꧁ 47 ꧂
Chris runzelte die Stirn, als würde er darüber nachdenken, gar abwägen, ob er es mir erzählen sollte. Doch im Augenwinkel sah ich Ethan ihm bestätigend zunicken.
Chris räusperte sich und erhob daraufhin seine eindrucksvolle Stimme. „Nun ... Lupis gilt als einer der beiden Urwölfe unserer Art. Der Legende nach ist er der erste Mensch, der sich je in einen mächtigen Wolf verwandelt hat. Im 14. Jahrhundert häuften sich auf der ganzen Welt zusehends Berichte von Hexen und Hexern, die ihr Unwesen trieben. In spirituellen Riten verschafften sie sich neue Anhänger, doch diese mussten als Blutpreis einen geliebten Menschen opfern. So begab es sich, dass Lupis' Frau, ihres Zeichens Hexenanwärterin, Lupis des nachtens erdolchen wollte, doch noch im Todeskampf brach das Wolfssein aus ihm heraus. Er biss seinem Weib die Kehle durch und überlebte dank seines schnellheilenden Wolfblutes."
Bei Chris' Worten lief mir ein Schaudern über den Rücken. Es war mucksmäuschen still. Nur das Knistern des Lagerfeuers untermalte leise die gebannte Stimmung. Und obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass alle außer mir die Legende sicher schon in und auswendig kannten, so klebten sie doch an Chris' Lippen, als hörten sie die Legende der Wolfswandler zum ersten Mal.
„Mhysa gilt neben Lupis als zweiter Urwolf", fuhr Chris mit tiefer Stimme fort. „Sie war die Frau eines stadtbekannten Alchimisten. Auch er wollte einem Hexerzirkel beitreten, doch dafür bedurfte es ebenso eines Blutopfers. So mischte er seiner Frau Gift in den Becher. Ein einziger Schluck allein hätte genügt, um Mhysas Herz zu lähmen, ihr Blut zum Kochen zu bringen und sie damit zu töten. Doch als sie vom Becher trank, erwachte stattdessen ihre innere Wölfin. Mhysas Mann wollte sie daraufhin ebenfalls erstechen, ein Kampf entbrannte, doch auch sie biss dem Hexer die Kehle durch. Ihr Wolfsblut heilte sie ebenso schnell wie Lupis. Als Mhysa und Lupis dann zueinander fanden, wurden sie Gefährten. Nach ihrer Wandlung gab es auf der ganzen Welt weiter, ähnliche Phänomene. Überall erwachten innere Wölfe im Todeskampf zum Leben. Um der Ausbreitung der Hexenzirkel in den Landen Einheit zu gebieten, gründeten Lupis und Mhysa die Primus, das bis heute mächtigste Rudel der Welt. Viele weitere Wandler rotteten sich auf der ganzen Welt zu Rudeln zusammen und die Wolfswandler wurden zu den Beschützern der Menschen. Doch als die Gefahr der Hexen und Hexer gebannt war, begannen Wolfswandler, sich mit Menschen zu paaren. Halbblüter entstanden und wurden zu einer noch viel größeren Bedrohung für die Menschen. Denn sie töteten nicht nur einen Menschen. Im tollwütigen Zustand des Wahns und der Zerrissenheit töteten sie viele Menschen. Zu viele. Dir Primus mussten handeln. Und so wurden die Anwärter darauf trainiert, Halbblüter rechtzeitig zu erkennen und schnellstmöglich unschädlich zu machen. Und so ist es bis heute."
Chris sah vom Lagerfeuer auf und starrte mich mit festen Blick an. „Und doch sitzt du hier ... nach allem."
Ethans Griff um meine Taille wurde fester. Er spürte, dass ich seine Stärkung nun brauchte.
„Ich ... ich kann es mir wirklich selber nicht erklären. Das musst du mir glauben", sagte ich leise.
„Es gibt im Übrigen Neuigkeiten", erklärte Ethan schließlich. Sofort hatte er die Aufmerksamkeit aller auf sich und ich spürte das erste Mal, dass ich tief durchatmen konnte. „Ivy hat mir eben etwas erzählt, dass wichtig sein könnte."
„Und was?"
„Sie hat uns hören können, als wir Wölfe waren."
„Als Halbblut? Können die das überhaupt?", entfuhr es Kyle, doch sofort wandte er sich mir zu. „Ist nicht böse gemeint, nichts für ungut!"
„K-Kein Problem", sagte ich etwas verlegen und lächelte matt.
„Ich meinte nicht, dass sie uns hören konnte, als sie verwandelt war", fuhr Ethan fort. „Schon vorher ... sie konnte uns hören, als sie noch Mensch war."
Plötzlich verengten sich Chris dunkle Augen zu Schlitzen und er versteifte sich. „Schwachsinn!", zischte er.
„Ich hielt es auch für unmöglich", antwortete Ethan und blickte seinen Alpha an. „Aber es ist wahr. Sie konnte unseren Gesprächen folgen."
„Beweise es!", fuhr Chris mich plötzlich an, so dass ich zusammen zuckte.
„Chris! Wenn sie sagt, dass sie uns hören konnte, dann...", nahm Ethan mich in Schutz, doch mit nur einem kurzen, schneidenden Blick ließ Chris ihn verstummen. Ganz eindeutig wieder eine Alpha Geste.
„Beweise es!", forderte Chris erneut und funkelte mich eindringlich an. Das dunkle Braun seiner Iriden war fast schwarz.
Ich musste schlucken. „Ich ... ich habe gehört, wie ihr über mich gesprochen habt, als ihr auf der Lichtung standet und ich noch im Haus war", sagte ich leise. „Dass es mein Schicksal sei ... und dass ihr Probleme bekämt, wenn ihr mich nicht ... nicht bei den Primus meldet. Und dass du deshalb Samira losgeschickt hast, um euren Eltern von mir zu berichten."
Chris hörte mir aufmerksam zu. Seine Blicke schienen mich förmlich zu durchbohren, meine Aussage zu überprüfen, mich zu prüfen. Ich spürte instinktiv, dass er mir nur glauben würde, wenn ich dieser Prüfung standhielt. Dass er mir nur vertrauen würde, wenn ich es schaffte, ihn nun zu Überzeugen.
Und so hielt ich dem eindrucksvollen Blick des Alphas stand.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro