Geheimgang ins Ungewisse
Wütend stampfte sie auf, als sie seine Stimme erkannte.
„Mmh?!”, versuchte sie, durch die Hand des Menschen zu fluchen, der sie in diese dunkle Kammer gezogen hatte.
„Shhhh”, machte dieser jedoch nur und sie spürte seinen Atem an ihrem Hals aufschlagen.
Draußen hörten sie Schritte durch den Gang schlürfen. „Wer ist da?” Mr. Filchs Rufe klangen dumpf zu ihnen herüber.
Lilys Herz klopfte wie verrückt. Potter drückte sie nun etwas sanfter gegen die Wand. Er war ihr so nah, dass sich ihre Gesichter beinahe berührten - und sie war sich nicht sicher, ob es seine Arme oder seine warmen Atemzüge an ihrem Hals waren, die ihr das Gefühl gaben, erdrückt zu werden.
Als sie Filchs Schritte näher kommen hörte, riss sie ihre Augen weit auf, als könne ihr das helfen, besser hören zu können. Panisch hielt sie die Luft an und lauschte. Sie hatte Angst, dass ihr Herz sie verraten würde.
Doch Filch schien weiter zu ziehen - nichts ahnend, dass hier in dieser engen Kammer die zwei Schulsprecher ganz eng beieinander standen und gerade dabei waren, gegen die Schulregeln zu verstoßen. Quasi gefundenes Fressen für ihn.
Aber wie konnte es sein, dass er nicht in diese Kammer sah? Normalerweise war das immer das erste, was er öffnete, um Schüler auf frischer Tat zu erwischen. Wusste er etwa nichts von dieser Besenkamner?
Die Hand an Lilys Mund löste sich und sie spürte, wie er sein Kopf an die Wand lehnte. Sie schloss kurz ihre Augen, um zu verdauen, dass sie Filch nur knapp entkommen waren.
Er schien auch erleichtert, denn er atmete laut auf.
„Wie du nun siehst, gibt es einen Grund, warum du diesen Geheimgang für dich behalten sollst”, flüsterte er. Lily spürte, wie sich eine Gänsehaut auf ihrem Körper ausbreitete - und schockiert musste sie zugeben, dass es nicht das Gesagte war, das dies verursachte, sondern die Art, wie er sprach. Augenblicklich kamen ihr Gedanken und Vorstellungen hoch, die sie vor ihm sicherlich nicht zugegeben hätte.
Die Nähe schien sie zu benebeln und am liebsten hätte sie versucht, Abstand zwischen den beiden zu schaffen. Doch die war viel zu gefesselt von seinem warmen Körper, und so brachte sie nur ein krächzendes „Geheimgang?” zustande.
Potter lachte leise. Sie spürte, wie sein Körper an ihr bebte und innerlich hätte sie sich für ihre Schwäche ohrfeigen können.
„Komm, ich zeig ihn dir!”, flüsterte er und griff ihre Hand. Mit der anderen Hand hob er seinen Zauberstab und ließ mit einem leisen Lumos einen Lichtkegel aus dem Stab leuchten.
Die plötzliche Helligkeit überraschte Lilys Augen und so kniff sie erst ihre Augen fest zu, bis sie sich traute, sie langsam und blinzelnd wieder zu öffnen. Als sich ihre Augen an das Licht gewöhnten, sah sie vor sich einen höhlenartigen Gang, dessen steinernes Ende von der Dunkelheit verschluckt zu werden drohte. Es war faszinierend, was sich in diesen Mauern alles an Geheimnissen verbarg.
Sie sah zu Potter auf, der sie erstaunt ansah.
„Was?”, fragte sie skeptisch.
Ohne den Blick von ihr abzuwenden schüttelte er den Kopf. „Nichts”, erwiderte er. „Es ist nur... Der Zopf steht dir. Das... sieht echt gut aus.”
Sein Zauberstab leuchtete ihr so ins Gesicht, dass ihr rot werdendes Gesicht wohl nicht so leicht zu verstecken war. Schnell drehte sie sich von ihm weg und windete sich aus dieser Konversation, bevor es noch unangenehmere Wendungen nahm. „Dann wollen wir mal”, forderte sie ihn auf.
„Vorsicht glatt!”, rief er, als sie sich an ihm vorbei schob, um voran zu laufen.
Potters Warnung, die er noch rief, kam zu spät, denn plötzlich rutschte sie mit einem Fuß ab und ihr Hintern machte Bekanntschaft mit der Härte des kalten Steinbodens unter sich.
Sie hörte Potter noch nach ihr rufen, doch es gab keine Möglichkeit, sich irgendwo festzuhalten.
Nach einigem Schlittern landete sie auf erdigen Boden. Erleichtert atmete sie aus und rappelte sich mit zitternden Beinen auf.
Neben ihr erschien Potter, der geschickt zu wissen schien, wo er aufzutreten hatte.
Allein dieser Anblick brachte sie zum Brodeln. „Was wird das?”, fauchte sie. „Wo führst du mich hin?!”
Potter lachte. „Ich glaube, unser Ziel könnte deine Stimmung heben! Vielleicht läufst du ab jetzt lieber hinter mir - bevor du nochmal überrascht wirst.”
Lily schnaubte eingeschnappt, ließ Potter aber den Vortritt und beobachtete, wie er durch den Tunnel hüpfte, der sich vor ihnen nun wie ein lehmiger Kaninchenbau durch die Erde zu schlängeln schien.
Irgendwann stieg der Weg an und keuchend versuchte sie, mit Potter Schritt zu halten. Es war jedoch gefühlt noch lange kein Ende in Sicht.
„Du bist dir sicher, dass wir jemals wieder Tageslicht sehen werden?”, fragte sie irgendwann in die Stille. Der Tunnel schien ewig und Lily kam sich vor wie in einem schwarz-weißen Entdeckerfilm, den sie vor Jahren mal mit ihrer Familie sah. Ob es da auch diese rötliche Farbe wie Lehm hatte? Ob sich die Menschen darin auch so eingeengt gefühlt hätten? Ob der Tunnel in dem Film auch so endlos war?
Potter lachte und sein Rücken warf dabei zitternd Schatten an die Wand. „Heute wohl nicht mehr.”
„Wie bitte?” Ungläubig blieb sie stehen. „Wir sind die ganze Nacht hier drin unterwegs? Dann wären wir doch schneller über den offiziellen Weg gewesen!”
„Ach Quatsch, wir sind doch bald da”, sagte Potter und drehte sich grinsend um. „Außer, du willst hier weiter so rumstehen. Aber wir haben abends, da gibt es kein Tageslicht.”
„Das war metaphorisch gemeint”, murrte sie und verdrehte die Augen. „Wir sind doch bestimmt schon eine Viertelstunde unterwegs. Gibt's da bald ein Ende?” Sie kam sich vor wie bei den langen Autofahrten mit ihren Eltern, in denen sie mit Petunia um die Ecke jammerten. „Sind wir bald daaa?”
„Klar”, rief Potter und zeigte grinsend auf eine alte, lange Treppe vor ihnen, die wohl schon von den vielen Jahren Gebrauch ziemlich abgenutzt wirkten.
Ohne viel Mühe sprang er die vielen Stufen hoch. Irgendwann verlor sie ihn aus den Augen, weil er so schnell weg war. Sie hingegen schnaufte so laut und bemitleidete sich selbst mit der Frage, warum sie überhaupt mitkam.
Lily machte sich nicht die Mühe, die Stufen der absoluten Qual zu zählen, aber sie wirkten so unendlich viel wie der Tunnel lang war.
Sie starrte so konzentriert auf sie Stufen vor sich, dass sie beinahe Potter umstieß, der plötzlich vor ihr stand.
Er drehte sich zu ihr und hob - als würde sie gerade wie ein Bergtroll durch den Tunnel grölen - seinen Zeigefinger an den Mund. Dann hob er über sich etwas, das aussah wie eine Falltür, vorsichtig an und lugte durch.
Als er sich sicher war, dass keiner an der anderen Seite der Tür war, stieß er diese auf. Elegant sprang er heraus und Lily sah kurz eine graue Gewölbe Decke, bevor Potters fröhliches Gesicht über ihr erschien, die Hand ihr auffordernd entgegen gestreckt.
Neugierig packte sie seine Hand und ließ sich in den Raum ziehen. Sie befanden sich in einem Keller, deren schwere Regale mit Weidenkörbe und Holzkisten gefüllt waren.
Erstaunt lief sie auf die Kisten zu und erkannte die lilanen Ecken der Schokofrosch-Verpackungen.
Mit einem Mal verstand sie, warum sie dieses Geheimnis für sich behalten sollte: Würde dies in die falschen Hände geraten - und damit meinte sie nicht Hausmeister Filch (auch wenn er mit seiner faltigen Haut und seinen faulen manchmal etwas furchteinflößend wirkte), sondern jene, die in dem Schloss gar nichts zu suchen hatte -, könnte dies für viele der Schüler und Lehrkräfte der sichere Tod bedeuten.
Hinter sich hörte sie ein kratzendes Geräusch und als sie sich umdrehte, sah sie Potter die Falltür schließen. Über der Tür war eine Steinplatte, die sich so fügte, dass sie auf dem Steinboden nicht mehr als Tür auffiel und Lily war sich sicher, dass sie - wäre nicht Potter bei ihr - den Weg zurück nach Hogwarts niemals hätte wiederfinden können.
„Willkommen in den Tiefen des Honigtopfs!”, raunte Potter und grinste wie ein kleines Kind an Weihnachten. Unweigerlich musste Lily grinsen. „Du hast recht”, flüsterte sie und sah ehrfürchtig auf die vollgestopften Regale. „Unser Ziel kann wirklich meine Stimmung heben!”
Plötzlich warf sich Potter einen silbrigen Umhang um und augenblicklich schien alles außer seinem Kopf zu verschwinden.
„Wie...?”, wollte Lily wissen, doch er unterbrach sie.
„Erklär' ich dir wann anders”, flüsterte er und hielt ihr einen Teil des Umhangs einladend entgegen.
„Komm!”
Zögernd trat sie auf ihn zu.
Als sie neben ihm stand, hüllte er sie sanft in seinem Umhang mit ein. Der Stoff war angenehm weich und fühlte sich leicht an. „Wie lange hält das an?”, fragte sie neugierig und Potter lachte leise.
„Du stellst Fragen”, erwiderte er. „Der hält hoffentlich ewig. Er begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Was meinst du, wie wir die ganzen Streiche meistern können?”
Lily konnte nicht umhin, ihn zu bewundern.
„Wieder ein Geheimnis, das ich dir anvertraue”, flüsterte er und schob sie sanft die Holztreppen hoch.
Sie kamen im Verkaufsraum des Honigtopfes raus und erstaunt blickte sie sich um. Es war gespenstisch still im Laden und die Türen waren bereits verschlossen.
Doch Potter öffnete die Tür mit einem Klacks und beide schlüpften aus dem Laden in die kühle Herbstluft von Hogsmeade.
„Wow”, flüsterte Lily als sie sich im beleuchteten Dorf umsah. „Ich wusste nicht, wie schön das Dorf am Abend ist..” Fasziniert betrachtete sie, wie sich ein paar Glühwürmchen in den Gassen verwirrten.
„Naja, wärst du mit mir mal auf ein Date gegangen, hättest du das schon eher sehen können!” Potter grinste sie frech an und sie gab ihm dafür einen Stoß in die Seite, welchen er jammernd quittierte.
„Es braucht sehr viel Überzeugung eines Dementors, dass ich freiwillig mit dir auf ein Date gehe”, zischte sie und biss sich auf die Unterlippe. Tatsächlich hatte es mittlerweile kein Dementor mehr nötig, aber sie würde sich selbst keinen Gefallen tun, würde sie sich auf ihn und seinem Charme einlassen.
Er tat, als ignorierte er ihre Aussage und zog sie in eine kleine, abgelegene Seitengasse.
Von weitem schon konnten sie über der Tür das hängende Schild mit dem blutigen Eberkopf erkennen. Die Fenster waren so dreckig, dass man von außen nur Umrisse von Personen sehen konnte.
Die beiden blieben vor der Tür stehen und zogen den Umgang von sich.
„Bereit?”, flüsterte Potter und Lily spürte, wie sich seine und ihre Hand mechanisch ineinander verschränkten.
„Bereit”, antwortete sie leise. „Wer auch immer du bist, A. M. - wir sind da.”
Sie atmete noch einmal kurz durch und stieß mit einem lauten Knarzen die alte Holztür auf.
Im Eberkopf war es staubig und düster. Doch als sich ihre Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnten, erstarrte sie.
Potter war der erste, der reagierte, als der alte Zauberer vor ihnen stand.
„Bei Merlin, Professor Dumbledore!”
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