꧁ 35 ꧂
Als Ethan nur Sekunden später zu uns heraus kam, knarrten die Holzdielen der kleinen Veranda unter seinem Gewicht. Er musterte uns, ehe er sein Gesicht zu einem kleinen, doch so viel in mir auslösendem Lächeln verzog und die Sonne für mich an diesem Morgen insgeheim ein zweites Mal aufging.
Sein dunkelbraunes Haar stand in alle Richtungen ab, sein Gesicht sah immer noch schlaftrunken aus und doch sah er nie besser aus, als genau in diesem Moment.
Scheiße ... ich hatte wirklich ein verdammtes Problem. Nicht nur, dass ich Halbblut war, ich war auch über beide Ohren in diesen riesigen Kerl verliebt. Und dass sich die beiden Tatsachen nicht gut miteinander vertrugen, hatte er mich ja eindrucksvoll spüren lassen, als wir gestern im Bett lagen.
Ja, er hatte vielleicht mit seinem Rudel gebrochen, um mich zu beschützen und ja, er hatte mich aus der Schussbahn gebracht, aber ich war nicht naiv. Mir war klar, dass er es eher aus reinem Pflichtbewusstsein heraus getan hatte, Pflichtbewusstsein unserer gemeinsamen Vergangenheit, unserer Familie gegenüber.
Caitlyn war mir einen letzten, aufmunternden Blick zu. Dann ging sie an Ethan vorbei und tätschelte dabei seinen starken Oberarm. „Ich mache mal Frühstück", ließ sie uns wissen und ging ins Haus.
Ethan musterte mich mit gerunzelter Stirn und rieb sich den Nacken ehe er sein breites Kreuz an der Hauswand anlehnte. Er blieb auf Abstand, bestätigte damit meine Pflichtbewusstseins-Annahme und versetze mir damit einen weiteren Stich.
„Alles gut?", wollte er wissen.
Ich schnaubte in mich hinein. „Willst du nur kontrollieren, ob ich schon wahnsinnig werde oder interessiert es dich wirklich, wie es mir geht?", kam es unüberlegt aus mir heraus, noch ehe ich darüber nachdenken konnte, ob ich Ethan damit vielleicht unrecht tat.
Er sah ernst zu mir hinab. „Komm schon, Ivy. Sei nicht unfair."
Ich nickte ausdruckslos und schaute zurück zur Lichtung. Mittlerweile hatten Wolken die Sonne verdeckt. Die Waldluft roch feucht, moosig. Es würde sicher bald anfangen zu regnen.
„Ich frage dich nochmal, Ivy." Ethans Stimme war ganz ruhig. „Gehts dir gut?"
Ich nickte stumm. Doch gar nichts war gut. Ich war völlig durcheinander von all den Informationen der letzten vierundzwanzig Stunden, von den neuen, die ich durch Caitlyn erfahren hatte, erst recht. Und ich war vollkommen überfordert mit meinen Gefühlen für Ethan, von seinem Abstand zu mir noch viel mehr.
„Wir bleiben heute noch eine Nacht hier", erklärt er mir. „Ist das okay?"
„Was, wenn nicht?", fragte ich betreten.
Ethan zuckte mit den Achseln und ließ seinen Blick Richtung Lichtung schweifen. „Dann bleiben wir trotzdem!", entschied er streng.
Ich presste die Lippen aufeinander. „Dann frag mich doch einfach nicht", sagte ich leise.
Ethan schnaubte, ehe er sich von der Hauswand abstieß und sich neben mir auf der schmalen Bank niederließ. Die Holzbank knarzte unter dem Gewicht seines massiven Körpers. Er stupste mich mit seiner Seite an. „Was ist los, Kitz, hm?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist einfach alles ganz schön viel auf einmal", gab ich schließlich zu.
Er nickte verständnisvoll. „Das stimmt", sagte er schlicht, doch viel mehr wünschte ich mir, er würde mich einfach mal in den Arm nehmen, ganz so, wie vor der Halbblutsache. Wie vor meinem Fieber.
Wir starrten beide auf die Lichtung, Wie erwartet begann es gerade zu regnen. Das leise, sanfte Prasseln des Regens um uns herum wirkte hypnotisch und war wunderschön. Momente vergingen, ehe ich mir ein Herz fasste.
„Es tut mir leid, ich wollte dich nicht anzicken, oder deine Entscheidung in Frage stellen", sagte ich leise. Ich wollte gar nicht gemein zu Ethan sein, doch die ständige Fremdbestimmung, seine plötzlicher Entfremdung und mein Gefühlswirrwarr machten mich einfach verrückt.
Das war es, was mich gerade wirklich wahnsinnig machte – nicht irgendein dummer Genkampf in mir.
„Ist okay", brummte er.
Betreten knibbelte ich an dem Faden meines Pullovers herum. „Ich weiß, dass du viel riskiert hast, um mich hier her zu bringen", murmelte ich.
Ethans sagte nichts.
„Caitlyn... sie ... sie hat mir eben erzählt, dass du mit deinem Rudel gebrochen hast." Vorsichtig schaute ich zu ihm hinauf. Der Anblick seines markanten, wunderschönen Profils jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Er nickte sanft. „Hat sie das?"
Schlagartig spürte ich, wie meine Augen wieder anfingen zu brennen. „Das hättest du nicht tun müssen, Ethan", sagte ich kleinlaut. Ich fühlte mich schuldig für die Misere, in der wir steckten.
Als hätte Ethan einen siebten Sinn dafür, wandte er sich mir ganz plötzlich zu. Er musterte mich, dann erhob sich seine tiefe Stimme. „Ich weiß, was du gerade denkst, und ich sage dir, lass es. Ich bereue nicht eine Sekunde, klar?"
Ich antworte nicht auf seine Bedenken. Doch Ethan war mein Schweigen Antwort genug.
„Du zweifelst an mir, Ivy?", fragte er mit ernstem Blick. „Nach allem?"
Ich schluckte. Der Kloß in meinem Hals wurde von Sekunde zu Sekunde größer. „Nein ... nein, das tu ich nicht! Aber es ist einfach ... einfach alles so unfair. Bis vor ein paar Tagen war mein Leben schön ... das mit uns war schön. Und nun soll alles anders sein? Wegen eines Fiebers? Wegen irgendeinem zu schwachen Gen? Wegen etwas, weshalb Andere mich womöglich lieber tot sehen würden? Wegen etwas, was ich aber nicht einmal selber spüre? Weder gestern noch heute? Das ist ... das ist einfach ... völlig grotesk!" Eine Träne löste sich von meinen Wimpern, rinn über meine Wange, doch zu meiner Überraschung fing Ethan sie auf und wischte sie mit seiner rauen Hand weg.
„Ivy", murmelte er sanft. „Ich weiß auch nicht, was passieren wird. Aber niemals im Leben würde ich zulassen, dass dir etwas passiert, das weißt du doch, oder?"
Er fixierte mein Gesicht mit seinen blauen Augen, blauer als jeder verflixte Ozean auf diesem Planeten ... diese verdammten blauen Augen. Ich musste schlucken. Augenblicklich vergaß ich alles um mich herum.
Ohne darüber nachzudenken gab ich meinem Gefühl nach, reckte mich zu Ethan hinauf und küsste ihn unvermittelt. Als meine Lippen seine berührten, fühlte es sich an, als würde ein Tornado reiner Sehnsucht mich mitreißen. Doch als meine Lippen ein zweites Mal seine trafen, spürte ich, wie er sich von mir zurück zog und aus meinem tobenden Tornado ein laues Lüftchen machte. Aber ein laues Lüftchen konnte mich und meine Sehnsucht nicht tragen. Und so schlug ich mit voller Kraft auf dem Boden der Tatsachen auf.
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