꧁ 63 ꧂
Ich starrte auf Ethans kleinen Funkwecker, dessen digitalen Zahlen die letzten Minuten meines alten Lebensjahres anzeigten. Noch zwei Minuten und ich würde zwanzig Jahre alt werden.
Ethan lag eng hinter mir. Als wären unsere Körper füreinander geschaffen, kuschelten wir aneinander gepresst und ineinander verschlungen. Er war der perfekte große Löffel. Haltgebend und doch anschmiegsam.
Leise atmete er mit der Sekundenanzeige seines Weckers in einem fast rhythmischen Takt. Noch eine Minute.
Schlaf hatte ich noch keinen gefunden, denn in meiner Magengrube hatte sich ein ziemlich zermürbendes Gefühl eingenistet ... das Gefühl von furchtbar schlechtem Gewissen.
Seit dem Gespräch mit Chris fühlte es sich an, als wäre ich einen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Natürlich wollte ich Ethan nicht in den Rücken fallen, oder ihn gar hintergehen. Und doch reizte mich die Vorstellung, wieder ein Leben ohne ständige Wolfbodyguards und ständigem Rechenschaft-Ablegen zu führen, unheimlich. Alleine der Gedanke daran, ließ mich ganz kribbelig werden.
Ich wusste, dass Chris mit allem was er mir gesagt hatte, richtig lag. So konnte es nicht weiter gehen. Keine Ahnung welche Zukunft Ethan sich für uns ausmalte, aber was wäre das für ein Leben?
Gerade der heutige Abend hatte es wieder unter Beweis gestellt. Wir waren gerade zwei Stunden auf dieser Party gewesen, da wurde Ethan von Sekunde zu Sekunde angespannter. Zu gefährlich hatte er gesagt und gefordert, dass wir wieder gehen. Zu viel Alkohol traf es wohl eher. Denn in Wahrheit hatte es Ethan nämlich einfach nicht gefallen, dass ich so viel getrunken hatte, aus Sorge, ich könnte die menschliche Kontrolle verlieren und meiner inneren Wölfin zu viel Platz lassen. Mittlerweile hatte ich das Gefühl, Ethan hatte mehr Angst vor meinem wölfischen Ich als vor den Primus-Anwärtern selbst.
Seufzend fokussierte ich wieder den Wecker. Noch fünf Sekunden.
Vier.
Drei.
Zwei.
Eins.
Und wieder ein Jahr älter ... Wohoo.
Seufzend kuschelte ich mich noch enger an meinen Adonis heran, der leise schnaubend seine starken Arme noch fester um mich schlang, sein Gesicht weiter in meinen Nacken eingrub und nach wenigen Sekunden wieder tief und fest schlief.
Für sich betrachtet war das hier nur einer von so vielen, viel zu perfekten Momenten zwischen uns. In Wahrheit aber war es vielleicht doch nur Ablenkung vom wirklichen Problem. Wir konnten so nicht weitermachen. Ich musste Ethan reinen Wein einschenken. Ich musste ihm von meinen Plänen erzählen.
*
„Guten Morgen." Ziemlich erledigt betrat ich die Küche.
„Bist spät heute." Chris saß bereits wie üblich am Tisch und frühstückte. Er musterte kurz Ethans schwarzes Shirt, welches ich überworfen hatte. Für gewöhnlich war ich sonst schon angezogen. „Kurze Nacht gehabt?", hakte er nach.
Ich nickte, nahm mir eine Tasse und füllte mir Kaffee auf. „Aber nicht aus den Gründen, aus den du jetzt vielleicht denkst."
„Was denke ich denn?" Chris zog eine Braue in die Höhe.
„Das weißt du ganz genau." Ich verdrehte die Augen und schlurfte mit der Tasse bewaffnet zum Tisch.
Der Alpha verzog sein Gesicht zu einem seichten Schmunzeln. „Ich kann ja nur sagen, was ich die ganze Nacht getan hätte, wenn ich an Ethans Stelle wäre."
„Sehr witzig", antwortete ich ironisch und verdrehte die Augen. „Ich habe einfach viel nachgedacht, okay?"
Chris räusperte sich und fand sofort seine üblich ernste Rolle wieder. „Okay ... über?"
„Na ja ... diese eine Sache." Ich nickte nervös mit dem Kopf.
Der Schwarzhaarige musterte mich kurz, dann legte er angespannt die Stirn in Falten und seufzte. „Verstehe. Du hast es dir also anders überlegt."
„Was?", entsetzt sah ich auf. „Nein. Natürlich nicht. Ich will es tun. Mir ist nur klar geworden, dass ich nicht ... naja, nicht viele andere Alternativen habe."
„Das ist wahr ... die hast du nicht."
Ich nickte und schlürfte gedankenversunken vom Kaffee. „Euer Kaffee schmeckt übrigens echt scheiße."
Plötzlich lachte Chris auf. Es war sein erstes, befreites Lachen, seit wir uns kennen. Sein Lachen war tief. Und irgendwie schön. „Ich werd es der Hotelleitung weitergeben, Mi Lady", stieß er dann hervor.
Lächelnd streckte ich ihm die Zunge raus.
„Es war übrigens gar nicht witzig gemeint." Chris sah mich plötzlich eindringlich an, seine Lippen hatten sich nicht bewegt ... und ich verstand. Trainingszeit.
Ich schluckte und versuchte mich zu fokussieren. „Was genau?", fragte ich und war gleichauf enttäuscht, dass es mir statt über meine Gedanken über die Lippen kam.
Chris schnaubte belustigt und aß genüßlich einen weiteren Löffel Cornflakes. „Wenn du es wissen willst, streng dich mehr an. Dann sag ich es dir."
„Das ist fies." Ich zog eine Schnute.
„Tja." Chris winziges, kleines Lächeln huschte über sein Gesicht und er zuckte mit seinen breiten Schultern.
Zehn Minuten später hatte ich weder in Erfahrung gebracht, was genau Chris gar nicht witzig gemeint hatte, noch hatte ich es geschafft, meine Worte an ihn zu übertragen. Nicht mal ein einziges. Ich war enttäuscht.
Vielleicht war Chris' Theorie schlichtweg einfach falsch. Vielleicht war ich aufgrund meiner Halbblütigkeit doch zu schwach, die Alpha-Gene zu beherrschen.
Tatsächlich würde ich es aber heute Morgen auch nicht mehr in Erfahrung bringen, da gerade Kyle und Nyle die Küche betraten. Sie fielen direkt über die frische Packung Toast her, die offenbar jemand besorgt hatte. Der eine schmierte sich Erdnussbutter, der andere Marmelade drauf, dann tauschten sie ihre Hälften aus und klatschten die gegensätzlichen Scheiben zufrieden aufeinander. Zwillinge waren schon etwas besonderes.
Auch Samira hatte kurz den Kopf in die Küche gesteckt, doch als sie mich sah, machte sie ihr übliches, würgendes Geräusch und verließ das Apartment recht zügig. Charmant wie eh und je.
„Was steht heute an?", erkundigte sich Chris, als wir alle am Tisch saßen.
„Nichts besonderes." Dass ich Geburtstag hatte, ließ ich geflissentlich unter den Tisch fallen.
„Heute Abend ist die Party bei den geilen Cheerleadern, da müssen wir auf jeden Fall aufschlagen." Nyle grinste dämlich, als er meinen leicht empörten Gesichtsausdruck sah. Immerhin hatte er etwas mit Claire am Laufen.
„Na hör mal, wir gehören zum Eishockeyteam", erklärte er sich. "Die Sportteams müssen einander unterstützen. Es ist Pflicht, dass wir uns da sehen lassen. Das wird mega lustig, vertrau uns."
*
Wenig später wurde auch Ethan wach. Er lehnte im Küchenrahmen und musterte mich, während ich den Jungs eine Runde frischen Kaffee machte, die gerade dabei waren, neue Spielzüge fürs Training zu diskutierten.
Als ich meinen Freund entdeckte, machten meine Schmetterlinge einen Freudensprung. Jedes Mal, wenn ich ihn zum ersten Mal an einem neuen Tag sah, fühlte es sich irgendwie besonders an. Genau wie dieses Mal.
Die Art, wie Ethan oberkörperfrei und nur mit seiner lockeren Jogginghose auf der schmalen Hüfte im Türrahmen anlehnte, war zum Niederknien. Seine dunkelbraunen Haare waren wild, sein Blick dafür um so entschlossener, als würde es für ihn gerade nichts anderes auf dieser Welt geben als mich. Dieser Blick alleine reichte eigentlich schon aus, dass ich ihn auf der Stelle bespringen wollte. Doch in Anbetracht der Anwesenheit des Rudels hielt ich mich zurück, und so lächelte ich meinen Adonis einfach nur glücklich an und ging freudig auf ihn zu.
Er stieß sich langsam vom Rahmen ab, kam mir entgegen und schlang seine Arme um meine Taille. Er zog mich an sich, doch küsste er mich nur flüchtig und zu allem Überdruss auch nur auf die Wange.
Dann neigte er sich zu meinem Ohr hinab. „Muss das sein, dass du halb nackt vor meinen Jungs rumtanzt, Baby?", fragte er leise.
Ich warf Ethan einen unsicheren Blick zu. Immerhin hatte ich sein Shirt an, und das war so riesig, dass es an mir aussah, als hätte ich ein Kleid an. Ein kurzes vielleicht, aber alles Wichtige war bedeckt.
„Du bist einfach naiv, wenn du wirklich denkst, dass sie es nicht auch scharf finden. Vertrau mir, Männer finden sowas immer scharf. Und du bist nochmal ein ganz anderes Level", legt Ethan leise nach und griff fest meinen Hintern.
Ich verdrehte lächelnd die Augen, während meine Wangen rot wurden. „Dir auch einen guten Morgen, mein Schatz." Ich küsste ihn und sah ihn liebevoll an. „Können ... können wir kurz reden?" Das Thema vom gestrigen Abend hatte mich die ganze Nacht verfolgt und ich wusste, dass ich mit Ethan darüber sprechen musste. Je eher, desto besser. Er muss von meiner und Chris' Idee erfahren.
Doch Ethan grinste nur anzüglich. „Später, Baby. Jetzt gehen wir erstmal duschen."
„Duschen?", fragte ich überrumpelt.
„Zumindest nebenbei ... ja." Der Blauäugige grinste mich verführerisch an. „Komm schon."
Noch bevor ich etwas dagegen sagen konnte, griff er nach meiner Hand.
„Ich muss euch Ivy kurz entführen", ließ er die Jungs wissen und sein Tonfall ließ mein Inneres bereits freudig zusammenziehen. Er hatte Recht ... reden konnten wir sicher auch danach noch.
„Ey, was ist mit unserem Kaffee?", fragten Kyle und Nyle wie aus einem Mund.
„Macht euch euren beschissenen Kaffee selbst", knurrte Ethan grinsend, schlang demonstrativ seinen Arm und meine Schulter und zog mich mit sich.
Verlegen lächelte ich zum Abschied, als ich Chris festen Blick auffing.
„Viel Spaß im goldenen Käfig, Vögelchen."
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