~Magie~
„Was siehst du hier?", fragte der Zwerg zum wahrscheinlich dreißigsten Mal. Asran erhob sich und schmiss den feuerroten Stein vom Tisch. Klirrend zerbrach er auf dem Boden in seine Einzelteile. „Ich sehe einen Stein, nichts weiter! Er ist rot wie das Feuer, und? Was willst du noch hören?", schrie Asran. Ihm verging die Geduld. Grorphil, jener Zwerg, der ihn unterrichtete, hielt Asrans Blick stand. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen blickte er zu ihm empor, seine eisblauen Augen schienen Asran zu durchbohren.
Schließlich wandte der Elf den Blick ab und beugte sich über den zerbrochenen Stein. Grorphil hatte noch immer nichts gesagt. Stumm beobachtete er Asran, wie der Elf die spitzen Scherben zu einem Haufen zusammenschob. Schließlich löste Grorphil seine Starre und beugte sich hinab zu Asran. Dann nahm er eine der Scherben und drehte sie in seinen klobigen Händen.
„Weißt du, Magie ist nichts einfaches. Man kann sie nicht sehen, nicht hören, nicht riechen, nicht schmecken. Man kann sie nur fühlen, aber selbst das geht nur dann, wenn man geübt darin ist. Der Morsweg zum Beispiel ist ein Ort, an dem sehr viel Magie innewohnt, da fällt es selbst den wenig talentierten Menschen nicht schwer, sie zu spüren. Aber die Götter dieser Welt hatten es auch gekonnt, alte, magische Pforten zu verwischen, sodass die Magie unerkannt bleibt. Dann kannst du sie nur spüren, wenn du es gelernt hast", sagte der alte Zwerg. Seine Augenbrauen zogen sich mit einem Mal zusammen und seine linke Hand ballte sich um den Splitter, der klimpernd nochmals zerbrach. Grorphil öffnete seine Hand und feine Blutfäden krochen über seine Handfläche über den Handrücken, bis hinab zu seinem Handgelenk.
Ein wenig verwirrt musterte Asran den Zwerg. „Die Kunst der Magie besteht nicht darin, sie beherrschen zu können, sondern ewig mit ihr leben zu können. Wenn du einmal Magie angewendet hast, wirst du sie nie mehr los", schloss Grorphil. „Warum kannst du das Tor in die andere Welt nicht öffnen?", fragte Asran. Der Zwerg hielt seinen Blick gesenkt, als er antwortete. „Wir verloren unser Amulett schon seit langem. Du musst dir die Magie vorstellen, wie ein großes Fischernetz, doch wenn es an einer, nur einer einzigen, kleinen Stelle eingeschnitten wird, geht die Magie verloren. Das rote Amulett besaß wie jedes andere ein eigenes Netz, doch wurde uns der Schatz gestohlen und Hände, deren Schicksal ein anderes gewesen war, berührten das Amulett. So schlug es Furchen in das Magienetz. Erst, wenn jenes ausgewähltes Geblüt wieder das Amulett zurückerobert, dann kann das Netz geflickt werden. Erst, wenn die Zwerge das Amulett bekommen, können wir wieder mit der roten Magie Zauber weben."
„Warum kann der dunkle Herrscher dann mit dem roten Amulett Magie weben?", fragte Asran, der die Geschichte nicht so ganz durchschaute. „Weil er das schwarze Amulett besitzt, mit dem er die Risse der Netze wieder heilen kann", entgegnete Grorphil. „Also war die Aufgabe der Zauberer, die Schäden der Netze zu heilen?", hakte Asran nach, der allmählich das Gefühl bekam, hinter das Geheimnis des schwarzen Amulettes zu kommen. Grorphil nickte. „Ja, so war es", sagte er dann bedauernd: „...so war es."
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„Was siehst du nun?", fragte Grorphil und beobachtete Asran gespannt, der wie gefesselt vor einem der unzähligen Steine saß. Sein Blick war angestrengt auf das Drachenei gerichtet. Grorphil musste lächeln, als er an seine erste Begegnung mit einem der atemberaubend schönen Steine dachte. Damals war er ein junger Bube gewesen, unwissend, mit dem ersten Flaum auf den Wangen. Der Anblick der Eier fesselte den Blick, wenn man sie zum ersten Mal sah. Auch Asran war davon betroffen. In des Elfen Augen loderte es unruhig, seine Fingernägel waren in die Tischplatte gegraben. Ohne zu blinzeln musterte Asran das Ei, und obwohl der Elf so gefesselt dasaß, fiel es ihm leichter, als Grorphil damals. Lag es daran, dass er ein Zwerg war?
Forschend musterte der alte Zaubermeister den Elfen. Etwas stimmte mit ihm nicht. Grorphil nahm den diesmal blauen Stein und legte ihn behutsam zu den restlichen. „Das ist nicht das erste Drachenei, das du siehst, oder?", fragte der Zwerg. Asran war immer noch in Trance, nickte aber. „Ergon", hauchte er immer wieder mit tonloser Stimme. „Wer ist Ergon, Asran? Rede mit mir über Ergon", forderte Grorphil ihn auf. Diese Augenblicke nach dem Anblick eines Dracheneis waren die wertvollsten. In diesen Augenblicken konnte man jedes beliebige Geschöpf befragen, und dieses antwortete dann und redete über seine geheimsten Geheimnisse.
„Als ich hier war... wir durften Rüstungen aussuchen... ich fand Ergon... er ist ein guter Drache", antwortete Asran ihm. Grorphil sprang von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte, auf. „Was?", schrie er und Asran zuckte beim Klang seiner donnernden Stimme zusammen. Jetzt war der Zauber gelöst, der Elf wirkte gefasst. „Du hast einen Drachen? Seit wann? Er ist ein großer Fortschritt für deine magischen Erfahrungen!", schrie Grorphil. Asran biss sich auf die perfekt geschwungene Lippe. ‚Bleibe immer nett und freundlich, nicht schreien. Immer nett und freundlich bleiben', ermahnte sich Grorphil stumm. Dann atmete er tief aus, setzte sich wieder und blickte Asran in die Augen. „Wer ist Ergon?", fragte er nun erneut, mit vor unterdrücktem Zorn zitternden Stimme. Asran sah ihm zweifelnd in die Augen, flüsterte immer wieder den Namen seines Drachen und antwortete schließlich: „Ich fand ihn, als wir zum ersten Mal hier waren. Am ersten Tag. Wir durften Rüstungen wählen und in der Truhe, die vor der Rüstung stand, fand ich sein Ei.
Er schlüpfte noch in derselben Nacht, aber... aber ich habe ihm geschworen, ihn nicht zu verraten. Er ist noch so jung und schwach, bitte... bitte verrate ihn nicht." Der Elf blickte Grorphil mit großen Augen an. Der Zwerg lachte freudlos. „Wenn Grimbold Eisenherz zurück ist, wird er von deinem Drachen erfahren müssen. Asran, Ergon wird eine starke Waffe im Krieg gegen den dunklen Herrscher sein! Wir brauchen ihn, um ihn zu trainieren. Er wird immer stärker und größer werden und seine Kräfte nicht einsetzen können, so lange er nicht weiß, dass er sie überhaupt besitzt! Zeige ihn mir!", Grorphils Stimme war zum Ende hin etwas sanfter geworden. Asran fasste sich an die Schläfen und schloss die Augen. Stumme Tränen liefen ihm über die Wangen.
„Es ist alles zu viel", sagte der Elf zitternd. Nun liefen Tränen gleich Sturzbächen seine Wangen hinab. Hinab über sein bebendes Kinn auf sein Lederwams. „Was habe ich falsch gemacht?", fragte der Elf mit zitternder Stimme. „Was...?", er verstummte, als Grorphil aufstand und zu ihm ging. Sachte legte der Zwerg eine Hand auf des Elfen Arm und zwang ihn, zu ihm aufzublicken. „Wir werden gewinnen", sagte der Zwerrg selbstsicher und blickte zu Asran hinab. Wenn der Elf saß, war der Zwerg größer als er. Grorphil lächelte seinen Lehrling aufmunternd zu: „Wenn wir gemeinsam gegen die schwarze Front des dunklen Herrschers anreiten und alte Konflikte vergessen würden, und Drachen den Himmel mit ihren Flügeln bedecken und mit ihrem Feuer die Heerlager der Gracker vernichten, dann schwöre ich dir bei den Namen der Götter, dass wir gewinnen!"
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