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Bis zum Mittag blieb es ruhig – jedenfalls sofern man von Ruhe sprechen konnte. Denn in meinem Inneren sah es völlig anders aus. Calebs Schicksal zu erfahren setzte mir mehr zu, als ich vor Caitlyn hatte zeigen wollen und machte meine vorher diffuse, surreale Angst plötzlich nah, greifbar und äußert real.
Die letzten Tage hatte ich meinen Fokus hauptsächlich darauf gelegt, wann der Wahnsinn Besitz über mich ergreifen würde. Über die Möglichkeit, dass jederzeit Anwärter hier auftauchen und mich erledigen könnten, bevor ich überhaupt dem Wahnsinn verfallen war, wusste ich zwar bescheid, doch wurde diese Angst durch Calebs Geschichte nun um ein vielfaches realer, viel existentieller und leider auch viel beängstigender.
Caitlyn hatte mir geraten, meine Wolfsfähigkeiten nicht weiter zu trainieren, und dem Drang, sie einzusetzen, zu widerstehen. Sie befürchtetet, dass es den Prozess des Wahnsinns und der inneren Zerrissenheit antreiben könnte, wenn ich bewusst meine Wolfssinne ansprach.
Und so zog sich auch dieser Tag wie zäher, klebender Kaugummi. Nach unserem morgendlichen Gespräch hatte ich noch eine Weile am Fenster gesessen und still auf Ethan gewartet, doch er kam nicht wieder.
Nach einer Weile zog ich mich in den Spitzboden zurück, doch auch dort kam ich nicht zur Ruhe.
Ich lauschte dem Wind, wie er immer wieder in Böen das Holz des alten Häuschen zum Knarzen brachte. Ich dachte an Ethan, daran, wo er wohl gerade war, was er wohl gerade tat. Alleine gestern war er viele Kilometer nur gelaufen, und die kurze Zeit, die er hier war, hatte er ja nicht sonderlich viel geschlafen. Als Wolf hatte man sicher auch nicht unendlich viel Ausdauer. Wie lange sollte das nun so weiter gehen?
Die Antwort darauf bekam ich schneller, als mir lieb war. Denn ganz plötzlich erklang in der Ferne ein Heulen, tief, durchdringend und unheilvoll klingend. Irgendetwas in mir wusste instinktiv, was das war. Wolfsgeheul. Augenblicklich schoß das Adrenalin durch meine Venen, gemischt mit einer gehörigen Portion Panik.
„Ivy!", rief Caitlyn sofort von unten hoch. „Komm runter! Sofort!"
Ich sprang auf und eilte die Treppen runter.
Caitlyn empfing mich sichtlich aufgeregt.
„W-was ... was ist los?" Mein Herz schlug plötzlich wie wild gegen meine Brust.
„Das war Ethan. Er hat uns gewarnt!"
„Kommt jemand?", fragte ich entsetzt, doch Caitlyn antwortet nicht darauf.
„Ich werde jetzt wandeln, Ivy. Ich will, dass du..."
„Kommen sie?", unterbrach ich sie laut. Die Panik stand mir offenbar ins Gesicht geschrieben.
Caitlyn kam auf mich zu, fasste mich fest an den Schultern und schaute mir tief in die Augen. „Ich weiß es nicht, Ivy! Aber du musst dich jetzt zusammen reißen. Ich will, dass du im hinter mir bleibst, egal was passiert, okay? Bleib auf jeden Fall im Haus!" Ihr Blick war durchdringend und ernst, und ließ keinen Raum für Widerworte.
Ich nickte eilig. „Versprochen."
Caitlyn nickte mir ebenfalls entschlossen zu. Zielstrebig ging sie zur Tür und öffnete sie.
Der Wind fegte kühle, feuchte Luft in die Stube und augenblicklich überkam mich ein Schauer.
„Lass die Tür auf. Dann kann ich besser riechen", wies Caitlyn mich an und trat in die Mitte der Stube.
Dann reckte sie ihren Hals, blickte gen Decke, schloss die Augen und streckte, wie schon Ethan damals, ihre Arme ganz leicht vom Körper weg. Dann ging alles rasend schnell. Aus ihrer Kehle drang ein leises Knurren, die Wandlung überflog ihren Körper und nach einem weiteren Wimpernschlag stand Caitlyn in ihrer Wolfsform vor mir.
Sie war etwas kleiner als Ethans Wolf, doch immer noch größer als jeder gewöhnlicher Wolf. Ihr Fell war gräulich weiß gesprenkelt, ihre Statur wirkte hager und schmal.
Caitlyn verlor keine Zeit, stellte sich in den Rahmen der geöffneten Tür und hielt ihre Nase in den Wind. Sie schnupperte, dann stellte sie den Kam auf. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Langsam ging ich ein paar Schritte zurück, bis ich an die Wand stieß und mich zum Stehenbleiben zwang. Ängstlich drückte ich mich an die Wand. Mein Atem ging flach, ich wollte schlucken, um meine beengte Kehle zu befeuchten, wagte es aber nicht, aus Sorge, man könnte mich hören.
Momente vergingen.
Quälend langsame Sekunden.
Mein Herz raste, mein Pulsschlag klopfte in meinen Ohren, dumpf, wie die Schläge weit entfernter Kriegstrommeln.
Ich war nicht bereit für das, was da auf mich zu kam. Bis zuletzt war diese Halbblut-Sache nicht real und auf einmal überrollte die Angst mich wie ein Tsunami die flache Küste.
Ich konnte nicht weglaufen. Ich konnte nicht fliehen. Die Welle würde kommen.
Und meine Angst vor dem Ertrinken wurde ganz plötzlich existentiell.
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