Weihnachtsferien
Seit dem Streit mit Mary versuchte diese, sich Lily wieder anzunähern. Doch allein der Gedanke daran, wie Mary und James gemeinsam zum Altar schritten, sorgte dafür, dass Lily immer neue Ausreden dafür fand, nicht in ihrer Nähe zu sein.
Auch Potter versuchte sie möglichst zu vermeiden, sobald er in ihr Sichtfeld kam. Allerdings gestaltete sich dies als schwieriger als gedacht und Lily wunderte sich immer mehr, wie sie es in den Jahren zuvor immer geschafft hatte, ihm aus dem Weg zu gehen.
Zu allem Übel hatte Sirius eines Morgens entschlossen, sich von nun an im Unterricht zu jedmöglicher Zeit neben Laura zu setzen, was die ganze Sitzordnung der Gruppe durcheinanderbrachte und letztendlich dazu führte, dass es nur zwei freie Plätze gab: neben Mary oder neben Peter.
Für Lily war sofort klar, dass sie sogar neben Snape sitzen würde, um nicht Potter oder Mary neben sich zu wissen, weshalb sie sich ohne groß zu überlegen auf den freien Platz neben Peter quetschte, bevor Potter den Tisch erreichte.
Sein genervter Blick war eine große Genugtuung, den er Lily zuwarf während er sich auf den einzig freien Platz neben Mary setzte. Mit einer hochgezogenen Augenbraue lächelte sie ihn provokant an und warf schwunghaft ihre Tasche auf den Tisch, um Buch, Feder und Pergament herauszufischen.
Sirius' eindringlicher Blick zu Peter, welcher verzweifelt fuchtelte, entging ihr dabei nicht.
„Gibt's ein Problem?", fragte sie Sirius, ihr provokantes Lächeln weiterhin aufgesetzt. Dieser atmete kurz tief durch, eher er Lily gespielt lässig ansah und mit einem trockenen „nein" antwortete.
So ging das schon einige Tage. Und obwohl Lily zugeben musste, dass die Spannung zwischen ihr und Potter definitiv spürbar sein musste in der Gruppe, ließen sich ihre Freunde dies entweder nicht anmerken oder hatten sich bereits damit abgefunden.
Selbst als sie die ersten Ordenstreffen in dem mit Dumbledore abgesprochenen, leeren Klassenzimmer nach Unterrichtsende abhielten, stand zwischen Lily und Potter eine unsichtbare Wand.
Lediglich zum Duellieren war Lily dazu bereit, sich mit Potter aufzustellen. Doch selbst daran verlor sie ihr Interesse, nachdem er sie ohne Gegenreaktion gewinnen ließ und nicht einmal dann abwehrte, als sie ihn mit einem Expeliarmus quer durch den Raum schleuderte.
Das Duell musste unterbrochen werden, da Lily sämtliche Flüche auf den liegenden Potter hetzte. Dass Delvaux ihr anschließend verbot, weitere Duelle gegen Potter ausführen, war für sie kein weiterer Verlust. So musste sie nicht mehr aktiv in sein kapitulierendes Gesicht blicken.
Umso mehr freute es Lily, als endlich die Weihnachtsferien vor der Tür standen und sie ihn somit zumindest eine Woche nicht sehen musste.
Selbst ihre letzte Hürde vor den Weihnachtsferien war überwunden, als sie bei der Slug-Club-Weihnachtsfeier feststellte, dass Potter mit Abwesenheit glänzte. Erleichtert atmete sie auf, als sie den Raum betrat und ihn nicht ausfindig machen konnte.
An dem Abend war die Stimmung ausgelassen, da nun für zumindest eine Woche keine Aufsätze anstanden und die meisten wie Lily die Ferien nicht im Schloss verbrachten.
Lediglich Ruby Flint schien nicht ganz ausgelassen zu sein. Da sie nun volljährig war, entschied man sich dazu, ihre Hochzeit auf die Weihnachtsferien zu datieren. Es wurden bereits Wetten abgeschlossen, ob sie das siebte Schuljahr denn überhaupt anschließend weiterführte oder ob sie nach den Weihnachtsferien nicht mehr auftauchen würde.
Vermutlich entschied sich Slughorn deshalb dafür, das Gruppenfoto für diesen Jahrgang an ebendieser Weihnachtsfeier schießen zu lassen. Mit gezwungenem Lächeln stand Ruby am Rand und hob wie die anderen ihr Glas. Lily kam nicht umhin, ihr kurz einen mitleidigen Blick zuzuwerfen, ehe sie schnell in die Kamera lächelte, nachdem Kate, welche hinter ihr stand, ermahnend in den Rücken kniff. „Auf den guten Kirschwein!", johlte Marlene grinsend, woraufhin alle leise lachten.
„Wundervoll", schwärmte Slughorn, kaum dass der Blitz in der Luft mit einer Rauchwolke verdampfte und beugte sich bedrückt zu Lily. „Schade, dass uns Mr. Potter heute nicht beehren kann, nicht wahr?"
„Jaaah, sehr schade", erwiderte Lily gespielt enttäuscht. Doch innerlich war sie mehr als erleichtert. Sein Gesicht auf diesem Erinnerungsfoto sehen zu müssen, wäre mehr als nur eine Zumutung für ihr zukünftiges Ich gewesen.
Nachdem Kate noch ein paar weihnachtliche Lieder hatte trällern müssen, klebten sie und Lily den restlichen Abend aneinander und tuschelten aufgeregt über die bevorstehende Hochzeit in wenigen Tagen, während sie es sich mit Wein und Leckereien gut gehen ließen.
Auch am nächsten Mittag war die Aufregung deutlich zu spüren, als die vier Freundinnen ihre Koffer aus dem Zug hievten, durch die Wand gingen und sich fröhlich schnatternd am Gleis 9¾ verabschiedeten.
Kates Mutter erwartete Kate und Lily bereits mit einem breiten Grinsen und fröhlich winkten die zwei Mädchen ihr zu, um mit ihnen nach Inverbervie zu apparieren.
Im Haus der Campbells war es mollig warm und es duftete herrlich nach Truthahn und Früchtekuchen.
In Lilys Mund lief das Wasser zusammen als Serena Campbell stolz den gestopften Braten auf den Tisch platzierte.
„Haut rein!", rief sie fröhlich.
Das ließen sich die beiden nicht zweimal sagen – und so hörte man neben dem fröhlichen Geschnatter im Haus das Geschirr klappern.
Cináed Campbell war ein herzlicher Mann und Lily erkannte in seinen Augen das Funkeln seiner Tochter Kate wieder. Er hatte über die Feiertage frei und man spürte die Freude über seine Anwesenheit. Da der Abteilungsleiter von Heilung und Medizin seit einigen Monaten spurlos verschwunden ist und er diesen Posten derweil vertrat, hatte er bei seiner Arbeit im Ministerium viel zu tun und war demnach sehr selten zuhause.
Doch durch die Arbeit hatte er viele Anekdoten zu erzählen, weshalb alle am Tisch Tränen lachten und sich die Bäuche heben mussten.
„...Und erst neulich wurde wieder einer im St. Mungos eingeliefert, der sich an dem Animagus-Zauber versuchen wollte." Aufmerksam setzte sich Lily auf.
Dass der Prozess nicht einfach ist, haben sie bereits vor ein paar Jahren einmal im Unterricht gelernt.
„Und was ist genau passiert?", fragte sie neugierig.
Serena giggelte – sie kannte die Geschichte wohl bereits. Doch auch Kate lehnte sich vor, um seine Antwort zu erfahren. „Als was hätte er sich denn verwandelt?"
„Naja", erwiderte Cináed und strich sich genüsslich über seine dunkelblonden Koteletten. „Sagen wir, richtig atmen kann er nun nicht mehr durch seine Schweinsnase!"
Kate grunzte lachend auf – und als ihr Vater lachend erwiderte, dass es bei dem Patienten genau so klang wie bei seiner Tochter gerade, konnte sich Lily beinahe nicht mehr auf dem Stuhl halten.
Später am Abend belagerten die Mädchen Kates Vater, welcher entspannt in einem Ohrensessel vor dem Kamin saß und genüsslich an seiner Feuerpfeife zog. Fasziniert beobachteten sie, wie er mit seinem Zauberstab den Rauch, den er ausblies, in einen kleinen Wirbelsturm zwirbelte, ehe dieser sich langsam in der Luft auflöste.
In der Küche hörte man, wie Serena mit dem Geschirr hantierte und leise vor sich her summte.
„Arbeiten Sie schon immer im Ministerium?", fragte Lily neugierig. Sie hatte sich neben dem Sessel auf dem Boden niedergelassen und ihr Kinn auf eine ihren Händen gestützt, während die Ellenbogen in die Sessellehne drückten.
Cináed schaute sie mit interessiert funkelnden Augen an. „Tatsächlich nicht", erwiderte er. „Ich habe eine Ausbildung zum Heiler gemacht. Das war auch sehr spannend."
Gespannt drückte Lily ihren Rücken durch. Ein gelehrter Heiler! „Haben Sie sich im St. Mungos ausbilden lassen?", bohrte sie nach.
„Ich war 3 Jahre im St. Mungos und anschließend ein Jahr in Aix-les-Bains in der Institution de Guérison Magique du France, kurz IGMF, um ein wenig internationalen Einblick in magischen Heilmethoden zu erlangen."
Ein erstauntes „Ooh" entwich ihr, doch er fuhr unbeirrt fort. „Dieses Wissen verhalf mir, einen Platz im Ministerium zu bekommen – was überaus ereignisreich ist, wenn ich das so sagen darf."
Er zwinkerte den Mädchen zu, ehe er genüsslich einen weiteren Zug von seiner Pfeife nahm.
Umhüllt von dem süßlichen Rauch und den neuen Buchstaben IGMF, welche sich in Lilys Kopf wie in einer Dauerschleife wiederholten, vergaß Lily beinahe, dass Kates Mutter noch das Dessert bringen wollte.
Erst als diese neben ihr stand und sich der Duft von Früchtekuchen dazu mischte, sah Lily von Cinéad auf.
„Nachtisch, meine Liebe?", fragte Serena lächelnd. Neben ihr schwebten vier Teller mit je einem großen Stück Kuchen.
„Aber gern, danke!" Grinsend nahm sie einen Teller entgegen.
Auch Kate klatschte freudig in die Hände und Griff nach einem Teller.
Es war köstlich. Und nichts hätte in diesem Moment schöner sein können, als hier zu sitzen, Früchtekuchen zu naschen und nebenbei Cinéad Campbell über seine Arbeit zuzuhören.
Nichts, außer der Tatsache, dass sie diesen Abend mit ihrer Familie hätte verbringen sollen.
Schwermütig schlich dieser Gedanke immer wieder in Lilys Kopf.
Selbst als sie einige Stunden später noch hellwach im Bett neben Kate lag und in die Dunkelheit des kleinen Zimmers starrte. Neben den regelmäßigen Atemzügen ihrer schlafenden Freundin lauschte Lily der nächtlichen Stille, welche nach dem ausgelassenen Abend beinahe erdrückend wirkte.
Das Lachen in der Stube hallte in Lilys Kopf nach und es beschlich sie das beißende Gefühl eines schlechten Gewissens.
Sollte sie nicht eher um ihre Eltern trauern, statt einen so ausgelassenen Abend zu genießen?
Die Zeit verging wie im Flug, seitdem sie ihre Eltern zuletzt in die Arme schließen konnte. Obwohl es sich an manchen Tagen erst wie gestern anfühlte, dass sie die leblosen Körper vor sich liegen sah, war in den letzten Monaten so viel geschehen, dass Lily sich immer mehr dabei erwischte, das Geschehene zu vergessen.
Ihre Eltern zu vergessen.
Ein Stechen durchfuhr ihren Körper. Was für eine miese Tochter war sie nur, ihre eigenen Eltern zu vergessen. Ganz gleich wie turbulent das Leben derzeit an ihr vorüber flog – Lilys Verhalten war ihrer Eltern nicht würdig.
Neben ihr regte sich etwas. Kate drehte sich in Lilys Richtung und blies mit einem tiefen Seufzer ihrem warmen Atem durch die blonden Haare, welche ihr wild über das Gesicht verteilt lagen.
Sachte schob Lily einige Strähnen aus Kates Gesicht, dass die Nase etwas freier wurde. Nachdenklich hielt sie in ihrer Bewegung inne und betrachtete ihre Freundin.
Vielleicht war es gar nicht so, dass Lily ihre Eltern vergaß, sondern vielmehr, dass sie für ihre Eltern weiterlebte.
Kate Campbell, Laura Croft und Elizabeth Grint. Alice Fortescue und Frank Longbottom. Remus Lupin. Ja, sogar Peter Pettigrew und Sirius Black. Sie alle waren mehr oder weniger in den letzten Jahren, Monaten oder auch Wochen zu wertvollen Freunden geworden, die Lily ablenkten und vielleicht auch dazu beitrugen, dass es ihr nicht ganz so schlecht ging. Und trotz ihres schlechten Gewissens war sie sehr dankbar dafür, nicht allein zu sein in dieser harten Zeit.
Vielleicht war es auch das, was einen stark hielt: Wenn man weiß, dass der Rücken durch die engsten Freunde freigehalten wird, egal wer man war oder was man durchmachen musste.
Und James Potter...
Seufzend zog Lily ihre Hand zurück und rollte sich auf dem Rücken. Über ihrzeichnete sich durch den Mond, welcher hell in das Zimmer leuchtete, ein hellerSchein ab. Gedankenverloren starrte sie hinauf und ließ sich von dem JamesPotter, wie er in ihrem Kopf existierte, anlächeln.
Jaah, James Potter war ebenfalls wie ein Freund, auch wenn sich Lily immerwieder bei dem Wunsch daran erwischte, mehr für ihn sein zu können. Aber siewaren wohl nicht füreinander bestimmt – und vielleicht war es für sie und ihnbesser so, dass er bereits einen vorgegebenen Weg mit Mary zusammen hatte.
Etwas Warmes kitzelte an Lilys Wange. Hastig wischte sie sich die Träne aus demGesicht. Sie sollte sich definitiv auf wichtigere Dinge konzentrieren! Auf dieUTZ, ihre Ausbildungszeit nach dem Abschluss, ihre Freunde und ihr Überleben.
Immerhin konnte sie in den Ferien etwas Abstand zu ihm gewinnen, denn Platz fürGefühle einem James Potter gegenüber war für sie absolut nicht dabei...
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