hatte ihm doch mehr zugesetzt, als er zuerst vermutet hatte. Er war offensichtlich nicht gemacht für das Nachtleben.
Und dann plötzlich, ein Knarzen. Es war kein wirklich lautes Geräusch, dennoch zerriss es die Stille der Nacht wie ein dünnes Stück Papier.
„Hallo?" Feivels Müdigkeit war verfolgen. Hecktisch sah er sich nach allen Seiten um, doch es war zu dunkel, um Genaueres erkennen zu können. Seine Hufe scharrten über den Kies und er gab ein stummes Wiehern von sich, das eher wie ein ängstliches Röcheln klang.
Schritte. Sie kamen näher, doch die zugehörige Person schien noch immer in der Finsternis verborgen.
Die Umgebung kam Feivel auf einmal wie ein bedrohlicher Schlund vor, der nur darauf wartete, ihn blutrünstig zu verschlingen. Er hielt den Atem an und wagte nicht, sich zu bewegen. Wie versteinert verharrte er auf der Stelle. Nur sein eigener Herzschlag pochte unangenehm laut in seinen Ohren. Was immer dort im Nirgendwo lauerte, er hatte nicht vor es herauszufinden.
„Wen haben wir denn hier?" Eine zischend kalte Stimme erhob sich über die Stille der Nacht.
Das Blut in Feivels Adern gefror. Mit aufgerissenen Augen starrte er die Gestalt an, die sich bedächtig aus den Schatten löste und in das spärliche Licht trat, das aus den Fenstern der Winters Academy nach draußen drang. Zunehmend erkennbar zeichnete sich die Silhouette eines Pferdes vor dem bläulich gelben Scheich ab.
„Ray- Raymon, was machst du hier?" Mit aller Kraft versuchte Feivel die Panik in seiner Stimme zu unterdrücken, dennoch drang ein abgehacktes Schnauben aus seiner Kehle. Sein Thorax fühlte sich an, als hätte man ihn gnadenlos zusammengeschnürt. Flach atmend blickte er zu dem Fuchsschecken auf, dessen grobe Züge in der nächtlichen Beleuchtung noch kantiger erschienen. Sein Fell glänzte grau im Mondschein und wirkte wie ein undurchdringbarer Panzer aus Metall.
„Du bist doch dieser Feivel Cooper, nicht wahr?", zischelte Ray zwischen zusammen-gebissenen Zähnen hervor und näherte sich ihm immer weiter.
Eingeschüchtert wich Feivel zurück. „J- Ja", presste er mit dünner Stimme hervor und bereute im nächsten Moment sofort wieder, dass er überhaupt geantwortet hatte.
Der Hengst trat dichter und dichter an ihn heran. Feivel stakste mit zitternden Beinen rückwärts und wagte kaum zu atmen. Plötzlich spürte er die kalte, steinige Wand des Gebäudes an seinem Schweif. Schmerzhaft bohrten sich die harten Fragmente der Mauer in seine Hinterbeine, als er sich verzweifelt nach einem Ausweg suchend dagegen presste. Doch es war zwecklos, Ray hatte ihn in seiner Gewalt.
Ohne Gnade drückte er seinen hilflosen Kommilitonen noch weiter gegen die Wand. Feivel wand sich in Raymons Fängen, doch er war förmlich eingeklemmt zwischen dem Haus und dessen Körper.
Ein wutentbranntes Schnauben entwich dem Schecken. „Halte dich bloß von meiner Mutter fern", knurrte er drohend. „Sonst wird es dir noch Leid tun."
Feivel wusste noch immer nicht, was hier eigentlich los war. Was hatte er falsch gemacht?
„Ich...", setzte er brüchig an.
Mit einem heftigen Stoß gegen den Hals brachte Ray ihn zum Schweigen. Dann drehte er sich um, versetzte dem gepunkteten Hengst noch einen letzten, harten Tritt in die Seite und galoppierte einfach in die Nacht davon. Die Dunkelheit verschluckte ihn wie ein düsterer See einen hineinfallenden Stein und Feivel blieb alleine zurück. Vor Schmerz gekrümmt lag er am Boden.
Wenn das mal nicht ein paar ordentliche Hämatome gibt, weiß ich auch nicht, dachte er keuchend.
Er lauschte den Hufschlägen, bis sie schließlich in der Finsternis verhallten und rappelte sich mühsam auf. Zahlreiche Kieselseine hingen in seinem Fell und seine Hinterbeine waren aufgeschürft und brannten wie Feuer. Außerdem fühlte sich seine Brust seltsam zerquetscht an. Elend stöhnend humpelte er in Richtung seines Schlafraumes. Eines wusste er nun. Ray war gefährlicher, als er zunächst angenommen hatte.
∞
Als Feivel erwachte, war jede Faser seines Körpers von unsäglichem Schmerz geplagt. Ächzend wälzte er sich in seinem Bett herum. Mit Mühe richtete er sich auf und warf einen Blick auf seinen Wecker. 7 Uhr.
Schwerfällig erhob Feivel sich aus den Laken und streckte sich vorsichtig. Sein Körper schmerzte und das unangenehme Brennen der aufgeschürften Stellen war noch stärker geworden. Unweigerlich kehrten die Erinnerungen an Ray zurück. Ein Schauer überkam ihn, als er an seine finsteren Worte dachte. Halte dich von meiner Mutter fern.
Ein weiterer Blick schweifte zur Uhr, als er versuchte, Rays kantiges Gesicht aus seinem Gehirn zu verbannen. Vielleicht wäre baldiges Aufstehen angebracht. Um Acht hatten er und Simon wieder Pflanzenkunde bei Dr. Baker.
Langsam tapste er Richtung Tür. Weder Simon noch ihr bisher noch immer unbekannte dritte Zimmergenosse waren im Raum. Der kleine Schecke war vermutlich schon auf. Der Unbekannte hingegen hatte das Zimmer wohl noch nicht einmal betreten, denn das zugehörige Bett war unberührt und leer wie eh und je. Langsam glaubte Feivel, dass es gar keinen Zimmergenossen gab.
„Auch gut", murmelte er gedankenverloren. Der gestrige Vorfall mit Ray steckte ihm noch immer tief in den Knochen. Es war ihm noch immer unklar, weshalb genau der Fuchsschecke ihn so zugerichtet hatte. War es aus Neid, weil Prof. Winters ihn mehr lobte als ihren eigenen Sohn? Feivel beschloss, Rays Befehl, sich von seiner Mutter fernzuhalten, vorerst zu befolgen. Ein weiteres Mal konnte er definitiv auf ein derartiges Zusammentreffen mit dem Hengst verzichten.
Als Feivel die Treppe zum Innenraum der Cafeteria hinabgetrottet kam, wurde er von etlichen leeren Tischen empfangen. Die Party schien den meisten Studenten ziemlich zugesetzt zu haben. Wenn er an den Alkoholkonsum von Clementine dachte, die er gestern etwas unfreiwillig kennengelernt hatte, war das nicht wirklich verwunderlich.
Der gepunktete Hengst bahnte sich seinen Weg an ein paar vereinzelten müden Gesichtern vorbei zum Buffet. Der süße Duft von frischen Brötchen und Obst wehte ihm entgegen.
Mit vollgeladenem Teller und einer dampfenden Tasse Kaffe im Schlepptau, machte er sich auf die Suche nach einem Platz. Vielleicht waren Simon und Skyla ja irgendwo anzutreffen.
Wie erwartet befanden sich die beiden Ponys fröhlich plaudernd an ihrem Stammplatz im Freien. Von Simons gestriger Unzufriedenheit war nicht der geringste Hauch mehr zu erkennen. In Anwesenheit der zottigen Palominostute schien er wie ausgewechselt.
„Morgen ihr beiden." Feivel trat an den hölzernen Tisch heran und bemühte sich, seine Schmerzen so gut es ging zu verbergen. Die zwei Turteltäubchen sollten sich keine unnötigen Sorgen um ihn machen. Ray hatte ihn gewarnt und er würde seine Anforderungen erfüllen. Auch wenn ihm nicht ganz wohl bei der ganzen Sache war, setzte er ein gezwungenes Lächeln auf und verbannte die Gedanken an Ray und dessen fragwürdige Mission fürs Erste aus seinem Kopf.
„Hey, Feivel." Skyla sah zu ihm auf und rückte ein Stück zur Seite, damit er auch Platz am Tisch fand.
„Was hast du gestern noch so gemacht?" Mit einem knirschenden Geräusch biss Simon ein Stück von seinem Nutellabrötchen ab.
„Ach, nichts Besonderes." Abwinkend schüttelte Feivel den Kopf und stellte sein Tablet ab. „Ich hab kurz bei dieser Party drüben im Garten vorbeigeschaut, aber die war so furchtbar, dass ich direkt wieder abgezwitschert bin." Er bemühte sich zu einem gleichgültigen Schulterzucken. Seine Anspannung war noch immer viel zu präsent. Die ganze Zeit hatte er das Gefühl, als säße Ray ihm unmittelbar im Nacken. Doch zum Glück waren die anderen viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie es bemerken würden.
Da zuckte Simons linker Mundwinkel plötzlich schelmisch nach oben. „Und wer ist dann diese Stute, die dich da gerade anstarrt?" Er schielte in Richtung eines der anderen Tische.
„Was?" Feivel fuhr herum. Er hatte keine Ahnung, was sein Kumpel meinte. Doch da sah er sie. Die Schimmelstute hockte einige Meter von ihnen entfernt, stocherte in ihrem Müsli herum und schaute schon seit geraumer Zeit unauffällig zu ihnen herüber. Ihre lange, hellbraune Mähne war heute zu einem hübschen französischen Zopf geflochten und sie trug ein glitzerndes Knotenhalfter.
„Clementine...", murmelte der gepunktete Hengst leicht genervt und versuchte so zu tun, als hätte er sie nicht bemerkt.
„Clementine?" Fragend stupste Simon ihn an. „Sag schon, wer ist sie?"
Augenrollend drehte Feivel sich zu ihm um. „Das weiß ich auch nicht so genau. Sie ist mir gestern die ganze Zeit nachgelaufen. Ich dachte eigentlich, sie erinnert sich nichtmehr an mich."
Er hatte die Wirkung des Alkohols wohl doch ein wenig überschätzt, denn jetzt stand die Schimmelstute auch noch auf und lief lächelnd auf ihn zu. „Hallöchen Feivel!" Mit leicht aufgerissenen Augen blickte sie ihn an und blieb direkt vor ihm stehen. Sie verhielt sich genauso aufdringlich wie gestern. Nur ihr Gang wirkte wesentlich sicherer.
Feivel richtete sich abwehrend auf. „Äh, hallo..." Hilfesuchend schielte er zu Skyla und Simon hinüber, doch die hatten sich lässig zurückgelehnt, um das Spektakel zu beobachten.
Ewas verzweifelt musterte Feivel das förmlich leuchtende Gesicht seines Gegenübers. „Ich glaube, ich muss dann mal... weg." Ohne die Reaktion der Schimmelstute abzuwarten, raffte er sein Tablett zusammen, trug es nach drinnen zur Abgabe und rauschte die Treppe hinauf zu seinem Zimmer. Die Rufe der anderen ignorierte er einfach. In diesem Moment war es ihm ziemlich egal, dass er Simon und Skyla einfach mit der nervigen Clementine alleine gelassen hatte. Sie würden schon mit ihr fertig werden. Im Augenblick hatte er wirklich andere Sorgen, als sich mit seiner unfreiwilligen Partybekanntschaft abzugeben.
Erleichtert seufzend schloss er die Tür hinter sich. Die Stille war wirklich angenehm. Hoffentlich kam Clementine nicht auch noch auf die Idee ihm zu folgen. Kopfschüttelnd begann er nach seiner Tasche zu suchen, die er gestern hier irgendwo abgelegt haben musste. Was war nur mit allen los? Seit er hier in der Winters Academy angekommen war, hatte er keine ruhige Minute mehr gehabt. Erst Ray und jetzt auch noch Clementine. So viel Action war er nicht gewohnt. Als schüchterner Außenseiter war damals an der Jefferson High nichtmal annähernd so viel passiert. Noch war er sich nicht sicher, ob er diesen Wandel als gut oder schlecht einstufen sollte.
Nachdem Feivel seine Tasche unter dem Bett gefunden hatte, stopfte er schnell noch einen Block und ein paar lose Stifte hinein. Danach trat er wieder in den Flur. Er hatte vor, sich zum Computerraum zu schleichen, denn die bescheuerten Pflanzensteckbriefe für Dr. Baker kopierten sich nicht von alleine. Umso besser, wenn ihm auf diese Weise einem weiteren Gespräch mit Clementine entging.
Leise huschte Feivel die Stufen hinab. Obwohl die ganze Situation irgendwie seltsam und anstrengend war, fühlte er sich dennoch so lebendig wie noch nie.
Aufgeregt klopfte das Herz in seiner Brust, als er eilig galoppierend den Hof überquerte. Unwillkürlich schlich sich ein Grinsen auf sein Gesicht. Er war definitiv die richtig Entscheidung gewesen, diese Uni zu besuchen. Sein Leben hatte eine Wendung genommen. Endlich war er aus seiner langweiligen Welt entkommen und da angelangt, wo er schon immer hingehörte. Das konnten ihm weder eine aufdringliche Clementine, noch der wütende Ray kaputt machen.
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