~Das Heer der Elfen~
Laurentius schwang seine Beine über die Bettkante und stöhnte. Ein pochender Schmerz hatte sich hinter seiner Stirn eingenistet. Auch konnte sich der Elfenkönig nicht an gestern erinnern. Er wusste nur, dass Athavar gekommen war. Mit plötzlichem Schrecken rief der König nach einer Wache. „Mein Herr?", der schwarzhaarige Kopf des Kommandanten seiner Leibwache erschien im Türspalt. „Ich bekam gestern Besuch! Von Athavar! Lasst ihn zu mir bringen, ich muss mit ihm reden!", drängte Laurentius. Der Elf neigte respektvoll seinen Kopf, dann schloss er die Tür und entfernte sich.
Schon kurz darauf öffnete sich die Tür erneut und der Menschenkönig trat ein. Er trug frische Elfenkleider, die Haare gesäubert und den Bart ordentlich gekämmt.
Laurentius spürte, wie Blut in seinen Kopf schoss. Sich umzuziehen hatte er vollkommen vergessen! Warum hatte seine Wache ihn nicht darauf angesprochen?! Athavar schmunzelte, als Laurentius sein Auftreten bemerkte. Er trug nur ein weißes, mit Schmutzflecken besudeltes Schlafhemd.
„Ich kann warten", sagte Athavar, sichtlich darum bemüht, nicht zu lachen. Laurentius' Kopf war noch immer heiß vor Scham, als er sich in eine Hose zwängte und seine Haare grob mit seinen Fingern durchkämmte. Ja, Athavar war sein alter Freund, aber dennoch sollte Laurentius' Auftreten relativ königlich und majestätisch sein.
Als der Elfenherrscher mit seinem Anziehen fertig war, drehte sich Athavar wieder um und Laurentius deutete ihm, neben sich Platz zu nehmen. Sein alter Freund setzte sich und fragte: „Geht es dir wieder gut, Laurentius?" Der Elfenkönig lächelte gequält. „Über gestern und gerade eben verlierst du kein Wort. Ich erinnere mich nur bruchstückhaft, aber das, das mir noch jetzt im Kopf ist, ist fürchterlich. Bitte, lass mich nicht vor meinem Volk wie ein Irrer wirken. Die Elfen sind perfektionistisch. Sie brauchen einen starken Herrscher", erwiderte er leise. Athavar lachte und entgegnete: „Ich weiß nicht, wovon du sprichst, mein Elfenkumpel."
Laurentius erwiderte das Lachen Athavars. „Du bist wahrlich ein guter Freund", antwortete er dann, doch kaum nach seinem herzlichen Lachen hörte er auf und er wurde todernst: „Du kamst gestern zu mir. Aus welchem Grund? Dein Volk braucht dich!"
Athavar lächelte noch immer, doch auch sein Gesicht war ernster geworden. Seine Augen funkelten vielsagend. „Wir gingen auf unserer Reise zu den Elfen aus Daulinien und von dort aus zu den Zwergen. Erst dort ist mir klar geworden, dass es nicht einem einfachen Zwergenheer und einer Streitmacht der Menschen reicht. Ich sprach mit dem alten Zaubermeister Grorphil. Dieser sagte, dass das Amulett nur zu zerstören sei, wenn es mit den anderen vereint wäre. Und das benötigt einer Streitmacht, die sich mit der des dunklen Lords messen kann. Aristeas sucht die Zauberer auf, aber hätten wir sie auf unserer Seite, so haben wir nur zwanzig Mann mehr. Vazyllanne wehrt sich gegen eine Schlacht, in der sie mitwirkt. Das sich stets ändernde Bild der Zukunft, in die sie zu blicken vermag, hat sie zu einer einsamen Witwe gemacht. Immer sucht sie die möglichen Wege auf und verliert dabei sich selbst.
Das Heer von Romak ist schwach, es sind eh nicht viele Krieger in meiner Stadt, aber durch den Überfall an der Ruine von Taebryn verloren wir mehr als die Hälfte. Nur Mussling und ihr Elfen aus dem Moraldwald könnt unser Schicksal noch ändern. Auf die Riesen braucht man nicht zu zählen und auch nicht auf einen Gracker, der den dunklen Lord stürzen könnte. Wir brauchen euch!", sagte er eindringlich. Laurentius wog die Gefahren ab. Wenn sie sich hier verbarrikadieren würden wie Vazyllanne es tat, dann würde irgendwann eine Welle von Grackern den ganzen Wald überrollen. Zum einen würden sie die Elfen töten, Kinder, Frauen, Alte. Unschuldige. Zum anderen würde der Moraldwald vergehen wie eine Blume in der Hitze des Mittags. Sie mussten kämpfen, um das Ende des Moraldwaldes wenigstens zu verschieben.
„Nun gut, diese Situation lässt uns keine andere Gelegenheit, als zu kämpfen. Das Heer der Elfen aus dem Moraldwald wird noch einmal unter dem Banner des Baumes erblühen, ein allerletztes Mal, bevor es in den Untergang zieht", antwortete er dann und dachte an all jene, die er verlieren würde.
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Mit Stolz blickte der Elfenkönig über das versammelte Heer hinweg. Etwa zweitausend Elfenkrieger hatten sich versammelt, um ein letztes Mal unter dem Banner von Laurentius zu reiten. Der grüne Baum, umrahmt von dem silbernen Ring auf grauem Grund prangte über jeden zwanzigsten Mann. Fanfaren erklangen und dann begann eine einsame Harfe ein Lied zu spielen. Es war das Lied von Irkandir, jenem Helden, der seine große Liebe verloren und dessen Leben verwirkt war. Das gesamte Lied umfasste elf Strophen, die so herzzerreißend gedichtet waren, dass einem schier das Herz schwer wurde.
Auch viele Minuten nach dem Lied herrschte ergriffenes Schweigen, niemand mochte die Stille zu unterbrechen. Auch nicht Laurentius. Doch als er merkte, wie die Pferde unruhig wurden, trieb er sein Ross vor die Streitmacht und rief: „Das Lied des Irkandir spricht von Trauer und Leid. Auch ich mag es, das Gefühl, wenn der Klang der Harfe meine Ohren streichelt. Und doch verstehe ich nicht, warum gerade das Lied gespielt wurde. Ja, es handelt um Krieg, aber es handelt auch von Niederlage. Und ich bin mir sicher, dass wir keine Niederlage einstecken werden! Ich bin mir sicher, dass wir das ganze Volk der Gracker vernichten werden! Unsere Kindeskinder werden sie nur noch als alte Legende kennen! Nie wird ein Gracker einen Fuß auf dieses Land setzen!
Ihr werdet ihnen überlegen sein, Elfenkrieger! Ihr habt jahrzehntelang die Kunst des Schwertes erlernt, die Gracker können bloß mit der Keule schwingen!" Laurentius zog sein Schwert. „Wir werden die Waffen tanzen lassen, wir werden Tänzer sein, zu schnell, zu grazil, zu elegant um aufgehalten zu werden! Das Volk der Elfen wird sich dem Schicksal nicht fügen! Es wird um sein Land kämpfen! Um das goldene Land der Elfen!", schrie Laurentius und Jubelrufe ertönten. Alle Krieger hatten ihre Schwerter in den Himmel gestreckt.
Der Elfenkönig lächelte, als er zurück zu Athavar und Lasyn ritt. Sie würden ihn begleiten, Seite an Seite mit ihm reiten. Athavar hatte wie die anderen Krieger sein Schwert gehoben und schrie das, was alle riefen: „Auf die Elfen!"
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