Versteckspiel
Klitschnass und bibbernd kamen sie im Gemeinschaftsraum an. "Ein heißes Bad im Bett wäre jetzt geil", seufzte Sirius erschöpft. "Oder ein Festmahl von den Hauselfen", erwiderte Peter und gähnte herzhaft. Sirius stöhnte verträumt auf. "Oder beides..."
Mit einem müden Grinsen beobachtete James seine 2 Freunde. Wie recht sie doch hatten! Jetzt gäbe es echt nichts besseres - er stockte, als er aus den Augenwinkeln ein kleines, menschliches Bündel in einem der Sessel sitzen sah. Er erkannte schnell, dass es nur sie sein konnte, so eingesunken wie sie war und ihre Haare über ihr Gesicht fielen. So wirkte sie wie ein kleines Kätzchen, dass einfach nur geliebt werden konnte. Ruhig atmete sie durch die Strähnen in ihrem Gesicht durch und schien auch nicht vom Krach der Jungs wach zu werden.
Er blickte kurz zu seinen Freunden, aber sie schwärmten so von ihren Wunschleckereien, dass sie dieses kleine Bündel im Sessel nicht zu bemerken schienen. Als er sich sicher war, dass die schlafende Rothaarige für seine Kumpels nicht mehr im Sichtfeld war, blieb er stehen. "Geht ihr schonmal vor", flüsterte er und schielte zum Sessel. "Ich komme nach", fügte er schnell hinzu als er Sirius' verdutztes Gesicht sah.
Erst als er seine Freunde nicht mehr sehen und hören konnte, schlich er zum Sessel und schaute auf das schlafende Bündel. Eine Welle des Unglaubens überrollte ihn, während er über den Moment im Korridor nachdachte, an dem er sie geküsst hatte. Nein. An dem sie ihn geküsst hatte - sie hatte ihre Lippen gegen seine gepresst - genau dann, als seine Zurückhaltung zu explodieren drohte, weil ihre Nähe alles in ihm zum Beben brachte. All die Jahre hatte er es sich vorgestellt wie es wäre. Er hatte versucht, diese Gedanken mit einer Realität zu überdecken, die ihm näher war, als die, die er sich wünschte. Doch keine dieser Mädchen konnte in ihm dieses Feuerwerk in ihm entzünden wie es immer in seiner Vorstellung war. Nicht, dass er keine Gefühle bei den anderen Mädchen hatte - er mochte sie schon alle auf ihre Weise - aber keine hatte diese eine Vorstellung so real fühlen lassen, wenn nicht sogar übertroffen, wie sie.
Doch der Schwall des Glücks, der ihn überkam, wurde überschattet, als ihm die Situation danach durch den Kopf schoss. Er stand im Zwiespalt zwischen seinen Freunden und dem Mädchen, von dem er den Blick noch nie wirklich ganz abwenden konnte. Es tat ihm so weh, sie genau in diesem von ihm so lange ersehnten Moment zu verlassen, doch er hatte einen Schwur mit seinen Freunden abgelegt - und den würde er nicht einfach so leichthin brechen. Er würde für sie da sein, koste es, was es wolle. Doch sollte sie tatsächlich mit ihm zusammen kommen (und Merlin, wie er sich das allein schon wünschte!), dann müsste er reinen Tisch machen und ihr das Geheimnis von ihm und seinen Freunden anvertrauen. Und allein für diesen Gedanken daran würde Sirius ihn vermutlich umbringen wollen...
Besorgt schaute er auf ihr zartes Gesicht. Eine rote Strähne hatte sich von den restlichen Strähnen im Gesicht gelöst und tänzelte verwirrt vor der Nase im Takt ihrer Atemzüge. Über das Geheimnis würde er sich später nochmal Gedanken machen müssen. Doch vorerst wollte er daran denken, dass sie sich ihm allmählich öffnete und allein diese Tatsache ihn wohl gerade zum glücklichsten Menschen auf dieser Welt machte. Er würde sich schon eine Ausrede ausdenken können, mit der sie sich zufrieden geben würde - das hatte er schließlich bisher bei jedem Mädchen hinbekommen.
Er betrachtete sie noch eine kurze Weile, bevor er sie behutsam auf seine Arme zog und sie zum Sofa trug. Auf einem Fußhocker am Sessel lag eine warme Wolldecke, die er sanft über sie legte.
Bevor er aus dem Gemeinschaftsraum verschwand, um ihr einen Tee aus der Küche zu besorgen, strich er ihr die Strähnen vom Gesicht und drückte ihr vorsichtig einen Kuss auf die Stirn. Auch wenn sie nie erfahren würde, wer sie umsorgt hatte, hatte er sich in diesem Moment nicht glücklicher fühlen können. Vielleicht bestand wirklich die Hoffnung, dass sie füreinander bestimmt sein könnten.
Doch die Hoffnung verpuffte immer mehr. Seit dem Kuss waren einige Tage vergangen - und statt ihm eine Chance zu geben zu erklären, was er eigentlich nicht erklären konnte, schien sie so eisig zu sein wie zu der Zeit, bevor sie zumindest ansatzweise wie normale Menschen miteinander umgingen. Es brach ihm das Herz, dass es sie mehr verletzte als zuvor angenommen. Er überlegte emsig, wie er ihr diese Information näher bringen konnte, denn das war das Problem: Mit dem Geheimnis würde er zugleich auch sich und seine Freunde verraten und dabei viel zu viel Schaden anrichten ...
***
Es wurde kälter draußen. Und obwohl es allmählich auf die besinnliche Weihnachtszeit zuging, war es im Schloss alles andere als ruhig.
Die Professoren verlangten mehr Aufsätze, drohten damit abzufragen und ließen ihre Schüler noch einmal ordentlich schwitzen, dass sie nicht einmal Zeit hatten, sich die Winterferien herbei wünschen zu können. Manch einen Schüler erwischte man dabei auch, wie er morgens mit einer Feder und einer Rolle Pergament in der Hand am Frühstückstisch wieder einschlief. So auch Laura, die mit zerzausten Haaren ihr Buch als Kissen nutzte - und nur deshalb nicht auf die wahre Todesursache von König Ludwig II sabberte, weil Kate in diesem Moment in die Große Halle gestürmt kam und Laura somit aus ihrem Halbschlaf riss.
"Ich habe eine Einladung bekommen!", rief Kate begeistert und wedelte mit einem breiten Grinsen ein bernsteinfarbenes Blatt Pergament vor Lauras verwirrten Augen.
"Herzlichen Glückwunsch", murmelte Laura und blinzelte zerstreut.
"Wollt ihr denn nicht wissen, zu was?", fragte Kate. Sie schien wie unter Hummeln zu stehen, so sehr zappelte sie und sah ihre Freundinnen gespannt an.
"Nein, aber du wirst es uns bestimmt gleich verraten", erwiderte Liz gelangweilt.
Lily lugte über ihre Mauer aus Büchern hervor - und auch wenn sie gerade etwas über die Ausbildung zur Haltungserlaubnis von Runespooren vor sich her murmelte, schien sie Kates Worten zu folgen, als diese verkündete, dass ihre Cousine Esther in den Winterferien heiraten würde.
"Ich darf meine Freundinnen mitbringen, daher wollte ich fragen, ob ihr in den Winterferien zu mir kommen möchtet", beendete Kate ihre Verkündung.
Bei dem Wort Hochzeit hatte Kate Lauras volle Aufmerksamkeit bereits gewonnen - sie war natürlich sehr gerne bereit -, doch Lily und Liz zögerten.
"Ich muss leider die ganzen Ferien im Buchladen meiner Eltern aushelfen, da kann ich zur Weihnachtszeit leider nicht weg", murmelte Liz enttäuscht und beäugte traurig die Einladung.
Lily hatte sich indes wieder hinter ihre Büchermauer versteckt und murmelte nun etwas lauter, in der Hoffnung, so beschäftigt zu wirken, dass sie nicht weiter auf die Hochzeit angesprochen wird. Sie hätte aber auch stattdessen hoffen können, dass es ein Heilmittel für Sabberhexen gäbe, denn Kate riss ihr eines der Bücher von der Front und ihre ganze Mauer fiel in sich zusammen.
"Lily", tadelte Laura grinsend.
"Ach ähm", erwiderte die Rothaarige und schielte zum anderen Ende des Tisches, wo die Rumtreiber zu ihrer Überraschung ebenfalls in sämtlichen Büchern vertieft waren. Pardon, korrigiere - Sirius las ein buntes Magazin, welches in Lilys Augen sehr stark nach Muggel-Motorrädern aussah. "Ich glaube, ich bin nicht so für Hochzeiten zu begeistern aktuell." Ihr Blick wanderte kurz weiter zu Potter, ehe sie wieder zu ihren Freundinnen sah.
"Nein, Lily!", entschied Laura. Ihr Blick war dem von Lily genau gefolgt und nun sah sie ihre Freundin vorwurfsvoll an. "Du wirst nicht in dich sacken. Egal, was er gesagt oder getan hat - du wirst verdammt nochmal dabei sein, die Schule vergessen und dich so hübsch machen, dass du einen heißen Zauberer aufreißen wirst und den anderen Männern vor Neid die Kinnlade herunter klappen wird!"
Lily atmete hörbar aus. Einige Wochen waren seit dem Kuss vergangen. Sie meisterte sich immer mehr darin, ihn nicht weiter zu beachten, jedoch gab es gelegentlich Momente, in denen sie unbewusst zu James herüber schielte. Innerlich hoffte sie, dass bei ihm doch irgendwo noch ein Funken an Gefühlen ihr gegenüber vorhanden sei - irgendetwas, das ihr das Gefühl gab, nicht doch nur eine Trophäe für ihn gewesen zu sein.
Doch mit jedem Blick, den sie ihm zu warf, verblasste die Hoffnung mehr. Er schien bereits die Nacht vergessen zu haben, denn mit seinen Freunden machte er weiterhin Faxen - und wenn er ansonsten nicht mit lernen oder Quidditch-Training beschäftigt war, war er sonderbarerweise immer wieder von Mary umgeben.
Diese schien seit ein paar Wochen nicht mehr aus dem Strahlen herauskommen zu können. Überall wo Lily war, sah sie Mary um ihn umhertänzeln.
Als die vier Freundinnen sich am nächsten Hogsmeade-Wochenende auf den Weg machten, in Besenknechts Sonntagsstaat Kleider für die anstehende Hochzeit zu suchen, konnte Lily durch das Schaufenster Mary auf James zustürzen sehen. Ungeschickt drückte sich die Rothaarige an die Kleiderstange, an der sie zuvor gestöbert hatte und spickte nach draußen. Ihre Stimmen waren durch die Scheibe leicht gedämpft, aber dennoch war die Stimme von Mary deutlich zu erkennen, als sie seine Hand ergriff und "Jamsie" flötete. Schon allein bei ihrem Auftreten musste sich Lily zusammen reißen, keine verdaute Kürbispastete im Schaufenster zu verteilen.
"Wie du weißt, habe ich in den Winterferien Geburtstag", flötete Mary weiter. "Meine Eltern verreisen am 26. für eine Nacht und ich habe das ganze Haus für mich allein..."
Es brodelte in Lily und der Drang, Mary den Hals mehr als nur einmal umzudrehen, war geradezu riesig. Doch gerade als Mary fragte, ob er nicht zu ihrer Geburtstagsparty kommen und bei ihr übernachten wollte, gab die Kleiderstange nach und wurde durch Lilys Druck ungewollt zur Seite gerollt. Fluchend ruderte sie mit den Armen um ihr Gleichgewicht zu finden. Ein Blick nach draußen verriet ihr, dass dieses Ungeschick auch dort nicht unbemerkt geblieben ist. James starrte verwundert in das Schaufenster - genau dorthin, wo Lily stand.
Erschrocken sprang sie hinter eine Schaufensterpuppe, welche ein besonders grässliches Exemplar an lumpiger Abendgarderobe trug und versuchte sich zu beruhigen. Sie könnte sich innerlich ohrfeigen dafür, dass sie durch ihr eigenes Ungeschick die Antwort von James nicht erfahren konnte. Ob sie das nun gut finden sollte, wenn James bei Mary wäre? Wenn sturmfrei wäre und alles passieren könnte? Sie hasste sich für diesen Gedanken, ihn abzuschütteln war jedoch nicht gerade einfach. Doch dann kam ihr ein Gedanke, der sie zumindest beruhigte: Am 26. war die Hochzeit von Esther Campbell, und somit war die Wahrscheinlichkeit gleich null, dass er bei der Hochzeit wäre, wenn er bei Marys Geburtstag wäre.
"Was machst du denn da?" Erschrocken drehte sich Lily um und blickte geradezu in Liz' erstauntes Gesicht.
"Ähm", begann Lily und drehte sich zum Kleid der Schaufensterpuppe. In Ausreden war sie noch nie besonders gut, daher dauerte es auch ein paar Sekunden, bis sie aus sich herausdrückte: "Ich... bin sehr fasziniert von der Verarbeitung dieser hinreißenden Spitze!"
Unbeholfen nestelte sie an dem Kleid der Puppe herum, doch ihr Blick wanderte wieder nach draußen.
"Wirklich?", schnaubte Liz ungläubig. "Also ich finde sie tatsächlich einfach nur hässlich!" Kopfschüttelnd stöberte sie weiter.
"Jaah... hässlich... total...", murmelte Lily, bevor ihr ein fluchendes "Scheiße" aus dem Mund rutschte und sie nach einem neuen Versteck suchte.
"Scheiße trifft's eigentlich gut", erwiderte Liz beiläufig, doch Lilys Aufmerksamkeit war eher der Person gerichtet, die gerade mit einem suchenden Blick den Laden betrat. Während Liz irgendwann entschied, dass es ihr besser erginge, da sie ja nicht auf die Hochzeit ging und somit keines der furchtbaren Kleider anprobieren musste, welche angeboten wurden, beobachtete Lily, wie James von dem Verkäufer aufgefangen und in die andere Richtung des Ladens gelotst wurde.
Erleichtert atmete sie auf und schlenderte zu Kate und Laura, welche bereits mit einigen Kleidern an Auswahl vor einem Spiegel standen. "Ich denke, ich finde hier nichts", sagte Lily möglichst beiläufig und schielte in Richtung Ausgang. "Außerdem kann ich mir wohl aktuell sowieso kein Kleid leisten. Vielleicht habe ich noch etwas passendes im Koffer..." Oder sie müsste wohl oder übel ihre Schwester anschreiben und um ein Kleid bitten...
Ihre Freundinnen sahen sie besorgt an. Doch immer mehr erleuchtete sich Lauras Blick, bis sie grinsend ihre Freundin ansah und beruhigend sagte: "Ich habe für dich definitiv etwas passendes daheim!"
Eigentlich sollte sich Lily in diesem Moment Sorgen machen, denn Lauras Geschmack war sehr... freizügiger Natur im Vergleich zu Lilys Kleidungsstil. Aber in Anbetracht der aktuellen Situation war sie einfach nur froh, aus dem Geschäft draußen zu sein...
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